Wenn Putin und Trump sich verstehen, ist alles möglich
Trump macht alles anders: Vieles deutet auf eine enge Beziehung zu Putin hin. So würde die mächtige Männerfreundschaft nicht nur Russland und Amerika nützen.
8. Dezember 2016
– 10 Minuten
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Es ist so ein typischer Henry-Kissinger-Satz, knapp, aber fundamental: »Eine Annäherung mit Russland ist möglich!«, verkündete der 93-jährige nach der diesjährigen Präsidentenwahl in den USA. Ein Großteil der professionellen Deuter der Weltlage rätselt seit dem 8. November darüber, Der künftige US-Präsident Henry Kissinger dagegen, derzeit einer der meistzitierten Experten, wenn es um die Zukunft der US-Außenbeziehungen geht, hielt sich mit Grübeleien nicht lange auf. Er traf Trump zu einem informellen Gespräch und brachte erste Antworten auf jene Fragen mit, die sich mit besonderer Brisanz stellen: Wie geht es in dem gestörten Ost-West-Verhältnis weiter? Werden sich die existenziellen Krisen im Nahen Osten und im postsowjetischen Raum weiter verschärfen, vor allem in Syrien und der Ukraine? Oder besteht Hoffnung auf eine Wende zum Guten, hin zu Entspannung und Frieden?
Trump lobt Putin, die Duma klatscht für TrumpKissinger ist sogar davon überzeugt, den Schlüssel zum Erfolg zu kennen. Es gehe darum, Der russische Präsident Wladimir Putin hatte den Untergang der UdSSR schon 2005 als größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Aber ist ausgerechnet Trump der Richtige für diese Aufgabe – ein Mann, der »nicht gerade für diplomatische Fähigkeiten bekannt ist«, wie Gernot Erler betont, der Russlandbeauftragte der Bundesregierung? Immerhin schlug der künftige US-Präsident im Wahlkampf Töne an, die in Moskau mit Begeisterung gehört wurden. Er nannte Putin einen starken Führer und einen großen Staatsmann. In der Duma, der ersten Kammer des russischen Parlaments, brandete angesichts der Nachricht von Trumps Wahlsieg Beifall auf. Und kaum zufällig war Putin einer der Ersten, die Trump ein Glückwunschtelegramm sandten. Der Kremlchef zeigte sich darin zuversichtlich, dass zwischen Moskau und Washington ein »konstruktiver Dialog« beginnen könne.
Zweifel bleiben. Trump-Kritiker malen das Schreckensbild einer neuen an die Wand. Andere Beobachter, wie die deutsche Politikwissenschaftlerin sind zutiefst pessimistisch. Auf die Frage, ob im Ost-West-Verhältnis nach der Trump-Wahl positive Szenarien denkbar seien, antwortet Stelzenmüller: »Ehrlich gesagt: Ich sehe keine.« »In der Außenpolitik ist letztlich alles eine Frage der nationalen Interessen.«Trump habe im Wahlkampf gerade bei außenpolitischen Themen vieles gesagt, was ihn als dastehen lasse. Kissinger dagegen erklärt nüchtern: »In der Außenpolitik ist letztlich alles eine Frage der nationalen Interessen.«
In diesem Sinn stellt sich folgende Frage: Ist angesichts von Syrien-Krieg, Ukraine-Krise und andauernder NATO-Russland-Konfrontation in den russisch-amerikanischen Beziehungen nach Barack Obamas ein weiterer Neustart möglich? Kissingers Antwort lässt zumindest hoffen:
Folgt man Kissinger, dann geht es nicht um einen Neustart, sondern um eine flexible Reaktion auf die angespannte Weltlage – etwa so, wie Ost und West im Kalten Krieg Ende der 60er-, Anfang der 1970er-Jahre alte Fragen neu stellten. ist überzeugt: »Es ist durchaus denkbar, dass die beiden kurzfristig und taktisch zusammenarbeiten.« Ganz ähnlich formuliert es der Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, Bilaterale Absprachen könnten helfen, So sei es denkbar, dass Putin und Trump schnell Einigkeit über das Vorgehen in Syrien finden. Zugleich weisen die beiden Politikwissenschaftler darauf hin, dass jedes außenpolitische »Geschäft«, das nicht durch verlässliche Verträge abgesichert ist, nur eine begrenzte Halbwertszeit habe. Dennoch lassen sich Best-Case-Szenarien entwerfen. Exemplarisch soll dies im Folgenden für die Ukraine und Syrien geschehen.
Führt die Minsker Roadmap zum Frieden in der Ukraine?
Die Ukraine-Frage hat wegweisende Bedeutung. Das Land ist Teil einer Weltregion, in der die Angst vor Putin-Trump-Deals so groß ist wie nirgends sonst. Im Osten Europas, von den baltischen Staaten über ehemalige Sowjetsatelliten wie Polen und Rumänien bis in den Kaukasus ist die Erinnerung an den historischen »Geschäftsabschluss« der äußerst lebendig. Damals handelte Josef Stalin mit US-Präsident Franklin D. Roosevelt und dem Briten Winston Churchill die geopolitische Nachkriegsordnung in Europa aus – Besorgte Kommentatoren in Kiew, aber auch weiter im Westen fragen: Im Wahlkampf hatte der künftige US-Präsident sogar eine Anerkennung der völkerrechtswidrigen Krim-Annexion durch Russland in Aussicht gestellt.
Dazu wird es kaum kommen, schon weil sich die Krim-Frage derzeit nicht stellt. In den Minsker Friedensgesprächen über den Konflikt in der Ostukraine Die Verhandlungspartner hielten sich an eine uralte Regel der Diplomatie, die in der Entspannungspolitik des Kalten Krieges oberste Leitlinie war: Ein Deal à la Trump könnte die Bremsen in den Normandie-Gesprächen lösenStattdessen gibt es seit mehr als 2 Jahren Verhandlungen von denen Gernot Erler sagt, sie seien »zäh, aber wir dürfen nicht aufgeben«. Der Russlandbeauftragte geht noch weiter: »Wenn Trump und Putin eine neue Gesprächsbasis finden, dann wäre das ganz in unserem Sinn. Wir verfolgen seit Jahren eine Doppelstrategie, die außer Sanktionen vor allem auf Dialog setzt.« Putin und Trump haben sich zum Dialog bereit erklärt. Im besten Fall würden sich also im Zuge des »deal-making« die Bremsen in den Normandie-Gesprächen lösen lassen.
Was dabei herauskommen könnte, zeigt das Beispiel Georgien. Die ehemalige Sowjetrepublik Die Niederlage zementierte den Moskauer Einfluss in der abtrünnigen georgischen Region Ossetien, aber auch in Abchasien. Der andauernde Territorialstreit (»frozen conflict«) macht es der Regierung in Tiflis unmöglich, ihre Pläne für einen NATO-Beitritt voranzutreiben, da die Allianz keine Staaten mit offenen Grenzfragen aufnimmt. Das wiederum beruhigte die Strategen im Kreml. Doch mehr noch: Der aggressiv antirussisch auftretende Präsident Michail Saakaschwili verlor in Georgien nach dem Ossetien-Krieg an Unterstützung. Seine Regierung wurde 2012 abgewählt. Seither Im Sommer 2014 wurde in Brüssel ein unterzeichnet, ohne dass der Kreml mehr als nur verbal interveniert hätte.
Die Teiler Osteuropas: Winston Churchill, Franklin D. Roosevelt und Josef Stalin 1945 in Jalta auf der Krim
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Quelle:
U. S. Signal Corps
Zwar gibt es inzwischen auch einen Aber die Lage im Osten des Landes bleibt extrem angespannt. Hier wäre Trump gefordert. In US-Denkfabriken wie dem Center for the National Interest oder der Heritage Foundation, die dem künftigen Präsidenten nahe stehen, werden konkrete Planspiele durchexerziert. Die Ergebnisse sind nicht einheitlich. Aber es gibt eine starke Strömung, die betont, Trump habe die Chance, sich mit »game changing proposals« an Putin zu wenden, also mit Vorschlägen, die Das käme einer
Die Regierung in Kiew lehnt derartige Vorschläge vehement ab. Sie pocht auf die territoriale Integrität des Landes, und es ist auch keine Frage: Dies wäre ein Akt reiner Realpolitik und ein Bruch des Völkerrechts. Starke Unterstützung bekommt die Ukraine in ihrer Haltung von Es wäre an Trump, Putin und für einen Deal zu gewinnen, der die akute Krise entschärfen und Entwicklungsperspektiven offen halten würde.
Syrien: Kein Schrecken ohne Ende
Behält Volker Perthes recht, dann könnten »die Präsidenten Putin und Trump rasch Einigkeit über das Vorgehen in Syrien finden«. Aber ist ein solches Szenario wirklich realistisch?
Unstrittig ist, dass die krisengeschüttelte EU ein großes Interesse an einer Beruhigung der Lage nicht nur in der Ukraine, sondern erst recht im arabischen Raum hat. Spätestens seit 2015 mehr als 1 Million Geflüchtete Schutz in Europa suchten, wissen die Europäer, wie nah der Nahe Osten wirklich ist. Angesichts des Brexit-Referendums, des Streits mit der Türkei, eines wachsenden Populismus auf dem Kontinent und der schwelenden Euro-Krise wäre es geradezu eine Erlösung, wenn es Trump gelänge, im Syrien-Konflikt, wie Gernot Erler sagt, »neue Brücken nach Moskau zu bauen«. Umgekehrt kann das wirtschaftlich schwer angeschlagene Russland
Ein Putin-Trump-Deal in Syrien ließe sich auf die Formel bringen: Der Westen bekommt Frieden und Entspannung, Russland wird außenpolitisch aufgewertet und profitiert von einer neuen ökonomischen Kooperation samt Aufhebung von Sanktionen. Aber kann das konkret funktionieren?
Der einzige Flugzeugträger Russlands, die Admiral Kusnezow
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Quelle:
Mil.ru
Die Für den Kontext des Themas entscheidend ist, dass Russland im Herbst 2015 mit einem vor allem luftgestützten Militäreinsatz direkt in den Krieg eingegriffen hat, während die USA unter Barack Obama eine Intervention vermieden haben. Beides hat dazu geführt, dass sich Putin im Syrien-Konflikt »unverzichtbar« gemacht hat, wie Erler sagt: »Es muss zu Absprachen zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml kommen.«
Dreh- und Angelpunkt aller Verhandlungen ist die Zukunft des syrischen Diktators Baschar al-Assad. Putins In diesem Sinne war auch der nicht zuletzt, da es auch Assad wiederum verkörperte von Anfang an so etwas wie die »Wehrhaftigkeit der Diktatur«. Sein politisches Überleben wurde aus Putins Perspektive zu einem Symbol für die eigene Verteidigungsfähigkeit gegen die US-Politik des
Was in Syrien helfen könnte: Ein InteressenausgleichKann ausgerechnet der als unberechenbar geltende Trump in diesem explosiven Umfeld einen Neuanfang erreichen? Henry Kissinger hält, wie Volker Perthes, einen Interessenausgleich nicht nur für denkbar, sondern für machbar:
Perspektiven, oder: Selbst ein Berg an Problemen lässt sich abtragen
Noch einmal: Es gibt keinerlei Garantie dafür, dass Trump und Putin auf eine Weise zueinander finden, die der Welt mehr Entspannung oder sogar Frieden bringen könnte. Aber es gibt eben nicht nur Horrorszenarien sondern auch Best-Case-Perspektiven. Deals in Syrien und der Ukraine könnten den Anfang machen. Allerdings bleibt der Berg der Ost-West-Probleme auch dann noch hoch. Da gibt es an der Spitze emotional aufgeladene Detailfragen wie den Streit um Darunter liegt eine Schicht mit Problemen, die trotz wiederholter Versuche nicht gelöst werden konnten, etwa der Das Fundament bildet der der sich seit Beginn der Ukraine-Krise
Lässt sich ein solcher Problemberg überhaupt abtragen und wenn ja: Wo könnten Trump und Putin nach möglichen Deals in Syrien und der Ukraine weitermachen?
Was könnte nach einem Ukraine-Deal Trumps und Putins folgen?Vielleicht »einfach« in der Ukraine oder, weiter gefasst, im postsowjetischen Raum. Wer wie Kissinger die russische Sicht auf Geschichte und Gegenwart ernst nimmt, erkennt bald die Legitimität sowohl der westlichen als auch der russischen Deutung der aktuellen Lage. Der Westen, der mit den NATO- und EU-Staaten vom Baltikum bis zum Balkan längst auch große Teile des ehemaligen Ostblocks umfasst, ist nach dem Ende des Kalten Krieges wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass die unabhängigen Staaten im Osten Europas das Recht der freien Bündniswahl besitzen. Ein von Russland formulierter Anspruch auf einen besonderen geopolitischen Einfluss in seinem kann aus dieser Perspektive keine Rechtfertigung besitzen. Russische Einkreisungsängste werden dabei oft mit der These abgetan, die
Das kann man so sehen, muss man aber nicht, und deshalb ist das behauptete russische Sicherheitsinteresse im postsowjetischen Raum eben sehr wohl legitim. Hören wir zum guten Schluss noch einmal Henry Kissinger: »Die Ukraine ist zu einem Symbol der Krise [zwischen West und Ost] geworden, aber ebenso könnte sie einen Ausweg weisen. […] Das Land ließe sich als eine Brücke zwischen der NATO und Russland konzipieren.« Den Anfang machen könnte eine
Kissinger und Kurz sind nicht die Ersten und nicht die Einzigen, die derartige Perspektiven formuliert haben. Nach dem Wahlsieg des »Geschäftemachers« Donald Trump könnte die Idee einer ukrainischen Ost-West-Brücke nun aber Auch das Gelingt der Brückenschlag, dann mag man das einen Reset nennen oder sogar eine neue Weltordnung.
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Ulrich Krökel, Jahrgang 1968, hat Osteuropa-Geschichte und slawische Sprachen in Kiel und Irkutsk studiert und 10 Jahre als Nachrichtenredakteur für norddeutsche Zeitungen gearbeitet. Es folgten einige Jahre als freier Korrespondent in Warschau, mittlerweile blickt er von Berlin aus für diverse Medien in den Osten.