Warum es nicht reicht, der Fleischindustrie die Werkverträge zu verbieten
Miserable Arbeitsbedingungen im Niedriglohnsektor sind seit Jahren ein Problem. Die Coronakrise deckt diese Missstände jetzt schonungslos auf – und bietet die Chance zum Umdenken.
Ob Spargel stechen, Wände mauern oder tote Tiere zerlegen: Glaubt man den Erzählungen der Arbeitgeberverbände, ist kaum mehr jemand bereit, solche Arbeiten auszuführen.
»Die Deutschen« sind sich also zu fein für diese Arbeiten? Das ist an Zynismus kaum zu übertreffen: Die Arbeitsbedingungen in den betroffenen Betrieben sind einfach derart schlecht, dass die Jobs nur noch von Menschen ausgeführt werden, denen keine Alternative bleibt.
»Die Beschäftigten beklagen unregelmäßige Arbeitszeiten, spontan angeordnete Überstunden und Einsatzplanänderungen und generell sehr lange Arbeitszeiten«, berichtet mir Szabolcs Sepsi, der die
Er und sein Team beraten besonders auch Arbeitnehmer:innen aus der Fleischbranche, die ihnen täglich aus erster Hand ihre Arbeitsbedingungen schildern. Ihre Jobs bei den Subunternehmen seien unsicher, die Mitarbeiterfluktuation enorm hoch. Am Ende würden dann häufig weniger Stunden abgerechnet, als tatsächlich geleistet wurden. Wer krank werde oder seinen gesetzlichen Anspruch auf Urlaub wahrnehmen wolle, warte oft vergeblich auf den Lohn.
Bedingungen also, die nur gegenüber Arbeitnehmer:innen aufrechtzuerhalten sind, die ihre Rechte nicht genau kennen. Wer diese doch wahrnehmen will, ist dank der Werkverträge leicht loszuwerden: »Hier gilt nach wie vor: Wer sich wehrt, verliert schnell seinen Job«, sagt Sepsi. Daher begrüßt er die aktuelle Initiative der Bundesregierung zum Verbot von Werkverträgen, wie Gewerkschaften sie schon seit Jahren fordern. Wird diese nicht noch juristisch gekippt, wäre mit dieser Praxis nämlich Schluss: »Die großen Unternehmen könnten dann ihre ›Heuern und Feuern‹-Personalpolitik nicht weiter fortsetzen. Dies würde dann auch dazu führen, dass Massenunterkünfte abgeschafft und eine echte Integration der Menschen in den Kommunen vor Ort stattfinden könnte«, sagt Sepsi.
Werkverträge sind nicht das einzige Problem im Niedriglohnsektor
Nun liegt der Ball also im Feld der ohnehin seit Jahren von Skandalen geschüttelten Fleischbranche: Werden sie die neuen Regelungen umsetzen? Oder werden sie doch lieber juristisch dagegen kämpfen, so wie es einige aus der Branche bereits angekündigt haben?
Und das absolut zu Recht.
Schlechte Arbeitsbedingungen wie in der Fleischbranche machen nicht Halt an den Toren der Schlachthöfe.
Also: Warum nutzen wir die Coronakrise nicht als Chance, um nicht nur die katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Fleischbranche zu verbessern, sondern die Zustände für alle Beschäftigen im Niedriglohnsektor anzuheben?
Jetzt alle Werkverträge abzuschaffen wäre der logische Schluss –
Womit nun aber endlich Schluss sein muss: Diese Verträge dazu zu missbrauchen, um reguläre, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze abzubauen, Lohnkosten zu drücken und Verantwortung gegenüber den Beschäftigten an Subunternehmen abzuschieben – und das gilt nicht nur für die Fleischbranche.
Wenn sich die Bedingungen bessern, haben auch die Unternehmen etwas davon. Davon ist auch Szabolcs Sepsi überzeugt: »Wenn Arbeitgeber feste, sichere und gut bezahlte Jobs schaffen, dann müssen sie auch keinen Arbeitskräftemangel befürchten.«
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