Sprechen Sie Körper?
Zwischen Smartphone, Computer und Telefon vergessen wir leicht unser wichtigstes Kommunikationsgerät: den eigenen Körper. Dabei kommt es bei unterschiedlichen Körpersprachen häufig zu Missverständnissen, gerade zwischen verschiedenen Kulturen. Deshalb gilt auch hier: Pass auf, was du sagst!
Montagmorgen, Bahnhof Bielefeld. Ich stehe am Bahnsteig und warte vor der Zugtür, während andere Fahrgäste aussteigen. Eine alte, schwache Frau streckt ihre zitternde Hand aus dem Zug und bittet um Hilfe beim Ausstieg. Ein junger Mann, der Hautfarbe und Sprache nach afrikanischer Herkunft, bemerkt die Geste, dreht sich um und ergreift ihre Hand, die Dame bedankt sich bei ihm. In einer anderen Sprache sagt er so etwas wie »Keine Ursache«, klopft ihr zweimal auf die Schulter und lässt seine Hand sogar einen Moment dort liegen.
Eine bemerkenswerte Szene – aber nicht, weil sie ein wunderbares Beispiel für interkulturelle Hilfsbereitschaft ist. Die körperliche Geste des jungen Mannes, die ich sonst eher unter Jugendlichen vor dem Kino erwarte, kommt mir unangemessen vor, für ihn scheint sie selbstverständlich zu sein. Eine so direkte Berührung mit einer fremden, deutlich älteren Frau ist für mich befremdlich. Nicht weil sie unfreundlich oder herablassend gewesen wäre, sondern weil sie nicht in mein Schema sozialer Interaktion passt.
Ich frage mich: Wenn uns Sprache verbindet, kann uns Körpersprache entzweien? Machen es uns kulturelle Unterschiede in der Körpersprache schwerer, einander zu verstehen?
Zum Reden haben wir nur den Mund – für unsere Körpersprache alles andere
Gehen wir einen Schritt zurück und schauen, wie Körpersprache eigentlich funktioniert. Körpersprache ist komplex. Wir nutzen eine Vielzahl an Körperteilen, um zu kommunizieren: Mund, Augen und Hände, aber auch Füße und Schultern. Körpersprache – oder nonverbale Kommunikation – umfasst alle Kommunikationswege mit Ausnahme des gesprochenen Wortes: Gestik, Mimik, der Abstand, mit dem wir einander gegenüberstehen, die Richtung, in die wir blicken oder unsere Schultern drehen –
Wenn uns Sprache verbindet, kann uns Körpersprache entzweien?
Mit unserer Körpersprache vermitteln wir unsere Einstellung gegenüber unserem Gesprächspartner und unseren emotionalen Zustand. Zeigen wir uns feindlich oder zurückhaltend? Sind wir gut gelaunt oder geht es uns schlecht? Auch das Verhältnis zwischen unserem sozialen Status und dem des Gegenübers drücken wir mit unserem Körper aus.
Körpersprache spielt für uns nach wie vor eine entscheidende Rolle: Auch in unserer stark verschriftlichten Gesellschaft schließen wir Geschäfte noch immer gern von Angesicht zu Angesicht ab. Nicht umsonst gibt es eine ganze Branche, die sich damit beschäftigt, Geschäftsleuten, Politikern und Führungspersönlichkeiten eine glaubwürdige Körpersprache zu vermitteln. Und gerade weil es so viele verschiedene Ausdrucksformen gibt, ist entscheidend, dass wir die
Zurück zum Bahnhof: War die Berührung des jungen Mannes an der Schulter der Dame in dieser Situation passend? Warum hätte es nicht auch ein freundschaftlicher Klaps auf den Hintern sein können, wie er zwischen amerikanischen Football-Spielern üblich ist?
Unser soziales Umfeld lehrt uns diese Regeln. Wie bei der gesprochenen Sprache schauen wir sie von unseren Mitmenschen ab, testen sie aus, lernen aus Fehlern. Und genau wie bei der Sprache gibt es Unterschiede zwischen Subkulturen. Jugendliche vor der Schule gehen anders miteinander um als Politiker im Bundestag. Wir können diese unterschiedlichen »Dialekte« erlernen und haben für die meisten Situationen das passende Körpersprache-Vokabular parat.
Anders sieht es allerdings bei Ländergrenzen und damit Kulturgrenzen aus: Fremde Sprachen erlernen wir in Sprachkursen, um fremde Körpersprachen dagegen bemühen wir uns selten gezielt. Denn Körpersprache läuft zu einem guten Teil
Finger ist nicht gleich Finger
18. August 1996. Die Eröffnungssitzung des Parlaments von Bangladesch gerät für einen Moment außer Kontrolle, als Minister A. S. M. Abdur Rab seine Hand mit einem abgespreizten Finger in die Luft streckt. Parlamentarier werfen ihm vor, mit der Geste nicht nur das Parlament, sondern das ganze Land entehrt zu haben und fordern eine
Missverständnisse durch spezifische, sehr symbolische Gesten wie diese lassen sich leicht aufklären. Der gestreckte Daumen ist dank Facebook inzwischen rund um die Welt bekannt. Andere Aspekte der Körpersprache sind in ihrer Wirkung weniger auffällig, können aber ebenso schnell missverstanden werden. Dazu gehört zum Beispiel der körperliche Abstand.
Sicherheitsabstand einhalten
In einer
Die Studie ist Teil der
Mit unserer Körpersprache vermitteln wir unsere Einstellung gegenüber unserem Gesprächspartner und unseren emotionalen Zustand.
Die Hypothese der Wissenschaftler ließ sich nicht bestätigten: Keine der Kulturen schien generell, in allen sozialen Situationen zu einem näheren oder größeren Abstand zu neigen. Entscheidender war der soziale Rahmen der Unterhaltung: Unterhielten sich 2 Freunde oder hatten 2 Kolleginnen eine geschäftliche Besprechung? Hier wiederum griff der kulturelle Einfluss, denn in derselben Situation bevorzugten verschiedene Kulturen unterschiedliche Abstände. Obwohl die Forscher also ihre These von einer Kontaktkultur nicht bestätigen konnten, zeigten sie doch, dass wir in bestimmten Situationen bestimmte Gesprächs-Distanzen bevorzugen – abhängig von unserer kulturellen Prägung.
Die Folgen dieser ungeschriebenen Gesetze sind nicht zu übersehen. Wir reagieren sehr empfindlich auf »falsche« Gesprächsabstände, fühlen uns bedroht oder belästigt, wenn uns jemand zu nahe kommt oder halten es für unhöflich und kalt, wenn sich jemand – wortwörtlich – von uns distanziert. So können Besuche bei fremden Kulturen, deren Gesprächsabstände wir nicht kennen, schnell zu Missverständnissen führen. Das gilt nicht nur für Abstände, sondern auch für Blickkontakte.
Frauen, die schon einmal in arabischen Ländern unterwegs waren, werden vielleicht bemerkt haben, dass viele Gesprächspartner den direkten Blickkontakt vermeiden und stattdessen auf den Boden oder in eine andere Richtung schauen. Was uns als geradezu unverschämtes Verhalten erscheint, drückt in ihrer Kultur Respekt gegenüber unverschleierten Frauen aus. Auch ein respektvolles Wegschauen gegenüber Ranghöheren gilt in vielen Kulturen als angebracht.
Na gut, könnten wir sagen, ein solches Missverständnis lässt sich ja sprachlich schnell beheben, schließlich vermitteln wir die wirklich wichtigen Inhalte ohnehin über unsere Worte. Wenn wir unserem Gegenüber also sagen, dass wir ihn schätzen, sollte er doch in der Lage sein, dies auch so wahrzunehmen, oder?
Auch hier sprechen die Forschungs-Ergebnisse dagegen:
Die wichtigste Zutat: Aufmerksamkeit
Eine
- Wenn du deinem arabischen Partner vorgestellt wirst, stehe auf und schüttele seine Hand, während du den Kopf leicht senkst. Nicke und lächle und schaue ihm dabei in die Augen.
- Sobald ihr euch beide gesetzt habt, zieh deinen Stuhl näher zu dem Araber hin, sodass du seine Brust mit einem ausgestreckten Arm berühren könntest. Nimm nicht die übliche, größere Entfernung ein, die wir meist gegenüber Fremden einnehmen.
- Araber sitzen einander frontal gegenüber, nicht seitlich versetzt, wie wir es oft tun.
- Auch wenn es dir zunächst komisch vorkommen mag, ist es wichtig, dem Araber ständig in die Augen zu sehen, während du mit ihm redest. Vermeide es unbedingt, den Blick abzuwenden, da Araber sich wohler fühlen, wenn gegenseitiger Blickkontakt besteht.
- In unserer Kultur drückt ein Lächeln für gewöhnlich Freundschaft aus. Das Lächeln als Zeichen für Freundschaft ist in der arabischen Kultur jedoch deutlich wichtiger. Versuche also, in angebrachten Momenten zu lächeln.
- Zeige dem Araber zu keinem Zeitpunkt deine Fußsohlen, denn in der arabischen Kultur ist dies eine Beleidigung, die in etwa bedeutet: »Du bist so viel wert wie der Dreck unter meinen Füßen.«
- Araber bevorzugen einen warmen und offenen Austausch. Sie bevorzugen außerdem personalisierte statt abstrakte Diskussionen von Themen. Genauer gesagt können abgewogene und überdachte Antworten ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit beleidigen. Wenn du also freiheraus sprichst (ohne zu beleidigen oder unnötig zu widersprechen) und eine freundliche und höfliche Haltung zeigst, wird er sich wohler fühlen.
- Wenn das Experiment vorbei ist, steh auf, schüttele dem Araber die Hand, dann gehe zur Tür. Erlaube ihm, den Raum als Erster zu verlassen, indem du ihm die Tür öffnest und ihn an der Schulter berührst (wie du es auch bei einem Freund tun würdest), während der hindurchgeht. Sprich im Gang weiter mit ihm, bis der Versuchsleiter euch unterbricht. Dann schüttele erneut seine Hand. Während ihr im Gang seid, steh dem Araber sehr nah.
Das Ergebnis: Die Araber empfanden die geschulten Gesprächspartner als deutlich vertrauenswürdiger und freundlicher, hatten das Gefühl, von ihnen besser verstanden zu werden und
Doch auch wenn einfache Tipps schon eine große Wirkung haben können, den kompletten »Code« einer anderen Kultur zu erlernen, braucht Zeit und vor allem: Aufmerksamkeit. Wenn uns klar wird, welch wichtigen Anteil die Körpersprache bei unserer Kommunikation ausmacht, ist der erste Schritt getan. So schaffen wir nicht nur ein angenehmeres Gesprächsklima, sondern verstehen auch die Eigenheiten anderer Kulturen besser. Denn selbst wenn wir große Teile des »Codes« erlernt haben, bewahrt uns dieses Wissen nicht vor neuen sozialen Situationen, deren Schemata wir noch nicht verinnerlicht haben. Doch genau das macht die fremden Kulturen reizvoll und interessant. Auch ohne Stinkefinger stehen noch genügend Fettnäpfchen bereit.
Titelbild: Peter Wiegel