»Das sind wir den Menschen schuldig, die damals für die Demokratie gekämpft haben«
Vor 84 Jahren begann der Spanische Bürgerkrieg, der in die Diktatur unter Francisco Franco mündete. Diese Zeit ist noch immer ein Tabuthema in Spanien, doch Ehrenamtliche wie Sofía Ugena recherchieren im Namen der Aufarbeitung.
Klick. Sofía Ugena öffnet die digitalisierte Akte mit der Nummer 21.774. Vergilbte Seiten und mit Schreibmaschinen getippte Dokumente des in den 30er-Jahren verurteilten, verschwundenen und ermordeten Bernandino Barbero Vicente erscheinen auf dem Bildschirm. Er war eines der Opfer des Spanischen Bürgerkrieges. »Diese Leute wurden umgebracht, nur weil sie nachgedacht haben«, sagt Sofía.
Keine Aufarbeitung von Bürgerkrieg und Diktatur
Die 26-jährige Spanierin hat Kultur- und Sozialanthropologie studiert und arbeitet ehrenamtlich für den
Nach dem Tod des Diktators im Jahr 1975 sollte König Juan Carlos I., der von Franco als Nachfolger bestimmt worden war, den Übergang in die Demokratie anleiten. Um den politischen Gefangenen des Franco-Regimes Freiheit gewähren zu können, einigte sich die polarisierte spanische Gesellschaft im Jahr 1977 auf ein Amnestiegesetz,
Erst das von der Mitte-links-Regierung des Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero verabschiedete Gesetz des Historischen Andenkens aus dem Jahr 2007 versprach staatliche finanzielle Unterstützung für Aufarbeitungsprojekte und die
»Das Land ist noch immer politisch gespalten«, sagt Sofía. Im vergangenen Jahr wurde das spanische Parlament 2-mal neu gewählt. Es fehlten jeweils die Mehrheiten für eine Regierungsbildung. Dabei zog erstmals auch die ultrarechte Partei Vox ins Parlament ein, deren Wähler:innen überwiegend von der konservativen Partei Partido Popular kamen.
Ehrenamtliche Recherche für den persönlichen Frieden
Bürgerkrieg und Diktatur forderten unzählige Todesopfer und Verschwundene, die sogenannten Desaparecidos. Der ARMH will einigen von ihnen zumindest ihre Identität zurückgeben. Seit dem Jahr 2000 heben Freiwillige des Vereins dafür Massengräber aus der Zeit des Krieges und der Diktatur aus und übergeben die Überreste der Verscharrten den Angehörigen. »Durch die Rückführung des Körpers können auch die Angehörigen ihren Frieden finden«, glaubt Sofía. Und: »Jede:r hat das Recht, zu wissen, was geschah.«
Den Ausgrabungen geht ein langer Rechercheprozess auf Friedhöfen, in Gemeinden und in Archiven voran. Dafür besucht Sofía das
Sofía flüstert, während sie im Archiv
Ausgrabungen als Vergangenheitsbewältigung
Nach Daten des spanischen Richters
Sofía hat zusammen mit der Studentin Malena García die Öffnung eines dieser Gräber begleitet. »Wenn die Grabungen beginnen, schweigen alle. Nach und nach fangen die Menschen aber an, über Erlebtes zu reden. Und während wir die Überreste der Ermordeten aus der Erde holen, kommt auch die Geschichte der Menschen, des Krieges und der Diktatur zum Vorschein«, beschreibt Malena ihre Eindrücke von der Arbeit vor Ort.
»Der erste Versuch, mit der Geschichte umzugehen, fand in einer sehr komplizierten Situation statt, kurz nach der Diktatur. Aber jetzt sind die Enkel:innen der Menschen, die alles durchleben mussten, erwachsen und können die Sache aufarbeiten. Das sind wir den Menschen schuldig, die damals für die Demokratie gekämpft haben«, sagt die Geschichtsstudentin.
Der ARMH verlangt für seine Arbeit keinen Cent von den Angehörigen. Das für 2020 erarbeitete Programm soll ausschließlich mit Geldern von privaten Fördervereinen und Spender:innen finanziert werden. Vom Staat hat der ARMH seit dem Jahr 2011 keine Mittel mehr erhalten. Mit dem Machtwechsel damals wurde der Ruf der Angehörigen nach Gerechtigkeit von der Politik begraben – wie Jahrzehnte zuvor die Leichen der Desaparecidos unter der Erde.
Auch 2 Onkel von Juan Francisco Barbero verschwanden damals spurlos. Heute sucht Sofía für ihn im Archiv nach den Dokumenten dieser Männer. Auf die digitalisierten Papiere von Bernandino Barbero Vicente kann sie an den Archivcomputern direkt zugreifen. Eine Mitarbeiterin des Verteidigungsministeriums sucht in der Zwischenzeit nach der analogen Akte seines Bruders.
Währenddessen kommen immer mehr Interessierte ins Archiv, überwiegend ältere Leute mit Falten im Gesicht, die ebenso faltige Papiere und eng beschriebene Protokolle wälzen. Es sind Anklagen, ärztliche Gutachten, Todesurteile. Sofía findet schließlich am Computer die Stelle, die Juan Francisco Barbero Klarheit geben wird. Sein Onkel Bernandino Barbero Vicente war 23 Jahre alt, als er am 14. Juli 1939 erschossen wurde. Der Grund: »Adhesión a la rebelión« – Unterstützung der Rebellion, abgesegnet mit Stempeln und Unterschriften in blauer, angelaufener Tinte.
Redaktion: Katharina Wiegmann
Titelbild: Óscar Rodríguez, ARMH - copyright