Warum verschreibt mir niemand das Wundermittel?
Es verlängert unser Leben, schützt vor Depressionen, Demenz und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bringt schwerkranke Patienten wieder auf die Beine. Jetzt müssen die Ärzte es nur noch verschreiben.
Mit zittrigen Knien sitze ich im Wartezimmer. »Frau Urner, bitte.« In meinem Kopf wummert der Schmerz; als ich mich erhebe, muss ich mich am Blumentopf neben mir festhalten. Ich bin müde und ausgelaugt, doch mein Körper scheint mir den Schlaf in letzter Zeit nicht zu gönnen.
7 Minuten später verlasse ich die Praxis mit einem Stück Papier, auf dem Medikamentennamen und das Wort »Ruhe« gekritzelt sind. Ich bin verwirrt und verzweifelt.
Schon lange wissen wir, dass Bewegung gesund ist – daran bestehen keine wissenschaftlichen Zweifel. Doch laut ärztlicher Empfehlung soll ich jetzt die Beine hochlegen, um wieder gesund zu werden? Und das, obwohl mittlerweile auch bekannt ist, dass
- regelmäßige Bewegung als Universalmittel sämtliche Aspekte unserer Gesundheit positiv beeinflussen kann und
- schon sehr wenig Großes bewirken kann. Für Jung und Alt, für Gesunde und Schwerkranke.
Diese Erkenntnisse haben wir einem Wandel in der Wissenschaft zu verdanken. Lange Zeit galt: Die Wirkung von Bewegung zu untersuchen, ist Zeitverschwendung! Viel zu komplex! Jetzt zeigt eine Studie nach der anderen, dass Bewegung tatsächlich der wirksamste Weg ist, um Lebensqualität und -länge zu verbessern.
Bewegungsmangel ist global einer der wichtigsten Gründe für schlechte Gesundheit. Das proklamiert die
Gäbe es ein Medikament, das die gleiche Wirkung auf die menschliche Gesundheit hätte wie Bewegung, wäre es mit Sicherheit das wertvollste Arzneimittel aller Zeiten.
Wieso verschreibt mir der Arzt also noch immer Tabletten statt Bewegung? Und wie können wir das ändern?
Es ist an der Zeit, »Bewegung auf Rezept« einzuführen! Gilt dabei auch: »Mit Risiken und Nebenwirkungen«? Um die Frage zu beantworten, lohnt sich ein Blick auf die Packungsbeilage des Wundermittels »Bewegung«.
Bevor du die die einzelnen Abschnitte der Packungsbeilage lesen kannst, folgt jeweils eine kleine Übung. Die 1. lautet:
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Tipp: Du kannst in der Aktionsleiste unten rechts die Abschnitte jederzeit selbst umstellen.
Die Dosierung und Darreichungsform
»Bewegungsmangel zerstört die gute Verfassung eines jeden Menschen, während Bewegung und methodische Leibesübungen diese erhalten.« – Plato
Tatsächlich empfehlen Mediziner und Gelehrte bereits seit Jahrtausenden Kranken und Gesunden vor allem eines: Bewegung. Auch ohne die wissenschaftliche Basis war ihnen die scheinbar wundersame Wirkung von Bewegung bewusst. Mittlerweile müssen wir
Während ich mit hängendem Kopf die Arztpraxis verlasse, mache ich mich auf den Heimweg. 25 Minuten Fußweg liegen vor mir und ich frage mich: Was genau zählt eigentlich als Bewegung? Zählt mein Spaziergang als körperliche Aktivität? Wo hört Bewegung auf und wann fängt Sport an?
Häufig werden »Bewegung« und »körperliche Aktivität«, so wie hier, synonym verwendet.
»Essen allein erhält den Menschen nicht. Er muss sich auch körperlich betätigen.« – Hippocrates (»Vater der Medizin«)
Bestimmt fallen dir jetzt 1.001 Möglichkeiten ein, bei denen du ins Schwitzen kommst. Alle diese Aktivitäten lassen sich in genau 2 Kategorien einteilen: aerob und anaerob. Aerobe Aktivität ist das, was wir meist als Ausdauersport bezeichnen: Laufen, Schwimmen, Radfahren, Wandern. Zu den anaeroben Aktivitäten gehören Krafttraining, aber auch Sprints und Intervalltraining mit Wiederholungen, die nicht länger als 2 Minuten dauern. Die beiden Arten unterscheiden sich vor allem darin,
Und die Darreichungsform?
Die Bewegung kann entweder während der Arbeit, beim Transport oder in der Freizeit stattfinden. Heute schon Wäsche gewaschen oder das Bad geputzt? In der Mittagspause zum Bäcker gegangen – also nicht motorisiert? Am Abend mit einem Kind gekabbelt? All das zählt als Bewegung. Anstrengende Gartenarbeiten wie Harken und Graben gehen sogar als »starke körperliche Aktivität« durch.
Und für ganz Hartgesottene gilt die alte Weisheit »Kleinvieh macht auch Mist«. Wer mehr steht und weniger sitzt,
Das letzte Wort zur Frage, wie viel Bewegung von welcher Art optimal ist, steht noch aus. Einige Wissenschaftler erforschen aktuell die bestmögliche Dosierung und untersuchen, ab welcher Dauer gesundheitsfördernde Wirkungen messbar sind. Die vorläufige Antwort lautet: Ab einer ziemlich kurzen Dauer!
Damit ist auch das häufigste Argument von Bewegungsmuffeln unwirksam: »Keine Zeit!« Hoch intensives Intervalltraining (also High-Intensity Interval Training, HIIT) ist der neueste Schrei: 10 Minuten sehr intensives Training haben den
»Die effektivste Therapie, die meinen Patienten aktuell zur Verfügung steht, ist Bewegung.« – Mark Tarnopolsky (Neurowissenschaftler)
Es muss also nicht immer gleich der 10-Stunden-Wochen-Trainingsplan, eine Mitgliedschaft im hippen Fitnessstudio der Stadt oder der nächste Ultramarathon sein.
Auch wer auf der Suche nach der maximalen Wirkung ist, findet mittlerweile erste Antworten. Gerade bei den präventiven Effekten durch Bewegung zeigen viele Studien einen linearen Zusammenhang. Sprich: Je mehr Bewegung, desto höher die positiven Wirkungen. Das bedeutet aber nicht: maximaler Effekt bei 24 Stunden Dauerbewegung. Jeder Sportler weiß: Die Regeneration ist die halbe Miete. Eine
Erste Schweißperlen auf meiner Stirn, meine Lunge hat sich geweitet, mein Herz pumpt schnell. Spontan habe ich ein paar Sprints auf dem Heimweg vom Arzt eingebaut. Der Wind bläst mir um den Kopf, als ich mit den Händen in den Hüften am Hafen zum Stehen komme.
Herzschlag, Stoffwechsel, Muskelaufbau – was kann das Wundermittel denn nun genau? Welche Leiden und Beschwerden können wir mit Bewegung tatsächlich vermeiden?
Bevor es weitergeht, hier die nächste Übung:
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Die Anwendungsgebiete
»Ruhe«, hatte der Arzt auf mein Rezept geschrieben, um meiner Erschöpfung und den Schlafstörungen beizukommen. Wie altmodisch.
»Bewegung galt [1950] nicht als Teil der medizinischen Versorgung. Nach einem Herzinfarkt lautete die Empfehlung, die nächsten 6 Wochen im Bett liegend zu verbringen.« – Kenneth Cooper (Sportmediziner und Erfinder des Aerobic)
Bewegung ist nicht nur für die Gesunden. In der Rehabilitation wird mittlerweile empfohlen: So früh und viel wie möglich bewegen – egal ob Hüft-OP,
Die folgende Liste konzentriert sich auf erhaltende und präventive Effekte durch Bewegung – und ist natürlich nur ein Ausschnitt.
- Mortalität: Selbst wer nicht auf die empfohlenen 150 Minuten pro Woche kommt, kann die lebensverlängernden Effekte regelmäßiger Bewegung nutzen. In einer
- Herzkrankheiten: 1953 zeigten britische Wissenschaftler zum ersten Mal einen Zusammenhang zwischen Bewegung am Arbeitsplatz und bestimmten Herzkrankheiten. Londoner Busfahrer, die hauptsächlich sitzend arbeiteten, litten häufiger an Herzstörungen als ihre aktiveren Kollegen, die Tickets abstempelten und Fahrgästen unter die Arme griffen. Heute wissen wir, dass regelmäßige Bewegung uns tatsächlich vor Herzkrankheiten schützt. Dabei helfen schon die kleinsten »Dosen«: Selbst
- Diabetes Typ 2: Wie bei allen chronischen Krankheiten, ist es auch bei Diabetes Typ 2 schwierig, den genauen Einfluss von Dauer und Intensität eines Bewegungsprogramms zu berechnen. Eine Studie mit knapp 70.000 gesunden Krankenschwestern zeigte, dass jene mit einem »aktiven Lebensstil« ein um
- Schlaganfall: Hier gilt ähnliches wie bei Herzkrankheiten und Diabetes Typ 2. Menschen, die sich regelmäßig bewegen, haben ein deutlich niedrigeres Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, als Couch-Potatoes – bis zu 68% niedriger,
- Darm- und Brustkrebs: Auch für andere Krebsarten besteht ein Zusammenhang; am besten untersucht ist er aber für Darm- und Brustkrebs. Gerade bei
- Bluthochdruck: Wer sich regelmäßig bewegt,
- Müdigkeit und Schlafstörungen: Müde und schlapp? Da bleibt nicht viel Energie fürs morgendliche oder abendliche Sportprogramm. Das kam mir bekannt vor. Hilft da Ruhe? Weit gefehlt! Nach einem Arbeitstag im Büro schreit unser Körper regelrecht nach Bewegung. Einmal verstanden, dass die Erschöpfung nach stundenlanger Computerarbeit eine andere ist als nach 1 Stunde Sportprogramm, raffen wir uns auf und es kann losgehen.
Sport kommt einer »drogenfreien« Müdigkeitsbekämpfung gleich. Egal ob für
Auch für Menschen, die unter
Wenn ich sie dazu bekäme, das regelmäßig zu machen – und wenn es nur ein Spaziergang wäre, etwas, dass ihren Puls ein wenig hochtriebe – würden sich ihre chronischen Krankheiten dramatisch verbessern. Ganz zu schweigen von all den anderen Dingen, wie der Depression, Angstzuständen, Stimmung und Energie.
Während die eher klassischen »Fitnesseffekte« auf Herz, Muskeln und Knochen schon viel länger untersucht werden, steht der Zusammenhang zwischen Gehirn und Bewegung erst seit einem guten Jahrzehnt bei Wissenschaftlern hoch im Kurs.
- Gedächtnis: Ähnlich wie beim Blutdruck, hilft schon ein einmaliges Training beim Erinnern. So können wir uns Dinge besser merken, wenn wir uns
- Stress und Depression: Jeder, der »seinen« persönlichen Sport gefunden hat, kennt das »Abschalten« währenddessen und das wohltuende Gefühl der Erschöpfung danach. Fittere
- Libido: Noch ist nicht eindeutig geklärt, inwieweit Sex die Leistungsfähigkeit von Leistungssportlern beeinflusst und ob es dabei Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. In jedem Fall kann sich zu viel Sport negativ auf die Libido auswirken,
- Heißhunger: Auch, wenn mittlerweile klar ist, dass regelmäßige Bewegung
Als ich zu Hause ankomme, pulsiert mein Herz noch immer spürbar in meiner Brust. Ein leicht salziger Geschmack auf den Lippen. All das kann ich zwar fühlen, frage mich aber dennoch: Wie wirkt das Wundermittel Bewegung eigentlich genau?
Bevor es weitergeht, hier die nächste Übung:
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Die Wirkungsweise
Eines ist sicher: Bewegung setzt nicht nur einen Wirkstoff,
Um den einzelnen Wirkstoffen auf die Spur zu kommen, entnehmen Forscher während und direkt nach körperlicher Aktivität Blutproben – und sind
»Es gibt 33 chronische Krankheiten, die durch die Medizin der Bewegung beeinflusst werden. Mobilität als Medizin verändert uns bis hin zu unseren Stammzellen.« – Vonda Wright (Chirurgin, Wissenschaftlerin und Autorin)
Aktuell planen die amerikanischen Nationalen Gesundheitsinstitute (NIH)
Die letzte Übung:
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Das Zulassungsverfahren
Ich bin davon überzeugt, dass es für jeden Menschen eine Art der Bewegung gibt, die »Ein Spaziergang in der Mittagspause, Treppen statt Fahrstuhl. Du brauchst keine Spezialkleidung, keine Spezialschuhe, keinen bestimmten Ort, um dich zu bewegen, um Bewegung Teil deines Alltags werden zu lassen.« – Beth Prairie (Gynäkologin)
Das einzige Paradox, mit dem wir als Menschen zu kämpfen haben: Einerseits sind unsere Körper für Bewegung konzipiert, andererseits versuchen sie, möglichst viel Energie zu sparen – für härtere Zeiten. Nur: Diese härteren Zeiten treten im Alltag des 21. Jahrhunderts immer seltener ein. Wir sind also darauf »programmiert«, den einfachen, bequemen Weg des geringsten Widerstands zu nehmen. Am Fahrstuhl Schlange stehen, statt die Treppen zu nehmen, ins Auto, statt aufs Fahrrad zu steigen. Auch wenn die Bewegung in vielen Fällen am Ende mehr Freude bereitet, kostet es zunächst mehr Kraft, die anfängliche Trägheit zu überwinden und im wahrsten Sinne des Wortes den ersten Schritt zu machen. Unsere Gewohnheiten stehen uns dabei gern im Weg. Die gute Nachricht: Die können wir ändern. Über die »Macht der Gewohnheiten« und Methoden,
Rahmenbedingungen können dabei helfen. Vor allem solche, die
Dabei ist wichtig, zu wissen, dass wir uns über Belohnungen motivieren lassen: Medikamente sind meist an ein konkretes Versprechen der Besserung gekoppelt. »Wenn ich das Wort »Bewegung« nutze, werden die Augen meiner »Patienten« glasig. Sie wollen einen schnelleren Fix.« – Vonda Wright (Chirurgin, Wissenschaftlerin und Autorin)
Dieses Versprechen allein
Mit anderen Worten: Es ist an der Zeit, »Bewegung auf Rezept« einzuführen! Und zwar inklusive individualisierter Darreichungsform und Dosierung. An einigen Orten und Stellen wird mit dieser Idee bereits fleißig experimentiert:
- Neuseeland: »Green Prescription«
Die »Grüne Verordnung« ist
Das System funktioniert: - Amerika und Europa: »Exercise is Medicine«
Die Initiative »Bewegung ist Medizin« will körperliche Aktivität als Standardmaßnahme im Gesundheitswesen institutionalisieren und so körperliche Aktivität fördern. Um die nötigen Strukturen aufzubauen, müssen
Wichtig ist den Menschen hinter »Exercise is Medicine«, dass die Maßnahmen tatsächlich Wirkung zeigen und langfristig zu einer gesunderen Gesellschaft führen. Daher schauen sie ganz genau, welche Maßnahmen langfristig erfolgreich sind, und - Deutschland: »Rezept für Bewegung«
In
Obwohl das Rezept in einigen Bundesländern bereits seit 10 Jahren verschrieben werden kann, gibt es keine Evaluationen zur Wirksamkeit. Der DOSB konnte mir lediglich kleinere Auswertungen aus
Ich freue mich auf den Tag, an dem ich das Behandlungszimmer nicht nur mit einem Stück Papier verlasse, auf dem Medikamentennamen und die Empfehlung für eine paar Sportkurse gekritzelt sind. Ungefähr so:
Frau Urner, Sie arbeiten zu viel. [Folgende Informationen sind aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht ausgegraut.] Ich verschreibe Ihnen 2 Mal täglich 20 Minuten Radfahren, 5 wöchentliche Laufeinheiten von mindestens 40 Minuten und 2 Mal pro Woche die Kraftübungen, die Sie in diesem Youtube-Kanal [Link ausgegraut] anschauen können. In 4 Wochen sehen wir uns wieder und werten den Erfolg aus.
Das Wundermittel »Bewegung« ist dann das Normalste der Welt geworden.
PS: Liebe Leser, ihr braucht euch übrigens keine Sorgen um mich zu machen. Meine Arzt-Geschichte ist frei erfunden.
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Mit zittrigen Knien sitze ich im Wartezimmer. »Frau Urner, bitte.« In meinem Kopf wummert der Schmerz; als ich mich erhebe, muss ich mich am Blumentopf neben mir festhalten. Ich bin müde und ausgelaugt, doch mein Körper scheint mir den Schlaf in letzter Zeit nicht zu gönnen.
7 Minuten später verlasse ich die Praxis mit einem Stück Papier, auf dem Medikamentennamen und das Wort »Ruhe« gekritzelt sind. Ich bin verwirrt und verzweifelt.
Schon lange wissen wir, dass Bewegung gesund ist – daran bestehen keine wissenschaftlichen Zweifel. Doch laut ärztlicher Empfehlung soll ich jetzt die Beine hochlegen, um wieder gesund zu werden? Und das, obwohl mittlerweile auch bekannt ist, dass
- regelmäßige Bewegung als Universalmittel sämtliche Aspekte unserer Gesundheit positiv beeinflussen kann und
- schon sehr wenig Großes bewirken kann. Für Jung und Alt, für Gesunde und Schwerkranke.
Diese Erkenntnisse haben wir einem Wandel in der Wissenschaft zu verdanken. Lange Zeit galt: Die Wirkung von Bewegung zu untersuchen, ist Zeitverschwendung! Viel zu komplex! Jetzt zeigt eine Studie nach der anderen, dass Bewegung tatsächlich der wirksamste Weg ist, um Lebensqualität und -länge zu verbessern.
Bewegungsmangel ist global einer der wichtigsten Gründe für schlechte Gesundheit. Das proklamiert die
Gäbe es ein Medikament, das die gleiche Wirkung auf die menschliche Gesundheit hätte wie Bewegung, wäre es mit Sicherheit das wertvollste Arzneimittel aller Zeiten.
Wieso verschreibt mir der Arzt also noch immer Tabletten statt Bewegung? Und wie können wir das ändern?
Es ist an der Zeit, »Bewegung auf Rezept« einzuführen! Gilt dabei auch: »Mit Risiken und Nebenwirkungen«? Um die Frage zu beantworten, lohnt sich ein Blick auf die Packungsbeilage des Wundermittels »Bewegung«.
Bevor du die die einzelnen Abschnitte der Packungsbeilage lesen kannst, folgt jeweils eine kleine Übung: Die 1. lautet:
Die Dosierung und Darreichungsform
»Bewegungsmangel zerstört die gute Verfassung eines jeden Menschen, während Bewegung und methodische Leibesübungen diese erhalten.« – Plato
Tatsächlich empfehlen Mediziner und Gelehrte bereits seit Jahrtausenden Kranken und Gesunden vor allem eines: Bewegung. Auch ohne die wissenschaftliche Basis war ihnen die scheinbar wundersame Wirkung von Bewegung bewusst. Mittlerweile müssen wir
Während ich mit hängendem Kopf die Arztpraxis verlasse, mache ich mich auf den Heimweg. 25 Minuten Fußweg liegen vor mir und ich frage mich: Was genau zählt eigentlich als Bewegung? Zählt mein Spaziergang als körperliche Aktivität? Wo hört Bewegung auf und wann fängt Sport an?
Häufig werden »Bewegung« und »körperliche Aktivität«, so wie hier, synonym verwendet.
»Essen allein erhält den Menschen nicht. Er muss sich auch körperlich betätigen.« – Hippocrates (»Vater der Medizin«)
Bestimmt fallen dir jetzt 1.001 Möglichkeiten ein, bei denen du ins Schwitzen kommst. Alle diese Aktivitäten lassen sich in genau 2 Kategorien einteilen: aerob und anaerob. Aerobe Aktivität ist das, was wir meist als Ausdauersport bezeichnen: Laufen, Schwimmen, Radfahren, Wandern. Zu den anaeroben Aktivitäten gehören Krafttraining, aber auch Sprints und Intervalltraining mit Wiederholungen, die nicht länger als 2 Minuten dauern. Die beiden Arten unterscheiden sich vor allem darin,
Und die Darreichungsform?
Die Bewegung kann entweder während der Arbeit, beim Transport oder in der Freizeit stattfinden. Heute schon Wäsche gewaschen oder das Bad geputzt? In der Mittagspause zum Bäcker gegangen – also nicht motorisiert? Am Abend mit einem Kind gekabbelt? All das zählt als Bewegung. Anstrengende Gartenarbeiten wie Harken und Graben gehen sogar als »starke körperliche Aktivität« durch.
Und für ganz Hartgesottene gilt die alte Weisheit »Kleinvieh macht auch Mist«. Wer mehr steht und weniger sitzt,
Das letzte Wort zur Frage, wie viel Bewegung von welcher Art optimal ist, steht noch aus. Einige Wissenschaftler erforschen aktuell die bestmögliche Dosierung und untersuchen, ab welcher Dauer gesundheitsfördernde Wirkungen messbar sind. Die vorläufige Antwort lautet: Ab einer ziemlich kurzen Dauer!
Damit ist auch das häufigste Argument von Bewegungsmuffeln unwirksam: »Keine Zeit!« Hoch intensives Intervalltraining (also High-Intensity Interval Training, HIIT) ist der neueste Schrei: 10 Minuten sehr intensives Training haben den
»Die effektivste Therapie, die meinen Patienten aktuell zur Verfügung steht, ist Bewegung.« – Mark Tarnopolsky (Neurowissenschaftler)
Es muss also nicht immer gleich der 10-Stunden-Wochen-Trainingsplan, eine Mitgliedschaft im hippen Fitnessstudio der Stadt oder der nächste Ultramarathon sein.
Auch wer auf der Suche nach der maximalen Wirkung ist, findet mittlerweile erste Antworten. Gerade bei den präventiven Effekten durch Bewegung zeigen viele Studien einen linearen Zusammenhang. Sprich: Je mehr Bewegung, desto höher die positiven Wirkungen. Das bedeutet aber nicht: maximaler Effekt bei 24 Stunden Dauerbewegung. Jeder Sportler weiß: Die Regeneration ist die halbe Miete. Eine
Erste Schweißperlen auf meiner Stirn, meine Lunge hat sich geweitet, mein Herz pumpt schnell. Spontan habe ich ein paar Sprints auf dem Heimweg vom Arzt eingebaut. Der Wind bläst mir um den Kopf, als ich mit den Händen in den Hüften am Hafen zum Stehen komme.
Herzschlag, Stoffwechsel, Muskelaufbau – was kann das Wundermittel denn nun genau? Welche Leiden und Beschwerden können wir mit Bewegung tatsächlich vermeiden?
Bevor es weitergeht, hier die nächste Übung:
Die Anwendungsgebiete
»Ruhe«, hatte der Arzt auf mein Rezept geschrieben, um meiner Erschöpfung und den Schlafstörungen beizukommen. Wie altmodisch.
»Bewegung galt [1950] nicht als Teil der medizinischen Versorgung. Nach einem Herzinfarkt lautete die Empfehlung, die nächsten 6 Wochen im Bett liegend zu verbringen.« – Kenneth Cooper (Sportmediziner und Erfinder des Aerobic)
Bewegung ist nicht nur für die Gesunden. In der Rehabilitation wird mittlerweile empfohlen: So früh und viel wie möglich bewegen – egal ob Hüft-OP,
Die folgende Liste konzentriert sich auf erhaltende und präventive Effekte durch Bewegung – und ist natürlich nur ein Ausschnitt.
- Mortalität: Selbst wer nicht auf die empfohlenen 150 Minuten pro Woche kommt, kann die lebensverlängernden Effekte regelmäßiger Bewegung nutzen. In einer
- Herzkrankheiten: 1953 zeigten britische Wissenschaftler zum ersten Mal einen Zusammenhang zwischen Bewegung am Arbeitsplatz und bestimmten Herzkrankheiten. Londoner Busfahrer, die hauptsächlich sitzend arbeiteten, litten häufiger an Herzstörungen als ihre aktiveren Kollegen, die Tickets abstempelten und Fahrgästen unter die Arme griffen. Heute wissen wir, dass regelmäßige Bewegung uns tatsächlich vor Herzkrankheiten schützt. Dabei helfen schon die kleinsten »Dosen«: Selbst
- Diabetes Typ 2: Wie bei allen chronischen Krankheiten, ist es auch bei Diabetes Typ 2 schwierig, den genauen Einfluss von Dauer und Intensität eines Bewegungsprogramms zu berechnen. Eine Studie mit knapp 70.000 gesunden Krankenschwestern zeigte, dass jene mit einem »aktiven Lebensstil« ein um
- Schlaganfall: Hier gilt ähnliches wie bei Herzkrankheiten und Diabetes Typ 2. Menschen, die sich regelmäßig bewegen, haben ein deutlich niedrigeres Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, als Couch-Potatoes – bis zu 68% niedriger,
- Darm- und Brustkrebs: Auch für andere Krebsarten besteht ein Zusammenhang; am besten untersucht ist er aber für Darm- und Brustkrebs. Gerade bei
- Bluthochdruck: Wer sich regelmäßig bewegt,
- Müdigkeit und Schlafstörungen: Müde und schlapp? Da bleibt nicht viel Energie fürs morgendliche oder abendliche Sportprogramm. Das kam mir bekannt vor. Hilft da Ruhe? Weit gefehlt! Nach einem Arbeitstag im Büro schreit unser Körper regelrecht nach Bewegung. Einmal verstanden, dass die Erschöpfung nach stundenlanger Computerarbeit eine andere ist als nach 1 Stunde Sportprogramm, raffen wir uns auf und es kann losgehen.
Sport kommt einer »drogenfreien« Müdigkeitsbekämpfung gleich. Egal ob für
Auch für Menschen, die unter
Wenn ich sie dazu bekäme, das regelmäßig zu machen – und wenn es nur ein Spaziergang wäre, etwas, dass ihren Puls ein wenig hochtriebe – würden sich ihre chronischen Krankheiten dramatisch verbessern. Ganz zu schweigen von all den anderen Dingen, wie der Depression, Angstzuständen, Stimmung und Energie.
Während die eher klassischen »Fitnesseffekte« auf Herz, Muskeln und Knochen schon viel länger untersucht werden, steht der Zusammenhang zwischen Gehirn und Bewegung erst seit einem guten Jahrzehnt bei Wissenschaftlern hoch im Kurs.
- Gedächtnis: Ähnlich wie beim Blutdruck, hilft schon ein einmaliges Training beim Erinnern. So können wir uns Dinge besser merken, wenn wir uns
- Stress und Depression: Jeder, der »seinen« persönlichen Sport gefunden hat, kennt das »Abschalten« währenddessen und das wohltuende Gefühl der Erschöpfung danach. Fittere
- Libido: Noch ist nicht eindeutig geklärt, inwieweit Sex die Leistungsfähigkeit von Leistungssportlern beeinflusst und ob es dabei Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. In jedem Fall kann sich zu viel Sport negativ auf die Libido auswirken,
- Heißhunger: Auch, wenn mittlerweile klar ist, dass regelmäßige Bewegung
Als ich zu Hause ankomme, pulsiert mein Herz noch immer spürbar in meiner Brust. Ein leicht salziger Geschmack auf den Lippen. All das kann ich zwar fühlen, frage mich aber dennoch: Wie wirkt das Wundermittel Bewegung eigentlich genau?
Bevor es weitergeht, hier die nächste Übung:
Die Wirkungsweise
Eines ist sicher: Bewegung setzt nicht nur einen Wirkstoff,
Um den einzelnen Wirkstoffen auf die Spur zu kommen, entnehmen Forscher während und direkt nach körperlicher Aktivität Blutproben – und sind
»Es gibt 33 chronische Krankheiten, die durch die Medizin der Bewegung beeinflusst werden. Mobilität als Medizin verändert uns bis hin zu unseren Stammzellen.« – Vonda Wright (Chirurgin, Wissenschaftlerin und Autorin)
Aktuell planen die amerikanischen Nationalen Gesundheitsinstitute (NIH)
Die letzte Übung:
Das Zulassungsverfahren
Ich bin davon überzeugt, dass es für jeden Menschen eine Art der Bewegung gibt, die »Ein Spaziergang in der Mittagspause, Treppen statt Fahrstuhl. Du brauchst keine Spezialkleidung, keine Spezialschuhe, keinen bestimmten Ort, um dich zu bewegen, um Bewegung Teil deines Alltags werden zu lassen.« – Beth Prairie (Gynäkologin)
Das einzige Paradox, mit dem wir als Menschen zu kämpfen haben: Einerseits sind unsere Körper für Bewegung konzipiert, andererseits versuchen sie, möglichst viel Energie zu sparen – für härtere Zeiten. Nur: Diese härteren Zeiten treten im Alltag des 21. Jahrhunderts immer seltener ein. Wir sind also darauf »programmiert«, den einfachen, bequemen Weg des geringsten Widerstands zu nehmen. Am Fahrstuhl Schlange stehen, statt die Treppen zu nehmen, ins Auto, statt aufs Fahrrad zu steigen. Auch wenn die Bewegung in vielen Fällen am Ende mehr Freude bereitet, kostet es zunächst mehr Kraft, die anfängliche Trägheit zu überwinden und im wahrsten Sinne des Wortes den ersten Schritt zu machen. Unsere Gewohnheiten stehen uns dabei gern im Weg. Die gute Nachricht: Die können wir ändern. Über die »Macht der Gewohnheiten« und Methoden,
Rahmenbedingungen können dabei helfen. Vor allem solche, die
Dabei ist wichtig, zu wissen, dass wir uns über Belohnungen motivieren lassen: Medikamente sind meist an ein konkretes Versprechen der Besserung gekoppelt. »Wenn ich das Wort »Bewegung« nutze, werden die Augen meiner »Patienten« glasig. Sie wollen einen schnelleren Fix.« – Vonda Wright (Chirurgin, Wissenschaftlerin und Autorin)
Dieses Versprechen allein
Mit anderen Worten: Es ist an der Zeit, »Bewegung auf Rezept« einzuführen! Und zwar inklusive individualisierter Darreichungsform und Dosierung. An einigen Orten und Stellen wird mit dieser Idee bereits fleißig experimentiert:
- Neuseeland: »Green Prescription«
Die »Grüne Verordnung« ist
Das System funktioniert: - Amerika und Europa: »Exercise is Medicine«
Die Initiative »Bewegung ist Medizin« will körperliche Aktivität als Standardmaßnahme im Gesundheitswesen institutionalisieren und so körperliche Aktivität fördern. Um die nötigen Strukturen aufzubauen, müssen
Wichtig ist den Menschen hinter »Exercise is Medicine«, dass die Maßnahmen tatsächlich Wirkung zeigen und langfristig zu einer gesunderen Gesellschaft führen. Daher schauen sie ganz genau, welche Maßnahmen langfristig erfolgreich sind, und - Deutschland: »Rezept für Bewegung«
In
Obwohl das Rezept in einigen Bundesländern bereits seit 10 Jahren verschrieben werden kann, gibt es keine Evaluationen zur Wirksamkeit. Der DOSB konnte mir lediglich kleinere Auswertungen aus
Ich freue mich auf den Tag, an dem ich das Behandlungszimmer nicht nur mit einem Stück Papier verlasse, auf dem Medikamentennamen und die Empfehlung für eine paar Sportkurse gekritzelt sind. Ungefähr so:
Frau Urner, Sie arbeiten zu viel. [Folgende Informationen sind aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht ausgegraut.] Ich verschreibe Ihnen 2 Mal täglich 20 Minuten Radfahren, 5 wöchentliche Laufeinheiten von mindestens 40 Minuten und 2 Mal pro Woche die Kraftübungen, die Sie in diesem Youtube-Kanal [Link ausgegraut] anschauen können. In 4 Wochen sehen wir uns wieder und werten den Erfolg aus.
Das Wundermittel »Bewegung« ist dann das Normalste der Welt geworden.
PS: Liebe Leser, ihr braucht euch übrigens keine Sorgen um mich zu machen. Meine Arzt-Geschichte ist frei erfunden.
Titelbild: Bryancalabro - CC BY-SA 3.0