Diese Menschen fürchten, alles zu verlieren, was ihnen wichtig ist
Eigentlich wollte Gesundheitsminister Jens Spahn die Situation von Beatmungspatienten verbessern. Jetzt könnte sein Gesetzentwurf dazu führen, dass viele Menschen mit schweren Behinderungen im Pflegeheim landen. Aber sie wissen sich zu wehren.
Auch Menschen mit Behinderungen wollen ein selbstbestimmtes Leben führen. Die Behindertenbewegung hat seit den 80er-Jahren verschiedene Modelle entwickelt, damit Menschen mit Behinderung nicht ständig auf ihre Eltern oder Partner angewiesen sind oder im Heim leben müssen. Eines dieser Modelle ist die persönliche Assistenz. Mit Unterstützung durch Assistentinnen und Assistenten können auch Menschen, die einen hohen
Ein Gesetzentwurf des Gesundheitsministeriums könnte diese Errungenschaften für Menschen, die Hilfe zum Atmen benötigen, demnächst zunichtemachen. Gegen den Entwurf des
Das Gesundheitsministerium hat aus einer gut gemeinten Initiative eine Bedrohung für viele Menschen gemacht.
Das Gesetzesziel klingt zunächst sinnvoll und positiv: Beatmungspatientinnen und -patienten sollen nach einem Krankenhausaufenthalt besser betreut
Die schnelle Entlassung in die ambulante Versorgung wird zurzeit finanziell gefördert.
Allerdings hat das Ministerium nicht nur ein Gesetz für Wachkomapatienten vorgelegt. Es hat auch aus einer gut gemeinten Initiative eine Bedrohung für viele Menschen gemacht, die mit einer schweren Behinderung leben. Laut dem Gesetzentwurf sollen nämlich alle Menschen mit einem intensiven Pflege- und Beatmungsbedarf in vollstationären Pflegeeinrichtungen, Heimen oder speziellen Wohneinrichtungen versorgt werden. Dies beträfe also Menschen mit schweren Behinderungen, die bisher in ihren eigenen Wohnungen mit ihren Familien oder Freunden
Die Leistungen der außerklinischen Intensivpflege werden künftig regelhaft in vollstationären Pflegeeinrichtungen […] oder in speziellen Intensivpflege-Wohneinheiten, die strengen Qualitätsanforderungen unterliegen, erbracht.
Zwar soll es die Möglichkeit geben, individuell dagegen Einspruch zu erheben, wenn ein solcher Umzug nicht zumutbar ist. Dafür soll ein Sachbearbeiter die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände individuell prüfen. Solche Zumutbarkeitsprüfungen, die für Menschen mit Behinderung heute schon in vielen Bereichen alltäglich sind, gehen allerdings häufig nicht im Sinne der Betroffenen aus. Das passiert gerade dann, wenn Kosteneinsparungen für die jeweilige Behörde wichtiger sind als die individuelle Selbstbestimmung der Antragsteller. Oft sind jahrelange Prozesse die Folge.
Betroffene befürchten, in Pflegeheime abgeschoben zu werden
Der Gesetzentwurf hat dementsprechend große Ängste ausgelöst.
Ein Mensch mit Behinderung soll entscheiden können, was er wann, wie und wo machen möchte.
In mehreren offenen Briefen haben sie sich an den Minister und die Öffentlichkeit gewandt, um einen Einblick in ihre Lebensrealität zu geben. Da ist zum Beispiel
Ich verreise gerne, spiele in einem Schachverein, interessiere mich (wie Sie) für Politik, besuche regelmäßig Rockkonzerte oder Diskotheken und ich schlage mir die Abende und Nächte gerne stundenlang mit strategischen Brettspielen um die Ohren. Sollte Ihr Entwurf zu einem Rehabilitations- und Intensivpflegestärkungsgesetz unverändert verabschiedet werden, würde ich stattdessen in einer vollstationären Pflegeeinrichtung leben.
Das ist der Kern
In größeren Städten gibt es auch Assistenzdienste. Diese Dienste sind oft von Menschen mit Behinderung selbst aufgebaut worden,
Gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, statt nur die Versorgung sicherzustellen, ist das Grundprinzip der persönlichen Assistenz. So kann auch eine Person mit starken körperlichen Beeinträchtigungen anziehen, was sie will, kochen, worauf sie Appetit hat, und auch mal vor dem Fernseher lümmeln, während die Assistenz die Katze krault. Auch der Austausch mit anderen Betroffenen und die Teilnahme an politischen Protesten werden so oft erst möglich.
Denn die Antwort auf die Frage »Wie wollen Menschen mit Behinderung eigentlich leben?« ist denkbar einfach: so wie alle anderen auch.
Hier findest du die beiden anderen aktuellen Dailys:
Titelbild: Anna Spindelndreier | Gesellschaftsbilder.de - copyright