Hier ist der Klimawandel schon da. Aber wo bleiben die Massenproteste?
Fridays for Future findet vor allem in Europa statt. Wo der Klimawandel bereits Alltag ist, bleibt es ruhig, denn dort sind Umweltaktivisten schon einen Schritt weiter.
Der Raum ist zu klein für die vielen Leute, die heute Abend zur Eröffnung des neuen Unverpacktladens gekommen sind. Sie drängeln sich an Regalen vorbei, auf denen Taschen aus recyceltem Plastik neben Seifenspendern und Notizbüchern aus Altpapier stehen. Wer schon einmal verpackungsfrei eingekauft hat, den überrascht das Konzept nicht mehr. Doch dieser Unverpacktladen ist etwas Besonderes.
Etwa zur gleichen Zeit, im Februar 2019, gehen in Europa jeden Freitag Tausende Jugendliche auf die Straße, um gegen den Klimawandel zu protestieren. Die
Temperaturen bis zu 60 Grad
Auch der Libanon, am östlichen Mittelmeer gelegen, wird vom Klimawandel massiv betroffen sein. Die Prognose:
- Steigende Meeresspiegel
Der Wasserspiegel des Mittelmeers könnte bis 2040 um einen halben bis zu einem Meter
- Extreme Wasserknappheit
Das Land leidet bereits heute an Wasserknappheit. Diese wird voraussichtlich noch zunehmen, wenn sich weniger Schmelzwasser in den Stauseen sammelt. In den Bergen könnten 40% der Schneeflächen verschwinden, die Schneegrenze könnte bis Mitte des Jahrhunderts um 200 Meter steigen. Dies würde sich, wie der steigende Meeresspiegel, auch negativ auf den Tourismus auswirken. 40% der Libanesen arbeiten in der Branche, die knapp 1/5 des
- Verödende Landwirtschaft
Auch die Landwirtschaft könnte vom Klimawandel stark beeinträchtigt werden.
Gründe, für eine bessere Klimapolitik zu demonstrieren, gäbe es im Libanon also genug. Doch die Umweltaktivisten vor Ort halten keine Slogans gegen die globale Erwärmung hoch. Die größten Umweltproteste fanden infolge der Müllkrise von 2015 statt. Ein Problem, das die Libanesen in Beirut direkt betraf. Tausende demonstrierten vor dem Umweltministerium, nachdem die größte Mülldeponie des Landes wegen Überlastung geschlossen wurde und sich der Abfall in den Straßen türmte.
Der Kampf für Klima steht unter anderen Vorzeichen als in Europa.
Trotz des großen Engagements damals – und darin offenbart sich schon ein großer Teil des Problems im Nahen Osten – hat sich kaum etwas verbessert. Der Müll lagert jetzt in Wäldern, am Meer oder wird verbrannt. Doch Umweltaktivisten lassen nicht locker – ihr Kampf für Klima und Umwelt steht eben unter anderen Vorzeichen als der der Schülerproteste in Europa. 3 der Aktivisten von ihnen erzählen, warum der Klimawandel für sie nicht ganz oben auf der Liste steht – und weshalb das gar nicht so schlimm ist.
Korruption als Klimakiller
Einer, der den Umweltaktivismus im Libanon geprägt hat, ist Paul Abi Rached. Der studierte Jurist beschloss vor 30 Jahren, sich dem Umweltschutz in seinem Land zu widmen. Anfang der Neunziger reiste er mit seiner Gitarre durch das Land, um mit selbstgeschriebenen Liedern über die Natur auf Umweltprobleme aufmerksam zu machen.
Damals habe sich kaum jemand für das Thema Umweltschutz interessiert, sagt er. Was auch nicht erstaunt: Schließlich endete im Jahr 1990 erst der libanesische Bürgerkrieg, der das Land 15 Jahre lang zerrissen hatte. Abi Rached sieht sich als Pionier der libanesischen Umweltaktivisten: »Ich glaube, für die Aktivisten heute ist es wichtig, dass jemand den Weg bereitet hat«, sagt er. In jener Zeit konzentrierte er sich auf Umweltbildung an Schulen – bis er merkte, dass er mehr erreichen kann mit politischer Arbeit und Lobbying. Er gründete die NGO Terre Liban, die sich etwa für den
»In den neunziger Jahren hätten wir uns noch kaum getraut.« – Paul Abi Rached
Mit Auftritten in Fernsehshows wurde Abi Rached bekannt. Mehr und mehr Menschen begannen ihm zu vertrauen und unterstützten seine Arbeit. Weil sie wussten, dass er nicht irgendeiner Partei angehörte. Dies sei seine wichtigste Waffe: die Glaubwürdigkeit. Heute, sagt er, sei vieles einfacher als damals. »In den neunziger Jahren hätten wir uns noch kaum getraut, eine Demonstration zu machen. Heute ist das normal.« Und trotzdem, wer sich als Aktivist gegen politische Interessen stellt, zieht häufig den Kürzeren.
Im Libanon sei Umweltaktivismus, so Abi Rached, auch immer ein Kampf gegen
Seit 25 Jahren versuchen wir, Recycling an Schulen einzuführen. Hätten wir eine funktionierende Regierung, würden wir schon lange im ganzen Land recyceln.
Doch Müll bedeutet Geld. Viel Geld. Für jede entsorgte Tonne Müll kann man im Libanon umgerechnet 140 Euro Steuergelder
Die Korruption und die Natur des politischen Systems im Libanon, das sich entlang religiöser Trennlinien orientiert, führen dazu, dass sich viele Jugendliche kaum politisch engagieren.
Die Demonstrationen von 2015 bezeichnet Abi Rached jedoch als Wendepunkt für die Umweltbewegung und das Bewusstsein der Libanesinnen und Libanesen.
Es ist, als ob ein Kind geboren wäre. Es kann noch nichts bewirken – aber es ist hier und es wächst.
Mit dem EcoSouk zurück zur Tradition
Die nächste Station ist der neue Unverpacktladen in Beirut. Auch die Gründung der NGO Recycle Lebanon, die den EcoSouk ins Leben rief, geht auf die Müllkrise zurück. Die Gründerin Joslin Kehdy ist der Ansicht, dass man die Umweltprobleme nur mit einem ganzheitlichen Systemwandel bewältigen kann. »Unsere Wirtschaft ist traditionell eine Zirkulärwirtschaft«, sagt sie. Im Land werden Jahrhunderte alte Handwerkstraditionen gepflegt, zum Beispiel bei der Produktion von Seifen, Schwämmen oder Kleidung. »Darauf sollten wir uns besinnen«, sagt Kehdy.
So versucht sie nicht nur, Ladenbesitzer davon zu überzeugen, keine Einwegplastiktüten mehr umsonst zu vergeben – sondern auch mit Firmen ins Gespräch zu kommen, damit diese ihre Produkte nachhaltiger verpacken.
Konzepte, die andernorts bereits im größeren Stil erprobt werden. In Deutschland sind Unverpacktläden beispielsweise schon in jeder größeren Stadt zu finden –
Wir brauchen keine Rezepte aus Europa. Wir müssen uns nur auf unsere Wurzeln zurückbesinnen.
So gibt es im EcoSouk nicht nur bunt gesprenkelte Schalen aus Glassplittern oder aus Plastik gefertigte Ohrringe, sondern auch Auffüllstationen mit Naturprodukten, die im Libanon seit Jahrhunderten hergestellt werden – etwa die »Saboun Baladi«, Seife nach traditioneller Herstellung.
Kehdy denkt langfristig. Der EcoSouk in Beirut sei nur der Anfang, weitere Zero-Waste-Läden in anderen libanesischen Städten sollen folgen. Die Müllkrise 2015, sagt sie, hätte viele Leute für Umweltanliegen sensibilisiert. Doch die Euphorie unter den Aktivisten hielt nicht lange an: »Wir waren gut darin, von einer besseren Zukunft zu träumen«, sagt sie. »Aber wir müssen hartnäckiger an der Weiterentwicklung arbeiten.«
Versuchslabor für die Folgen des Klimawandels
Zuletzt treffe ich Sammy Kayed. Er ist Entwicklungsmanager beim
Im Libanon funktioniere das nicht, weil der Staat zu schwach und zu korrupt sei. Stattdessen sollten sich die Umweltaktivisten direkt mit den Gemeinden und der Zivilgesellschaft zusammensetzen.
So arbeite auch sein Institut. Sie seien eine Schnittstelle, die versuche, die Ergebnisse aus der Wissenschaft in lokale Projekte zu übersetzen. Zum Beispiel entwickelten sie einen Tester, mit dem die Menschen zu Hause die Qualität des Leitungswassers überprüfen können. Das Wasser ist vielerorts stark verunreinigt und mit Chlorid versetzt, doch nicht überall im gleichen Maß. Dank des Testers gewinnen Kayed und seine Kollegen nun Daten darüber aus dem ganzen Land. Und mit diesen können sie Gemeinden überzeugen zu handeln.
Daneben treibt Kayed seine eigene Projektidee voran, bei der es ebenfalls darum gehe, Gemeinden miteinzubeziehen. Die Idee ist simpel: Wer im Supermarkt Einwegplastiktüten braucht, bezahlt diese nicht pro Stück, sondern proportional zu seinem Einkauf. Das Geld kann die Gemeinde später für einen neuen Spielplatz oder andere Projekte ausgeben. Eine Win-Win-Situation für alle.
»Wir sind ein Versuchslabor.« – Sammy Kayed
Dass im Libanon kaum Leute gegen den Klimawandel auf die Straße gingen, sieht Kayed nicht als Problem an. Schließlich
Laut Kayed sollte sich der Umweltaktivismus im Libanon eher an konkreten Problemen orientieren: »Unser Land ist auch ein guter Ort, um zu testen, wie wir am besten mit den Klimaschäden umgehen können.«
Obwohl er das Engagement von Greta Thunberg bewundert, ist er der Überzeugung, dass sich der Klimawandel nicht mehr aufhalten lässt. »Und genau dort setzt unser Aktivismus an«, sagt Kayed.
Titelbild: Ratib Al Safadi/ picture alliance/AA - copyright