Alte, Migranten und Behinderte kommen hier nicht rein!
Seit 10 Jahren darf es so etwas nicht mehr geben – weder in Läden noch am Arbeitsplatz. Doch sich gegen Diskriminierung zu wehren, ist immer noch schwer. Das muss doch besser gehen.
Es gibt 2 verschiedene Arten von Schuhen: Die einen passen auf den linken Fuß, die anderen auf den rechten. Niemand würde auf die Idee kommen, für den einen Schuh mehr Geld zu zahlen als für den anderen, denn für beide ist die Herstellung gleich aufwendig. Ein Schuhhersteller aus Rheinland-Pfalz kam hingegen auf die Idee, seinen Mitarbeitern unterschiedlich viel Lohn zu zahlen – bei gleicher Arbeit. Er zahlte unter den einfachen Produktionsmitarbeitern Männern 13% mehr als den Frauen – nicht, weil sie unterschiedlich gut arbeiteten oder ausgebildet waren, sondern allein aufgrund ihres Geschlechts, das gab er offen zu. Dies wollten 2 Mitarbeiterinnen nicht auf sich sitzen lassen und klagten die Differenz ein. Das Ergebnis:
Die Grundlage der Entscheidung: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das im September dieses Jahres seinen 10. Geburtstag feierte.
Ein Gesetz gegen Diskriminierung
Anlässlich dieses Jahrestags ließ die Antidiskriminierungsstelle des Bundes das Gesetz evaluieren und lud vor 2 Wochen zu einer Fachveranstaltung, um Reformvorschläge zu diskutieren. Der große Saal im Tagungshaus war beinahe voll: Betroffene und Berater waren gekommen, Wissenschaftler, Interessenvertreter und Journalisten wie ich.
Doch was genau ist denn eigentlich dieses AGG und wofür ist es gut?
Das AGG soll Diskriminierungen im Geschäftsverkehr und auf dem Arbeitsmarkt verhindern. Wer von einem (möglichen) Vertragspartner diskriminiert wird – sei es der Vermieter oder Arbeitgeber, Restaurantbetreiber oder Versicherer –, der kann ihn auf Entschädigung verklagen. So wie die Arbeiterinnen aus der Schuhfabrik. Neben geschlechtsspezifischer Diskriminierung schützt
Hintergrund des AGG sind mehrere Antidiskriminierungs-Richtlinien der EU, die Deutschland umsetzen musste. Das Gesetz war zu Beginn äußerst umstritten. Unternehmer fürchteten Einschränkungen oder gar
10 Jahre AGG
10 Jahre später ist es noch immer nicht zu der befürchteten Klagewelle gekommen. Doch tatsächlich gibt es sogenannte »AGG-Hopper«, die gezielt nach diskriminierenden Stellenausschreibungen suchen
Auch die Vertragsfreiheit ist nicht verschwunden. Im Gegenteil: Es hat sie »vielen Menschen überhaupt erst eröffnet«, betont die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, auf der Fachtagung. »Geschützt ist ja nicht nur die Freiheit, keine Verträge schließen zu müssen, sondern auch die Freiheit aller,
In den vergangenen 10 Jahren hat es über 15.000 Beratungsanfragen bei der Antidiskriminierungsstelle gegeben. Die Stelle hat vergangenes Jahr eine repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben, um herauszufinden, wie verbreitet Diskriminierung ist. Laut deren
Diskriminierung ist also kein Thema, das »nur« Minderheiten betrifft. Dies betonte auch die Rechtswissenschaftlerin Christiane Brors auf der Tagung und hob hervor, dass das AGG ein allgemeines Gleichbehandlungsgesetz ist, was besonders die Diskriminierungsmerkmale Geschlecht und Alter zeigen. Christiane Brors ist Professorin an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und hat die Evaluation des AGG wissenschaftlich begleitet.
Tatsächlich handelt es sich bei den Autoren der Studie vorwiegend um Experten, die sich für Gleichstellung engagieren.
Das Problem: Die effektive Durchsetzung
Die Umfrage zeigt: Von den Befragten, die Diskriminierung aufgrund von AGG-Merkmalen erlebt haben, wehrten sich nur etwa 6% mit einer Klage.
Christine Lüders beschreibt das Problem anschaulich mit einem Beispiel aus der Beratungspraxis der Antidiskriminierungsstelle:
Eine junge Frau wird seit Monaten von ihrem Chef sexuell belästigt. Sie ist beruflich von ihm abhängig. Irgendwann kann sie nicht mehr und meldet sich krank. Einige Wochen später wendet sich ihr Vater an die Antidiskriminierungsstelle, die ihm die Rechtslage erklärt. Für eine Klage ist es zu spät, denn die Frist von 2 Monaten ist abgelaufen. »Aber selbst, wenn das nicht der Fall wäre: Sie müsste allein gegen ihren Arbeitgeber vorgehen. Sie müsste das Prozessrisiko allein tragen«, so Christine Lüders weiter.
Damit spricht sie gleich mehrere Problempunkte an, die Diskriminierte von einer Klage abhalten können.
- Einer davon ist die kurze Klagefrist von 2 Monaten. Deshalb empfehlen die Autoren der Evaluation, die Klagefrist auf 6 Monate zu verlängern. Andere Teilnehmer der Tagung plädierten stattdessen dafür, die Fristen gleich ganz abzuschaffen.
- Ein weiteres Problem ist, dass die Betroffenen für einen Rechtsstreit finanzielle, zeitliche und emotionale Ressourcen aufwenden müssen, die sie oftmals anderweitig benötigen –
Der Vorschlag: Lasst die Verbände klagen
Die Autoren der Evaluation sprechen sich daher für ein Verbandsklagerecht aus. Das bedeutet, dass bestimmte Verbände unabhängig von den einzelnen Betroffenen bei Diskriminierung klagen könnten.
In der Regel muss jeder sein Recht selbst durchsetzen.
Eigentlich gilt in der deutschen Rechtsordnung der Grundsatz, dass jeder sein Recht selbst durchsetzen muss. Nur in wenigen Bereichen sind Verbandsklagen möglich, zum Beispiel im Naturschutz und im Verbraucherschutz. Denn die Natur kann ihre Rechte nicht selbst vor Gericht durchsetzen, und auch Verbraucher haben Unternehmen gegenüber strukturelle Nachteile, die sie oft von einer Klage abhalten.
- Zum einen haben die Unternehmen im Gegensatz zu Verbrauchern normalerweise ein Budget für Rechtsstreitigkeiten oder gar eine eigene Rechtsabteilung.
- Zum anderen lohnt sich für Verbraucher ein Gerichtsverfahren in der Regel einfach nicht. Dessen Kosten sind größer als sein Nutzen, also haben die Verbraucher ein sogenanntes »rationales Desinteresse« an einem Prozess.
Diese strukturellen Nachteile sollen die Verbandsklagen ausgleichen. Im Verbraucherschutz gibt es sie bereits seit über 50 Jahren und sie haben große Erfolge vorzuweisen – juristischer und auch politischer Natur. Denn die Verbandsklagen und deren öffentliche Aufmerksamkeit haben eine Reihe von Verbraucherschutz-Themen auf die politische Agenda gesetzt und damit ein Bewusstsein für sie geschaffen – und so auch ganz Verbandsklagen haben Verbraucherschutz-Themen ins Bewusstsein gerückt.
Zum Beispiel bei
Vergangenes Jahr ist
Im Ergebnis erwies sich, dass Verbände die Möglichkeit der Unterlassungsklage intensiv und erfolgreich nutzen. Es können zwar nicht alle Verstöße aufgedeckt werden, aber die Aktivitäten der Verbände haben durchaus entscheidende Wirkung, das Marktgeschehen fairer und gerechter zu gestalten.
Was beim Verbraucherschutz funktioniert, kann auch gegen Diskriminierung helfen
Warum also nicht das Ganze auf das Antidiskriminierungsrecht übertragen? Denn auch dort gibt es strukturelle Nachteile. Erinnern wir uns an das Eingangsbeispiel mit der Schuhfabrik. Dort haben Frauen wegen der diskriminierenden Lohnpolitik den Schuhhersteller verklagt. Doch in den meisten Fällen werden die Diskriminierten darauf verzichten, ihren Arbeitgeber zu verklagen. Zu groß ist das Risiko, es sich mit dem Chef zu verscherzen, zukünftig Nachteilen im Job zu begegnen oder gar den Arbeitsplatz ganz zu verlieren. Denn Arbeitsverhältnisse zeichnen sich durch wirtschaftliche und soziale Abhängigkeit aus – und es ist von allen Lebensbereichen gerade die Arbeitswelt, in der die meisten Menschen Diskriminierung erleben.
Der zweite Nachteil – der nicht nur im Arbeitsleben, sondern auch in anderen Bereichen besteht – ist das Unbehagen, welches die erlebte Ungerechtigkeit mit sich bringen kann. Wer zum Beispiel von einem Fitnessstudio wegen seines türkischen Nachnamens abgewiesen wird, der wird sich in diesem Umfeld vermutlich nicht wohlfühlen und möchte dann oftmals gar nicht mehr dort hin.
Geld, Zeit und Nerven für ein Gerichtsverfahren aufzuwenden, dessen Ausgang ungewiss ist, lohnt sich für viele Betroffene nicht. Denn in der Zeit könnten sie leichter eine andere Lösung für das jeweilige Problem finden: ein anderes Fitnessstudio, einen anderen Job, eine andere Wohnung.
Damit befinden sie sich in einer ähnlichen Situation wie die Verbraucher. Das bedeutet: Auch im Antidiskriminierungsrecht wäre es sinnvoll, eine Ausnahme von dem Grundsatz zu machen, dass jeder sein Recht selbst durchsetzen muss. Durch Verbandsklagen könnten die Antidiskriminierungsverbände gerade strukturelle Diskriminierung bekämpfen, gegen die sich die einzelnen Betroffenen nicht wehren.
Gegen ein Verbandsklagerecht spricht sich hingegen die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) aus. »Dass Arbeitgeber für ein benachteiligungsfreies Arbeitsumfeld eintreten, ist eine Selbstverständlichkeit«, sagt ihr Pressesprecher Arne Franke. »Gelebte Vielfalt und Toleranz gehören zur DNA der Unternehmen und lassen sich nicht gesetzlich verordnen, sondern müssen überzeugend vorgelebt werden.« Die BDA befürchtet, dass die Verbandsklagen missbraucht werden und außerdem Unfrieden in die Betriebe bringen, indem Verbände beispielsweise ohne Zustimmung des Betroffenen klagen, obwohl dieser sich bereits mit dem Arbeitgeber geeinigt hat.
Auch im Verbraucherschutz ist vor Missbrauch der Klagen gewarnt worden – doch der Ausgang der Verfahren zeigt, dass diese Bedenken bislang unbegründet waren:
Was Klagen ohne Zustimmung des Betroffenen angeht: Auch klageberechtigte Verbände müssen von einer Diskriminierung überhaupt erst erfahren und diese zudem beweisen können. Wenn der diskriminierte Mitarbeiter nicht klagen möchte, dann ist es unwahrscheinlich, dass ein Verband zunächst überhaupt davon erfährt und den Vorwurf dann auch noch ohne Mitwirkung des Betroffenen beweisen kann. Hingegen kann er gerade dann für den Betroffenen eintreten, wenn dieser sich nicht allein mit dem Arbeitgeber anlegen möchte.
Auch wenn Einzelne, wie die Mitarbeiterinnen der Schuhfabrik, vor Gericht gegen ihre Diskriminierung kämpfen: rund 94% tun das nicht. Fristverlängerung und Verbandsklage sollen auch gar nicht dazu führen, dass jede Diskriminierung mit einem Gerichtsurteil endet, wenn eine außergerichtliche Einigung dem ein oder anderen Betroffenen vielleicht viel besser hilft. Aber sie können den Druck erhöhen, die seit 10 Jahren verbindlichen Gleichbehandlungsvorschriften auch tatsächlich umzusetzen – damit, egal ob für den linken oder rechten Fuß, Schuhe einfach Schuhe sind.
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