Niemand weiß, was jetzt passiert? Dann Schluss mit der Panikmache!
»DAS ENDE DER WELT (wie wir sie kennen)« titelt der aktuelle »Spiegel«. Auf dem Cover rast ein überdimensionaler Trump-Kopf mit geöffnetem Mund und brennendem Kopf auf den Erdball zu. Was soll das? Ein Kommentar zur Verantwortung der Medien.
»Es wird einsam um Europa«.
Warum? In Kurzform: Russische Propaganda und Expansionspolitik, eine Türkei, die zur Diktatur werde, die Gefahr durch Populismus – »und jetzt auch noch Trump«, der Unberechenbare. Alles sei aus den Fugen, selbst eine Bundeskanzlerin Frauke Petry nicht ausgeschlossen in dieser Zeit, in der nichts mehr vorhersehbar sei.
Außer offenbar für den
Kurz spielt der Korrespondent noch mit der Hoffnung seiner Leser: Könnte Trump am Ende nach Stalin (!) der zweite Einiger Europas werden? Laut Elmar Brok (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments, bestehe folgende Chance: »Angst kann zu Einigung führen, und in diesem Fall ist es die Angst davor, dass Amerika nicht mehr da ist.« Doch Markus Becker ist pessimistisch angesichts der Verfassung, in der sich Europa befinde. Die lähmende Ratlosigkeit der EU verkörpert ein Zitat von Rebecca Harms, Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament: »Im Moment bin ich nur noch verunsichert.« Damit endet der Text.
Nicht nur auf »Spiegel Online« hat Pessimismus Konjunktur. Zahlreiche Medien bedienen derzeit Ängste und Unsicherheiten.
Der Artikel von Markus Becker war aus Sicht von »Spiegel Online« ein Erfolg: Wenige Stunden nach der Veröffentlichung lag er auf Platz 4 der meistgelesenen Artikel.
Wie schade, dass man sich nach der Lektüre am liebsten erhängen möchte.
Davor hätte ich allerdings noch ein paar Fragen:
Wieso so sicher, wenn doch nichts mehr sicher ist?
»Normal scheint derzeit kaum noch etwas zu sein«, schreibt Markus Becker – und ich stimme ihm zu. Seine rhetorische Frage nach einer Bundeskanzlerin Petry beantwortet er folgerichtig so: »Unvorstellbar, sicher. Aber für unvorstellbar hielten viele bis vor Kurzem auch einen US-Präsidenten Donald Trump.« Also sei eine Bundesregierung unter Frauke Petry möglich – legt der Autor implizit nahe. Auch hier kann ich nicht widersprechen. Nach den Gesetzen der Logik ein mögliches Szenario. Allerdings möchte ich ergänzen:
Der Pessimismus, der zu solchen Gedankenspielen führt, entspricht mit Sicherheit erst einmal den Eindrücken des Autors. Als Brüssel-Korrespondent hat er die Ratlosigkeit in der EU am Tag 1 nach dem US-Wahlergebnis wahrscheinlich zutreffend dargestellt. Doch bezogen auf die Blitzanalyse, dass es nun einsam werde um Europa, möchte ich gern noch einmal nachhaken: Worauf genau basieren eigentlich diese Schlussfolgerungen?
Die 3 wichtigsten Elemente der Argumentation in aller Kürze:
- Argumentation: Weil gerade alles schlimm ist, kann es nur noch schlimmer werden.
Beispiel: Die EU hat deswegen zu wenig Kraft für eine Reform, weil es ihr schlecht geht und sie von Populisten bedroht wird.
Meine Gedanken: - Argumentation: Experten unterstützen das, was der Autor als Korrespondent denkt. Oder: Der Autor basiert seine eigene Einschätzung auf Expertenmeinungen. Also ist es höchst wahrscheinlich, dass er richtigliegt.
Beispiel: John Kornblum ruft das »Ende der Nachkriegswelt« aus.
Meine Fragen: Stehen die gewählten Zitate für die vorherrschende Einschätzung der Fachwelt? Und vor allem: Wenn Trump so unberechenbar ist, wieso können die sich dann so kurz nach der Wahl so sicher sein? Warum ist das »Ende der Nachkriegswelt« eigentlich schlimm? Stehen wir nicht immer vor Veränderungen? Und wäre der Begriff »Nachkriegszeit« nicht treffender, sofern man diese epochale Rhetorik einen Tag nach der Wahl zu verwenden für geeignet hält? Schließlich geht ja nicht die Welt unter, sondern höchstens ein Zeitalter vorbei. Been there, done that. - Argumentation: Weil nichts mehr vorhersehbar ist, ist selbst eine Bundeskanzlerin Petry denkbar.
Meine Fragen: Ähm, Moment! Nichts ist mehr vorhersehbar? Also auch nicht für John Kornblum, für Rebecca Harms, für Markus Becker? Reduziert das den Gehalt des gesamten Artikels nicht auf die Erkenntnis, dass wir gerade vor großen Herausforderungen stehen? Schönen Dank für die Info. Die Angstmache gab’s gratis obendrauf?
»[I]rgendwann werden wir alle Tierarten ausgerottet haben. Das Meer verdreckt, die Luft dito, und dann dürfen wir endlich aussterben.« – Schlusszitat von Sibylle Berg auf »Spiegel Online« (Samstag, 12.11.2016)
Noch einmal: Ich bin ebenfalls davon überzeugt, dass die Zukunft (stets, derzeit besonders) ungewiss ist. Doch dann sind es auch die momentanen Prognosen, die Becker und andere Kollegen einen Tag nach der Wahl ins Netz stellen.
So drängt sich die Frage auf: Wo kommt das Weltbild eigentlich her? Journalisten sind da nicht ganz unbeteiligt und tragen eine gewisse Verantwortung.
Teil der Lösung oder Teil des Problems sein
So trägt die schreibende Profession genau zu der Angst bei, die sie selbst zutreffend als wesentliche Ursache der aktuellen Situation herausarbeitet. Ich frage mich: Was soll das? Welchem Zweck dienen solche Artikel?
Stellen wir uns […] einmal vor, wir in den Medien würden bei uns selbst anfangen: […] Wir würden uns selbst genauso kritisch sehen wie die Vertreter der politischen Macht, wir würden unsere eigenen schlechten Angewohnheiten genauso überprüfen wie die von anderen.
Wie wäre es mit folgendem Appell: »Überlegen wir uns doch einmal, was wir selbst zur Lösung des Problems beitragen können!« Als Politiker, als Bürger, als Mensch und eben auch als Journalist. Im Gegensatz zu vielen anderen hält unsere Zunft immerhin ein Megaphon in die weite Welt in den Händen. Nutzen wir es mit Bedacht.
Dass es auch anders geht, zeigen viele
- In der
- Ferdinand Knauß von der
- Auch »Spiegel Online« titelte am Freitag konstruktiv:
In jeder Herausforderung liegen bekanntlich Chancen, die genutzt werden wollen. Dabei hilft es nicht, Unsicherheiten und Ängste medial zu schüren – lasst uns stattdessen für die bereitstehenden Chancen werben, Hoffnung nicht zerstören, sondern stimulieren.
Ja, wir stehen vor großen Herausforderungen und ich kann mich jeden Tag 24 Stunden lang darüber informieren lassen. Mal weniger fundiert und mal mit ein paar Schritten Abstand und einordnend. Persönlich höre ich mir das Gejammer, dass alles immer schlimmer würde, schon mein halbes Leben an,
Also Schluss mit der Panikmache. Entdecken wir konstruktive Tugenden wie Zuversicht, Respekt oder Kreativität neu. Überdenken wir unsere Kommunikation, üben wir uns in mehr Selbstreflexion.
Ich habe es satt, dass mir meine Zukunft kaputtgeschrieben wird! Bisher lagen Journalisten damit immer falsch. Wahrscheinlich ist es dieses Mal ebenso. Aber das ist nur meine Prognose.
Letztlich ist die Zukunft nicht mehr als Zufall plus das, was wir daraus machen. Jeder Beitrag zählt. Schließen möchte ich wie Markus Becker auf »Spiegel Online« ebenfalls mit einem Zitat eines Grünen-Politikers. Frithjof Schmidt, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, beendete seinen optimistischen Beitrag am vergangenen Freitag auf dem Bundesparteitag in Münster mit den Worten: »Wir können das schaffen.«
Titelbild: Kreg Steppe - CC BY-SA 3.0