Diese Menschen existieren nicht
Ein Computer hat sie gemacht. Kannst du noch zwischen »echt« und »fake« unterscheiden?
»Schaue mal hier, so sah das damals aus.« Diesen Satz kennt jeder, der schon mal einen Familienabend mit alten Fotoalben verbracht hat. Urlaubsfotos, das erste Fahrrad und Auto, vielleicht sogar die alten Jahrgangsfotos aus der Schule. »Und das war der Tom damals. Wie gut der aussah!« Authentische Bilder, die genau dokumentieren, wie die Welt einst war.
Doch genau diese »Echtheit« der Fotos scheint heute immer seltener zu sein.
Neuere Handys erlauben Bildkorrekturen in Echtzeit: Hautunebenheiten? Weg damit. Nicht braun geworden im Urlaub? Einfach den Hautton frei anpassen. Wenn es mit der Diät nicht wie geplant funktioniert hat, einfach das Gesicht ein wenig schmaler machen. Bildbearbeitung ist längst nicht mehr nur was für Profis, sondern kann jeder mit ein paar Klicks und mithilfe von ein paar Youtube-Videos lernen.
Nun gut, trotz aller Manipulation ist auf allen Bildern am Ende aber immer noch ein »echter Mensch« zu sehen. Oder? Nein! Wie gut komplett gefakte Porträts mittlerweile aussehen, führt uns eine neue Website vor: Mit jedem Klick zeigt sie ein täuschend echtes Gesicht von Menschen, die nicht existieren. Erkennst du, wer echt und wer ein »Fake« ist?
Scrolle nach rechts und teste dich, ob du bei diesen 5 Bildern noch erkennst, welcher Mensch »echt« ist – und welcher nur ein Fake.
Das steckt hinter den Bildern – Spoiler: Es ist kein Mensch
Passenderweise heißt die Website thispersondoesnotexist.com und zeigt bei jedem Aufruf das Fakefoto eines Menschen.
Hinter der Website steht eine selbstständig arbeitende künstliche Intelligenz
Erschaffen wurde sie vom US-amerikanischen Grafikkartenhersteller NVIDIA, der sich seit Jahren mit KI und den Möglichkeiten zukünftiger Bildmanipulation beschäftigt und die eigenen Forschungsergebnisse frei verfügbar ins Netz stellt.
In diesem Video siehst du den Algorithmus bei der Arbeit.
Der Entwickler und KI-Enthusiast Phillip Wang war von den Ergebnissen direkt überzeugt.
Doch trotz der beeindruckenden Fortschritte sind die Bilder von thispersondoesnotexist.com noch nicht perfekt. Sind dir vielleicht auch an ein paar Stellen Unregelmäßigkeiten aufgefallen? Vielleicht bei den Haaren oder zwischen Ober- und Unterlippe bei halb geöffneten Mündern?
An diesen 6 Merkmalen kannst du erkennen,
Vermutlich wird es nur noch wenige Jahre dauern, bis die nächsten KI-Versionen auch diese Schönheitsfehler ausbügeln und echten »Fotorealismus« wahr werden lassen. Und längst arbeiten die Algorithmen daran, auch Tiere oder Objekte wie Autos oder sogar ganze Räume zu erstellen. Und bald werden KIs sogar fähig sein, auch komplexe Bilder zu erstellen und Menschen, Objekte und Szenerie beliebig zu kombinieren,
Die Zukunft, in der das menschliche Auge nicht mehr zwischen von Menschen gemachten und vom Computer erstellten Fotos unterscheiden kann, nähert sich also mit rasenden Schritten.
Hast du bei dem Gedanken jetzt auch ein mulmiges Gefühl im Bauch? Das ist völlig normal. Denn auf thispersondoesnotexist.com geht es um mehr als ein paar zufällig angezeigte Fotos, die ein cleverer Algorithmus generiert hat – es geht um unser Verständnis von Wirklichkeit, von Schein und Sein, von »echt« und »falsch«. Phillip Wangs Website zwingt uns gerade dazu, dass wir uns den großen, unbequemen Fragen stellen: Was ist heute noch echt? Und was heißt »echt« im Zeitalter der Computer?
Warum du keine Panik vor falschen Fotos haben musst – 4 Perspektiven
Doch ganz so neu sind diese Fragen auch nicht. Denn die Diskussion um Authentizität und Fotos gibt es nicht erst, seit es Algorithmen gibt:
- 1. Unsere Idee vom »echten« Abbild ist noch jung: Über Jahrhunderte war es normal, dass Abbildungen nicht authentisch waren, sondern Interpretationen des jeweiligen Künstlers. Von der griechischen Antike über die französische Renaissance versteckten Maler in Porträts und Skulpturen subtile Kritik, die uns heute häufig mehr erzählt als die Abbildungen selbst. Mit heutigen Möglichkeiten wie Photoshop kehren diese alten, künstlerischen Interpretationsspielräume wieder zurück – wie etwa beim aktuellen Trend von Trumpfotos mit langer Krawatte.
- 2. »Unechte« Fotos sind schon längst die Regel: Wusstest du, dass das berühmte Porträtfoto von Abraham Lincoln aus den 1860er-Jahren eigentlich ein Zusammenschnitt von 2 Fotos ist? Oder dass 75% der Bilder aus dem IKEA-Katalog des Jahres 2014 im Computer hergestellt wurden (sogenannte CGI-Renderbilder)? Künstliche Bilder gab es schon immer und heute mehr denn je – vor allem in der Politik und der Werbung. Gerade bei Letzterem sollte das auch jedem bereits klar sein, oder denkst du wirklich, dass der Hamburger der bekannten Fast-Food-Kette so aussieht, wie auf dem Plakat? Wohl kaum!
- 3. Fotografieren war nie »objektiv«: Wenn heute öffentliche Diskussionen um berühmte Fotos entbrennen, etwa um Kim Kardashians Coverfoto für das Paper Magazine, geht es darin nur noch selten um die Frage »echt oder nicht?«, sondern vielmehr um die Aussage dessen, was dargestellt wird. Ist das Sektglas auf dem Po nun sexistisch oder nicht? Menschen denken die Möglichkeiten moderner Technik mit und lesen Fotografien also immer weniger als Dokumentationen der Realität und immer mehr als Kunstwerke mit einer Botschaft. Und das ist gut so, denn Fotos sind nie objektiv. Auch ganz ohne Bearbeitung lässt sich allein mit einer Kamera, Bildwinkel und der Auswahl des Motivs sehr viel drehen.
- 4. Es geht schon längst nicht mehr um »Echtheit«, sondern um Vertrauen: Bei den Risiken von Fotomanipulationen sind die Gedanken an Gerichtssäle nicht weit. Auch das ist ein alter Hut: In Zivilprozessen sind private Fotos nicht vorgesehen. Denn die deutschen Gerichte wissen auch um die Manipulierbarkeit der Bildträger – und dass Fotos deshalb kein ausreichendes Beweismittel sind. Dazu kommt noch die komplizierte Abwägung zwischen Persönlichkeitsrechten am Bild und der Rechtfertigung zur
Natürlich wirft der neue Fotoalgorithmus trotz aller Entwarnung auch drängende Fragen auf: Wer hat die Rechte an den erstellten Bildern? Was passiert etwa, wenn ein solches Foto einen Fakemenschen zeigt, der einem echten Menschen stark ähnelt? Und welche Möglichkeiten des Betrugs und der Fake News eröffnen sich jetzt, wenn es eine unendliche Anzahl von Porträts von Menschen gibt, die es nicht gibt?
@Dorothee Bär: Brauchen wir eine verpflichtende Kennzeichnung von Bildern, die Personen zeigen, die nicht existieren?
Diese Fragen müssen wir in Zukunft klären – und noch kritischer gegenüber Fotos werden. Denn thispersondoesnotexist.com ist nur ein weiterer Schritt in Richtung einer Zukunft, in der es immer weniger um das Foto selbst geht, und immer mehr darum, woher es stammt und wer es verbreitet.
Auch beim Fotoalbum glauben wir den Erzählungen unserer Verwandten ja nicht nur, weil sie uns Fotos vorlegen. Sondern wir vertrauen ihnen (und ihren Fotos) deshalb, weil sie es sind, die uns die Aufnahmen zeigen – und immer einen Kontext mitliefern.
Echt oder falsch, authentische Fotos oder doch
Titelbild: Mirella Kahnert