Wer trägt die Kosten für die Pandemiebekämpfung?
Betreiber:innen von Clubs, Kneipen, Hotels und Kinos stehen vor dem finanziellen Ruin. Mehr als 900 ziehen jetzt vor Gericht und kämpfen stellvertretend für Zehntausende um Entschädigung. Mit Erfolg?

Vermisst du es auch, einfach mal wieder ausgelassen tanzen zu gehen oder nachts sorglos durch die Bars zu streifen? Eines ist sicher: Mehr noch als du sie vermisst, vermissen die Club- und Kneipenbetreiber:innen dich. Denn dein Geld ist ihre Existenzgrundlage.
Um ihre Existenz kämpft gerade auch Familie Knoll. Normalerweise steht Janet Knoll, von ihren Gästen auch liebevoll »Mutti« genannt, hinter dem Tresen ihrer Magdeburger Musikkneipe »Flowerpower«. Sie verdient damit den Großteil des Einkommens für die 4 Familienmitglieder. Doch statt »Love, Peace & Rock’n’Roll«, Konzerten und Tanzmusik herrscht in der Kneipe bereits seit dem 18. März 2020 Stille. Niemand weiß, wann Musikkneipen und Diskotheken wieder öffnen dürfen.

Familie Knoll lebt jetzt hauptsächlich von Hartz IV. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich für sie nach eigener Aussage ein Schaden von rund 80.000 Euro ergeben. Einen großen Teil ihrer Altersvorsorge mussten sie auflösen. Vermieter:innen, Versicherung und Banken verlangen weiter die laufenden Zahlungen, der Staat ersetzt nur einen
Wie groß dürfen die Opfer einiger Berufsgruppen sein, um uns alle zu schützen?
Deshalb hat sich das Ehepaar Knoll einer Initiative angeschlossen, die jetzt vor die Gerichte zieht. Die über 900 Betreiber:innen von Restaurants, Kneipen, Discos, Läden, Kinos und Hotels sowie Künstler:innen wollen vom Staat finanziell für den Coronalockdown entschädigt werden. Sie kämpfen stellvertretend für Zehntausende, die wegen der Pandemie schließen mussten oder nicht mehr arbeiten dürfen. Ihr Ziel: Die Gesetzgeber:innen sollen eine neue Ausgleichsregel in das
Wenn sie mit ihrem Anliegen Erfolg haben, wird das teuer für den Staat. Doch der Staat, das sind wir alle, wie Michael Knoll treffend schreibt. Die Fragen, die uns daher auch alle betreffen, lauten also: Wie sollten die Lasten der Coronakrise gerecht verteilt werden? Wie groß dürfen die Opfer einiger Berufsgruppen sein, um uns alle zu schützen?
Deshalb verlangen die Kläger:innen eine Corona-Entschädigung
Wolfgang Schirp, einer der Anwälte der Initiative, hat darauf eine deutliche Antwort: »Wenn der Staat jetzt den schuldlos in Anspruch genommenen Gewerbetreibenden Entschädigung leisten muss, dann ist das der Preis für die gewählte Form der Pandemiebekämpfung. Der Rechtsstaat,
Dabei verlangen die Kläger:innen nicht einmal ihren gesamten entgangenen Gewinn, sondern nur die festen Betriebskosten wie Miete, Gehälter oder Kreditzahlungen und eine angemessene Vergütung der Betriebsinhaber:innen – abzüglich staatlicher Soforthilfen.
In den Klagen argumentieren sie vor allem mit den Grundrechten des Eigentums und der Berufsfreiheit.
Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. […] Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. […] Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen.
Ob der Lockdown wirklich nötig war, zweifeln die Kläger:innen nicht an. Auch wenn Anwalt Schirp selbst viele der getroffenen Entscheidungen für unverhältnismäßig hält. Aber darum geht es bei der Argumentation nicht.
Der Staat hat den Kläger:innen untersagt, ihren Gewerbebetrieb weiterhin zu öffnen oder ihren Beruf auszuüben, etwa das Kunstschaffen. Damit nimmt er ihnen, zumindest vorübergehend, ihre Grundrechte – und im schlimmsten Fall auch die wirtschaftliche Existenzgrundlage. »Es gibt aber keine entschädigungslose Entziehung von Grundrechten«, so Schirp.
Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.
»Die Lasten der ergriffenen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung haben ausschließlich wir Gewerbetreibenden zu schultern«, sagt Michael Knoll.

Viele andere Berufsgruppen trifft die Coronakrise kaum. Eine solche Ungerechtigkeit sei nicht mit dem »Sozialmodell des Grundgesetzes vereinbar«, steht daher auch in der Klage.
Mit dieser Ansicht sind die Kläger:innen nicht allein. Auch Ex-Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier plädiert für gesetzliche
Was spricht gegen eine Entschädigung?
Es gibt aber auch Jurist:innen, die das anders sehen. Die Kanzlei Rödl & Partner etwa schreibt auf ihrer Website, dass sie die Bemühungen der Kolleg:innen
Die Soforthilfen sind auch immer wieder das Hauptargument der Gerichte gegen klagende Gewerbetreibende – neben weiteren Gründen:
- Das
- Das
- Auch das
Weil es in Entscheidungen der Landgerichte aber nicht um Grundrechte ging, sind die Kläger:innen und ihre Anwälte weiter zuversichtlich, dass zumindest das Bundesverfassungsgericht auf ihrer Seite stehen wird. Janet und Michael Knoll finden: »Wir erbringen ein erhebliches finanzielles Opfer für das Gemeinwohl. Dafür müssen wir angemessen entschädigt werden.«
Was denkst du darüber? Sollten vom Lockdown betroffene Betriebe vom Staat Entschädigung verlangen können? Und wenn ja, in welchen Fällen und in welcher Höhe? Diskutiere mit mir darüber in den Kommentaren.
Hier findest du die beiden anderen aktuellen Dailys:
Titelbild: Benedikt Geyer