Was uns die Systemrelevanten wirklich wert sind, müssen wir nach der Krise beweisen
Applaus und Prämien für Kassiererinnen und Pflegekräfte sind wichtige Gesten. Doch eine Gesellschaft, die ihre Wertschätzung für diese Arbeit zeigen möchte, sollte sie besser bezahlen. Diese Aufgabe betrifft uns alle.
Für manche Menschen ist der Supermarktbesuch im Moment vielleicht die einzige Gelegenheit, anderen Leuten zu begegnen. Für mich ist das Einkaufen aktuell mit großem Unbehagen verbunden. Fremde beschimpfen einander, weil sie nicht genügend Distanz wahren. Sie nehmen sich das Toilettenpapier weg. Meine kleine Tochter wird böse angeschaut, weil sie einmal hustet und der Abstand möglicherweise nur 1,37 Meter beträgt und nicht 1,50 Meter. Natürlich, mein Fehler. Ich mag mir kaum vorstellen, wie belastend diese Situation gerade für die Mitarbeiter:innen sein muss, die den ganzen Tag im Supermarkt verbringen müssen. Umso erstaunter bin ich über die Freundlichkeit, mit der sie ihrer Kundschaft weiterhin begegnen.
Das rührt nicht nur mich, sondern auch viele andere Menschen, die irgendwie das Bedürfnis haben, den Menschen etwas zurückzugeben, die jetzt in Krisenzeiten den Laden am Laufen halten. Deshalb legen sie Schokoladentafeln aufs Band und schenken sie der Kassiererin. Deshalb kommen Menschen auf ihre Balkons und klatschen. Für die einen ist das eine Geste der Anerkennung, der Dankbarkeit, sicher auch der Aufmunterung und Motivation, damit alle weiter durchhalten. Für die anderen ist der Applaus nur eine Selbstberuhigung derjenigen, die besser dran sind.
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily