»Corona unterscheidet nicht zwischen Nationalitäten – und wir?«
Unsere Autorin ist in Indien gestrandet, dem Land mit der härtesten Ausgangssperre weltweit. Sie schickt uns diesen Brief.
Als sich das Coronavirus in Indien wie in vielen anderen Teilen der Welt ausbreitete, saß ich sorglos in einem Ashram im Süden des Landes. Mit ein paar Freundinnen, darunter 2 Deutsche, wollte ich dort einen mehrwöchigen Yoga-Kurs machen. Wir dachten nicht, dass wir hier länger festsitzen würden. Und ich will mich auch gar nicht darüber beschweren – denn es gibt Menschen, die es sehr viel schwerer getroffen hat als mich in der Yoga-Quarantäne. Doch es gibt auch viele Menschen wie mich, die unsicher sind oder waren, ob sie überhaupt »nach Hause« zurückkehren können.
Es begann damit, dass mein Flug nach Berlin am 22. März von der Fluggesellschaft gestrichen wurde; dann verbot die indische Regierung alle internationalen Flüge bis zum 29. März.
Obwohl ich nicht verzweifelte, beunruhigt mich die Möglichkeit, in einem Land gestrandet zu sein, das in der Lage ist, ohne Vorankündigung einen drastischen Politikwechsel zu vollziehen. Und in dem auch eine zunehmend
Kann ich zurückkehren?
Mit meinen 2 deutschen Freundinnen meldeten wir uns bei der Botschaft in Indien. Und bekamen auch sehr schnell Antwort aus dem deutschen Konsulat in Bangalore.
Wie eine Kobra, leise, aber tödlich
Erst als ich nach dem Gespräch in mein Zimmer ging, schlich sich in der ruhigen, dunklen Nacht ein Gefühl der Unsicherheit ein, wie eine Kobra, leise, aber tödlich. Nachdem ich meinen Namen bestätigt hatte, lautete die erste Frage, die die Dame aus dem Konsulat mir stellte, ob ich deutsche Staatsbürgerin sei oder nicht. Ich schlief mit einem leichten Anflug von Unsicherheit ein.
Nur einen Tag später erhielten wir eine E-Mail vom Konsulat und meine kleine Sorge wurde größer:
- Die Rückholaktion richtet sich in erster Linie an gestrandete Deutsche, die sich vorübergehend in Indien aufhalten (vor allem Touristen), und ihre engsten Familienangehörigen.
- EU- und EWR-Bürger mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland werden im Rahmen der Kapazitäten mitgenommen.
- Andere Staatsangehörige mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis für Deutschland können ebenfalls im Rahmen der Kapazitäten berücksichtigt werden.
Ich werde also in Betracht gezogen, wenn es die Kapazität erlaubt. Natürlich bin ich keine deutsche Staatsbürgerin, denn ich habe mich freiwillig entschieden, meinen chinesischen Pass zu behalten. Das hat Gründe: Ich will weiterhin visafrei meine Familie besuchen können. China erlaubt keine doppelte Staatsbürgerschaft.
Dennoch lebe ich nun seit fast einem Jahrzehnt in Deutschland. Ich zahle seit mehreren Jahren Steuern, die für viele
Und es war ein langes Tauziehen mit der Ausländerbehörde, viele Male Anstehen um 4 Uhr morgens, um einen Termin zu bekommen, aus dem ich oft ergebnislos und frustriert herauskam. Ich war unendlich erleichtert, als ich nach 5 langen Jahren endlich die Niederlassungserlaubnis in den Händen hielt, die mir die gleichen Rechte wie deutschen Staatsbürger:innen einräumt, außer dem Wahlrecht. Für mich war das der Beginn einer neuen Ära.
Die Adoptivtochter
Vor der Pandemie dachte ich, ich könnte Deutschland auch als mein Heimatland bezeichnen. Doch die Krise zeigt mir, dass ich vielleicht immer die Adoptivtochter bleiben werde, die die Eltern nicht wie ihr eigenes Kind lieben können, egal wie sehr sie sich anstrengt.
Nach der Nachricht aus dem Konsulat fühlte ich mich im Stich gelassen und fragte mich gleichzeitig, ob ich überhaupt das Recht habe, mich so zu fühlen. Ich könnte argumentieren, dass die Bürger:innen eines Landes natürlich immer Vorrang haben und die Botschaft nach geltenden Gesetzen handelt, um eine Krise zu bewältigen, die die Menschheit in diesem Ausmaß noch nicht erlebt hat.
Ich weiß, dass es mir letztendlich gut gehen wird, hoffentlich nicht erst nach allzu vielen turbulenten Episoden. Ich frage mich jedoch anstelle von vielen Menschen in dieser Situation, ob wir das Recht haben, von einer Regierung, deren Bürger:innen wir nicht sind, Sicherheit zu verlangen. Was unterscheidet mich von einer deutschen Staatsbürgerin, wenn ich die gleiche Steuer zahle? Wer übernimmt die Verantwortung für uns?
Die Krise fordert mich heraus, darüber nachzudenken, welche Rolle die »Nationalität« in dieser hochgradig globalisierten Welt, in der wir derzeit leben, immer noch spielt. Hat nicht das Eigeninteresse der Länder in die aktuelle Krise geführt? Ist es nicht der Mangel an globaler Koordination, der die Not maximiert und den Kampf gegen das Coronavirus erschwert?
Corona unterscheidet nicht zwischen Nationalitäten – und wir? Ich frage mich heute schon nach dem Danach – oder wie es der israelische Historiker Yuval Noah Harari so treffend in seinem Artikel
Wenn wir zwischen Alternativen wählen, müssen wir uns nicht nur fragen, wie wir gegen die akute Bedrohung kämpfen können, sondern auch, in welcher Welt wir leben, wenn der Sturm vorüber ist. Ja, der Sturm zieht vorbei, die Menschheit kommt davon, die meisten von uns werden überleben – aber wir leben danach in einer anderen Welt.
aus dem Englischen übersetzt von Juliane Metzker
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Titelbild: Qian Sun - copyright