Pest und Corona: Es gibt Geschichten, die heute nicht anders sind als im Jahr 1348
Ein sehr altes Buch aus Italien, das entstand, als dort der Schwarze Tod wütete, ist gerade wieder brandaktuell. Doch statt Grauenhaftem finden sich darin erbauliche, tragische und erotische Geschichten.
Als ich meine 4 1/2 Kilo schwere
Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass ich eines Tages penibel darauf achten würde, um jeden Menschen, der mir auf der Straße begegnet, einen 2 Meter weiten Bogen zu machen. Dass ich jemals versuchen würde, nur die nötigsten Türklinken und sonst nichts zu berühren, was andere berührt haben könnten. Dass ich alles desinfizieren würde, was ich von draußen mit nach Hause nehme: Verpackungen, Lebensmittel, alles. Oder dass ich mir die Hände so lange waschen würde, bis die Haut so aussieht, als würde sie gleich abfallen. Noch vor einem halben Jahr hätte ich solche Verhaltensweisen für klare Anzeichen einer schweren Neurose gehalten, und ich wäre mir sicher gewesen, dass eine derartige meiner geselligen Natur immer erspart bleiben würde.
Der italienische Schriftsteller Giovanni Boccaccio schrieb sein
Der Schwarze Tod war aus Zentralasien entlang der Seidenstraße bis Kaffa am Schwarzen Meer gereist und an Bord genuesischer Schiffe nach Italien gelangt. Messina auf Sizilien, Venedig, Genua, Lucca und Pisa waren seine ersten europäischen Etappen. Kurz darauf breitete er sich in Neapel und Florenz aus; dann zog er weiter nach Mittel- und Nordeuropa. Boccaccio erlebte die Pandemie in Florenz, wo die Pest im Frühjahr 1348 ausbrach. Bis 1352 tötete sie in der Stadt und im Umland 100.000 Menschen.
Das ist zumindest die Zahl, die Boccaccio im Prolog (nach seiner Einteilung der erste Tag) des Decamerons angibt. Da zeichnet er das Bild eines von der Pest verwüsteten Florenz: Mitten im Inferno einer Stadtlandschaft, in der sich Leichen in den Straßen anhäufen, von Geschwülsten entstellte Landstreicher durch die Gassen schleichen und Verwesungsdunst über allem wabert, treffen 7 junge Frauen und 3 junge Männer, allesamt Angehörige der Florentiner Oberschicht, in der Kirche zur Heiligen Maria Novella zusammen. Sie besprechen die Lage und entscheiden, der Plage aufs Land zu entfliehen, verlassen Florenz und richten sich in einer hübschen Villa mit einem bezaubernden Garten ein.
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily