Diesen Ort hätte es niemals geben dürfen
Für die Geflüchteten auf Lesbos gibt es kein Vor und kein Zurück. Unsere Autorin lebt auf der Insel und hat eindrücklich aufgeschrieben, wie ein Leben ohne Grundrechte aussieht.
Es ist doch alles geschrieben, schon so oft. Da sitzen 20.000 Menschen, so viele, wie der Ort Traunstein in Bayern Einwohner zählt, auf einer Insel mitten in Europa fest und können weder vor noch zurück. Lesbos ist mit dem Camp von Moria so zum Sinnbild einer Krise geworden, die auch auf anderen Ägäischen Inseln Ableger findet. Frauen bringen hier ihre Kinder auf nassen Zeltböden zur Welt, Menschen schlafen ungeschützt unter freiem Himmel, humanitäre Helferinnen arbeiten bis zum Burn-out.
Jedes Mal, wenn ich die Straße zum Camp hinauffahre, habe ich das Gefühl, die Farbe entweiche der Landschaft, als würde einem Bild die Sättigung entzogen. Die Olivenhaine dünnen immer weiter aus. Manche Bäume sind bis zum Stumpf nach unten abgeschlagen. Überall bilden sich Rinnsale. Ob Matsch oder kleine Abwasserflüsschen, der Inhalt eines umgefallenen Dixi-Klos.
Keiner scheint hier zu laufen, ohne etwas zu tragen. Feuerholz. Eine Axt. Wasserflaschen. Mülltüten. Eine Bettdecke auf dem Kopf – eine unter dem Arm. Manche tragen auch die eigene Mutter auf dem Rücken, die nicht mehr allein zur Essensausgabe laufen kann. Das Camp ist ständig in Bewegung. Wer sich hier zurücklehnt, hat kein Wasser, keine Medikamente, keine Holzpalette zum Schlafen, kein Essen. Immer wieder kommt es wegen der wenigen Steckdosen im Camp oder bei der engen Essensausgabe zu Schlägereien. Manche davon enden mit einem Messer im Rücken. Oft liegen die Verletzten tagelang im Zelt. Zugang zu medizinischer Versorgung gibt es kaum mehr. Schon gar nicht, seitdem das Camp im Zuge der neuen Pandemiebeschränkungen abgeriegelt wurde.