Er ist wieder da: So sieht moderner Faschismus aus
So erkennst du ihn treffsicher in all seinen Formen.
Eine demokratische Wahl vor dem Ende ihrer Auszählungen abbrechen zu wollen und sich selbst zum Sieger zu erklären, widerspricht gelinde gesagt demokratischen Standards. Doch es entspricht ganz dem Stil von US-Präsident Donald Trump. Für Beobachter der US-Politik kommt ein solcher Winkelzug nicht überraschend.
Manche fanden bereits in der Vergangenheit deutlichere Worte für sehr extreme Forderungen Trumps,
Und spätestens seit dem Tränengaseinsatz gegen friedliche Demonstrierende vor dem Weißen Haus, der Juristen und Bürgerrechtler weltweit entsetzt hatte, steht das F-Wort prominent im Raum. Nicht nur in den USA.
Dabei kennen die meisten von uns das Wort »Faschismus« eher aus dem Geschichtsunterricht. Da ist etwa Italien 1925 oder Deutschland 1933 gemeint. Ist die Bezeichnung also vielleicht übertrieben?
Nein, ist sie nicht.
Der Faschismus braucht den Ausnahmezustand
In den letzten Wochen wurde ich immer wieder gefragt, ob es nicht überzogen sei, von modernem »Faschismus« zu sprechen – nicht nur auf Donald Trump bezogen, sondern auch im Hinblick auf das Verhalten so mancher Parteien und Kandidaten hierzulande. Daher möchte ich kurz skizzieren, was modernen Faschismus eigentlich ausmacht. Grundlage für die folgenden Betrachtungen ist die Lektüre zahlreicher Bücher, die sich mit dem Phänomen des modernen Faschismus auseinandersetzen. Besonders ans Herz legen kann ich das Buch
Der AfD-Politiker Björn Höcke darf gerichtsfest als Faschist bezeichnet werden
Zentral für den Faschismus waren immer schon Erzählungen des
Dabei ist Faschismus etwas anderes als moderner Rechtsextremismus, auch wenn beide Ideologien viele Aspekte teilen und Schnittmengen haben.
Faschisten versprechen ihren Anhängern stets ein »Erwachen«, eine »Wiedergeburt« der vermeintlich »degenerierten« Nation. Hierzu bedürfe es jedoch außergewöhnlicher Anstrengungen. Mit einem solchen
- Etwa die Erzählungen einer angeblichen »Genderverschwörung« zur »Zerstörung« der »klassischen« Familie.
- Oder das exzessive Berichten über Verbrechen, bei denen Täter angeblich Migranten waren – und mit ihren »fremden« Werten das Heimatland angreifen.
- Auch die »Knechtung der Nation durch fremde Mächte« oder ein »Verfall der Moral« durch liberale Kräfte im Inland sind mögliche Narrative.
Heilsversprechen und auch verzerrte Vorstellungen davon, wie etwa »die gute alte Zeit« war, können eine zentrale Rolle spielen. Der Motor dahinter ist eine tiefe menschliche Emotion: die Angst.
Nicht nur Faschisten arbeiten mit Verschwörungsmythen. Du willst verstehen, warum Menschen Angst vor 5G, Zwangsimpfungen und Mikrochips von Bill Gates haben? Dann lies dieses Interview:
Von Ängsten zu Gewalt
Die Konfliktforscher Holger Marcks und Maik Fielitz analysieren in ihrem Buch »Digitaler Faschismus« die Psychologie dahinter. Sie schreiben: »Die abstrakte Gefahr wird mit einer Gefahr für Leib und Leben verknüpft und erhält so eine emotionale Grundlage, auf der die Nation sich als existenziell bedroht erfahren kann – und auf der Fantasien des nationalen Erwachens blühen können.«
Es sind diese Erzählungen von einem angeblichen »Ausnahmezustand«, die eine Notwendigkeit konstruieren sollen, das Land von »feindlichen Elementen« zu »befreien«. Faschisten präsentieren sich dabei als Helden. Sie allein seien angetreten, um »Probleme« anzupacken, bei deren Lösung der Staat angeblich kläglich versagt. Und in diesem konstruierten »Endkampf« gegen den politischen Feind gelten die normalen Regeln nicht mehr. Moral und Recht sollen sich der faschistischen Notwendigkeitslogik beugen.
Indem man barbarische Feindbilder schafft, wird die eigene Barbarei gerechtfertigt.
Darin schwingt auch die
Die Menschenrechte werden für den Kampf gegen den politischen Gegner außer Kraft gesetzt. Doch in dem alles überschattenden Narrativ von Untergang und Auferstehung stecken auch zahlreiche Widersprüche, die dem Faschismus zu eigen sind. Denn einerseits wird die eigene Gruppe als übermächtig dargestellt (um sich überlegen zu fühlen), andererseits werden Opfermythen konstruiert, die die vermeintliche »Notwehr« gegen politische Gegner und Feindbilder rechtfertigen sollen. Man ist sozusagen schwaches Opfer und starker Held zugleich. Je nach Situation werden die Perspektiven gewechselt.
Dies ist das Update des Faschismus im 21. Jahrhundert
Viele denken beim Begriff »Faschismus« an straff von oben herab organisierte Organisationen. Schließlich kennt jeder aus dem Geschichtsunterricht die Berichte darüber, wie die Nazis von Arbeitnehmerverbänden bis hin zur Kinderbetreuung ihre eigenen ideologisch-linientreuen Organisationen nach dem Führerprinzip aufgebaut haben.
Heute gibt es online aber eine Vielzahl verbundener Akteure, die gleichzeitig für sich beanspruchen, jeweils den »Volkswillen« zu kennen und zu vertreten. Das ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch, tatsächlich ist es ein Update. Eine Art dezentraler Faschismus, geeint durch gemeinsame Ideen und Plattformen. Hinter den Kulissen gibt es eine rege Vernetzung zwischen Influencern, Parteiakteuren und lokalen Gruppen. Auch ohne immer einer Meinung zu sein, sind sie sich in ihren Feindbildern einig.
Verschwörungsmythen erfüllen sowohl im modernen Rechtsextremismus als auch im Faschismus eine wichtige Funktion,
Und das Ziel des Ganzen?
Faschisten wollen nach wie vor die absolute Deutungshoheit erringen. Und das Internet spielt heutzutage eine zunehmend große Rolle dabei.
Dem historischen Faschismus stand noch nicht das Internet zur Verfügung. Doch auch damals wurde systematisch auf neue und eigene Medien gesetzt. Der »Volksempfänger« (Radio) war für die NS-Propaganda ein unverzichtbares Mittel.
Bei der ideologischen Dauerberieselung der Bevölkerung wird alles, was der »heiligen Mission der nationalen Wiedergeburt« widerspricht, kurzerhand als Lüge, Verschwörung oder Verrat diskreditiert. Der Faschismus konstruiert sich so Stück für Stück seine eigene Realität. Fakten werden durch Mythen und gefühlte Realität ersetzt. Heute werden hierfür unter anderem soziale Medien genutzt.
Doch wer meint, soziale Medien würden die alleinige Schuld für das Erstarken faschistischer und rechtsextremer Gruppierungen tragen, irrt. Tatsächlich ist es kompliziert.
Was Donald Trump und die US-Medien uns über modernen Faschismus beibringen sollten
Faschisten sind auch deshalb mancherorts so erfolgreich, weil sie es immer wieder schaffen, ihre Gruppe online größer darzustellen, als sie ist. So wird Druck auf klassische Medien ausgeübt, über die jeweiligen Themen (samt gewünschtem Framing) zu berichten – oder aber die Berichterstattung anzupassen. So fordert die extreme Rechte in Deutschland etwa regelmäßig, die Herkunft von Tatverdächtigen zu veröffentlichen. Einige Redaktionen tun dies mittlerweile.
Klassische Medien werden damit ungewollt zu Helfershelfern.
»Jedes Zeitalter hat seinen eigenen Faschismus.« – Primo Levi, italienischer Holocaustüberlebender
Auch der Erfolg von Donald Trump speist sich nur in Teilen aus eigenen Kanälen. Ohne die immense Sendezeit in klassischen Medien und die Unterstützung rechter Medienimperien hätte Trump es vor Jahren wohl kaum geschafft, zum Kandidaten gekürt zu werden. Oft heißt es, Trump mangele es an Intelligenz. Doch Fakt ist, dass er es wie kaum ein anderer versteht, auf der Klaviatur der modernen Aufmerksamkeitsökonomik zu spielen.
Ob Trump wohl tatsächlich an all das glaubt, was er seinen Anhängern erzählt? Ob er sich nur aus strategischen Gründen nicht von der radikalen Verschwörungssekte
Faschisten verstehen sich darauf, die Mechanismen der jeweiligen Zeit für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Das gilt sowohl für historische als auch moderne faschistische Gruppierungen. Der Kern bleibt der gleiche: Er ist zutiefst antidemokratisch – auch wenn manche Vertreter sich heutzutage gern als Verteidiger von Basisdemokratie inszenieren.
Eines der prominentesten zentralen Merkmale von Faschismus zu allen Zeiten ist es, die vermeintlich schweigende Mehrheit für sich zu reklamieren. Faschisten nehmen für sich in Anspruch, sie allein würden (unabhängig von Wahlergebnissen) den »wahren Volkswillen« repräsentieren.
Dahinter steht eine äußerst problematische Annahme: der Glaube, sowieso eine einzigartige Verbindung vom »Volk« zu haben, die allen anderen Parteien abginge. Weitergedacht bedeutet das: Es braucht keine demokratischen Wahlen mehr.
Letztendlich wollen Faschisten nichts Geringeres als eine Diktatur.
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily