Mein Staat, mein Label, mein Verlag: Fynn Kliemann hat das schon
In seinem Reich, dem Kliemannsland, verrät er uns seine »kleine geheime Fähigkeit«.
7. Januar 2019
– 14 Minuten
Tobias Kaiser
Fynn Kliemann ist überall. Der norddeutsche Jung, der mit Heimwerker-Videos auf Youtube bekannt wurde, tingelt jetzt durch Fernsehsendungen und findet sein Gesicht auf Zeitungen und Magazinen wieder. Letztes Jahr hat er in Eigenregie sein nun plant er mit dem eigenen Label auch andere Künstler unter Vertrag zu nehmen. Social-Media-Kanäle mit Hunderttausenden Followern und seine laufen nebenher. Genau wie sein eigenes kleines Land, der »erste, beste und freiste Interaktiv-Staat der Welt«, in dem (fast) jeder Bürger werden kann.
Dort treffen wir Fynn Kliemann an einem Dienstagnachmittag: auf einem alten, norddeutschen Hof neben einem Reitstall kurz vor dem Nirgendwo, dem man auch an einem grauen, menschenleeren Tag wie heute ansieht, dass hier was passiert. Das weitläufige Gelände steckt voller Überraschungen. Hier wird ein Produktionsstudio mit Greenscreen gebaut, dort sind die Gemüse- und Kräutergärten und neben der Dachrinne stehen die beiden Versuche eines selbstgebauten Hau-den-Lukas. Unser Interview mit Fynn Kliemann startet er auf einem getunten Elektroroller, sodass wir mit dem Diktiergerät kaum hinterherkommen.
Zukunftsorientiert, verständlich, werbefrei. Dafür stehen wir. Mit Wohlfühl-Nachrichten hat das nichts zu tun. Wir sind davon überzeugt, dass Journalismus etwas bewegen kann, wenn er sowohl Probleme erklärt als auch positive Entwicklungen und Möglichkeiten vorstellt. Wir lösen Probleme besser, wenn wir umfassend informiert und positiv gestimmt sind – und das funktioniert auch in den Medien. Studien haben gezeigt, dass Texte, die verschiedene Lösungen diskutieren, zu mehr Interesse führen, positive Emotionen erzeugen und eine erhöhte Handlungsbereitschaft generieren können. Das ist die Idee unseres Konstruktiven Journalismus.
Willkommen im Kliemannsland: Das große Herz am Eingang trotzt dem grauen Wetter Norddeutschlands bei unserer Ankunft.Spartanisch, aber gemütlich: Im Kliemannsland gibt es auch alte Wohnwagen, die im Sommer als Unterkünfte für Helfer und Freiwillige dienen.Im Teich will Fynn Kliemann Experimente zur Energiegewinnung machen – und hat schon den ein oder anderen Stunt ausprobiert.Aus eigenem Anbau: Neben Kräutern gibt es auch Gemüse, das im Sommer und Herbst geerntet wird.
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»Mir geht es nicht darum, anders zu sein!«
Maren Urner:
Du hast deine eigene Youtube-Sendung Kliemannsland bei den Öffentlich-Rechtlichen, bist Musiker und Produzent, schmeißt eine Agentur und, und, und. Wenn dich jemand auf der Straße nach deinem Beruf fragt, was würdest du ihm antworten?
Fynn Kliemann:
Auf jeden Fall Webdesigner und Gründer. Ich komme auch jetzt gerade aus dem Büro. Ich habe eine Agentur, mit der wir Start-ups gründen. Das ist das, was ich hauptberuflich mache und kann. Drum herum sind ganz viele Hobbys.
Maren Urner:
Das heißt, das Kliemannsland und deine Musik sind auch »nur« Hobbys?
Fynn Kliemann:
Ja, ich würde sie als sehr zeitintensive Hobbys bezeichnen. Wenn du so willst, ist die Musik auch ein Ventil. Weil mich der Job in der Agentur allein nicht so ausgelastet hat, wie ich dachte, kamen ganz viele Sachen dazu. So habe ich auch ein Buch geschrieben und ein Label gegründet. Vieles davon hat mich auch überholt, sodass ich manchmal sage: »Alter, was passiert hier gerade, das sollte doch so ein 2-Stunden-pro-Woche-Ding werden und jetzt ist daraus ein 10-Stunden-die-Nacht-Ding geworden.«
Felix Austen:
Wie setzt du dabei deine Prioritäten?
Fynn Kliemann:
Ich habe schon eine straffe Zeitplanung für die Woche. Die fixen Ankerpunkte sind die Agentur und Kliemannsland. Andere Dinge, die regelmäßig passieren, organisiere ich da drum herum. Dienstags ab 12 und samstags war zum Beispiel immer Mukke-Zeit, dafür bin ich nach Hamburg gefahren – open end, um die Platte fertig zu machen. Und halt nachts. Sonntags ist meistens Heimwerkerkram zu Hause, Vorbereitungen und alles, was sonst so anfällt, Buchhaltung, Steuern und so’n Scheiß.
Maren Urner:
Hast du dafür Angestellte?
Fynn Kliemann:
Nö, außer einem Steuerberater natürlich. Ich habe einen Schuhkarton und da ist alles drin. Das ist übrigens der beste Tipp, den man Selbstständigen geben kann. Schuhkarton und einen vernünftigen Steuerberater, dem man den Karton geben kann. Das habe ich sehr lange nicht gemacht, weil ich immer dachte: Die 30 Euro oder so spare ich!
Felix Austen:
Jetzt sind wir ganz schön schnell beim Steuerberater gelandet … (alle lachen)
Fynn Kliemann:
Wir sind halt doch alle Deutsche.
Maren Urner:
Du hast eben gesagt, du hast dich nicht ausgelastet gefühlt und jonglierst jetzt die verschiedensten Projekte. Prokrastinierst du auch mal?
Fynn Kliemann:
Ja, ja, ja, ja! Das ist immer ein Problem. Wenn man an einem Punkt ankommt, an dem man vielleicht nur noch das nächste anfangen will und der Abschluss nie kommt. Auch weil sich die Projekte mittlerweile so krass aufblasen, sodass aus einer kleinen Idee wie einem Album halt ein ganzes Label mit Angestellten geworden ist. Und wir uns plötzlich fragen, welche Künstler wir zu welchen Konditionen unter Vertrag nehmen wollen und ob wir mal einfach das Label-Business revolutionieren.
Felix Austen:
Wen nehmt ihr denn unter Vertrag?
Fynn Kliemann:
Das ist noch geheim, aber es gibt auf jeden Fall Pläne und das ist schon der Wahnsinn, dass aus diesem »Okay, wir produzieren mal kurz ein Album selbst« solche Überlegungen entstanden sind.
Maren Urner:
Einfach, weil du Dinge anders machst?
Fynn Kliemann:
Manchen Leuten geht es immer darum, »anders« zu sein. Das ist sehr, sehr anstrengend und total die dumme Einstellung. Mir geht es überhaupt nicht darum, anders zu sein, sondern ich will Dinge optimieren. Und wenn der erprobte Best-Practice-Weg gut funktioniert, benutze ich den natürlich, aber ich muss erst mal ausprobieren, ob ein anderer Weg vielleicht besser ist.
Bei der Platte haben wir so viele Dinge anders gemacht, weil wir dachten, dass sei besser als der Standardweg. Zum Beispiel haben wir die Anzahl erst mal limitiert und nicht verschwenderisch produziert. Im nächsten Schritt haben wir einfach mal das 10-Fache von dem verkauft, was andere verkaufen.
Jetzt sind schon einige andere Musiker auf mich zugekommen und haben erzählt, sie werden ihr Album ähnlich releasen. Einfach nur, weil wir es ausprobiert haben.
Felix Austen:
Erschreckt es dich, dass niemand anderes bisher auf solche Ideen gekommen ist und du offensichtlich der Schlauste im Musikbusiness bist?
Fynn Kliemann:
Nein, ich bin nicht der Schlauste, sondern ein Einzelkämpfer, der keine Ahnung von dem ganzen Ding hier hat. Wenn du nicht weißt, wie es geht, machst du es halt einfach.
Maren Urner:
Die Naivität ist also dein Vorteil und man könnte dich als »professionellen Out-of-the-Box-Thinker« bezeichnen.
Fynn Kliemann:
Ja. Weil ich da aus Versehen reingerutscht bin, nicht so wie die meisten anderen Leute, die Musik machen und das schon ihr Leben lang wollten. Und weil ich da irgendwie reingerutscht bin, hatte ich keine Ahnung, wie irgendwas geht. Ich kannte keine Sau und war nicht geprägt von alten Strukturen.
Man kann einfach Sachen mitnehmen auf dem Weg, weil es meist schon 1.000 kleine Brücken gibt, wo nur noch ein Brett fehlt. Wenn du das hinlegst, können danach auch andere drüberlatschen. Das finde ich irgendwie gut.
»Ey, voll geil – E-Mobilität ist ein spannendes Thema!«
Maren Urner:
Gemeinsam mit deinem Team machst du hier im Kliemannsland eine ganze Menge selbst und ihr wollt jetzt auch Was ist deine Motivation und dein Antrieb dahinter?
Fynn Kliemann:
In erster Linie ist das Egoismus, weil ich sehr wissbegierig bin. Hinter Technologien wie einem Wasserspeicher, einem Pump-Kraftwerk oder einem Wärmetauscher stecken geniale Ideen und Konzepte, die ich begreifen will. Und dann ärgere ich mich, dass ich da nicht selbst draufgekommen bin.
Maren Urner:
Es geht also erst mal ums Tüfteln und Erfinden?
Fynn Kliemann:
Genau, das ist meine Grundmotivation, die dafür sorgt, dass ich genauer hinschaue. Auch wenn ich grob weiß, was bei einem Solarpanel passiert, sieht man von außen immer nur Hüllen und Verpackungen. Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich es geil finde, etwas genauer anzuschauen, zu verstehen und diesen Aha-Moment zu haben.
Maren Urner:
Und dann?
Fynn Kliemann:
Als Nächstes frage ich mich dann, was ich damit jetzt machen kann und ob ich diese Wissbegierde vielleicht auch bei anderen Menschen auslösen kann. Sodass die dann vielleicht denken: »Ey, voll geil – E-Mobilität ist ein spannendes Thema!«
Maren Urner:
Und das funktioniert? Holst du die Menschen damit wirklich ab?
Fynn Kliemann:
Der Schlüssel ist es, das irgendwie anfassbar zu machen. Nicht durch eine Broschüre, in der steht, wie viel Kilowattstunden da am Ende bei rauskommen (das checkt am Ende doch kaum jemand).
Maren Urner:
Sondern?
Fynn Kliemann:
Ich schließe ein selbst gebautes Mobil an, da setzt du dich dann drauf und driftest um die Kurve. Und plötzlich begreifst du, dass Bock macht und die Energie dafür nicht mal was kostet. Der Knoten platzt, wenn du es anfassbar und spaßig machst. Wenn du die Vorteile von so einer Technologie herausarbeitest, führt das dazu, dass Leute es anschauen und sagen: »Ach, wie cool!«
Felix Austen:
In deinen Videos sprichst du nie von Nachhaltigkeit oder einem pädagogischen Ziel, du machst einfach. Ist das bewusst, oder bist du einfach so?
Fynn Kliemann:
Ich glaube, dass es am meisten bringt, das nicht auszusprechen. Ehrlicherweise muss ich sagen, dass mich das anfangs auch gar nicht interessiert hat. Ich wollte einfach ein schnelles Mobil haben, egal wie. Ob ich damit die Menschen für die Energiewende interessieren würde oder nicht, war mir völlig egal. Jetzt denke ich: »Cool, wenn ich dadurch noch etwas bewegen kann.« So hat das Kliemannsland ja voll die krasse politische Message.
Maren Urner:
Die da wäre?
Fynn Kliemann:
Es geht um das Miteinander: Wir passen aufeinander auf. Es ist egal, wo du herkommst, egal, wie du aussiehst. Schwarz, weiß, dick, dünn, klein … nur Nazis sind nicht erlaubt!
Ich glaube, das Miteinander wird hier einfach die ganze Zeit gelebt, ohne ständig thematisiert zu werden und ohne dass das auf irgendeiner Agenda steht. Die Leute sagen dann: »Aha, das funktioniert ja voll schön. Das hat mir Spaß gemacht, ich habe Menschen kennengelernt und hatte ein interessantes Wochenende.« Ganz ohne dass es irgendwie politisch motiviert war. Es war einfach so und hat in den Menschen bewirkt, dass sie ein bisschen aufeinander achtgeben.
»Hätte ich dort angefasst, wär’s das gewesen mit mir!«
Felix Austen:
Stichwort achtgeben: In vielen Videos bist du selbst am Schweißen, fummelst mit der Elektrik rum oder bist irgendwie am Löten. Ziehst du irgendwo die Grenze und lässt lieber den Elektriker kommen?
Fynn Kliemann:
Die Grenze gibt es auf jeden Fall. Wenn wir irgendwo Starkstrom hinlegen, weil wir ein Festival planen und 10 Buden von einer Leitung zehren müssen zum Beispiel. Würde ich das selbst machen, würde das schiefgehen und ich wäre schuld, wenn es nix zu essen gibt.
Felix Austen:
Wie lange hat es gedauert, bis du soweit warst und dir eingestehen konntest: Ich kann nicht alles selbst machen?
Fynn Kliemann:
Da gab es diesen einen Moment bei mir in der Garage, der sich eingebrannt hat. Ich habe dort Starkstromkabel gelegt, aber nicht selbst angeschlossen. Dann war es mehr oder weniger fertig und wir standen alle um den Verteiler in der Garage. Und ich fummele daran rum und erkläre den anderen: »Ja, hier läuft das jetzt rein und dann geht es hier raus.« Und plötzlich reißt mein Kumpel meine Hand weg. Hätte ich dort angefasst, wo ich wollte, wär’s das für mich gewesen.
Maren Urner:
Wann war das?
Fynn Kliemann:
Vor 3 Jahren oder so. Das war echt knapp. Und ich wusste es einfach nicht. Ich hätte niemals gedacht, dass so ein Metallstück, das aus dem Plastik rausguckt, etwas ist, woran du stirbst. Das heißt nicht, dass man Dinge mit Strom nicht selbst machen kann, aber mein Bewusstsein dazu hat sich geändert. Ich denke vorher genauer drüber nach und lasse es auch von jemandem gegenchecken, der sich auskennst.
»Schule hätte das Geilste sein können!«
Maren Urner:
Als Neurowissenschaftlerin und Psychologin interessiert mich bei deinem ungewöhnlichen Lebensweg vor allem eines: Was glaubst du, unterscheidet dich vom Durchschnitt?
Fynn Kliemann:
Ich glaube, ich bin einfach nur interessierter. Das ist der einzige Unterschied.
Maren Urner:
Und was glaubst du, woher das kommt?
Fynn Kliemann:
Ich weiß nicht, ob es damit zusammenhängt, aber bei vielen meiner Freunde geht das jetzt Weil ich schon ewig mit meiner Freundin zusammen bin, werde ich natürlich auch gefragt: »Ja, Fynn, wann ist es denn bei euch soweit?« Meine Antwort war immer: »Boah, ein Kind, niemals, ey!« Das ist voll stressig und so, aber was dann auch immer aufpoppte, ist die Angst, dem Kind nicht alles erklären zu können.
Kinder haben 1.000 Fragen, und klar, es reicht auch, wenn du dir Sachen ausdenkst und googelst. Aber ich hatte für mich immer den Anspruch, alles erklären zu wollen. Das war also immer meine Ausrede, keine Kinder zu haben.
Maren Urner:
Glaubst du denn, irgendein Elternteil auf der Welt kann das?
Fynn Kliemann:
Nein, aber ich habe diesen Anspruch, es zu können, an mich. Und genau der war ein bisschen der Ansporn für mich. Außerdem habe ich einfach immer viele Interessengebiete gehabt. Das hat irgendwie mit Astrophysik angefangen. Da hatte ich Mega-Bock drauf und hatte dann ganz viel Interesse an all den Sachen, die im Universum passieren können. Da habe ich natürlich schnell gelernt, dass es schwer wird, das alles zu lernen. Aber immer, wenn ich etwas Neues gelernt habe, war das gut. Für mich und mein Ziel, alles wissen zu wollen. Oder zumindest das verstehen zu wollen, was ich im Alltag so benutze.
Maren Urner:
Hat denn schon der kleine Fynn alles auseinandergeschraubt und seinen Lehrern Löcher in den Bauch gefragt?
Fynn Kliemann:
Als kleiner Junge habe ich das noch nicht gemacht. Ich war ein kleiner Dulli, dessen Lebensinhalt es war, mit Böllern im Wald rumzuballern.
Maren Urner:
Bist du jetzt weniger denkfaul als früher?
Fynn Kliemann:
Vielleicht ja. Ich bin generell weniger faul geworden. Früher war ich auch ein fauler Schüler und wollte so wenig machen, wie es geht, musste aber eher viel machen.
Felix Austen:
Warst du kein guter Schüler?
Fynn Kliemann:
Ich war so oberes Mittelfeld. Ich musste schon richtig viel ackern und sehr viel tun, damit ich halbwegs ok irgendwie durchkomme. Jetzt bereue ich es voll, dass ich damals den Sinn hinter den Inhalten nicht gesehen habe. Ich ärgere mich, – in Chemie und Physik vor allem. Hätte ich einen stärkeren Realitätsbezug in der Schule gehabt, wäre ich – glaube ich – voll gut gewesen.
Maren Urner:
Ist doch super, dass du diesen Moment des »Erwachens« überhaupt hattest und jetzt hier versuchst, das gleiche Gefühl auch bei anderen auszulösen.
Fynn Kliemann:
Ja, auf jeden Fall. Und natürlich habt ihr recht, dass es gut ist, dass es irgendwann »Klick« gemacht hat, aber es ist trotzdem schade, wenn ich daran zurückdenke, wie ich mich damals gequält habe. Es hätte so schön sein können, Schule hätte das Geilste sein können. Ich ärgere mich einfach über die vielen Jahre, die ich verloren habe.
Fynn Kliemann ärgert sich, dass er sich nicht schon früher für die Welt interessiert hat.Im Kliemannsland ist auch Platz für Konzerte und andere Veranstaltungen.So sieht ein Wohnwagen mit Spezial-Tür aus – hier wohnen im Sommer Helfer im Kliemannsland temporär.Immer was zu tun: Auch der Kräutergarten braucht Pflege.Fynn Kliemann erzählt uns, warum er noch keine Investoren gefunden hat.
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»Das ist meine kleine geheime Fähigkeit!«
Maren Urner:
Jetzt haben wir ziemlich viel übers Jetzt und deine Vergangenheit gesprochen. Wie sieht es mit der Zukunft aus? Denkst du auch drüber nach, ob du irgendwann mal ein wenig mehr Ruhe brauchst?
Fynn Kliemann:
Pfft … Ne, also Ruhe nicht, ich möchte diesen Hof auf ein bestimmtes Level bringen.
Maren Urner:
Du hast also ein konkretes Ziel für das Kliemannsland vor Augen?
Fynn Kliemann:
Die Infrastrukturen müssen soweit stehen, damit sich die Leute hier selbst verwirklichen können. Das ist das oberste Ziel.
Felix Austen:
Kann es dann auch ohne dich weiterlaufen?
Fynn Kliemann:
Ne! (alle lachen)
Der Hof kann ohne mich vor der Kamera weiterlaufen. Aber was vielen Unternehmungen fehlt – und ich habe nun schon viele verschiedene Sachen gemacht –, ist die Vision. Also eigentlich das, womit alles beginnt. Auf lange Sicht kippt alles, wenn diese Vision verloren geht. Das beobachte ich oft: Da startest du ein Unternehmen mit einem coolen Ansatz oder einer geilen Idee und dann rückt doch die Gewinnmaximierung in den Fokus.
Wir hatten hier auch Investorengespräche, weil ich noch viel vorhabe und wir dafür Geld brauchen. Bisher sind alle gekippt, weil es am Ende doch immer ums Geld ging und das killt alles.
Felix Austen:
Im Moment wird doch fast alles, was du anfasst, zu Gold. Hat dir niemand so viel Vertrauen entgegengebracht, dass du mit dem Geld schon was Gutes anstellen wirst?
Fynn Kliemann:
Doch, aber es fehlte immer irgendwas und das bereitet mir Bauchschmerzen. Also dauert es halt ein halbes Jahr länger und wir müssen anders zusehen, wie wir die notwendigen Strukturen erstellen. Wir haben ja den Ort, der uns gehört. Jetzt können wir schauen, wie wir ihn weiter aufwerten, und zwar in einer sehr harmonischen Form.
Maren Urner:
Was heißt harmonisch?
Fynn Kliemann:
Da zählen verschieden Faktoren rein: einmal das Dorfleben, das nicht gestört werden darf. Genau wie und die Produktion. Das sind die 3 Eckpfeiler. Dann kann man über die Monetarisierung nachdenken, zum Beispiel mit dem Café, das es schon gibt, und dem Atelier und dem Studio, die wir vermieten. Im Fokus steht aber immer, dass nicht-kommerzielle Projekte kostenlos bleiben müssen. Wenn wir das nicht hinbekommen, geht es nicht. Wir müssen das Geld also von denen holen, die es haben.
Felix Austen:
Was stimmt dich zuversichtlich, dass das auch weiterhin so gut hinhaut, wie du dir das vorstellst?
Fynn Kliemann:
Mittlerweile habe ich ein riesengroßes Netzwerk. Das kann ich bieten und auch jeden Tag genießen.
Felix Austen:
Meinst du damit dein lokales Netzwerk hier im Dorf?
Fynn Kliemann:
Ja, aber auch darüber hinaus. Es gibt nichts mehr, was ich nicht machen kann. Das ist wirklich krass. Ich kann alles tun, alles, was du dir vorstellen kannst. Wenn wir ein Flugzeug brauchen, rufen wir den Hamburger Flughafen an und zack: Alles geht!
Maren Urner:
Seit wann geht das?
Fynn Kliemann:
Seit ca. einem halben oder ganzen Jahr. Ich komme an jede Telefonnummer. Klar, muss ich auch manchmal betteln und Sachen raussuchen.
Felix Austen:
Wie lange brauchst du für die Nummer von Angela Merkel?
Fynn Kliemann:(denkt ernsthaft nach) Also, man würde die garantiert bekommen, auch wenn es jetzt nicht viel bringen würde. Es ist nicht so, dass ich der krasseste, vernetzte Typ bin, aber ich glaube, ich kann Dinge überzeugend vermitteln – das ist meine kleine geheime Fähigkeit.
Felix Austen:
Zum Abschluss haben wir uns noch 2 kleine Herausforderungen für dich überlegt. Lässt du dich drauf ein?
Fynn Kliemann:
Klar, wenn die nicht ganz scheiße sind!
Mit Illustrationen von
Tobias Kaiser
für Perspective Daily
Maren hat in Neurowissenschaften promoviert, weil sie unser Denkapparat so fasziniert. Die schlechte Nachricht: Wir sind weit davon entfernt, unser Gehirn zu verstehen. Die gute Nachricht: Unser Gehirn ist veränderbar, und zwar ein Leben lang. Wahrnehmungen, Gewohnheiten und Entscheidungen sind also offen für unsere (Lern-)Erfahrungen. Und damit auch für die Erkenntnis: Ich habe mich getäuscht!
von
Felix Austen
Der Physiker Felix begrüßt den Trend zu Hafermilch und fährt gern Rad. Er weiß aber auch, dass das nicht genügen wird, um die Welt vor der Klimakatastrophe und dem Ökokollaps zu bewahren. Deshalb schreibt er über Menschen, Ideen und Technik, die eine Zukunft ermöglichen. Davon gibt es zum Glück jede Menge!