»Nur Ja heißt Ja« – wie in Schweden eine neue Konsenskultur entsteht
Seit 2018 gilt in Schweden ein neues Sexualstrafgesetz. Das hat sich seitdem verändert.
Trigger-Warnung: Dieser Artikel thematisiert sexualisierte Gewalt an Frauen und kann belastend oder retraumatisierend wirken.
Ein Junggesellenabschied im Juli 2018.
Am 23. Oktober 2018 wird Markus S. zu 2 Jahren Haft wegen Vergewaltigung verurteilt. Er bestreitet die Tat. Dass es zum Geschlechtsverkehr gekommen ist, bestreitet er nicht – allerdings hätten beide das gewollt.
Noch Anfang 2018 wäre er in Schweden kaum wegen Vergewaltigung verurteilt worden, meint die mit dem Fall befasste Staatsanwältin Christina Voigt in einem Interview mit Sveriges Radio.
Vorher brauchte es Zwang, Drohungen oder Gewalt. Das Gesetz richtet sich nun viel mehr danach, was Vergewaltigung wirklich bedeuten kann.
Außerdem wurde mit dem neuen Gesetz die Mindeststrafe für schwere Vergewaltigung von 4 auf 5 Jahre erhöht sowie ein völlig neuer Straftatbestand geschaffen: die »unachtsame Vergewaltigung«.
Einige deutsche Medien kommentierten die schwedische Reform skeptisch. So hieß es in der Welt,
Doch auch in Schweden war die Gesetzesreform zunächst umstritten.
Der Rat zur Prüfung von Gesetzesentwürfen sprach sich gegen die Reform aus
Tatsächlich sprach sich sogar der Lagråd gegen eine Reform des Sexualstrafgesetzes aus, ein Rat aus aktiven und ehemaligen Richtern der obersten Gerichte zur Prüfung von Gesetzesentwürfen. Den Entwurf für das Einverständnisgesetz fanden sie zu vage. Menschen müssten in der Lage sein, im Voraus unterscheiden zu können, was strafbar ist und was nicht. Des Weiteren ist der Rat der Ansicht, dass es »keinen rechtlichen Bedarf« gäbe,
Auch andere Juristen und Juristinnen sprachen sich gegen das Einverständnisgesetz aus: Es könne falsche Hoffnungen bei Opfern wecken, weil es durch die Gesetzesreform nicht einfacher würde, Sexualstraftaten zu beweisen und die Täter zu verurteilen. »Es besteht die Gefahr, dass das Vertrauen in das Justizsystem beeinträchtigt wird«, heißt es in einem Artikel der Tageszeitung Svenska Dagbladet vom Oktober 2017, der
Wie eine
Rechtsexperten und -expertinnen befürchteten zudem, dass das neue Gesetz die Beweislast quasi umkehre und Angeklagte plötzlich ihre Unschuld beweisen müssten. Staatsanwältin Christina Voigt stellt sich diesem Einwand im Gespräch mit schwedischen Medien entgegen: Es gelte die gleiche Beweislast wie zuvor – allerdings müssten Angeklagte vor Gericht erklären können, weshalb sie von einem Einverständnis ausgingen, insbesondere, wenn sich das Gegenüber passiv verhalten habe.
Das Problem dabei ist: Im Fall sexualisierter Gewalt steht in der Regel Aussage gegen Aussage, auch mit dem neuen Gesetz.
Aber wo liegt die Grenze zwischen Freiwilligkeit und Zwang?
Erste Verurteilung aufgrund »unachtsamer Vergewaltigung«
Das Einverständnisgesetz bleibt diesbezüglich vage. Es besagt lediglich, dass die Zustimmung durch »Worte, Handlungen oder auf eine andere Weise« zum Ausdruck gebracht werden muss. Auch deshalb war die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes im Juli letzten Jahres wohl so bedeutend. Damals verurteilten die Richter und Richterinnen erstmals einen Mann wegen »unachtsamer Vergewaltigung«.
Der Anwalt des Verurteilten rechtfertigte das Verhalten seines Mandanten wie folgt: Das Verhalten der Frau sei nicht eindeutig gewesen. Sie habe zwar gesagt, keinen Sex haben zu wollen, aber halbnackt im Bett gelegen und hätte sich zum Angeklagten hingedreht. Dieser habe das als Zeichen des Einverständnisses interpretiert – und ihr passives Verhalten im Folgenden nicht als ein »Nein«.
Der Oberste Gerichtshof bewertete das Geschehen anders und verurteilte den 27-Jährigen zu 2 Jahren und 3 Monaten Haftstrafe wegen »unachtsamer Vergewaltigung«.
Tatsächlich ist es so, dass viele Opfer sexueller Gewalt davon berichten, dass sie keinen Widerstand leisten konnten. Dieser Zustand wird auch
»Anstatt dass die Verantwortung, seinen Körper vor Missbrauch zu schützen, beim Opfer liegt, ist man nun verantwortlich dafür, sicherzugehen, dass der Partner oder die Partnerin auch wirklich will«, sagt Olivia Björklund Dahlgren, die Vorsitzende der Organisation Fatta.
Das sei ein entscheidender Unterschied im Vergleich zum deutschen Sexualstrafrecht. In Deutschland gilt seit dem Jahr 2016 das Prinzip »Nein heißt Nein«. Demnach sind sexuelle Handlungen strafbar, wenn sie gegen den erkennbaren Willen einer Person geschehen. Die Person, die keinen Sex haben möchte, muss das also deutlich machen. »Aber dann hat ein Missbrauch bereits begonnen«, kritisiert Björklund Dahlgren. Zudem sei es der Person im Zustand der »frozen fright« vielleicht gar nicht möglich, Nein zu sagen.
Das schwedische Gesetz hingegen verschiebt den Fokus: Entscheidend ist nicht mehr, wie sich eine Person gewehrt hat, sondern, wodurch die Beteiligten davon ausgehen konnten, dass auf beiden Seiten Einverständnis herrschte. Das bedeutet auch, dass nicht davon ausgegangen wird, dass jeder Mensch grundsätzlich Sex haben will – und eben nur manchmal nicht, was dann durch ein Nein signalisiert wird.
Nach über einem Jahr Einverständnisgesetz lassen sich zwar keine signifikant gestiegenen Zahlen der verurteilten Vergewaltigungen erkennen. Zu sehr ist die Aufklärung von weiteren Faktoren wie der Polizeiarbeit oder auch den weiterhin hohen Dunkelziffern und verhältnismäßig wenigen Anzeigen sexueller Übergriffe durch die Opfer abhängig.
Entscheidend ist allerdings auch die symbolische Bedeutung des Gesetzes. »Statt ausschließlich ein gewisses Verhalten zu kriminalisieren, zielt das Gesetz darauf ab, eine neue Norm in der Gesellschaft zu etablieren«, erzählt Olivia Björklund Dahlgren. Auch dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven geht es um einen grundsätzlichen Wandel. Die Notwendigkeit des Einverständnisses sende »eine klare und normative Botschaft und kann auf diese Weise die Werte der Menschen beeinflussen«, heißt es im
Woher weiß ich, ob mein Gegenüber Sex will?
Das Gesetz setzt also ein klares Signal dafür, dass Sex immer einvernehmlich sein muss. Man könnte meinen, das sei eine Selbstverständlichkeit. Tatsächlich unterscheiden sich die Einschätzungen darüber, wann jemand Sex möchte, teilweise beträchtlich – und zwar auch abhängig vom Geschlecht.
- 33% der befragten Männer und lediglich 16% der befragten Frauen interpretieren es als Einwilligung, nackt nebeneinanderzuliegen.
- 17% der Männer werten schon die Tatsache, in einer gemeinsamen Beziehung zu sein, als Signal für Einverständnis. Das gilt nur für 9% der Frauen.
- Spätabends mit jemandem mit nach Hause zu gehen, wird von 17% der Männer, aber nur 7% der Frauen als Signal für Interesse an Sex verstanden.
Gerade weil die Interpretationen so unterschiedlich und offensichtlich geschlechterspezifisch sind, ist das Einverständnisgesetz ein wichtiges Zeichen – und ein Startsignal für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung. Olivia Björklund Dahlgren fordert eine »Kultur des Einverständnisses« und einen offenen Umgang mit dem Thema. »Der sexuelle Kontext kann es schwer machen, offen miteinander zu sprechen. Wir müssen deswegen thematisieren, wie man sich respektvoll, feinfühlig und umsichtig verhält – und zwar in allen zwischenmenschlichen Beziehungen.«
Wegweisendes Sexualstrafgesetz
Es ist bislang also weniger die Zahl an Verurteilungen, sondern der symbolische Gehalt, der den Erfolg des schwedischen Sexualstrafgesetzes ausmacht. Es betont das Recht eines jeden Menschen auf den eigenen Körper und die eigene Sexualität. Die Verantwortung des Einzelnen liegt nicht mehr darin, sich »richtig« zu wehren, sondern sich jederzeit sicher zu sein, dass beide das Gleiche wollen.
Das Einverständnisgesetz ist damit wegweisend im Umgang mit sexualisierter Gewalt.
Norwegen und Dänemark immerhin befassen sich derzeit mit einer möglichen Reform ihres Sexualstrafrechts –
Titelbild: Perspective Daily - copyright