Wenn dein Leben von einer bezahlbaren Tube Sonnencreme abhängt
Lange wurden Menschen mit Albinismus in Tansania verfolgt, verstümmelt und getötet. Jetzt durchbrechen sie den Teufelskreis aus Armut und Ausgrenzung – und fordern ihren rechtmäßigen Platz in der Gesellschaft ein.
Der Tansanier Fabian Kangambili wächst in einem Bergdorf mit dem Namen
Schließlich kommt Fabian Kangambili bei seiner Tante unter. Sie hat Angst um ihn und lässt ihn nur selten allein raus. Der Grund: Er sieht auf den ersten Blick anders aus als die anderen Menschen und das kann in seinem Fall in Tansania lebensgefährlich sein.
Fabian Kangambili wird vor 24 Jahren mit weißer Haut geboren, mit hellen Haaren und dunklen Augen, mit denen er nur schlecht sehen kann.
Laut offiziellen Angaben leben in Tansania rund
Tränke, Tinkturen und Talismane
In den Jahren 2000–2015 wurden
Dabei ging es den Täter:innen um die Körperteile der Menschen mit Albinismus. Haare, Haut oder Knochen verkauften sie für viel Geld an traditionelle Heiler:innen, die daraus Tränke, Tinkturen oder Talismane fertigten. Diese sollten ihre Besitzer:innen reich und erfolgreich machen. Die Kund:innen seien aus allen Teilen der Gesellschaft gekommen, so Mikazi, seien Arbeiter:innen, Unternehmer:innen
Es entstand internationale Aufmerksamkeit, viele Medien haben über die Tötungen hier berichtet. »Dann war das Thema überall, wurde täglich auch in der Politik besprochen«, erinnert sich Hassan Mikazi. In den folgenden Monaten und Jahren
Hilfe zur Selbsthilfe
Im Rahmen verschiedener Projekte in
Seit 2010 gibt es in Tansania ein Gesetz, das
Fabian Kangambilis Geschichte sei nicht ungewöhnlich, erzählt Mikazi. Der Vater verlasse die Familie häufig
Der Fußballklub Albino United versucht auf eine andere Art, das gesellschaftliche Ansehen von Menschen mit Albinismus zu verbessern. Auf einem Acker in der Küstenstadt Daressalam stehen 10 Männer im Schatten eines Mangrovenbaumes. Ihre helle Haut hebt sich deutlich von der braunen Rinde ab – sie alle haben Albinismus. Wenige Meter links von ihnen stehen 2 Tore ohne Netze auf einem Feld, das den Namen kaum verdient – nur ab und zu sprießen vereinzelte Inseln von Rasen aus dem braunen Matsch.
Eincremen, aufwärmen, Gesellschaft ändern
Nach ein paar Telefonaten ist klar: Heute wird die Mannschaft keinen Fußball spielen können. Der Mitspieler, der den Ball mitbringen wollte, wird nicht kommen. Die Stimmung ist gedrückt, einige Spieler schütteln genervt den Kopf. Manche sind mit 3 verschiedenen Bussen mehrere Stunden durch die größte Stadt Tansanias gefahren, um hier gemeinsam Fußball zu spielen. Trotzig ziehen sie sich dennoch um, damit sie wenigstens ein paar Trainingseinheiten ohne Ball absolvieren können.
Bevor es auf den Platz geht, schmieren die Spieler sich großzügig Sonnencreme auf ihre Haut. Es ist 2 Uhr nachmittags und die Sonne knallt unerbittlich mitten in Tansanias Hochsommer.
Das Ziel von Albino United ist es, die Ausdauer und Stärke der Spieler zu zeigen. Noch immer glauben einige Tansanier:innen, Menschen mit Albinismus seien in Wirklichkeit Geister und könnten deswegen keine körperlichen Leistungen erbringen. Die Idee von Albino United ist simpel: Geister können vielleicht keinen Fußball spielen, Menschen mit Albinismus aber schon. Und sie können rennen, grätschen und schießen.
»Wir haben die Möglichkeit, der Gesellschaft zu zeigen, dass wir über dieselben Fähigkeiten verfügen wie alle anderen. Das macht mich glücklich«, sagt Deograsias Joseph Ngonyani, der Kapitän der Mannschaft. Er spielt seit 7 Jahren für Albino United und war mit der Mannschaft schon im ganzen Land unterwegs. »Wenn Menschen mit Albinismus in Mwanza getötet werden,
Dass Fußball die beste Art ist, Menschen zusammenzubringen, davon ist auch der Trainer, John Lingowi Haule, überzeugt.
»Wenn du sie Fußball spielen siehst, tötest du sie nicht.« – John Lingowi Haule, Trainer von »Albino United«
Der 55-Jährige ist nicht von Albinismus betroffen, aber seine Tante. Dadurch kam er früh mit Albinismus in Kontakt. »Ich werde manchmal gefragt: ›Du arbeitest mit denen zusammen? Du schläfst mit denen zusammen?‹ Aber das ist kein Problem, wir sind doch alle dieselben. Wir arbeiten zusammen. Wir schlafen zusammen. Und wir spielen zusammen Fußball.« Haule redet gern und viel, immer mit einem breiten, freundlichen Lächeln im Gesicht. Er ist sich sicher, die Arbeit seines Vereins zeige Wirkung. »Zu unseren Spielen kommen viele Leute, die uns unterstützen. Seit wir im ganzen Land Fußball spielen, gibt es immer weniger Überfälle auf Menschen mit Albinismus.«
Am liebsten spielt seine Mannschaft morgens oder abends, wenn die Sonne nicht mehr scheint. Oder aber wenn es regnet: »Sobald es regnet, spielen die Jungs deutlich besser. Leider scheint in Tansania meistens die Sonne«, erklärt Haule. Dann hilft nur eincremen. Doch Sonnencreme ist knapp und teuer.
Da Menschen ohne Albinismus in Tansania keine Sonnencreme benutzen, muss die Creme importiert werden. Die Preise für eine Tube sind rund 10-mal höher als in Deutschland. Menschen mit Albinismus gehören in der Regel allerdings zur ärmsten Bevölkerungsschicht und können sich die schützende Creme nicht leisten.
Häufig wissen die Erkrankten und ihre Familien zudem nicht, dass ihre Haut besondere Pflege und Schutz vor der Sonne benötigt.
Und das habe fatale Folgen, erklärt Specioza Kifutu, Koordinatorin eines Gesundheitstrainings für Menschen mit Albinismus. »Die Forschung sagt, dass Menschen mit Albinismus in Tansania in ihren 30ern sterben. Nur wenige werden 40 Jahre alt. Meistens sterben sie an Hautkrebs. Aber wenn sie sich vor der Sonne schützen, können sie so lange leben wie jeder andere.«
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Aus diesem Grund wurde die Sonnencreme Kilisun entwickelt – die erste professionell hergestellte Sonnencreme in Afrika. Im Regional Dermatology Training Center (RDTC) in Moshi wird seit 2013 diese Sonnencreme produziert, die aktuell kostenfrei an 6.000 Menschen mit Albinismus verteilt wird. Damit erreicht das RDTC bereits 1/3 der Menschen mit Albinismus in Tansania. Derzeit arbeitet das Zentrum an einer verbesserten Form der Distribution, um auch in ländliche Regionen liefern zu können und so noch mehr Menschen mit der Sonnencreme versorgen zu können.
Lernen im Hochsicherheitsinternat
Fabian Kangambili ist 14 Jahre alt, als er zum ersten Mal ein anderes Kind mit Albinismus sieht. »Da bin ich erst mal weggelaufen«, sagt er. Damals blickt er in einen Schlafsaal voller weißer Kinder. Zuvor war er im Dorf entdeckt und in eine Schule in Arusha, im Norden Tansanias, gebracht worden. »Es war ein gut geschütztes Internat mit Sicherheitsleuten. Damals gab es viele Angriffe auf Menschen mit Albinismus und ich war Teil eines Schutzprogramms«, sagt Fabian Kangambili.
Dort lebt er in den folgenden Jahren gemeinsam mit 92 anderen Kindern mit Albinismus. Neben schulischen Inhalten lernen sie auch, wie man sich richtig kleidet und Sonnencreme aufträgt. »Während ich dort war, habe ich keine Diskriminierung erlebt. Aber ich habe von den Morden gehört, das hat mir Angst gemacht«, sagt Fabian Kangambili.
Er fühlt sich im Internat wohl und qualifiziert sich für die weiterführende Schule und später für ein Studium an der Universität.
Menschen mit Albinismus sind noch immer eine Seltenheit an Universitäten in Tansania, nur 4% besuchen eine Hochschule. Dabei ist Bildung der effektivste Weg raus aus der Armut und damit auch raus aus der Sonne. »Die einzige Arbeit, die du ohne Ausbildung bekommst, ist draußen, in der Sonne: auf dem Feld oder im Garten arbeiten, Sachen auf der Straße verkaufen«, sagt Gesundheitsberaterin Kifutu.
Yumna Mnanga hat es geschafft. Sie hat studiert und arbeitet heute als Lehrerin an einer Schule auf Sansibar. Im Klassenzimmer ist die junge Frau mit Albinismus vor der Sonne geschützt und zeigt der nächsten Generation, wie selbstverständlich es ist, zusammen mit Menschen mit Albinismus zu lernen, zu arbeiten und zu leben. Nebenbei macht sie ihren Master im Fach Umweltwissenschaften.
»Schaut mich an, ich bin wunderschön«
In ihrer Freizeit engagiert sich Yumna Mnanga als Aktivistin, denn auch auf der touristischen Insel leiden Menschen wie sie unter Diskriminierung und Verfolgung. »Vor einigen Jahren wurde am Strand die Hand eines Menschen mit Albinismus gefunden«, erinnert sie sich. »Mir rufen die Leute bis heute Dinge hinterher und nennen mich
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In der Schule wurde Yumna Mnanga von ihren Mitschüler:innen gehänselt, wenn sie vorne an der Tafel stand. »Ich saß immer in der ersten Reihe und habe eine Brille getragen. Trotzdem musste ich direkt an die Tafel gehen, um lesen zu können, was der Lehrer geschrieben hatte«, sagt sie. »Irgendwann wollte ich gar nicht mehr in die Schule gehen.« Ihre Eltern holten sie jeden Tag von der Schule ab und begleiteten sie überallhin. Zu groß war die Angst, dass ihr etwas passieren könnte, wenn sie allein unterwegs ist. Immer wieder lasen ihre Eltern in der Zeitung, dass Menschen mit Albinismus ermordet wurden.
Inzwischen ist es für Yumna Mnanga kein Problem mehr, allein durch die Stadt zu gehen. Zu einem ständigen Begleiter ist nur ihr rosa Schirm geworden, mit dem sie sich vor der Sonne schützt. Der Schirm ist so etwas wie ihr Markenzeichen, sie wird mit ihm schon von Weitem erkannt. »Ich bin berühmt in der Stadt, jeder hier kennt mich.« Ihre Popularität setzt sie ein, um auf die Probleme von Menschen mit Albinismus auf Sansibar aufmerksam zu machen.
Vor etwa einem Jahr gründete sie die NGO All About Albinism. Sie möchte den Menschen erklären, dass Albinismus alles andere als ein Fluch ist.
»Wir müssen unseren rechtmäßigen Platz in der Gesellschaft einnehmen. Ich will Menschen mit Albinismus als Pilot:innen, als Ärzt:innen, als Journalist:innen, einfach überall sehen.« –Yumna Mnanga, Gründerin der NGO »All About Albinism«
Um ihr Ziel zu erreichen, setzt sie auch auf die Macht von Social Media. Auf ihrem Instagram-Account postet sie Bilder von verschiedenen Menschen mit Albinismus und klärt so über Vorurteile auf. »Ich glaube, dass Menschen diese schlimmen Dinge tun, weil sie vieles nicht verstehen. Also will ich sie ihnen erklären und soziale Medien machen es möglich, ein großes Publikum zu erreichen«, erklärt Yumna Mnanga ihre Strategie.
Während die Lehrerin Yumna Mnanga am liebsten gleich das ganze Land verändern würde, beginnt für Fabian Kangambili der Wandel im Kleinen. Er lebt allein in einer Wohnung in der 300.000-Einwohner-Stadt Morogoro, nicht weit von seinem Heimatdorf. Bis heute kennt er seinen Vater nicht. »Ich habe gehört, er sei tot«, sagt er.
Früher sei er auf der Straße beleidigt worden, heute habe sich das geändert. Die Wörter und Namen verschwinden langsam, berichtet er. »Wenn mir heute jemand etwas Beleidigendes hinterherruft, dann versuche ich, die Person aufzuklären«, sagt Fabian Kingambili. Er erwidere dann: »Nenn’ mich Fabian und nicht Mzungu oder Albino. Ich bin Fabian und du hast auch einen Namen. Wir sollten uns bei unseren Namen nennen.«
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Kangambili sagt, er sei stolz darauf, ein Mensch mit Albinismus zu sein. Er wolle Management studieren und als erfolgreicher Unternehmer zukünftig andere Menschen mit Albinismus finanziell unterstützen. Wenn er Kinder mit Albinismus treffe, versuche er, den Eltern direkt zu erklären, wie sie ihr Kind am besten aufziehen können. »Und dem Kind sage ich dann: ›So, wie du bist, bist du perfekt. Du kannst alles schaffen.‹«
Titelbild: Tobias Zuttmann - copyright