Kann ein Onlinekurs glücklicher machen? Ich habe es ausprobiert
Die Yale-Universität bietet die »Wissenschaft des Wohlbefindens« jetzt für alle an. Ich verrate dir, was ich in dem Kurs gelernt habe – und gebe dir gemeinsam mit Deutschlands Glücksministerin Tipps für das Leben während der Pandemie.
Es ist Sonntagnachmittag, ich stehe mitten im Wald und denke an das Virus. Irgendwie schaffe ich es nicht loszulassen, dabei gehe ich gerade mit meiner Frau und meinem Sohn bei strahlendem Sonnenschein spazieren. Es ist ein perfekter Frühlingstag, die Sonne scheint warm auf mein Gesicht – nur meine Gedanken drehen sich im Kreis:
War der hustende Mann im Supermarkt hinter mir infiziert? Wie lange hält Deutschland die räumliche Distanz noch durch? Ob meine Lieblingscafés am Ende des Jahres noch da sind? Verflixt, ich würde so gern mal wieder ins Kino!
Immerhin dürfte ich mit diesen Sorgen und Sehnsüchten derzeit nicht allein dastehen. Doch so kann es nicht weitergehen: Krise hin oder her – mein Glück darf davon nicht abhängen, beschließe ich.
Aber wie schafft man es, in einer Ausnahmesituation glücklich zu sein – geht das überhaupt?
Über eine mögliche Lösung war ich während einer Recherche gestolpert. Sie heißt
Das war vor 3 Wochen. Heute, nachdem ich etwa die Hälfte des Kurses durchgearbeitet habe, fühle ich mich tatsächlich besser und bin sicher: Dieser Kurs kann dabei helfen, auch mit Ausnahmesituationen zurechtzukommen.
Ich habe den Kurs gemacht, damit du es nicht musst – die Kurznotizen
Erdacht und ausgearbeitet wurde The Science of Well-Being von Laurie Santos, Professorin für Psychologie und Kognitionswissenschaft. Sie lächelt mir in einem Willkommensvideo entgegen, kurz nachdem ich die entsprechende Seite des Portals
Der Kurs, so erklärt sie mir, soll sowohl über die wissenschaftlichen Hintergründe als auch die Praktiken von Glück und Wohlbefinden informieren. An der Yale University war er damit ein absoluter Hit und wurde zum erfolgreichsten Kurs der 300-jährigen Universitätsgeschichte. Und auch außerhalb von Yale begeisterten sich Menschen für Glücksratschläge, was der aus dem Kurs entstandene Podcast The Happiness Lab
Der Kurs wirkt familiär. In den insgesamt 46 Videos zwischen 1 und 20 Minuten sitzt Laurie bei sich daheim in einem bunten Ohrensessel, umringt von einer Handvoll Studierenden, während unter dem Video ein Transkript zum Mitlesen läuft. Dazwischen verweist mich der Onlinekurs auf wissenschaftliche Papers, fordert mich auf, Fragebögen auszufüllen (etwa »Miss deine Basic Happiness«), gibt mir Buchempfehlungen und Handouts zum Weiterlernen oder fragt das Gelernte als Quiz ab. In einem angeschlossenen Forum kann ich mit Tausenden anderen meine Fragen und Anmerkungen
Das alles ist solide durchdacht und aufgebaut. Dabei bedient sich der Kurs bei vielen Konzepten der sogenannten Positiven Psychologie, die sich nicht mit psychischen Krankheiten, sondern mit positiven Aspekten des Menschseins beschäftigt – einer Strömung innerhalb der Psychologie,
Aber funktioniert es auch? Die positiven Rückmeldungen von Santos Studierenden im Forum scheinen das zu bestätigen. Auch ich spüre einen Effekt.
Mein Tagebuch: 3 Wochen Glückskurs
Theoretisch ist der Kurs auf 10 volle Wochen ausgelegt, wobei jede Lektion eine Woche Zeit einnehmen sollte. Doch wer mehr Zeit zur Verfügung hat, kann die Lektionen theoretisch auch schneller durcharbeiten. Hier die wichtigsten Grundkonzepte, die in den ersten Wochen vermittelt werden (und welche davon mir am meisten weitergeholfen haben):
Lektion 1: Selbstanalyse ist wichtig: Alle Menschen haben ein Grundlevel von persönlichem Wohlbefinden. Sich selbst zu kennen ist dabei wertvoll: Nur so lassen sich systematisch Quellen des Unglücks finden
Bist du neugierig, was ich daraus gelernt habe? Klicke hier.
Der Test bescheinigt mir zum Beispiel, dass meine größte Charakterstärke »Kreativität« heißt. Das wusste ich natürlich. Doch während der Lektion fällt mir auf, wie wenig ich meine Kreativität bisher künstlerisch nutze. Es ist ewig her, dass ich einen Pinsel oder Bleistift in den Händen gehalten habe – stattdessen verbringe ich meine Zeit vergleichsweise häufig mit passivem und unkreativem Medienkonsum: Youtube, Netflix, Twitch. Lektion gelernt: Daran sollte ich etwas ändern.
Bist du neugierig, was ich daraus gelernt habe? Klicke hier.
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Lektion 2: Ich bin mir selbst im Weg: Glück hängt stark von unseren Zielen ab. Zu häufig streben wir etwas entgegen, das tatsächlich nur wenig glücklich macht (Erfolg im Job, wahre Liebe, exquisiter Konsum). Hier stimmen gesellschaftlich geprägte, große Erwartungshaltungen mit der Realität nicht überein.
Lektion 3: Um etwas zu ändern, muss trainiert werden: Etwas zu wissen, heißt noch lange nicht, auch etwas zu ändern
Schlaf ist eine Schwachstelle in meinen Gewohnheiten. Das weiß ich, schließlich habe ich selbst einen Artikel über Schlafgewohnheiten geschrieben. Der Kurs führt mir aber vor Augen, wie regelmäßig ich mein Schlafbedürfnis noch strapaziere – weil ich auch spät abends am Computer immer »noch etwas zu tun« finde. E-Mails, To-do-Listen, nur schnell den Podcast zu Ende hören – all das ist reizvoll, wenn alles schläft und niemand stören kann. Doch ich muss mir im Kurs eingestehen: Glücklich machen mich diese meinem Schlaf gestohlenen Stunden kaum.
Lektion 4: Das Bauchgefühl ist ein mieser Ratgeber: Menschliche Intuition ist kein guter Indikator für Glück. Sie führt uns oft in die Irre und zu kurzsichtigem Verhalten, das uns nachhaltig unglücklicher machen kann. Auch auf unseren Verstand ist nicht immer Verlass –
Lektion 5: Perspektive ist entscheidend: Konkrete Situationen beeinflussen unser Glück weitaus weniger, als wir denken.
Autsch, Volltreffer. Bist du neugierig, warum ich mich dabei ertappt fühlte? Klicke hier.
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Als der Kurs diese Lektion vermittelt, bin ich vor meinem inneren Auge wieder im Wald und denke an Corona. Offenbar ist mein Umgang mit der Pandemie alles andere als optimal und ich lasse die Sorgen und Worst-Case-Szenarien zu nahe an mich heran. Laurie Santos bringt mir bei, dass dies eine Form des »Mind Wandering« (Gedankenwandern) ist und dass die meisten Menschen nicht mal die Hälfte der Zeit im Hier und Jetzt verbringen. Offenbar fällt in solchen Situationen, die ich eigentlich ganz in der Gegenwart genießen und erleben sollte, mein Gehirn in eine Art »Leerlauf« mit antrainierten Standardmustern zurück, zu denen scheinbar auch Zukunftsängste gehören. Ganz klar: Hier muss mein Hirn neu verkabelt werden – »Rewiring« nennt Santos im Kurs dieses kontrollierte Umtrainieren und widmet einen Großteil der zweiten Hälfte von »The Science of Well-Being« darauf, die nötigen Strategien zu vermitteln: von Meditation über das Übernehmen sozialer Verantwortung bis zur sorgfältigen Auswahl dessen, womit man sich häufig umgibt.
Ich habe The Science of Well-Being noch nicht ganz abgeschlossen, während ich diese Zeilen schreibe. Doch bereits nach den ersten Wochen und etwa der Hälfte der Lektionen spüre ich positive Effekte und kann besser einschätzen, was mir hilft und was nicht. Dass der Kurs wirkt, kann Santos sogar belegen: Am Anfang und Ende des Kurses absolvieren Teilnehmende einen Selbsttest, bei dem sie ihr Glück bewerten. In den Foren berichten sie von ihren Verbesserungen.
Glück, das scheint die ermutigende Kernaussage von Psychologin Laurie Santos und The Science of Well-Being zu sein, ist nichts, was von unserem Umfeld diktiert wird, sondern in unseren Händen liegt. Es ist vor allem die Fähigkeit, seine eigenen Gedanken zu trainieren und über positive Gewohnheiten das eigene Leben in eine bessere Richtung zu steuern.
Das ist ermutigend, aber ein langfristiges Projekt, wie auch Santos weiß. Ein 10-wöchiger Onlinekurs kann kaum Soforthilfe während Ausnahmesituationen leisten. Deshalb sucht Laurie Santos aktuell auch nach Antworten, die kurzfristiger helfen: Seit dem 16. März widmet sie alle Folgen ihres Podcasts The Happiness Lab dem Leben während der Covid-19-Pandemie, vor allem auf die Situation in den USA gemünzt.
Um zu prüfen, welche Ratschläge auch in Deutschland nützlich sein könnten, hole ich zusätzlich Rat bei jemandem, der viel Erfahrung mit Glück hierzulande hat: Deutschlands eigener »Glücksministerin«.
Glücklich trotz Corona? Das sagt die Glücksministerin
Gina Schöler arbeitet seit 8 Jahren an einem einzigartigen Projekt: dem Ministerium für Glück und Wohlbefinden. Dahinter verbirgt sich kein echtes Bundesministerium, sondern ein interaktives Kunstprojekt, das ein Bewusstsein für Wohlbefinden im deutschen Alltag bewirbt. Schöler veranstaltet Straßenaktionen, organisiert Workshops, hält Vorträge und spricht vor allem mit den Menschen hierzulande über das Glück.
Aktuell beschäftigt sich die Glücksministerin intensiv mit Maßnahmen, die das Leben während Covid-19 erträglicher und sogar glücklicher machen können. Dabei betont sie im Gespräch den Ausnahmecharakter:
Es ist absolut menschlich, dass gerade jetzt der Weltschmerz durchkommt. Da kann man in der Theorie viel über »Positive Psychologie« wissen und man erwischt sich trotzdem wieder dabei, wie negative Gedanken kommen. Das geht auch mir so. Es wäre auch seltsam, wenn es nicht so wäre.
Schließlich ringen gerade so viele Menschen mit sich, weil typische Strategien, mit Situationen fertigzuwerden, plötzlich scheitern. Dazu drückt das Gefühl, in einer Krise zu stecken, zusätzlich auf die Seele. Um dem entgegenzuwirken, sind neue Lösungen nötig. Allerdings gibt es Schölers Erfahrung nach keine Patentrezepte: »Wir alle haben zwar ähnliche Bedürfnisse, aber teilweise sehr unterschiedliche Strategien, diese zu bedienen.«
Wie unterschiedlich die individuellen Lösungen sein können, das hat Gina Schöler in den vergangenen Wochen zusammen mit Expert:innen wie dem Mediziner Tobias Esch,
Hier sind 5 zentrale Tipps, die vielen Menschen dabei helfen können, besser mit der Ausnahmesituation
- Fahre deinen Medienkonsum runter, um die Panik zu reduzieren: »Wir arbeiten uns am medialen Bereich zu sehr ab«, sagt Gina Schöler. Nur weil wir während einer Krise informiert bleiben müssen, sollten wir nicht rund um die Uhr Nachrichten konsumieren.
- Denke nicht an Selbstoptimierung und akzeptiere die Situation: Während der Krise wollen viele Menschen die Zeit daheim optimal nutzen: eine Sprache lernen, den Garten perfektionieren, den Körper trainieren. Doch das seien Ablenkungen, analysiert Gina Schöler und meint, man tausche so die To-do-Listen des Berufs mit neuen aus und schaffe Freizeitstress. »Wir müssen stattdessen lernen, die Situation bewusst anzunehmen. Und dabei dürfen wir auch mal nichts tun, Schwäche zeigen und es darf es uns auch mal schlecht gehen«, rät sie.
- Hilf anderen, um dich souverän zu fühlen:
- Sei empathisch, um positive Erlebnisse mit Mitmenschen zu schaffen: Gerade in einer Krise liegen bei vielen Menschen die Nerven blank. »Jeder, der uns begegnet, hat gerade eigene Herausforderungen und eventuell wirtschaftliche Sorgen«, sagt die Glücksministerin und ermutigt zu mehr Empathie, Geduld und Nachsicht. Auch das Angebot zum Zuhören kann für andere die Welt bedeuten.
- Finde neue Lösungen gegen die Einsamkeit:
Beim nächsten Waldspaziergang bleiben die Sorgen jedenfalls daheim und ich konzentriere mich ganz bewusst auf die Natur.
Gina Schöler und Laurie Santos sind beide davon überzeugt, dass der Ausnahmezustand auch eine große Chance bietet. Sind die negativen Gedanken erst einmal gebändigt, so stoßen Menschen während der Pandemie vielleicht darauf, dass das Leben auch anders geht. Mit dieser Erkenntnis lassen sich neue, positive Gewohnheiten etablieren. Und vielleicht überdauern einige dieser angestoßenen Veränderungen die Krise und machen uns alle am Ende etwas glücklicher.
Titelbild: Anton Luzhkovsky - copyright