Was dir in der Pandemie hilft, psychisch gesund zu bleiben
Psychische Erkrankungen haben in der Coronakrise deutlich zugenommen. Stressforscher Mazda Adli erklärt im Interview, wie du deine seelische Gesundheit jetzt am besten schützen kannst.
Die Restaurants sind wieder geöffnet, Schulen und Kitas starten ins neue Jahr, die Innenstädte sind voll und die Badeseen überfüllt. Von außen betrachtet erinnert das öffentliche Leben schon wieder stark an die Zeit vor Corona.
– auch in haben auch Ängste und Unsicherheiten in der Bevölkerung zugenommen: Jede:r fünfte Beschäftigte ist inzwischen in großer Sorge um den eigenen Arbeitsplatz, Knapp der Hälfte der Bevölkerung macht das neue Coronavirus Angst. Nur 1/4 finden die Pandemie nicht besorgniserregend,
Zukunftsorientiert, verständlich, werbefrei. Dafür stehen wir. Mit Wohlfühl-Nachrichten hat das nichts zu tun. Wir sind davon überzeugt, dass Journalismus etwas bewegen kann, wenn er sowohl Probleme erklärt als auch positive Entwicklungen und Möglichkeiten vorstellt. Wir lösen Probleme besser, wenn wir umfassend informiert und positiv gestimmt sind – und das funktioniert auch in den Medien. Studien haben gezeigt, dass Texte, die verschiedene Lösungen diskutieren, zu mehr Interesse führen, positive Emotionen erzeugen und eine erhöhte Handlungsbereitschaft generieren können. Das ist die Idee unseres Konstruktiven Journalismus.
Die überfüllten Freibäder sagen wenig darüber aus, wie es in den Köpfen Menschen aussieht.
Die überfüllten Freibäder sagen also wenig darüber aus, wie es in den Köpfen der Menschen aussieht. Eine dass die Zahl der Krankmeldungen wegen psychischer Erkrankungen im ersten Halbjahr um 80% gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen ist. Es sei denkbar, dass viele Menschen aufgrund von Existenzängsten durch Jobverlust und Kurzarbeit, der Furcht vor dem neuen Virus und den damit einhergehenden Lebensveränderungen nicht zurechtkamen und deshalb bereits während der Pandemie einen Arzt aufsuchten, schreibt die Kasse.
Im Interview spricht Mazda Adli, Stressforscher und Psychiater an der Berliner Charité und der Fliedner Klinik Berlin, über die psychischen Auswirkungen der Pandemie und darüber, was uns hilft, diese Zeit zu überstehen.
»Wir sehen jetzt die psychischen Folgen der Pandemie«
Wir befinden uns noch immer mitten in der Pandemie und viele Menschen sorgen sich um ihre Zukunft. Sehen wir jetzt langsam die psychischen Folgen der Coronakrise?
Mazda Adli:
Ja, und zwar gar nicht mal so langsam. Wir sehen die psychischen Folgen schon seit einigen Monaten. Während viele Kliniken, Rettungsstellen und Praxen leer geblieben sind, weil Menschen sich nicht zum Arzt getraut haben, kann ich von meiner Klinik berichten, dass wir auch in der Zeit des Lockdowns keinen spürbaren Rückgang an Patienten hatten. Und das, obwohl vermutlich trotzdem viele Menschen mit psychischen Problemen zu Hause geblieben sind. Wir sehen aktuell einen hohen Bedarf an psychiatrischer und psychotherapeutischer Hilfe, Tendenz steigend.
Es gibt sicher unterschiedliche Gründe dafür. Wie erklären Sie sich diese Zunahme?
Mazda Adli:
Die Hintergründe sind in der Tat mannigfaltig. Eine Ursache sind die Veränderungen im gewohnten Alltagsablauf, auf die Menschen sehr empfindlich reagieren. Durch diese Veränderungen fehlen auch Strategien zur Stressbewältigung. Ob das jetzt soziale Kontakte sind, ins Theater oder ins Stadion zu gehen – oder einfach mal jemanden in den Arm zu nehmen. All das funktioniert nicht und das macht sich natürlich bemerkbar.
Damit hängt die zweite Ursache zusammen, die ich sehe: soziale Isolation und Einsamkeit. Viele soziale Aktivitäten sind auch jetzt nur sehr eingeschränkt möglich. Dazu gehören Kulturveranstaltungen, Reisen oder Chorproben, um nur Beispiele zu nennen. Das setzt gerade diejenigen, die allein leben, unter Isolationsstress. Das erlebe ich häufig als Grund für psychische Erkrankungen und Belastungen. Der Kontakt mit anderen Menschen ist entscheidend für unser seelisches Wohlbefinden. In der Behandlung von psychischen Erkrankungen wie Depressionen ist gerade die Intensivierung von sozialen Verbindungen ein wichtiges Ziel. Wenn das nicht mehr möglich ist, bringt das auch Menschen mit psychischen Vorerkrankungen in Schwierigkeiten.
Sehen Sie noch einen weiteren Grund für die Zunahme an psychischen Belastungen?
Mazda Adli:
Ja, die wirtschaftlichen Nöte. Die Zukunftsplanung vieler Menschen ist unsicher. Sie können ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen, verdienen kein Geld mehr. Das löst Stress aus, auch chronischen Stress. Das Ende ist nicht absehbar im Moment – und diese Unsicherheit kann krank machen.
»Der kleine Schmerz ist nicht harmlos, nur weil es noch einen stärkeren gibt«
Bei den Belastungen durch die Coronakrise denke ich auch vor allem an die Menschen, die gesundheitliche oder wirtschaftliche Probleme haben, die sozial isoliert sind. Mein Arbeits- und Familienleben ist kaum eingeschränkt. Trotzdem fehlt es mir, Konzerte zu besuchen oder zu reisen. Und dann denke ich wieder: Das ist gegenüber den vielen anderen Schicksalen doch ein Luxusproblem!
Mazda Adli:
Man kann das schlecht gegeneinander aufwiegen. Der kleine Schmerz ist nicht harmlos, nur weil es noch einen stärkeren gibt. Damit würde man sich auch selbst nicht gerecht werden. Wo unsere Schmerzgrenze liegt, ist sehr individuell. Ich erlebe genauso Menschen, die in erhebliche wirtschaftliche Nöte geraten, das aber relativ gelassen wegstecken. Das hängt auch von der emotionalen und psychischen Widerstandskraft ab. Und die ist wiederum von vielen Lebensumständen und Persönlichkeitseigenschaften abhängig. Aber das eine gegen das andere aufzurechnen geht nicht. Nicht in der Medizin und in der Psychotherapie schon gar nicht.
Der Lockdown liegt inzwischen längere Zeit zurück. Gleichzeitig wächst die Angst vor einer zweiten Infektionswelle. Wie können wir diesen Ausnahmezustand über eine so lange Zeit bewältigen?
Mazda Adli:
Dazu gibt es keine Vorerfahrungen. Wir sind alle in einem Boot und keiner ist die Strecke schon einmal gefahren. Und sich genau das klarzumachen, ist gleichzeitig etwas, was uns psychisch etwas unterstützen kann. Denn keiner muss den Ausnahmezustand allein ausbaden. Es ist ein Schicksal, das wir mit allen Menschen auf dieser Welt teilen.
Als Psychiater ist es mir wichtig zu appellieren, dass man sich nicht scheuen soll, Hilfe zu suchen, wenn man sich psychisch belastet fühlt und unter Druck sieht. Wir Psychiater und Psychotherapeuten stehen bereit. Unsere Hilfsangebote und Versorgungsstrukturen funktionieren. Dazu gehören die Praxen, Rettungsstellen, Krisendienste und vieles mehr. Als allererster Schritt hilft es bereits, sich mit Angehörigen, Freunden und Nachbarn auszutauschen. Diese kleinen Kommunikationswege haben häufig auch schon einen entlastenden Effekt. Schon ein Smalltalk kann helfen, wenn er einen Perspektivwechsel, eine andere Sicht auf das ermöglicht, was einen besorgt.
Solche flüchtigen Begegnungen haben wir bisher vielleicht unterschätzt.
Mazda Adli:
Ja. Das kurze, informelle Gespräch auf der Straße wird oft unterschätzt. Es ist aber ganz wichtig für die soziale Kultur und damit auch für unser seelisches Wohlbefinden. Die Soziologen sprechen dabei auch von um diese Smalltalk-Kultur auf der Straße oder in der Nachbarschaft zu beschreiben.
Was hilft noch, um weiter durch diese Zeit zu kommen?
Mazda Adli:
Es hilft, wenn wir uns klarmachen, dass in der Forschung sehr intensiv daran gearbeitet wird, der Pandemie ein Ende zu setzen. Es wird so nicht bleiben. Uns belastet es am meisten, wenn keine Entlastung in Aussicht ist. Im Moment kommt man schnell in so eine Sichtweise, weil zum Beispiel nicht klar ist, Aber richtig ist: Es werden im Moment täglich große Fortschritte gemacht. Und das kann für Zuversicht sorgen, auch wenn genaue zeitliche Voraussagen im Moment nicht gut möglich sind.
Befindest du dich in einem Notfall, hast du beispielsweise Suizidgedanken? Dann zögere nicht und wähle den Notruf (112) oder wende dich an das Krisentelefon (0800-1110111 und 0800-1110222). Ein muslimisches Seelsorgetelefon ist rund um die Uhr unter 030-443509821 erreichbar.
Die Terminservicestellen der KBV können einen ersten Termin in einer psychotherapeutischen Sprechstunde vermitteln – in den meisten Fällen innerhalb von 4 Wochen. Liegt eine psychische Krise vor, kann in der Sprechstunde auch eine Akutbehandlung verordnet werden. Mehr Infos dazu findest du hier.
Auch Hausärzt:innen, Psychiater:innen oder Psychotherapeut:innen können erste Ansprechpartner:innen bei psychischen Problemen sein. Wer psychische Beschwerden hat, sollte immer auch checken lassen, ob sich diese körperlich erklären lassen: etwa durch eine Hormonstörung. Wer keine Ärzt:innen kennt, an die er oder sie sich wenden kann, kann diese beispielsweise über die weiße Liste finden: www.weisse-liste.de
Die Sozialpsychiatrischen Dienste sind eine weitere Anlaufstelle. Sie sind bei den Gesundheitsämtern angesiedelt und können kostenlos in Anspruch genommen werden. Sie bieten selbst keine Therapie an, betreuen und begleiten aber Menschen mit psychischen Erkrankungen zusätzlich. Auch Angehörige, Freund:innen und Kolleg:innen können sich an den Sozialpsychiatrischen Dienst wenden, wenn sie das Gefühl haben, dass jemand in ihrer Umgebung Hilfe benötigt.
Psychosoziale Beratungsstellen sind zum Beispiel Familien-, Frauen-, Erziehungs-, Lebens- oder Suchtberatungsstellen. Dort arbeiten Mitarbeiter:innen unterschiedlicher Berufsgruppen wie Ärzt:innen, (Sozial-)Pädagog:innen, Psycholog:innen, Psychotherapeut:innen, Sozialarbeiter:innen oder auch speziell geschulte Pflegekräfte zusammen, um Ratsuchenden bei ihren Problemen zu helfen.
Auch Selbsthilfekontaktstellen können Hilfe bieten. Selbsthilfegruppen ersetzen zwar keine Therapie, aber gerade Menschen, die bereits eine Therapie hinter sich haben, kann es helfen, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen – und das zu festigen, was sie in der Therapie gelernt haben. Manchen Menschen helfen die Gespräche mit anderen Betroffenen auch während der eigenen Therapie. Eine Selbsthilfegruppe in deiner Nähe findest du zum Beispiel hier: www.nakos.de
Hier findest du die beiden anderen aktuellen Dailys:
Kennst du auch das Gefühl, 1.000 Dinge tun zu wollen – oder zu müssen? Wie nutzt du die Zeit, die du hast? Stefan geht aus soziologischer Perspektive der Frage nach, wie eine neue Zeitkultur aussehen kann – und wie wir Zeit gestalten können, ohne immer nur hinterherzurennen. Dazu gehört auch die Frage, wie die Vereinbarkeit von Arbeit, Familie und Privatleben gelingen kann.