Das System ist am Ende. Das Leben geht weiter
Autor und Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel reflektiert im Essay aus seinem neuen Buch darüber, wie es weitergehen kann, wenn die Coronapandemie vorbei ist. »Etwas Neues entsteht, und dieses Neue kann besser sein als das nunmehr Vergehende.«

Wie geht es weiter, wenn COVID-19 abgeebbt sein wird? Die Meinungen sind geteilt. Die einen fürchten, dass dann eine lange Durststrecke komme mit vielen Firmenpleiten und Arbeitslosen, gesellschaftlichen Verwerfungen und politischen Umbrüchen, kurz: Sie fürchten eine schlechtere Welt. Andere hoffen, dass diese Erfahrung viele läutern werde, weil viele begriffen, was wirklich zählt im Leben. Die Welt werde so eine bessere. Und wieder andere gehen davon aus, dass nach einer Zeit des Übergangs im Großen und Ganzen alles weitergehen werde wie bisher.
Wer recht behält, wird die Zukunft weisen. Historische Erfahrungen legen jedoch nahe, dass es Letztere sein werden. Denn weder Einzelne noch Völker lassen sich durch singuläre Ereignisse wie Pandemien und selbst Kriege dauerhaft aus der Bahn werfen. Wer hätte gedacht, dass nach dem epochalen Zusammenbruch des »Dritten Reiches« die Deutschen so schnell wieder Tritt fassen würden. Sie selbst wohl am allerwenigsten. Doch sie krochen aus ihren Schützengräben und Luftschutzbunkern und wandten sich dem Nächstliegenden zu: etwas zu essen, Kleidung, eine Behausung und verblüffend schnell auch wieder Unterhaltung, Kunst und Kultur.
Die Monstrosität des Nationalsozialismus war abgeschüttelt. Doch die darunter befindlichen wirtschaftlichen, sozialen und in Teilen sogar politischen Strukturen bestanden fort. Im Grunde gilt das bis heute, wenn auch mit immer deutlicher werdenden Einschränkungen. Denn das System, nach dem zunächst die sogenannten westlichen Gesellschaften und schließlich der größte Teil der Menschheit angetreten sind, weist unübersehbare Mängel auf, die mit den erprobten Methoden nicht mehr zu beheben sind.
Titelbild: Cover: oekom Verlag/ Illu:Mirella Kahnert