»Herr Lehrer, mir ist langweilig. Wo bleibt das Upgrade unserer Bildung?«
Unser Leben heute sieht ganz anders aus als noch vor 100 Jahren. Warum aber drücken wir noch immer dieselbe Schulbank? Die Zukunft der Bildung fängt heute an.
Willkommen beim Elternabend im
Das aktuelle Ergebnis der Umfrage findest du am Ende des Artikels.
Für die Eltern liegt die Antwort auf der Hand: »Kinder sind unsere Zukunft« und »Bildung ist wichtig«. Bei der 2. Frage aber stocken die meisten und runzeln die Stirn:
Wie kommt es, dass wir in den letzten 100 Jahren enorme Fortschritte bei unserer Kommunikationstechnologie und dem Transportwesen gemacht haben, unsere Bildung aber noch aussieht, wie vor einem
Eine Frage, die stark polarisiert, auch an diesem Abend.
Bei Klassengrößen von über 30 Schülern ist es unmöglich, gezieltes und individuelles Feedback zu geben. Als Lehrerin kümmert man sich meist vor allem um die Problemfälle und die Bürokratie. Es bleibt nicht einmal Zeit, vernünftige Aufgaben und Arbeitsblätter zu entwerfen. Das frustriert die Kinder und auch uns.
Mal ehrlich, die Kinder schleppen sich die Rücken krumm mit ihren Schulbüchern. Darin wird dann standardisierter Stoff vermittelt, den heute jeder googlen kann und der im Berufsleben keine Rolle mehr spielt. […] Die Motivation der Kinder geht logischerweise in den Keller.
Wie also lassen sich die neuen Herausforderungen und Anforderungen der modernen
Schüler von heute, die in Schulen von gestern, von Lehrern von vorgestern, mit Methoden aus dem Mittelalter, auf die Probleme von übermorgen, vorbereitet werden.
Dabei liegt eine Lösung eigentlich auf der Hand! Der Einsatz moderner Technologien und Gamification – auch so ein Schlagwort, aber mit viel Potenzial.
So wird man mit Stempeln und Leveln spielend klüger
In ihrer schulfreien Zeit beschäftigen sich Schüler heute täglich mit PC und Smartphone. Die Möglichkeiten der Digitalen Welt scheinen grenzenlos: Wikipedia, Google und Videospiele
»Warum übertragen wir davon nichts auf die Schule?«, fragt die Medienwissenschaftlerin Linda Breitlauch. Sie lehrt an der Universität Trier Intermedia Design. Mit kreativen Lösungen und Anwendungen der Digitalen Medien kennt sie sich bestens aus. Sie erklärt uns den Begriff Gamification:
Dahinter verbirgt sich nichts anderes als die Verwendung von spielerischen Elementen in einem anderen Kontext als dem Spiel selber. Im Marketing ist das inzwischen ein stehender Begriff und wird auch in modernen Unternehmen eingesetzt.
Spielerisch lernen ist ja nichts Neues. Bunte Stempel oder Sternchen unter besonders gute Hausaufgaben, ein Klassen-Quiz und Wettrechnen an der Tafel sind auch Gamification. Sie sind zusätzliche Herausforderungen und Belohnungen, die den Unterricht auflockern. Mit Schulnoten sei das allerdings nicht zu verwechseln, erklärt Linda Breitlauch:
Noten sind kein Belohnungssystem, sondern gerade für schlechte Schüler ein teilweise willkürliches Bestrafungssystem. Zeugnisse sind auch gar nicht für die Kinder, sondern für die Eltern oder für später, damit man mal einen Beruf ergreifen kann. Das erzeugt häufig Stress, weil so viel an den Noten hängt.
Statt möglicher Strafen stehen bei
In einer Studie der Universität von Melbourne beispielsweise absolvierten Studenten ein
Theoretisch kann jeder Lehrer heute diese Spiel-Elemente sofort in den Unterricht einbauen und von den Vorteilen profitieren. Doch das erfordert zusätzliche Arbeit und Vorbereitungszeit – alles andere als effizient im Lehr-Alltag. Hier kommt die moderne Technik ins Spiel und genau hier wird Schule richtig modern.
Spieltrieb voraus! Warum lernen wir nicht alle mit Minecraft?
Die Verbindung zwischen Gamification-Elementen und moderner Technik, Computer und Internet liefert ungeahnte Möglichkeiten – da ist sich Linda Breitlauch sicher:
Die Kinder erhalten von einer Software direktes Feedback, das automatisch gespeichert wird. Ein guter Vergleich sind die beliebten Jogging-Apps auf dem Handy. Da bekomme ich auch automatisch ein Sternchen, wenn ich Erfolge erreicht habe.
Doch das ist nur die Spitze des spielerischen Eisbergs. Der nächste Schritt sind Lernsoftware und sogenannte
Das bekannteste Beispiel eines Lernspiels ist wohl
Damit Lernspiele funktionieren und motivieren, muss das Konzept der Gamification richtig angewandt werden. Dabei sind mindestens 5 Zutaten wichtig:
- Positive Belohnungen: Erfolge und Belohnungen im Lernspiel, wie etwa Trophäen oder Punkte, sollten hauptsächlich Bedeutung für die Schüler haben. Damit dadurch aber kein zusätzlicher Stress oder Frust entsteht, dürfen keine Sonderrechte, Leistungsbewertung oder Versetzungen daran geknüpft sein.
- Wiederholbarkeit: Die Möglichkeit, Aufgaben zu wiederholen, um ein besseres Ergebnis zu erzielen, motiviert vor allem leistungsschwächere Schüler und reduziert die
- Direktes Feedback: Lernspiele sollten klare Aufgaben stellen und unmittelbar Feedback geben. So können Schüler direkt sehen, wenn sie etwas richtig oder falsch gemacht haben. Fortschritts-Leisten und die Einteilung in Level unterstützen die Schüler dabei, sich jederzeit selbst einzuschätzen – nicht erst später bei einer Prüfung.
- Interaktionsfördernd: Lernspiele können kooperativ, als Wettbewerb oder in Kombination aus beidem funktionieren. Transparente Ranglisten fördern die spielerische Konkurrenz. Teams mit denselben Aufgaben regen sich gegenseitig zum Wissensaustausch an.
- Individuelles Tempo: Gute Lernspiele fördern Schüler mit unterschiedlichen Lernstärken und helfen lernschwachen Schülern. Wer nicht weiterkommt oder zu lange braucht, kriegt zum Beispiel automatisch einen Tipp. Dadurch reduziert sich auch der soziale Leistungsdruck.
Die vielleicht größte Stärke der Lernspiele: Sie können Filmausschnitte, Ton und Bilder nutzen, um Lerninhalte greifbarer zu machen. Umfangreiche Programme wie Professor S haben dabei noch einen weiteren Motivations-Pluspunkt: Sie können eine Klasse über einen längeren Zeitraum begleiten, etwa ein ganzes Schuljahr. Dadurch identifizieren sich Schüler mit den Figuren und den erlebten Geschichten. Es entsteht ein Gefühl, gemeinsam auf ein höheres Ziel hinzuarbeiten
Warum nicht noch einen Schritt weitergehen und direkt die Lieblings-Games der Schüler in den Unterricht einbinden? Auch das hat Linda Breitlauch bereits mit Lehrern ausprobiert:
Manche Lehrer benutzen etwa Minecraft, um zum Beispiel den Eiffelturm nachzubauen oder Mathematik-Rätsel zu lösen. Dabei geht es aber weniger darum, dass Minecraft ein beliebtes Spiel ist, als darum, dass die Schüler das Ergebnis vor Augen haben. Auch eine Note ist dann überflüssig, man kann den Lernerfolg ja sehen.
Auch hier gilt: Der Lehrer muss kontrollieren, dass die Schüler tatsächlich anhand der Software spielerisch lernen und nicht nur »daddeln«. Gerade bei Unterhaltungs-Spielen ist der Spieltrieb oft höher als der Lernerfolg.
Gerade der Umgang mit Herausforderungen und Fehlern ist ein Vorteil von gamifizierten Lernherausforderungen. Das ist teilweise so erfolgreich, dass die Kinder die Probleme auch dann noch weiter diskutieren wollen, wenn die Schulglocke klingelt. So muss es ja auch eigentlich sein.
Doch spielerisches Lernen in der Schule ist nur der Anfang.
»Blended Learning«: So sieht die Zukunft der Schule aus
Lernsoftware und die Möglichkeiten des Internets können nicht nur motivieren und Inhalte besser vermitteln, sondern auch zu ganz neuen Bildungs-Formen führen. Beim »Blended Learning« etwa werden traditionelle Formen des Unterrichts mit Lernspielen, Gamification und selbstständigem Lernen vermischt – das Beste aus allen Welten sozusagen.
Damit kennt sich auch Tobias Thelen aus. Der Doktor am Institut für Informatik der Universtität Osnabrück entwickelt Digitale Lehr- und Lernmedien. Er findet:
Wir nutzen Digitale Medien überall in unserem Alltag. Wenn Schule attraktiv sein will, und das will sie, dann muss sie das auch tun. Doch es ist nicht damit getan, Lernsoftware zu nutzen oder sich ein Smartboard an die Wand zu hängen. Das macht noch keinen modernen Unterricht.
Wie Unterricht der Zukunft aussehen könnte, zeigt er in seinen eigenen Kursen. In der Vorlesung setzt er Gamification per Klicker-System ein: Die Studenten stimmen bei Fragen ab und sehen sofort eine Statistik der Antworten. Zusätzlich nimmt er Erklärvideos auf und stellt sie zusammen mit Texten und Quiz-Fragen auf einer digitalen Plattform zur Verfügung. Seine Studenten bearbeiten diese in ihrem Tempo. So gewinnt er Zeit für mehr individuelle Betreuung.
Dadurch, dass ich durch Software nicht immer das gleiche Arbeitsblatt verteilen muss und auch Rückmeldung in differenzierter Form bekomme, habe ich die Möglichkeit, Unterricht besser zu individualisieren – und zwar ohne größeren Aufwand.
Tobias Thelen weist allerdings selbst darauf hin, dass dies vor allem für Lernende geeignet ist, die bereits selbstständig arbeiten können. Sehr junge oder lernschwache Schüler könnten damit überfordert sein. Doch auch in der Schule lohnt es sich, so Thelen, selbstständige und flexible Arbeitsformen anzubieten. Gamification und Lernspiele könnten dabei ein Einstieg zum Blended Learning sein.
Also lernen wir im Jahr 2025 alle von daheim und online? Nicht ganz. Für uns wirft Thelen trotzdem einen
Ich würde mir wünschen, dass Digitalisierung dann in Schulen angekommen und zum integralen Bestandteil von Unterricht geworden ist. In allen Fächern, nicht nur in Informatik, werden Programme und Medien dann kreativ genutzt. Ich gehe davon aus, dass dabei im Jahr 2025 die Geräte benutzt werden, die die Schüler eigenständig besitzen. Lehrer gestalten dann selber digitale Lerninhalte und stellen sie anderen zur Verfügung. Schulstunden und Klassenzimmer wird es dann immer noch geben; auch sie haben einen Platz.
Kritischer Ausnahmefehler: Deshalb verzögert sich das Upgrade unserer Bildung
Die Möglichkeiten für eine digitale Revolution der Bildung sind also da. Diese wäre in Deutschland auch dringend nötig. Denn ausgerechnet bei Computer-Kompetenz liegen Deutsche Schüler nur im internationalen Mittelfeld. Bei der Häufigkeit der Computernutzung im Unterricht ist
Warum aber tut sich an deutschen Schulen dann so wenig? Das hat mit schlechten Voraussetzungen und auch mit Vorurteilen zu tun. So auch beim Elternabend der Klasse 9c, unserer Eingangsgeschichte. Dort ging es darum, ob die Klasse eine Lernsoftware einsetzen soll. Die Schüler hatten es vorgeschlagen und die Lehrerin setzte sich für die Idee ein. Die Eltern waren aber vor allem skeptisch und besorgt. Am Ende blieben sie lieber nur bei Mathebüchern, Tafel und Taschenrechnern. »Lieber keine Experimente. Zuhause gibt es bereits genug Bildschirme.« Auch Tobias Thelen kennt solche Geschichten; er ist überregional als Elternvertreter tätig:
Ich höre oft, man müsse doch erst mal mehr Lehrer einstellen, bevor man was mit Technik macht – das ist natürlich nur eine Scheindiskussion. Da werden einfach Dinge gegeneinander ausgespielt. Auch dass mehr digitale Ausstattung dazu führt, dass wir weniger Lehrkräfte brauchen, ist längst widerlegt.
Auch Linda Breitlauch trifft in ihren Gesprächen über Gamification immer wieder auf Skepsis:
Da höre ich dann: Das Leben wäre auch kein Spiel. Was soll das denn heißen? Man muss den Kindern schon in der Schule viel Frust beibringen, damit sie später im Arbeitsleben nicht enttäuscht sind? Ich finde das zynisch. Die Schule ist doch genau dafür da, dass man in einem geschützten Umfeld lernt, sich selbst zu entwickeln.
Immer mehr Eltern stehen der Entwicklung aber auch aufgeschlossen gegenüber. Für sie sind Digitales und Computer nichts Neues mehr und sie setzen sich gemeinsam mit Lehrern dafür ein, dass ihre Kinder von den Möglichkeiten profitieren, die sie selbst im Beruf längst nutzen. Damit sich neue Formen des Lernens in Deutschland durchsetzen können, müssen wir vor allem die Voraussetzungen verbessern:
- Belastbare Forschungsergebnisse: Die Forschungslage beim Thema Gamification und Blended Learning ist kaum ausreichend. Viele Studien bescheinigen diesen modernen Formen von Unterricht positive Auswirkungen – wissenschaftlich belastbar sind nur
- Lehrer-Fortbildung:
- Technische Voraussetzungen: Ohne eine flächendeckende
- Digitales Angebot: Es ist nicht damit getan, Klassenzimmer mit Computern oder iPads auszustatten – es braucht zusätzlich spezielle Software. Lernsoftware wie Professor S sind allerdings noch Ausnahmen, Handreichungen für Lehrer gibt es wenige. Das liegt auch daran, dass die Schulbuchverlage lange gezögert haben, in die neuen Medien zu investieren.
Ich werde es einfach nächstes Jahr noch einmal versuchen. Wir müssen doch etwas tun. Wenn Schule aber analog und stur bleibt, kann sie bald in einem digitalen Zeitalter nichts mehr beibringen. Für eine Bildung 2.0 wird es höchste Zeit!
Titelbild: r. nial bradshaw - CC BY 3.0