Zu einem vielfältigen Team gehört mehr, als du denkst
Wenn es einem Unternehmen gelingt, auch unter der Oberfläche divers zu sein, profitieren alle. Die Wirtschaft hat das erkannt – und reagiert.
Wenn man so will, könnte man die aktuelle Situation der Menschen in Deutschland als rosig bezeichnen. Die Lebenszufriedenheit ist laut dem neuen Glücksatlas
Doch das sind eben – Zahlen. Sie sagen nur wenig darüber aus, wer eigentlich von dieser Entwicklung profitiert. Und das sind längst nicht alle Menschen. Bestimmten Gruppen wird es immer noch schwer gemacht, eine Stelle zu finden und sich beruflich zu entfalten.
Denn so sieht die Arbeitsmarktsituation im Jahr 2019 auch aus:
Doch es tut sich etwas. Denn in immer mehr Unternehmen setzt sich die Erkenntnis durch, dass sie sich ernsthaft mit dem Thema Diversity beschäftigen
Die Unternehmen verpflichten sich damit, ihre Personalprozesse zu überprüfen, die Vielfalt der Gesellschaft anzuerkennen und sie für das Unternehmen gewinnbringend einzusetzen. Diese Selbstverpflichtung gilt für alle unterzeichnenden Organisationen.
Diversity verbessert die Zusammenarbeit
Eine vielfältige Organisation wird man natürlich nicht allein dadurch, dass man eine Charta unterzeichnet. Worauf kommt es also an? Was ist zu tun? Dazu müssen Unternehmen erst einmal verstehen, was Vielfalt eigentlich meint.
- Alter
- Geschlecht
- Sexuelle Orientierung
- Ethnische Herkunft und Nationalität
- Religion und Weltanschauung
- Behinderung
- Soziale Herkunft
Vielfalt meint aber noch mehr als diese mehr oder weniger unveränderlichen Eigenschaften eines Menschen. Auch Aspekte wie Familienstand, Elternschaft, Ausbildung, Berufserfahrung und Wohnort bedeuten Vielfalt und sollen berücksichtigt werden. Wenn von Diversity die Rede ist, geht es also um sichtbare und unsichtbare Merkmale, um individuelle Sichtweisen und Einstellungen, um besondere Bedürfnisse, die die eine Personengruppe hat und die andere nicht. Die Charta der Vielfalt betont, dass keine Dimension von Vielfalt wichtiger ist als die andere.
»Gemischte Teams sind schwerer zu führen. Aber sie sind innovativer.« – Aletta Gräfin von Hardenberg, Geschäftsführerin der »Charta der Vielfalt«
Die Charta der Vielfalt ist das größte Netzwerk für Diversity Management in Deutschland und eine der treibenden Kräfte beim Thema Vielfalt in der Arbeitswelt. Ziel der Charta ist es, ein tolerantes Arbeitsumfeld in Organisationen zu fördern. Das müsse jedoch nicht bedeuten, dass das Unternehmen ohne Streit auskommt, sagt Aletta Gräfin von Hardenberg, seit 2011 Geschäftsführerin der Charta der Vielfalt. Sie verantwortete zuvor die Diversity-Strategie der Deutschen Bank.
Es gehe bei einer vielfältigen Unternehmenskultur weder darum, Konflikte zu beseitigen, noch auf jedes einzelne Bedürfnis einzugehen. »Gemischte Teams sind schwerer zu führen. Aber sie sind innovativer«, sagt sie. Dort, wo viele Sichtweisen zusammenkommen,
Das ist auch ein wesentlicher Grund, warum sich immer mehr Organisationen mit dem Thema beschäftigen. Laut der
Diversität im Unternehmen hilft also nicht »nur«, bestehende Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen abzubauen und Chancengleichheit herzustellen. Es sind auch strategische und wirtschaftliche Gründe, die Firmen veranlassen, sich von veralteten Personalstrukturen zu lösen und neue Zielgruppen anzusprechen. »Unternehmen müssen es schaffen, die besten Talente zu binden«, sagt Aletta Gräfin von Hardenberg. Die Charta der Vielfalt betont daher vor allem die Potenziale, die in vielfältigen und inklusiven Belegschaften stecken.
Eine inklusive Personalpolitik reicht nicht
Doch es geht nicht nur darum, dass Unternehmen Vielfalt abbilden. Es genügt nicht, eine inklusive Personalpolitik zu verfolgen und für eine diverse Belegschaft zu sorgen. Die Organisationen müssen mit Vielfalt auch umgehen können. Viele Unternehmen haben in ihren Personalabteilungen dafür inzwischen eigene Diversity Manager eingestellt. Dafür gibt es spezielle Studiengänge und Ausbildungen, zum Beispiel beim Institut für Diversity Management. Das Nürnberger Institut bildet seit 10 Jahren Diversity Managerinnen und Manager aus. Sie arbeiten bei großen Konzernen, in Stadtverwaltungen, Hochschulen, Sozialunternehmen und Stiftungen.
Die Besonderheit des Instituts liegt darin, dass es sich dem Thema Diversity aus sozialpsychologischer Perspektive nähert. Vielfalt wird dabei nicht auf wenige Facetten beschränkt. Die Grundannahme lautet, dass alle Menschen vielfältig sind und verschiedene Rollen sowie Identitäten je nach Situation zum Tragen kommen.
Wird eine Person nur aufgrund von besonders offensichtlichen Eigenschaften zum Beispiel als Geflüchteter, als Mutter oder als Mensch mit Behinderung gesehen,
Das Institut greift damit auch eine Kritik auf, die bisweilen am Diversity Management geäußert wird. Denn immer dann, wenn ein spezielles Merkmal herausgestellt wird, richtet sich die Aufmerksamkeit auch genau darauf.
Ist es also unangemessen, in Kategorien wie Geschlecht und Alter zu denken? Sollte es nicht einfach egal sein, dass eine Mitarbeiterin ein Arbeiterkind ist, dass ihre Familie eine Migrationsgeschichte hat, dass sie eine Frau ist – wenn ihre Leistungen genauso überzeugen? Ist eine spezielle Förderung von ihr nicht vielleicht sogar schädlich, weil ihr vorgeworfen werden kann, sie hätte ihre beruflichen Ziele nur wegen Diversitätsprogrammen erreicht und nicht aus eigener Kraft?
So einfach ist es nicht. Denn Diversity Management gibt es ja gerade aus dem Grund, dass in Unternehmen noch keine Chancengleichheit herrscht. Ein Schwerpunkt in der Ausbildung beim Institut für Diversity Management ist daher die Auseinandersetzung mit »unconscious bias«. Damit sind tief verwurzelte, unbewusste Denkmuster gemeint, die unser Verhalten beeinflussen. Die Folgen sind Vorurteile und Diskriminierungen, die zum Beispiel dazu führen, dass Menschen bestimmter Nationalitäten oder Religionen keinen Job bekommen, Menschen mit Behinderung keine anspruchsvollen Aufgaben übernehmen und Mütter nicht in Führungspositionen gelangen.
Kurz gesagt: Bestimmten Gruppen wird, häufig unbewusst, weniger Leistung zugetraut. Und die verantwortlichen Personengruppen, die Müttern den Chefposten verbauen und Migranten den Job nicht geben, sind häufig Gruppen, die selbst nicht gerade für Vielfalt stehen.
Menschen neigen dazu, zwischen Eigengruppen und Fremdgruppen zu unterscheiden
Dass der Diversity-Trend und die Entstehung des verbreiteten Feindbildes »alter, weißer Mann« zusammenfallen, dürfte kein Zufall sein. Die Rede von alten, weißen Männern fördert zwar nicht gerade den Dialog und ignoriert auch die Vielfalt innerhalb dieser Personengruppe. Dennoch: Die Arbeitswelt bildet die Diversität innerhalb der Gesellschaft nach wie vor ungenügend ab. Denn häufig rekrutiert die Mehrheitsgruppe – in Deutschland also häufig mittelalte, weiße Männer westdeutscher Herkunft – bevorzugt Menschen, die ihnen ähnlich sind.
»Die Vielfalt in der Gesellschaft nimmt zu, also nimmt auch die Vielfalt von Bewerbern und Zielgruppen zu.« – Kathrin S. Trump, Leiterin des »Instituts für Diversity Management«
In der Sozialpsychologie ist lange bekannt, dass Menschen dazu neigen, zwischen Eigengruppen und Fremdgruppen zu unterscheiden. Und dass die Eigengruppe favorisiert wird und
Hier kann Diversity Management ansetzen, indem es den dafür verantwortlichen Personen dabei hilft, »unconscious bias« zu erkennen. Diversity Manager haben dann die nicht ganz einfache Aufgabe, ihre Kenntnisse im Unternehmen zu vermitteln.
Das heißt: Sie müssen ihren Chefs erklären, welche Verzerrungen entstehen können, wenn diese andere Menschen beurteilen und Entscheidungen treffen. Sie müssen ihnen erklären, wie Bias-frei gestaltete Personalprozesse aussehen. Diversity Management bedeutet also auch Widerstand gegen bestehende Machtstrukturen – auch wenn das in einem auf Dialog und Verständnis ausgerichteten Diversity-Konzept wohl nie so heißen würde.
»Wer sich dieser Entwicklung verschließt, verpasst den Anschluss«
Diskriminierende Denkmuster zu erkennen und reflektiert damit umzugehen, ist eine wichtige Voraussetzung für die Etablierung von Vielfalt. In der konkreten Praxis kommt es dann auf viele verschiedene Maßnahmen an. Zum Beispiel:
- Förderung der Bildung interkultureller Teams
- Sprachkurse für Mitarbeiter, die noch nicht lange in Deutschland sind
- Flexible Arbeitszeitmodelle und andere Angebote zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie
- Alters- und behindertengerechte Arbeitsplätze
- Einrichtung von geschützten Orten wie etwa einem Raum der Stille, in den Menschen sich zum Beten oder Meditieren zurückziehen können
- Veränderung von Recruiting-Prozessen: Stellenanzeigen müssen umformuliert, Bewerbungsprozesse und Auswahlverfahren angepasst werden
- Kantinen, die vegane, koschere und Gerichte ohne Schweinefleisch anbieten
- Förderung der Akzeptanz und Toleranz von sexueller Identität und Orientierung unter anderem durch Sensibilisierungskurse
»Die Vielfalt in der Gesellschaft nimmt zu, also nimmt auch die Vielfalt von Bewerbern und Zielgruppen zu«, sagt Institutsleiterin Kathrin S. Trump. Wer sich dieser Entwicklung verschließt, verpasse den Anschluss und werde seiner Verantwortung als Organisation nicht gerecht. Wie wichtig das ist, haben die meisten Firmen zumindest verstanden. 63% der Unternehmen haben sich laut der »Diversity Studie 2018« in den vergangenen 2 Jahren mit Diversity Management beschäftigt. Weitere 19% planen, dies in naher Zukunft zu tun. Nur 8% der befragten Unternehmen sehen in Diversity Management keinen Mehrwert.
Doch erst dann, wenn sich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so sicher in ihrem Unternehmen fühlen, dass sie ganz sie selbst sein dürfen und ihr volles Potenzial entfalten können, ist das Ziel einer inklusiven, vielfältigen Arbeitswelt erreicht.
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily