Welche Selfies du besser für dich behältst
Was glaubst du: Wie privat sind deine Daten? Und wer schaut gerade durch deine Webcam zu?
Fabian und seine Kumpels aus der achten Klasse klettern verbotenerweise aufs Schuldach. Eine ziemlich coole Aktion, da sind sich die Jungs einig. Schnell ist ein Selfie bei sozialen Medien hochgeladen. Die Klassenkameraden sind begeistert – zumindest bis zum nächsten Morgen, als Fabians Klassenlehrer ihm das Beweisfoto unter die Nase hält. Dass der auch ein Facebook-Profil hat, hat Fabian ganz vergessen. Die Konsequenz: Disziplinarkonferenz.
Fabians Aktion war unvorsichtig und kurzsichtig. Bei dem banalen Schulstreich ist dieses Urteil schnell gefällt. Tatsächlich sind jedoch die meisten Deutschen unvorsichtig und geben tagtäglich massenhaft persönliche Daten bei sozialen Medien oder in Programmen preis: Geburtsdatum, Berufsweg, Fotos und sogar Infos über Vorlieben, Freunde, Laune und Gesundheitszustand. Die Risiken dieses Handelns sind schwierig abzuschätzen. Dabei geht es um weit mehr als nur um Ärger in der Schule: Unvorsichtig preisgegebene Daten sind ein steigender Wirtschaftsfaktor für
Der Whistleblower und ehemalige NSA-Mitarbeiter
Doch für Fabian sind die Grenzen zwischen dem Privaten und Öffentlichen unklar und fließend. In den Neuen Medien gibt er Stück für
Alle lieben Medienkompetenz. Weg damit!
Fabians Malheur auf dem Schuldach dürfte kein Einzelfall in Deutschland sein. Das geht aus der
Für dieses Wissen gibt es ein Zauberwort, das in den letzten Jahren sehr beliebt geworden ist: Es heißt
Ein großes Problem dabei: Jeder scheint etwas anderes unter Medienkompetenz zu verstehen. Der Begriff ist
Aber was macht
- Kritisches Bewusstsein: Dabei hilft eine Checkliste im Kopf: Wer besitzt meine Daten? Wozu werden sie genutzt? In welchem Rahmen gebe ich sie preis? Wer liest dort noch mit? Was kann damit passieren? Hätte Fabian sich das gefragt, wäre er schnell darauf gekommen, dass sein Schnappschuss vom Schuldach ihn verraten könnte.
- Datensparsamkeit: Häufig lässt sich mit Privatsphäre-Einstellungen regeln, wer auf welche Daten zugreifen kann. Wäre Fabians Bild bei Facebook nur für seine Freunde zugänglich gewesen, hätte sein Streich keine Konsequenzen gehabt.
- Verständnis von elektronischen Geräten: Geräte und Programme werden immer von Menschen erstellt. Irgendwer kann also immer mitlesen. Das Bild von Fabian ist nicht nur im Netz, sondern auch auf seinem Handy als Beweis gespeichert, inklusive Aufnahmedatum und anderen Meta-Daten.
- Gesundes Misstrauen: Auch im Internet ist wenig umsonst. Statt mit Geld wird mit Daten bezahlt. Facebook verbindet Fabians Foto mit seinem Standort, seinem Namen, dem Wohnort und seinen Freunden aus seinem Profil. Das können auch andere Nutzer, die gezielt nach Fabian suchen.
- Rechte und Pflichten: Niemand ist im Netz nur für sich selbst verantwortlich, auch die Daten von Dritten sind ständig betroffen. So kann Fabians Beweisfoto auch seine Freunde überführen, die selbst gar nichts auf Facebook gepostet haben.
Steffen Haschlers Definition von Datensensibilität macht klar, wie wir uns im Optimalfall datensensibel verhalten und uns damit vor Ärger in der digitalen und realen Welt schützen. Wo und wie wird das Wissen vermittelt? Klar ist, dass Menschen sehr unterschiedlich über Datensensibilität informiert sind.
Digital Natives lernen das in der Schule – oder nicht?
Für Datensensibilität sind Kinder und Jugendliche am besten in der Schule zu erreichen. Das Problem dabei: Bei der Medienbildung in den Lehrplänen kommt der kompetente Umgang mit Daten selten vor. Stattdessen geht es mehr um »Medien begreifen, Medien nutzen« (Bayern) oder den Einsatz von digitalen Schulbüchern (NRW).
Bildungspolitik ist Ländersache, sodass die
Nach einem Datenschutz-Projekttag klebt mindestens die Hälfte der Schüler die Kamera ihres Notebooks ab. Natürlich sensibilisiert man nicht jeden, da muss man sich nichts vormachen. Aber durch die Präsenz der Geräte im Schulalltag entsteht automatisch ein größeres Bewusstsein für Datenschutzfragen bei den Schülern. Man bekommt ja nicht nur die Vorteile, sondern auch die Probleme frei Haus mitgeliefert.
Was Schulen versäumen, versuchen externe Vermittler aufzufangen, sowohl
- Die Initiative Chaos macht Schule lehrt an konkreten Beispielen, was mit Daten alles passieren kann. Teilnehmer erfahren, wie eine unsichere WLAN-Verbindung den gesamten Datenverkehr mitschneidet und dadurch die ganze Klasse private Chats mitlesen kann. Alles kein Geheimnis. »Das bringt die Schüler erfahrungsgemäß zum Nachdenken«, weiß Steffen Haschler zu berichten, der neben seiner Arbeit als Lehrer Workshops im Rahmen der Initiative leitet.
- Auf
- Die Internet-Plattform
Konkrete Produktempfehlungen sind wenig hilfreich, warnt Steffen Haschler: »Klar kann ich einem Schüler heute sagen, dass
Digital Immigrants die Einwanderung erleichtern
Als Fabians Eltern vom Vorfall erfahren, sind sie entsetzt – weniger über die Kletterei auf dem Schuldach. Vielmehr darüber, dass solche sensiblen Informationen über ihren Sohn frei im Netz verfügbar sind. Doch eine Hilfe sind die beiden nicht. Als
Während schon Einiges dafür getan wird, dass Fabian und seine Mitschüler einen sensiblen Umgang mit Daten lernen, haben seine Eltern und Großeltern weniger Chancen, ihre Wissenslücken aufzufüllen. Das findet auch
Noch ist Florian Preßmar damit aber weitgehend allein. Die Vermittlung von Datensensibilität an Digital Immigrants ist bisher kaum etabliert und systematisiert. Vorgaben oder Richtlinien gibt es keine. Aufgefangen wird das bisher teilweise durch Seminare und Sprechstunden, die von Volkshochschulen, Bibliotheken und Verbraucherinitiativen angeboten werden.
Einige Senioren nehmen die Sache selbst in die Hand: Allein in Rheinland-Pfalz haben sich laut Preßmar über 60 eigenständige Senioren-Internetinitiativen gegründet, die ihr Wissen teilen und sich gegenseitig helfen. Dabei geht es jedoch meist um IT-Kenntnisse. Wie bediene ich einen Browser? Wie chatte ich mit meinem Enkel? Datensensibilität findet eher als Nebenschauplatz statt.
Dafür sind Fabians Eltern aber noch zu jung und haben das Nachsehen.
Ab auf die Agenda: Deutschland datensensibel machen!
Warum sind wir noch nicht alle datensensibel? Die einzig mögliche Antwort: Wir halten es (noch) nicht für wichtig genug. Um die Notwendigkeit eines sensiblen Umgangs mit Daten zu schärfen, helfen nicht nur Kurse oder Lehrangebote. Verantwortung tragen alle, die einen Einfluss darauf haben, was Menschen beschäftigt und worüber sie reden: Journalisten, Aktivisten,
Wenn es in der Bundesregierung aktuell allerdings um Daten geht, dann vor allem um die fehlenden
- Die Kultusministerkonferenz könnte verbindliche Standards zum Umgang mit Daten in der Lehrerausbildung festlegen. Nur, wenn Lehrer auch etwas Fundiertes über Datenschutz wissen, können sie es Schülern vermitteln und vorleben.
- Datenschützer sprechen sich bereits jetzt dafür aus, Informatik als verpflichtendes Schulfach für alle einzuführen und darin entsprechende Themen zu behandeln. Das würde dafür sorgen, dass der »Flickenteppich« kleiner würde und Datensensibilität seine Rolle als Nebenschauplatz verlieren würde.
- Arbeitgeber könnten eine größere Verantwortung übernehmen und ihren Angestellten interne oder externe Weiterbildungen ermöglichen. Dies kommt nicht nur den Mitarbeitern, sondern auch den Arbeitgebern zugute. Datenschutz-Kompetenzen sind im digitalisierten Arbeitsleben mittlerweile unverzichtbar und schützen auch Firmengeheimnisse. Und was Beschäftigte auf der Arbeit lernen, erzählen sie ihren Kindern (oder Eltern) vielleicht zu Hause weiter.
Weitererzählen – das ist auch unser Auftrag. Wir alle sind bei dieser Mammutaufgabe gefragt. Wir können Angebote wahrnehmen, Informationen verbreiten und Diskussionen anstoßen, um die Relevanz von Daten und unserem sensiblen Umgang mit ihnen ins Bewusstsein unserer Gesellschaft zu rufen. Online wie offline. Edward Snowden könnte dabei unser Vorbild sein:
Privatsphäre als unwichtig zu erachten, weil man nichts zu verbergen hat, ist wie Meinungsfreiheit unwichtig zu finden, weil man nichts zu sagen hat.
Bist du dabei? 5 Dinge, die du noch heute tun kannst
- Klebe deine Kamera ab. Von der NSA ist bekannt, dass sie auf Notebook-Kameras zugreifen kann, ohne dass das Gerät eingeschaltet sein muss. Nur durch abkleben kannst du dir sicher sein, dass sie dir wirklich nicht auf die Finger schauen kann – und sonst auch niemand.
- Benutze verschiedene Passwörter. Und ändere sie mal wieder. Als sicherste
- Sichere dein WLAN über eine verschlüsselte
- Setze der Verfolgung ein Ende und installiere ein Anti-Tracking-Tool. Die Browser-Erweiterung
- Setze die richtigen Häkchen bei Facebook und Co. Stelle dein Profil so ein, dass nur deine Freunde sehen können, was du veröffentlichst.
Immer mehr Nutzer bewegen sich bewusster und sicherer im Netz. Bis alle Bürger aktiv ihre Privatsphäre schützen, werden noch einige Terabyte an Daten
Titelbild: Steinar La Engeland - CC0 1.0