Mein Nachbar, der Imam
Über 3.000 Moscheen stehen in Deutschland, Tendenz steigend. Und fast jedes Mal, wenn eine dazukommt, laufen Bürgerinitiativen Sturm. Ein paar Ideen für eine gute Nachbarschaft.
Dort, wo bis Donnerstag eine Tür gewesen war, fanden die Gemeindemitglieder am letzten Freitag im August eine Mauer vor. Sie rissen die hastig aufgetürmten Kalksandsteine ein, um ihren Gebetsraum im ehemaligen Trafo-Häuschen betreten zu können. Dann erstatteten sie Anzeige. Die
Damit unmissverständlich klar war, dass es sich auch bei der Mauer nicht um einen einfachen Streich gelangweilter Kleinstadt-Jugendlicher handelte, hatten die Erbauer Botschaften auf A4-Blätter gedruckt und an ihr Bauwerk geheftet: »Ihr nennt euch ›Gläubige‹ – wir euch
Wen geht eine Moschee was an?
Solche und ähnliche Sätze müssen sich Muslime in Mitteleuropa immer wieder gefallen lassen. Gleichzeitig wird der Islam auch im Straßenbild präsenter, wenn Moscheeverbände sich den Umzug aus dem Hinterhof – oder im Fall Parchim dem Trafo-Häuschen – in eine richtige, repräsentative Moschee
Zwischen dem ersten Bauantrag und dem ersten Gebet im neuen Zuhause einer Moscheegemeinde vergehen in aller Regel turbulentere Jahre als bei anderen Bauherren. Oft formiert sich Protest gegen die Moschee in der Nachbarschaft: Von beunruhigten Anwohnern (der Begriff des besorgten Bürgers ist emotional zu aufgeladen für diesen Text), denen zum Beispiel unwohl wird, wenn in ihrer Nachbarschaft in einer fremden Sprache gebetet wird. Aber auch von Rechtspopulisten und
- Moscheegemeinden müssen aktiv über ihr Vorhaben aufklären. Wenn den beunruhigten Anwohnern klar ist, dass »die da drüben« gar nichts Böses im Schilde führen und vielleicht sogar bessere Nachbarn werden als der blöde Herr Meier, der samstags um 8 Uhr morgens (!!!) den Rasenmäher anschmeißt, ist viel gewonnen.
- Kommunen müssen unter Beweis stellen, dass sie die Sorgen ihrer Bürger ernst nehmen. Die Städte sind gut beraten, Informationsveranstaltungen einzuberufen, gute Kontakte mit den Moscheegemeinden aufzubauen und auf Partizipation am öffentlichen Leben zu dringen. Am Rhein startet dazu gerade ein Experiment – mehr dazu in ein paar Absätzen.
- Anwohner haben die leichte und gleichzeitig schwerste Aufgabe: vernünftig zu sein. Sich den
- Politik kann die Transparenz von Moscheegemeinden und somit vielleicht auch die Akzeptanz der Bevölkerung erhöhen, wenn sie ein paar Punkte neu ausdiskutiert. Natürlich lässt sich weder ein »Integriert euch«- noch ein »Habt keine Angst«-Gesetz beschließen. Aber Gesetze können Integration fördern und Angstfaktoren behutsam eindämmen.
Die Mauer und die Angst vor Überfremdung
Die Mauer von Parchim ist kein Einzelfall: Die Zahl der Übergriffe auf Moscheen oder Muslime steigt. 2010 waren es
Nicht nur die 57% stimmten der Aussage zu: »Der Islam ist bedrohlich«.
»Der Islam passt nicht in die westliche Welt« (von 52% auf 61%) und »Der Islam ist bedrohlich« (von 53% auf 57%). In Ostdeutschland bekommt Letzteres
Es ist also nicht falsch zu sagen: Große Teile der nicht-muslimischen Bevölkerung Deutschlands hegen Ressentiments gegen den Islam. Allerdings sind darunter die, die Eingangstüren zumauern oder Parolen schmieren, genauso in der Minderzahl, wie es die radikalen,
Deshalb beschäftigt sich dieser Text auf beiden Seiten mit der Mehrheit an Menschen. Die sind auf Seiten der Muslime genauso wenig radikal wie auf Seiten der beunruhigten Anwohner.
Über wen reden wir eigentlich?
Mit welchen Muslimen genau sich dieser Text beschäftigt, ist gar nicht so einfach. Der islamische Teil der Gesellschaft stammt aus den verschiedensten theologischen Richtungen und ist auch genauso vielfältig organisiert. Ein paar Verbände und Vereine werden in Deutschland immer wieder genannt:
- Ahmadiyya – Die Reformbewegung wurde vor rund 130 Jahren von Mirza Ghulam Ahmad gegründet. Da sich ihre Anhänger auf Ahmad beziehen, gehen andere islamische Gruppierungen auf Abstand und bezeichnen sie als
- Aleviten – Die Alevitische Gemeinde in Deutschland ist mit etwa 150 Ortsgruppen und rund einer halben Million Mitglieder der zweitgrößte Moscheeverband türkischstämmiger Muslime. Aleviten (nicht zu verwechseln mit den syrischen
- DİTİB – Die Diyanet İşleri Türk İslam Birliği (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) betreibt rund 900 Vereine in ganz Deutschland. Sie vertritt einen großen Teil der türkischstämmigen Muslime und fungiert als ihre spirituelle Verbindung in die Heimat: DİTİB ist institutionell eng mit dem türkischen Staat verflochten. Neben der religiösen Arbeit bietet DİTİB zum Beispiel Alphabetisierungskurse gemeinsam mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge an.
- Islamrat – Der Islamrat der Bundesrepublik Deutschland vertritt als Dachverband zwischen 40.000 und 60.000 Muslime. In ihm sind sehr unterschiedliche Strömungen organisiert: Der Deutsch-Somalische Verein und die Union Marokkanischer Imame genauso wie eine Bosniakische Vereinigung oder die türkische Millî Görüş (die in mehreren Bundesländern vom Verfassungsschutz beobachtet wird). Der Islamrat sieht sich als Vertreter aller Muslime in Deutschland.
- VIKZ – Dem Verband Islamischer Kulturzentren gehören etwa 300 sunnitische Moscheegemeinden an. In den 1980er-Jahren begann der VIKZ als erste islamische Gruppierung, Imame in Deutschland auszubilden. Der Verband wurde 1973 als erste muslimische Organisation Deutschlands gegründet. Er war bis zu seinem Austritt im Jahr 2000 das größte Mitglied des ZMD.
- ZMD – Der Zentralrat der Muslime in Deutschland ist ein mit seinen 10.000 Mitgliedern verhältnismäßig kleiner, aber dank seines medial dauerpräsenten Vorsitzenden Aiman Mazyek gewichtiger Dachverband. In ihm sind sowohl sunnitische als auch schiitische Vereine organisiert; darunter das Islamische Zentrum Hamburg, das in den 1960er-Jahren die erste Anlaufstelle für Schiiten in Deutschland war. Der ZMD tritt unter anderem für islamischen Religionsunterricht und für Ausnahmeregelungen beim in Deutschland verbotenen Schächten ein.
Die Verschiedenartigkeit der Akteure (die Liste oben ließe sich noch sehr stark erweitern) veranschaulicht das Dilemma: Es gibt nicht den Islam, so wenig wie es das Patentrezept für eine gute Nachbarschaft gibt. Aber es gibt Zutaten, die ein Miteinander schmackhafter machen können als ein Gegeneinander. Beginnen wir mit einem kommunalen Experiment.
Einfluss im Grundbuchamt
Die Stadt Monheim zwischen Köln und Düsseldorf hat ein Konstrukt entwickelt, das Juristen als »Rückauflassungsvormerkung« bezeichnen: 2 Moscheegemeinden (eine von DİTİB, eine von einem marokkanischen Verband) bekommen von der Stadt Geld für ein »Es geht uns vor allem um die Verpflichtung zu Verfassungstreue und Toleranz.« – Daniel Zimmermann
»Es geht uns vor allem um die Verpflichtung zu Verfassungstreue und Toleranz«, sagt der Monheimer Bürgermeister Daniel Zimmermann. Der Entzug eines Grundstücks käme nur bei wiederholten Problemen infrage, vorher würde die Stadt die jeweilige Moscheegemeinde abmahnen. Ursprünglich wollte der Bürgermeister als Gegenleistung zu diesen Verpflichtungen 2 Grundstücke kostenfrei überlassen.
Seinen Zeitplan, die Auswahl der Grundstücke und letztlich auch die Idee der kostenfreien Überlassung hatte Daniel Zimmermann überarbeiten müssen, nachdem er bei einer
Wie sich eine Bürgerinitiative in Wohlgefallen auflöste
100 Kilometer weiter nordöstlich hat man die Planungsphase längst hinter sich. Ein heißer Spätsommertag Anfang September, dort wo die Vororte von
Etwa 80 geladene Gäste, Fernsehkameras und die lokale Politprominenz warten in einem stickigen Festzelt auf den Mann, der hier nur »seine Heiligkeit« oder »der Kalif des Islam« genannt wird. In einer Ecke des gepflasterten Grundstücks singt sich ein Mädchenchor ein, der den Ehrengast mit Liedern in Urdu willkommen heißt. Das spirituelle Oberhaupt der weltweiten Ahmadiyya-Bewegung fährt mit gepanzerter Limousine und Polizei-Eskorte ins Sauerland, um die »Wir waren sehr positiv überrascht«, sagt das Ehepaar von nebenan.
Mit halbstündiger Verspätung kommt er an, betet dann im Gebetssaal des gerade rechtzeitig fertig gewordenen Neubaus und enthüllt eine Schrifttafel an der weiß verputzten Wand. Beim anschließenden Festakt betonen Ahmadiyyas wie Lokalpolitiker das angenehme, konstruktive Verhältnis – die Anwohner an meinem Tisch nicken anerkennend. »Wir waren sehr positiv überrascht«, sagt das Ehepaar um die 60, das direkt nebenan ein Haus gekauft hat, mehrmals.
Friede, Freude, Eierkuchen bei der »Wir haben nichts im stillen Kämmerlein gemacht, sondern immer alles offengelegt.« – Peter Paul Ahrens
Es folgte eine »fremdenfeindlich orientierte« Plakatkampagne der rechtsextremen PRO NRW zur Landtagswahl 2010, 2 gescheiterte
»Die Moschee ist offen für jeden Bürger«, sagt der Sprecher der Iserlohner Ahmadiyya-Gemeinde Sultan Mohammad. Eine Grundschule habe bereits Moscheeführungen ins Gespräch gebracht, außerdem werde öffentlich und in deutscher Sprache gepredigt. »Es ist sehr wichtig zu informieren, wer man ist und was man in der Moschee macht.« – Sultan Mohammad
»Es ist sehr wichtig zu informieren, wer man ist und was man in der Moschee macht und dass man transparent ist«, sagt Mohammad.
»Der Prozess in den letzten Jahren hat dazu geführt, dass die Ahmadiyyas angenommen werden in der Stadt«, sagt der Iserlohner Bürgermeister Peter Paul Ahrens. Es seien verschiedene Gruppierungen zusammengekommen, die sich vorher gegenseitig nicht getraut hätten. Es seien Vorurteile abgebaut worden, bis auf das Frauenbild. (Mehr dazu im nächsten Absatz.) Dass die Ahmadiyya-Moschee in Iserlohn nach anfänglichen Protesten heute auf breite Akzeptanz stößt, liegt für Ahrens auch an der transparenten Kommunikation: »Wir haben nichts im stillen Kämmerlein gemacht, sondern immer alles offengelegt. Die runden Tische, Bürgerversammlungen, völlige Offenheit in der Informationspolitik würde ich allen empfehlen.«
Der Weg für eine sachliche Auseinandersetzung ist in Iserlohn bereitet – als Landrat Thomas Gemke bei seiner Eröffnungsrede kritisierte, dass Ahmadiyya-Männer nicht-muslimischen Frauen immer wieder den Handschlag verweigerten, lieferte er den Anstoß für konstruktive Diskussionen. Für eine Nachbarin bleibt es weiterhin »eine Diskriminierung der Frau«, aber Sultan Mohammad von der Ahmadiyya-Gemeinde hält dagegen: »Ich habe von einigen Gästen positives Feedback bekommen. Es war wichtig, dass der Kalif diesen Punkt noch einmal für alle erläutert hat und Missverständnisse ausgeräumt hat.« Kalif Mirza Masrur Ahmad hatte in seiner Ansprache geantwortet, man müsse das Thema auch aus der Warte der Ahmadiyya-Frauen betrachten. Im Islam sei es umgekehrt eine Sache des Respekts, Frauen nicht zu berühren. Es bestehe kein Grund zur Sorge, da dies lediglich eine religiöse Tradition sei. Außerdem solle man sich nicht mit Kleinigkeiten aufhalten: Die Ahmadiyya-Gemeinde stehe für einen friedlichen Islam und sehr weitreichende Integration.
Im Land des Minarettverbots
Die Ansprache bei der Eröffnung wird sicher nicht das letzte Gespräch in Iserlohn zum Thema Händeschütteln gewesen sein. Damit ein gegenseitiges Miteinander entstehen kann, müssen Moscheegemeinden ihren Diskurs stärker auf die Loyalität gegenüber ihrem Standort ausrichten, findet Saïda Keller-Messahli. Sie leitet das Schweizer Forum für einen Fortschrittlichen Islam
»Wir müssen den muslimischen Mann neu erziehen.« – Saïda Keller-Messahli
Wie groß auch in der Schweiz das Empörungspotenzial beim Thema Moscheebau ist, hat sich 2009 gezeigt, als in einer heiß diskutierten
Solange Moscheegemeinden nicht aufrichtig kommunizieren und auf reale Abschottung hinarbeiten, wird ihnen kein Vertrauen entgegengebracht werden. Insbesondere heutzutage, wo
Dabei stehen muslimische Gemeinden in Mitteleuropa grundsätzlich unter einem gewissen Druck, sich aktiv von radikalen Islamisten zu distanzieren. Diesen
Bessere Gesetze für weniger Ressentiments
Ein solcher Wandel ist nicht nur Sache der Moscheegemeinden, sondern auch des Staates. In der Schweiz, aber genauso auch in Deutschland, könnte die Politik in 3 Feldern nachjustieren:
- Organisationsform – Die allermeisten islamischen Gruppierungen sind als Verein organisiert. Das heißt, sie unterliegen dem Privatrecht; mit allen Vor- und Nachteilen. Einzig die hessische Zentrale der Ahmadiyyas ist – wie die beiden großen christlichen Kirchen – als Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdÖR) organisiert. Das bedeutet für sie mehr Einfluss, aber auch mehr Transparenz vor dem Staat. Sicher ist im Einzelfall zu überlegen, welche Gruppierung die Voraussetzungen für eine solche Aufwertung erfüllt.
- Ausbildung – Genauso vielfältig wie die theologischen Richtungen der Gemeinden stellt sich auch die Ausbildung ihrer Imame dar: Manche Gruppen bilden ihre Imame in privaten Zentren in Deutschland aus, andere im Ausland. Eine aufwendige, aber staatliche Kontrolle garantierende Alternative ist ein Theologiestudium ähnlich der katholischen und evangelischen Studiengänge an Universitäten. In einigen Städten ist das bereits möglich, vor einem Jahr waren gut
- Finanzierung – Dass bei der Steuererklärung künftig neben katholisch und evangelisch noch diverse muslimische Glaubensrichtungen auftauchen, ist nicht zu erwarten. Aber auch abseits der Kirchensteuer kann der Staat regulieren, welche Finanzierungsquellen einem in Deutschland operierenden Moscheeverein taugen und welche nicht. Viele Moscheen werden von den Spenden ihrer Mitglieder oder einzelnen Sponsoren getragen. Bei Geldgebern aus dem Ausland lohnt sich ein genauer Blick: Welche Folgen solch ein Einfluss haben kann, wird in Bezug auf
Diese 3 Felder könnte der Staat verknüpfen, indem er bestimmte Kriterien zu Ausbildung und Finanzierung entwickelt und allen Organisationen, die sie erfüllen, einen KdÖR-Status in Aussicht stellt. So könnte er vorbildliche Verbände privilegieren und gleichzeitig stärker an sich binden.
Mehr noch als die Legislative vermag aber jeder Einzelne vor Ort, Ressentiments und berechtigte Ängste abzubauen. Die Ahmadiyya-Gemeinde in Iserlohn hat bereits zum
Titelbild: David Ehl - copyright