Was wir von Momo über Arbeit lernen sollten
Die Post-Work-Bewegung möchte, dass Arbeit nicht mehr unser Leben bestimmt. So kommen wir dahin.
Wenn ich über Arbeit und Arbeitszeit nachdenke,
Auch heute noch taugt die betagte Geschichte, um zu verdeutlichen, wie zentral Erwerbsarbeit in unserer Gesellschaft ist.
Die Annahme, Automatisierung und Digitalisierung würden zu eklatant weniger Arbeit führen, hat sich bisher nicht bestätigt. Es ist auch anders gekommen, als es der Ökonom John Maynard Keynes vorausgesehen hatte. In den 30er-Jahren prophezeite er
Momos graue Herren würden in unserer heutigen Zeit ihre Zigarren aus »Stundenblumen« ebenso genussvoll paffen wie eh und je. Steigender Konsum und das Dogma des Wirtschaftswachstums machen es möglich.
Arbeit abschaffen? Ja, bitte! Und was dann?
Tobi Rosswog ist Post-Work-Aktivist. In seinem
»Wir müssen mal wieder anfangen, darüber nachzudenken und zu streiten, was wir hier eigentlich gerade machen. Wir können uns zurzeit gar keine andere Weise vorstellen, unsere Gesellschaft zu organisieren«, sagt er. »Alle müssen ihre Ware Arbeit auf dem Arbeitsmarkt anbieten, um dann das Eigentum anderer zu bezahlen, die Wohnung oder die Lebensmittel.«
Tobi Rosswog geht es darum, hervorzuheben, dass Arbeit und Konsum eine Art Teufelskreis bilden, der weder für die Umwelt noch für den Menschen gut sei. Seine Idee von weniger Arbeit hängt auch viel mit Genügsamkeit und Konsumverzicht zusammen. Auf diese Weise kann jede:r sofort schon anfangen: Wer weniger kauft, muss auch weniger arbeiten.
In seiner Vision einer idealen Gesellschaft werde danach geschaut, welche Arbeit wirklich notwendig sei, erklärt er. Diese werde dann aufgeteilt, den Rest der Zeit kann dann jede:r nach eigenen Wünschen verbringen. Es gebe auch in einer von Jobs »befreiten« Gesellschaft notwendige Tätigkeiten, aber eben keine, die erfunden wurden, damit auch wirklich alle den ganzen Tag schuften gehen.
»Der große Unterschied zwischen der aktuell kapitalistischen Arbeitsgesellschaft und der befreiten ist, dass wir heute arbeiten, weil wir das müssen, weil wir uns verwerten müssen auf dem Arbeitsmarkt, uns im Konkurrenzkampf gegen andere durchsetzen, um im Grunde für einen anonymen Markt irgendwelche Produkte oder Dienstleistungen zu erschaffen, die am Ende vielleicht gar nicht gebraucht werden.«
Jobs abschaffen? Auf den ersten Blick wirkt dieser Gedanke weltfremd. »Wir können uns eher das Ende der Welt vorstellen als das Ende der Arbeit«, fasst Tobi Rosswog die Lage zusammen.
Warum ist Arbeiten eigentlich so wichtig?
Den Schalter, auf dem »Arbeit ›AUS‹« steht, einfach so zu drücken, würde ins Chaos führen. Arbeit ist zentral in der Welt, in der wir leben. Geld und damit Wohlstand werden in unserer Gesellschaft maßgeblich über sie verteilt. Und es geht noch weiter:
»Man braucht einen Job, um Geld zu verdienen, um sich überhaupt versorgen zu können, um Zugang zu Sozialleistungen zu haben. Der komplette Wohlfahrtsstaat funktioniert nur auf der Grundlage von Arbeit, ansonsten hat man keinen oder nur sehr eingeschränkten Zugang dazu«, sagt die
Klar: Durch Arbeit verdienen wir Geld, das wir zum Überleben brauchen. Aber sie formt auch die Identität von Menschen maßgeblich. Das zeigt sich in der Freizeit, beispielsweise auf Partys. Die erste Frage, die sich Fremde gegenseitig stellen, lautet oft: »Was machst du so?« Wer auf diese Frage mit einem Hobby antwortet, merkt schnell, dass es dem Gegenüber darum eigentlich nicht geht, sondern um den bezahlten Job. Wer arbeitslos ist, fürchtet oft diesen Moment. Denn arbeitslos zu sein heißt nicht nur, nicht arbeiten zu gehen und weniger Geld zur Verfügung zu haben als die meisten. Arbeitslosigkeit haftet ein gesellschaftliches Stigma an. Es macht Menschen zu Außenseiter:innen, auf die manch andere herabblicken oder für die sich andere nicht besonders interessieren. So wie bei Momo, die durch den Einfluss der zeitstehlenden grauen Herren immer einsamer wurde.
Zuschreibungen wie Ehrlichkeit, Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Initiativkraft – all das werde seit Jahrhunderten fest mit der Arbeit verbunden, spätestens seitdem die reformatorische Strömung der Calvinisten im 16. Jahrhundert
Durch die Arbeitsmarktreformen, mit denen die Regierung Gerhard Schröders zu Beginn des Jahrtausends unter anderem das Prinzip »Fördern und fordern« und
Eine Erzählung, die Boulevardmedien gern immer wieder aufgreifen. Mit »Armes Deutschland – Stempeln oder abrackern« etwa
Es ist also keine Kleinigkeit, Arbeit infrage zu stellen – es bedeutet, die Funktionsweise unserer Wirtschaft und letztlich unsere ganze Gesellschaft infrage zu stellen. Arbeitgeber:innen wie Gewerkschaften vertreten zwar unterschiedliche Interessen, von der Wichtigkeit der Arbeit an sich sind sie aber gleichermaßen überzeugt. Der Waliser Sozialforscher David Frayne schreibt dazu in seinem Buch »The Refusal of Work«, es sollte klar sein, dass diese Bewertung dennoch »ein soziales und historisches Konstrukt ist und nicht ein festes Merkmal irgendeiner natürlichen Ordnung«.
Nachhaltigkeitswissenschaftlerin Maja Hoffmann sagt, der Post-Work-Gedanke stehe in der Tradition der klassischen Arbeitskritik, die wohl schon so lange betrieben werde, wie es Lohnarbeit in ihrer modernen Form gibt. Menschen vom Arbeitszwang zu befreien, ihn als Zentrum der Gesellschaft schlechthin erst einmal infrage zu stellen und eine Debatte zu eröffnen, sei in der Post-Work-Bewegung ein Hauptanliegen, erklärt sie.
Von »Bullshit-Jobs« und systemrelevanter Arbeit
Der US-amerikanische Anthropologe David Graeber ist ein populärer Arbeitskritiker.
Anstatt eine massive Arbeitszeitverkürzung zu ermöglichen, damit die Weltbevölkerung ihre eigenen Projekte, Vergnügungen, Visionen und Ideen verfolgen kann, haben wir erlebt, wie (…) der Verwaltungssektor in die Höhe geschossen ist, bis hin zur Schaffung ganz neuer Industrien wie Finanzdienstleistungen oder Telemarketing oder der beispiellosen Expansion von Sektoren wie Gesellschaftsrecht, (…) Gesundheitsverwaltung, Personalwesen und PR.
Hinzu kamen laut Graeber Dienstleistungen, die nur existierten, weil alle ständig mit Arbeiten beschäftigt seien und keine Zeit (oder Lust) hätten, diese Dinge selbst zu übernehmen. Als Beispiele nennt er Hundefriseure oder 24-Stunden-Pizzalieferanten. Graeber, der sich politisch als
So sei Keynes’ Vision von der 15-Stunden-Woche ins Reich absurder Träume verbannt worden, argumentiert Graeber und plädiert unter anderem dafür, Arbeit und Einkommen voneinander zu entkoppeln, etwa durch
Seine Thesen erlangten in der Coronapandemie neue, breitere Bekanntheit. Plötzlich entstand der Begriff der »systemrelevanten Berufe«, nicht nur in Deutschland: Pflegepersonal, Kassierer:innen im Supermarkt, Müllarbeiter:innen oder Lehrpersonal. Sie alle üben, das war den meisten intuitiv klar, keine Bullshit-Jobs aus, sondern sie decken zwingend notwendige Bedürfnisse ab. Es gibt also einen Sinn dafür, welche Tätigkeiten zwingend gebraucht werden und welche eher nicht.
Wie realistisch ist das Ende der Arbeit durch Automatisierung?
Eine Debatte über Visionen und Ideen gibt es bereits, auch wenn sie oft noch eher abseits der Öffentlichkeit geführt wird. Nachhaltigkeitswissenschaftlerin Maja Hoffmann teilt die Post-Work-Debatte in 2 Strömungen oder Denkrichtungen ein: Zum einen gibt es Menschen, die an ein fast zwangsläufiges Ende der Arbeit glauben, herbeigeführt durch technische Entwicklungen, wie der
Ob die Arbeit tatsächlich praktisch von selbst verschwindet, darüber streiten Expert:innen. Während
Die zweite Post-Work-Strömung zweifelt am Ende der Arbeit, schließlich ist das auch bei anderen technologischen Umbrüchen in der Vergangenheit nicht geschehen, wie auch der Anthropologe David Graeber betont. Hier geht es mehr darum, Arbeit aktiv aus dem Zentrum der Gesellschaft wegzudenken. Ein starker Antrieb, wenn auch nicht der einzige, ist dabei der Nachhaltigkeitsgedanke. Weniger zu arbeiten, weniger zu produzieren und weniger zu konsumieren, ermöglicht eher ein Leben innerhalb der planetaren Grenzen. Post-Work-Aktivist Tobi Rosswog denkt deswegen darüber nach, wie Menschen schnellstmöglich arbeitsfreie(re) Inseln im System bilden können: Karriereverweigerung, Job-Sharing oder Firmen, die ohne Wachstum und im unabhängigen Kollektiv funktionieren. Post-Work fügt sich bei ihm in ein
Ein Weg zu weniger Arbeit
Ein sehr konkreter Vorschlag, in Richtung weniger Arbeit aufzubrechen, kommt von einem britischen Thinktank namens
Weniger Arbeit bedeutet zudem mehr Zeit für wichtige Dinge wie Freund:innen, Familie oder gesellschaftliches Engagement in Ehrenämtern, kurz: Die Gesellschaft erhält so mehr sozialen Kitt, der sie zusammenhalten kann. Während der Coronapandemie hat die Idee neue Aufmerksamkeit erhalten: Volkswirtschaften straucheln, Jobs brechen weg – auch ohne weitere Automatisierung.
Dass es ein Bedürfnis danach gibt, weniger zu arbeiten, zeigen immer wieder Umfragen, auch einige, die jetzt im Eindruck der Coronapandemie durchgeführt wurden.
In Deutschland gab es auch vor der Pandemie schon viel Sympathie für eine deutliche Arbeitszeitverkürzung: Eine repräsentative Umfrage des Instituts zur Zukunft der Arbeit und der Karriereplattform Xing ergab im Jahr 2019, dass
Die Diskussion um die Zukunft der Arbeit muss also vielleicht weniger darüber geführt werden, wie mehr Jobs entstehen können und wie diese möglichst sinnstiftend werden, sondern eher darüber, wie viel Arbeit eigentlich wirklich notwendig ist, wie sie verteilt werden kann und ob Sinnstiftendes nicht auch in der arbeitsfreien Zeit getan werden kann, wenn davon auf einmal viel mehr da ist.
Für die grauen Herren von der Zeitsparkasse in Michael Endes Roman »Momo« wäre eine solche Entwicklung existenzbedrohend. So existenzbedrohend wie am Ende der Geschichte, als Momo die Zeit in Form der Stundenblumen aus den Lagerräumen befreit und diese zurück zu den Besitzer:innen fliegen. Die grauen Herren lösen sich in Luft auf und die Menschen sind frei, wieder in das alte Amphitheater zu Momo zu kommen, um ihre Zeit selbstbestimmter zu verbringen. In Momos Welt ist das ein Gewinn für alle.
In einer Post-Work-Gesellschaft wären den verschiedenen Ideen nach vielleicht alle ein bisschen mehr Momo und Momo auch ein bisschen mehr wie die anderen. Eventuell lohnt es sich also, darüber nachzudenken, wie wir nicht unbedingt gleich für immer ausstempeln, aber vielleicht seltener und für kürzer einstempeln.
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily