Für das Volk, gegen den Populismus
2016 ist das Jahr des Populismus. Was können wir tun, damit 2017 alles anders wird?
Es sieht düster aus. Düster für uns und rabenschwarz für unsere Kinder. Die europäische Gesellschaft muss gerade hilflos mit ansehen, wie der Populismus uns alle ans Messer liefertin Gefahr bringt. Die Populisten zündeln in nahezu allen europäischen Ländern – der Flächenbrand, der die EU auslöschen wird, ist programmiert.
Aber die Petrys, Le Pens, Farages, Kaczynskis, Orbáns, Hofers und Grillos da draußen haben ihre Rechnung ohne uns gemacht: Wir, die Bevölkerung Europas, sind auch noch da. Wir werden nicht mehr länger schweigen. Die Populisten wollen Europa kaputt machen, das müssen wir verhindern. Wir müssen uns gegen sie zur Wehr setzen und zum Gegenangriff blasenpositionieren und unsere Werte hochhalten. Herr Erdoğan, öffnen Sie die Grenzen, dann sollen die Populisten sehen, was sie von ihrer Abschottungspolitik haben. Let’s make Europe bunt again! »Völker, hört die Signale! Auf zum letzten Gefecht!Seid entschlossen! Die Internationale …«
Okay, das reicht.
So sollte ein Text über Populismus eben nicht klingen.
»Wir haben es mit Faschismus zu tun. Der Begriff Rechtspopulismus taugt nichts. Lasst uns auf dieses Wort verzichten.« – Jakob Augstein
Populistische Rhetorik gibt stets volle Breitseite,bedingungslose Parolen aus, wo andere Redner
Diesen Text gibt es in 2 Varianten: In einer Version gespickt mit Kriegsmetaphern und in einer anderen davon bereinigt. Wenn du verbal abrüstenweniger aufgewiegelt werden willst, nutze die Umschaltfunktion.
Was ist eigentlich dieser Populismus?
So langsam wird es Zeit, das P-Wort mal zu definieren:
Populismus [lat.] bezeichnet eine Politik, die sich volksnah gibt, die Emotionen, Vorurteile und Ängste der Bevölkerung für eigene Zwecke nutzt und vermeintlich einfache und klare Lösungen für politische Probleme anbietet.
So lautet die
»Der einfache Bürger kämpft ums Überleben, während die Profiteure, die reiche Oberschicht, sich nicht um uns kümmern«,
Rate mal, wer die Rednerin war: Frauke Petry, Sahra Wagenknecht, Theresa May oder Marine Le Pen? Die Antwort findest du mit einem Klick
Noch ein Beispiel, aus dem Jahr 1932. »Diese unglücklichen Zeiten rufen nach Plänen […], die ihr Vertrauen in die Hände des vergessenen Menschen am Boden der Wohlstandspyramide legen.« – Dieser populistische Satz stammt von
Vermutlich ist kaum eine politische Karriere frei von Aussagen, bei denen der kritische Zuhörer am liebsten »Populismus!« dazwischenrufen würde. In unterschiedlicher Ausprägung ist so gut wie jeder Politiker ein Populist. Wir verstellen uns den Blick, wenn wir von Populisten reden, aber in der Regel Rechtspopulismus meinen.
Populismus an sich ist kein politischer Inhalt, sondern ein Werkzeug, um einen solchen zu transportieren. Oft nicht allzu konstruktiv, dafür laut und ziemlich erfolgreich, wie einige aktuelle Beispiele nahelegen.
Zeit für den NahkampfCheck auf Herz und Nieren –
- Abgrenzung: »Populismus vereinfacht und konstruiert einen direkten Gegensatz zwischen einem als homogen gedachten ›Volk‹ und dem ›Establishment‹« – letzteren Begriff füllt Populismus überhaupt erst mit Inhalten.
- »Hauptsache, dagegen!«: »Populismus kapriziert sich als ›Anti-ismus‹ mit konkreten Inhalten.« Als Beispiel nennt Hartleb das junge Phänomen des Anti-Islamismus.
- Populismus-Krieger:Populismus-Anwälte: »Eine eloquente und charismatische Person macht sich häufig zur Anwältin des ›Volkswillens‹, die in Robin-Hood-Manier gegen das ›Establishment‹ kämpft.«antritt.«
- Aufmerksamkeit um jeden Preis: Populismus lebt vom Aufschrei nach der Provokation. »Massenmedien gehen oft eine symbiotische Beziehung mit dem Populismus ein, mit dem Kalkül von Schlagzeilen.«
Was hat Populismus mit uns gemacht?
Dieses Spiel mit (ihrerseits um Absatz buhlenden) Medien ist seit Roosevelts Rede aus dem Jahr 1932 sicher noch intensiver geworden. Was Politiker in jüngerer Vergangenheit mit Populismus erreicht haben, zeigt sich auf 3 Ebenen:
- Diskursverschiebung: Auch wenn die AfD (noch) nicht im Bundestag sitzt, beeinflusst sie die Bundespolitik sehr direkt – indem sie den Diskurs verschiebt: Prominente AfD-Politiker haben so lange gegen sichtbare muslimische Insignien im öffentlichen Raum gewettert, bis sich auch die übrigen Parteien zu Gesichtsschleiern äußern mussten. (Die populistische Argumentation basierte auf der pauschalen Behauptung, der Islam gehöre nicht zu Deutschland – und mitgedacht war, Deutschland solle bewahrt werden.) Die CSU sprach sich schon länger für ein Verbot von Niqab und Burka aus, vor 2 Wochen drang auch ein entsprechender
- Emotionalisierung: Als Politiker in einem reichen Land kann man rational begründen, warum man sich dafür ausspricht, die illegale Einwanderung aus dem ärmeren Nachbarland zu erschweren. Man kann aber auch, wie Donald Trump im US-Wahlkampf, schwere populistische Geschütze auffahrenin den Populismus-Werkzeugkasten greifen, um seine Forderungen zu emotionalisieren: »Wir müssen uns vor denen schützenvon denen abgrenzen, weil sie die Stabilität unseres Landes gefährden, also bauen wir eine Mauer.« Donald Trump hat das Feindbildnegativ besetzte Klischee des asozialen mexikanischen Schmarotzers aufgebaut, mit der Angst seiner Wähler gespielt und es damit bis ins Weiße Haus geschafft.
- Verzerrung: Emotion ist wichtiger als
»Der Wahlsieger Donald Trump wird zur Galionsfigur einer Bewegung, die in ganz Europa auf dem Vormarsch ist.« – Stuttgarter Zeitung
Diskursverschiebung, Emotionalisierung, Verzerrung – das sind 3 populistische AllzweckwaffenWerkzeuge, die in diesem Jahr einige Treffer erzieltErfolge verbucht haben: Großbritannien hat nach einer populistischen Leave-Kampagne für den
Woher kommt diese länderübergreifende Strömung? Einen Erklärungsversuch leistet der Dresdner Politikprofessor Werner Patzelt in seiner Kolumne im Debattenmagazin »The European«:
Zu dessen Ursachen gehören Unzufriedenheit mit dem Funktionieren des für Recht und Ordnung zuständigen Staates beziehungsweise seiner Demokratie; die Ablehnung ungesteuerter Einwanderung; Sorgen wegen einwanderungsbedingter Verteilungskonflikte; Ablehnung von Kulturwandel; Misstrauen in die Möglichkeiten gesellschaftlicher und kultureller Integration alter und neuer Minderheiten; Zurückweisung von Globalisierung und nationalstaatlichem Steuerungsverlust.
Die derzeitige DurchschlagskraftPosition der Stärke des Populismus liege unter anderem am »gefühlten Brüchigwerden europäischer Sozialstaatlichkeit«. Patzelt hält die populistische Gefahr in den wirtschaftlich angespannteren Ländern Süd- und Osteuropas für noch stärker als in Deutschland.
In dieser Woche hat die Bertelsmann Stiftung eine
Der Populismus ist da. Und nun?
Zuerst einmal: So wenig, wie die Welt schwarz-weiß ist, ist der Populismus durch und durch schlecht. Aus der Opposition betrieben, kann er als Korrektiv für den eingefahrenen politischen Betrieb dienen, schreibt der Politologe
Populisten mögen nicht selten über das Ziel hinausschießen, sie mögen auch in vielen Punkten fragwürdige Positionen vertreten, dennoch kann ihnen eine kritische und aufklärende Funktion für das politische System zukommen, indem sie es zur inhaltlichen Reaktion und Auseinandersetzung, nicht selten auch zur Selbstkorrektur zwingen.
Was nicht heißen soll, dass jetzt unsere Politik eine Katharsis durchläuft und der Populismus dann wieder weicht. Nein, der Populismus ist wohl eher eine tickende Zeitbombebleibende schleichende Gefahr. Aber wenn wir nur über die populistischen Tendenzen reden (und wahlweise auch nationalistischen und protektionistischen, die gerade ebenso aktuell sind), verlieren wir aus den Augen, was in der Politik sonst noch alles geschieht. Teils auch als Reaktion auf den Populismus.
- Frankreich muss sich, glaubt man den Umfragen, darauf einstellen, dass bei den Stichwahlen zur Präsidentschaftswahl 2017 Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National als eine Option gesetzt ist. Wer soll ihr Paroli bietengegenübertreten? Gerade hat die konservative Partei in einer Vorwahl ihren Kandidaten bestimmt. Alt-Präsident Nicolas Sarkozy hatte versucht, seine Partei davon zu überzeugen, dass sein populistischer Werkzeugkasten dem Le Pens ebenbürtig ist. Die Parteibasis hat aber klar gegen das Rennen »Populist gegen Populistin« entschieden und stattdessen seinen einstigen Premierminister François Fillon nominiert. Innerparteilich haben seine
- Deutschland hat im November, im Eindruck der Trump-Wahl, 2 wichtige personelle Weichenstellungen beobachtet: Die Union will Frank-Walter Steinmeier als nächsten Bundespräsidenten mittragen. Die einhellig vermutete Motivation dahinter fasst Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zusammen, wenn sie von
In der Zivilgesellschaft regt sich Widerstandeine Opposition gegen die Vereinnahmung des Diskurses durch die Populisten. Über 1.700 Menschen aus Dresden und Umgebung – vom Landtagsabgeordneten bis zur Rentnerin – haben sich vor wenigen Tagen im Bündnis
Welche Schatten wirft der Populismus?
Bevor der Sächsische Landtag oder auch der Bundestag gewählt wird, stehen an diesem Sonntag 2 wichtige Abstimmungen an, die auch in punkto Populismus interessant sind: Österreich wählt (endlich) einen neuen Bundespräsidenten, Italien entscheidet über eine neue Verfassung.
»Trump ist nicht allein. Auch in anderen Weltgegenden sind seine Gesinnungsgenossen im Vormarsch oder bereits an der Macht.« – Peter Rásonyi, Neue Zürcher Zeitung
Österreich:
In Österreich ist derselbe Wahlkampf gerade zum wiederholten Mal in den Endspurt gegangen: Am Sonntag unternimmt die Republik einen neuen Anlauf,
Das reichte von Budgetfragen bis zum Pflegegeld. Nur ein absurdes Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit war der Slogan eines Kandidaten, dass er gute Milchpreise für Bauern garantieren würde … Das hat mit der Aufgabe des Amtes genau gar nichts zu tun, signalisiert jedoch eine scheinbare Nähe zu Alltagsthemen. Doch auch bei Kernkompetenzen des Präsidenten wurde bewusst ungenau argumentiert, etwa was der Präsident eigenständig und was er – nämlich fast alles – laut Verfassung nur auf Vorschlag der Bundesregierung tun kann.
Diskursverschiebung? Check. Emotionalisierung? Check. Verzerrung? Check. Was natürlich nicht heißen soll, dass der gesamte Wahlkampf populistisch war. Ein Beispiel, das sicher auf Emotionen setzt, aber kein Populismus ist: Gut eine Woche vor der Wahl verbreitete sich das
Wer den Zweikampf gewinnenWahlgang für sich entscheiden wird, ist völlig offen – sämtliche
Italien:
In doppelter Hinsicht, denn am gleichen Tag entscheidet Italien in einem
»Diese Leute sind Serienkiller. Mit dieser Verpackung, die sie mit Mist gefüllt haben, stehlen und enteignen sie die Zukunft eurer Kinder!«, sagte 5-Sterne-Gründer
Renzi ist kein Populist. Aber dieses Handwerk beherrscht auch er. Er ist einer der wenigen, die auch rhetorisch den rechten Verführern beikommen können, die Europa derzeit umgarnen.
Ob aus politischen oder machthungrigen Motiven – Populismus heißt auch, die Regeln des Anstands mal kurz auszuklammern, um mit unlauteren Mitteln zum Angriff gegen den politischen Feind zu blasenden eigenen Zielen näherzukommen. Dem Gegner bleibt dann nur die Wahl zwischen Rückzug oder Aufrüsten zum Gegenschlageiner stückweisen Aufgabe der eigenen Ideale oder eine Art Gegenpopulismus. Matteo Renzi scheint das begriffen zu haben.
Italien und Österreich müssen nach den Abstimmungen am Sonntag für sich selbst entscheiden, wie viel Populismus sie in Zukunft zulassen wollen. Für den aktuellen Wahlkampf sei es zu spät, sich mit Populismus auseinanderzusetzen, sagt Peter Filzmaier.
Mit möglichst großem Abstand zur Wahl lässt sich am leichtesten gegen den Populismus zu Felde ziehenvorgehen.
»Es gibt keine Sofortlösungen gegen Populismen, wenn man diesen jahre- oder sogar jahrzehntelang gewähren hat lassen.«
»Die besten Gegenstrategien zum Populismus«, sagt Politologe Peter Filzmaier, »sind langfristig. Nämlich eine stark inhaltlich orientierte Politik – über deren Inhalte man sachlich pro und contra streiten kann, jedoch eben mit Inhaltsbezug –, sowie vor allem eine intensive politische Bildungsarbeit und auch Medienbildung.«
Was tun gegen den Populismus?
Also, ernst gemeinte Frage: Was können Medien, was können Politiker, was können wir Bürger dem Ansturm des Populismus entgegensetzen?tun, um den Populismus auszubremsen?
- Medien: Wenn Populisten gegen das »Establishment« anrennengiften, dann meinen sie immer auch die Medien – aus dem Dunstkreis der AfD kennen wir den Ausdruck »Systemmedien«. Der gängige Vorwurf, mit dem sie die positiv zu bewertende Korrektiv-Funktion des Populismus für sich beanspruchen, lautet: Die Medien verfälschten Sachverhalte oder ließen sie unter den Tisch fallen. (Sprich: »Lückenpresse«.)
Eine arbeitsintensive, aber gründliche Methode, dieser Unterstellung entgegenzuwirken, hat die New York Times kürzlich angewandt: Nachdem sie ein einstündiges Gespräch mit Donald Trump zu einem Interview transkribiert haben, erstellten die Redakteure eine
Derartige Transparenz kann selbstverständlich nach hinten losgehenzum eigenen Nachteil gereichen, wenn Quellen genauerer Überprüfung nicht standhalten. Aber genau das sollte die Grundpflicht von Journalisten sein: Gerüchte gründlich zu prüfen, bevor man darüber berichtet. - Politiker: Transparenz und gründliche Überprüfung sollten genau wie für Journalisten auch für seriöse Politiker Standard sein. Darüber hinaus hat jeder Politiker selbst in der Hand, ob er das populistische ArsenalWerkzeug
Wer sich dagegen entscheidet, »muss gegen Populisten in einem Wettbewerb der Ideen punkten«, sagt Peter Filzmaier. »Wer den Aufstieg der Populisten beklagt, egal ob von rechts oder links, sollte sich zunächst selbstkritisch fragen, wie es mit seiner Kompetenz und eigenen Ideen in zentralen Politikbereichen aussieht. Ist die eigene Schwäche wirklich nur durch Populismen der Gegenseite bedingt? Das wäre mir als Erklärung zu einfach.«
Der Politik-Professor hat den US-Wahlkampf intensiv beobachtet und festgestellt, dass nicht zuerst seine Wortwahl Donald Trump in eine Position der Stärke gehievt hat, sondern seine Proaktivität:Wem es gelingt, Themen zu setzen – und das ist ja durchaus positiv, weil auch inhaltlich möglich und keineswegs per se populistisch – punktet häufiger als jemand, der »nur« auf solche Themenvorgaben repliziert. Natürlich kann das jedoch auch beispielsweise in Negativkampagnen missbraucht werden, wenn der andere (oder die andere Partei) gezwungen wird, auf Unterstellungen oder Beleidigungen zu reagieren. In den USA war das teilweise so, denn Trump hat Themen und Negativität gleichermaßen vorgegeben, Clinton viel weniger.
- Bürger: Letztendlich sind wir Bürger es, auf deren Gunst Politiker – ob populistisch oder nicht – auch zwischen den Wahlterminen angewiesen sind. Wenn Journalisten und Politiker gründlich und kritisch prüfen, soll das in gewissem Maße auch für alle anderen Bürger gelten. Das bedeutet: Wenn jemand eine absolute Wahrheit postuliert (so wie ich in diesem Satz), gilt besondere Vorsicht. Ist die Logik stichhaltig? Wer kann schon von sich behaupten, im Namen der »Mehrheit« zu sprechen? Sind die Quellen, auf denen die Annahmen beruhen, wasserdicht? Die Welt ist meist nicht so einfach, wie der Populismus sie gern scheinen lässt. Wenn du die Mechanismen des Populismus kennst, kannst du ihn leicht entlarven.
Nächster Schritt: Die
Die wirksamste Waffe, dieDas wirksamste Mittel, das du gegen Populismus besitzt, ist dein Gehirn. Sei offen, prüfe gründlich, diskutiere leidenschaftlich.