Unsichtbare Wissenschaft: Nicht nur die Saurier verschwanden, auch die Namen ihrer Entdecker
Du kannst nicht alles wissen. Und dafür gibt es einen Grund: Namhafte Wissenschaftsmagazine enthalten dir Forschung aus bestimmten Ländern vor, zum Beispiel aus Lateinamerika.
Dieser Text ist ein Buchauszug aus dem Sammelband »Unbias The News – Warum Journalismus Vielfalt braucht« von
Ein großer, aber auch enttäuschender Moment war das für Jaime Urrutia-Fucugauchi. Der mexikanische Geophysiker war Mitglied der international besetzten Expedition 364, die bei Bohrungen am Meeresgrund auf Gesteinsproben gestoßen war, aus denen sich das extreme mechanische Verhalten von Gestein beim Einschlag eines Meteoriten ablesen lässt.
Sie sind 66 Millionen Jahre alt und stammen aus der Zeit, als vor der Yucatán-Halbinsel im heutigen Mexiko ein Meteorit in die Erde einschlug und damit ein Massensterben auslöste, das rund 75% aller damaligen Arten auslöschte und das Zeitalter der Dinosaurier beendete.
Das Ende der Dinosaurier
Über den gigantischen Krater mit einem Durchmesser von circa 200 Kilometern mit seinem Zentrum nahe der mexikanischen Hafenstadt Chicxulub ist schon viel geschrieben worden. Aber jetzt lagen zum ersten Mal wichtige Daten vor, mit denen sich erforschen lässt, was in den ersten paar hunderttausend Jahren unmittelbar nach dem Einschlag geschah.
Dem Bohrkern, der in der internationalen Presse viel Beachtung fand, waren jahrelange Vorarbeiten von
In einem Gespräch mit Urrutia-Fucugauchi in seinem Büro an der »National Autonomous University of Mexico« (UNAM) erfahre ich, dass »die Erforschung des Kraters überhaupt nur durch mexikanische Bohrungen möglich wurde, die bereits lange vorher durchgeführt worden waren«. Es waren die mexikanischen Wissenschaftler*innen, die die Standorte für die Bohrungen und den Ort für die Installation der Bohrplattform für die Expedition 364 festlegten. »Wir haben auch die in den Schutzgebieten, in denen das alles stattfand, erforderlichen Risikoanalysen und Umweltverträglichkeitsprüfungen durchgeführt«, sagt der Geophysiker, der 2018 von der Royal Astronomical Society in Großbritannien geehrt wurde.
Nicht nur die Saurier verschwanden, auch die Namen ihrer Entdecker
So wurden etwa die argentinischen Paläontologen, die an 3 großen Dinosaurierfunden beteiligt waren, in angloamerikanischen Nachrichtensendungen gar nicht oder nur am Rande erwähnt. Ein Beispiel ist die Meldung in den CBC-News mit dem Wortlaut »Professor aus Edmonton entdeckt neuen Megaraptor in Argentinien«,
Ein Affentheater
Ich halte es für durchaus bedenkenswert, wie Journalist*innen in ihren Artikeln die Vielfalt unter den Wissenschaftler*innen besser widerspiegeln können, aber es gibt so viele Anforderungen an uns, dass wir darauf nicht immer Rücksicht nehmen können.
Das schreibt mir Zimmer auf meine Nachfrage hin.
»Für uns ist es am besten, wenn wir uns an die von der Zeitschrift selbst als Pressekontakt angegebenen Wissenschaftler*innen wenden«, und in diesem Fall sei der mexikanische Wissenschaftler dort eben nicht aufgeführt gewesen. Schreibe man andere Wissenschaftler*innen an, bestehe die Gefahr, dass man vergeblich auf eine Antwort warte oder an eine*n Koautor*in gerate, der oder die nur über Details, nicht aber über das Gesamtergebnis etwas zu sagen wisse. Dabei verliere man viel Zeit, die man gar nicht habe.
Wie lässt sich die kulturelle Blindheit im Wissenschaftsjournalismus überwinden?
Lizzie Wade, seit 2013 Wissenschaftsredakteurin für das Science Magazine mit Sitz in Mexiko City, führt das Problem unter anderem darauf zurück, dass ein Großteil der bedeutenden Forschung aus Lateinamerika in den relevanten internationalen wissenschaftlichen Zeitschriften gar nicht erst auftaucht. Entsprechend schwierig sei es »für uns Journalist*innen, uns einen Überblick über die Forschungslandschaft zu verschaffen und die interessanten Geschichten oder Topleute unter den Wissenschaftler*innen überhaupt zu finden«. Beispiel Archäologie:
Mangelnde Sprachkenntnisse sind da eine Barriere. An den lateinamerikanischen Wissenschaftler*innen liege das nicht, so Wade, »denn die sprechen ja meistens Englisch«.
Einseitige Darstellungen führen zu einer einseitigen Weltsicht. Das können wir dagegen tun.
Mehr Zugang, mehr Diversität
Erik Vance, ein freiberuflicher Wissenschaftsautor, der 7 Jahre lang aus Mexiko City für Scientific American und National Geographic tätig war, weist auf ein anderes Problem hin. Viele mexikanische Wissenschaftsinstitutionen hätten keine Pressestelle oder Zuständige für Wissenschaftskommunikation. Das mache es Journalist*innen schwer, an relevante Nachrichten aus den Forschungszentren vor Ort zu kommen.
Vance ist überzeugt davon, dass man selbst etwas dafür tun muss, die Forschung im eigenen Land auch international bekannt zu machen. Wissenschaftskommunikator*innen müssen auf die Presse zugehen, aktiv Kontakte knüpfen und pflegen, so wie das in Ländern wie Kanada, Israel, Südafrika oder Deutschland gemacht wird. »Wer Berichte über sich lesen will, muss auch dafür sorgen, dass sie überhaupt erscheinen können«, sagt er. »Und sei es nur mit einer Pressemitteilung, die man rausbringt, sobald in einer Fachzeitschrift über ein Forschungsergebnis berichtet wird. Aber das geschieht sogar an den Institutionen, die eine Pressestelle haben, häufig nicht.«
»Viele denken, Journalist*innen würden ihre Forschung sowieso nicht verstehen und sie falsch darstellen.«
Auch er weist auf das von Zimmer angesprochene Problem hin. »Oft erhalte ich keine Antworten, wenn ich Wissenschaftler*innen Anfragen schicke, vor allem an den kleineren Universitäten außerhalb von Mexiko-Stadt. Ich habe mir sagen lassen, das liegt daran, dass viele denken, Journalist*innen würden ihre Forschung sowieso nicht verstehen und sie falsch darstellen.«
Nicht zuletzt, so Vance und Wade, sei aber auch die Landespresse selbst wichtig. Sie müsse dafür sorgen, dass häufiger über wissenschaftliche Themen berichtet werde. »Wenn in der mexikanischen Presse nichts berichtet wird, kann eine Meldung auch nicht ihren Weg in die Welt finden«, so Wade. »Umgekehrt heißt das aber auch, dass mexikanische Journalist*innen es ein bisschen selbst in der Hand haben, die internationale Berichterstattung kulturell ausgewogener zu machen. Der erste Schritt ist eine Veröffentlichung in den eigenen Blättern. Der zweite kann darin bestehen, die eigenen Artikel dann internationalen Zeitschriften mit wissenschaftlichen Schwerpunkten oder Sparten anzubieten.«
Der mexikanische Wissenschaftsjournalist Emiliano Rodríguez, der gerade ein Volontariat bei Nature absolviert, sieht das eher skeptisch: »Wenn man nicht vor Ort ist und die Redaktion einen nicht kennt, dürfte das eher schwierig sein.« Aber seiner Ansicht nach hat es sogar einen Vorteil, aus einem der weniger »prominenten« Länder zu stammen. Schließlich haben die Journalist*innen dort praktisch Exklusivzugang zu wissenschaftlichen Quellen, Erfindungen und Entdeckungen, die ihren Kolleg*innen aus dem Ausland allein schon aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse verwehrt bleiben. Wenn es lateinamerikanischen Journalist*innen gelinge, »die unsichtbaren Geschichten und interessanten Blickwinkel aufzuspüren, über die sonst niemand berichtet«, können sich Türen öffnen.
Rodrigo Pérez Ortega, Student des Wissenschaftsjournalismus in Santa Cruz, Kalifornien, der bereits für The Open Notebook und das Knowable Magazine gearbeitet hat, glaubt, das Problem mit der kulturellen Unausgewogenheit gehe weit über den Wissenschaftsjournalismus hinaus. Vielfalt sei auch in anderer Hinsicht ein Thema in der Branche:
Wie soll es zu einer unvoreingenommenen Berichterstattung kommen, wenn die Redakteure und Reporter in der weit überwiegenden Mehrheit weiße Männer sind, Freelancer aus anderen Teilen der Welt miserabel bezahlt werden und Diversität in der Zusammensetzung von Redaktionen nach wie vor kaum eine Rolle spielt?
Was alles durch fehlende Diversität im Mediengeschäft verloren geht, ergründet der Sammelband
Titelbild: Moshtari Hilal - copyright