Goodbye, Kapitalismus: So kann der Übergang zu einer neuen Wirtschaftsordnung gelingen
Welt ohne Wachstum, schön und gut. Die Frage ist nur: Wie verabschieden wir uns vom Kapitalismus, ohne dass alles zusammenbricht?
Es ist nicht originell, ein Ende des Kapitalismus zu prognostizieren. Denn es ist eine Binse, dass es in einer endlichen Welt kein unendliches Wachstum geben kann. Viele Kapitalismuskritiker_innen frohlocken, sobald sie diese Prognose hören, doch darf man sich das Ende nicht friedlich vorstellen. Der Kapitalismus wird chaotisch und brutal zusammenbrechen – nach allem, was man bisher weiß.
Der Pessimismus mag zunächst übertrieben wirken. Schließlich fehlt es nicht an Konzepten, wie eine ökologische Kreislaufwirtschaft aussehen könnte, die den Kapitalismus überwinden soll. Einige Stichworte lauten: erneuerbare Energien, Recycling, langlebige Waren, öffentlicher Verkehr, weniger Fleisch essen, biologische Landwirtschaft und regionale Produkte.
Man würde zwar auf Konsum verzichten – aber diese Selbstbeschränkung könnte sogar entspannend sein. Alle Studien zeigen, dass Wohlstand nicht glücklicher macht, sobald eine gewisse Einkommensschwelle überschritten ist, die bei ungefähr 27.500 US-Dollar pro Kopf und Jahr liegt. Nur zum Vergleich: Die Deutschen verfügen derzeit über 44.500 US-Dollar pro Kopf. Da wäre ein bisschen Verzicht zumutbar.
Eine ökologische Kreislaufwirtschaft wäre also möglich, aber leider ist ein Problem noch ungelöst: Es fehlt die Brücke, die vom Kapitalismus in diese neue »Postwachstumsökonomie« führen soll. Über den Prozess der Transformation wird kaum nachgedacht. Der Kapitalismus fährt gegen eine Wand, aber niemand erforscht den Bremsweg.
Viele Kritiker_innen glauben, es sei nur eine moralische Frage des Willens, auf Wachstum zu verzichten und den Kapitalismus abzuschaffen. Oder sie halten es für ein politisches Problem der realen Herrschaftsverhältnisse, dass sich die ökologische Kreislaufwirtschaft noch immer nicht durchsetzt. Tatsächlich sind es aber rein ökonomische Gründe, die einen Übergang zu einem neuen System so schwierig oder gar unmöglich machen.
Die Vorschläge für eine Postwachstumsgesellschaft basieren letztlich immer auf der Idee, Arbeit und Einkommen zu reduzieren. Doch der Kapitalismus ist keine Badewanne, aus der man einfach die Hälfte des Wassers ablassen kann. Er ist kein stabiles System, das zum Gleichgewicht neigt und verlässliche Einkommen produziert, die man ruhig senken kann. Stattdessen ist der Kapitalismus ein permanenter Prozess. Sobald es kein Wachstum gibt, droht chaotisches Schrumpfen – was die Gesellschaft instinktiv weiß.
Die Finanzkrise ab 2007 war dafür lehrreich: Kaum sank die Produktion, wurden hektisch Konjunkturpakete aufgelegt, wurden Kurzarbeit und Abwrackprämie beschlossen, um die Arbeitsplätze zu retten. Der Kapitalismus funktioniert anders, als es die Werbung oder auch viele seiner Kritiker_innen suggerieren: Es geht gar nicht um die Waren, die wir konsumieren. Die Produkte sind nur Hilfsmittel für einen höheren Zweck. Das Endziel sind die Arbeitsplätze. Wir arbeiten, um zu arbeiten. Denn nur wer Arbeit hat, hat Einkommen, Sicherheit und Anerkennung.
Der US-amerikanische Ökonom John Kenneth Galbraith hat bereits 1958 auf ein seltsames Phänomen hingewiesen: In einer Wirtschaftskrise wird nie bedauert, dass viele Waren nicht entstehen, weil die Fabriken nicht ausgelastet sind. Die sinkende Gütermenge ist egal. Niemand leidet, weil plötzlich weniger Autos hergestellt werden. Stattdessen werden nur die Arbeitsplätze beklagt, die in der Krise wegfallen. Angeblich konsumieren wir uns zu Tode – aber das ist eine falsche Wahrnehmung. Wir produzieren uns zu Tode. Das kollektive Ziel ist Vollbeschäftigung, nicht Vollkonsum.
Theoretisch klingt die Lösung erneut einfach: Wir konsumieren nicht nur die Hälfte – sondern arbeiten auch nur die Hälfte. Dann hätte jede_r das nötige Auskommen, um seine oder ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Diese Idee wird gern als Grundeinkommen präsentiert. Wenn jede_r garantierte Bezüge hätte, dann würde die Arbeitsneigung bestimmt sinken.
Doch so erstaunlich es klingen mag: Ein Grundeinkommen würde den Kapitalismus nicht etwa bremsen, sondern sogar noch befeuern. Denn die heutigen Hartz-IV-Empfänger_innen hätten mehr Geld – und zudem wären die Angestellten nicht mehr erpressbar und könnten bessere Gehälter aushandeln. Mit dem Einkommen würde aber auch die Nachfrage steigen, was wiederum das Wachstum ankurbeln würde.
Natürlich könnte man zu Zwangsmaßnahmen greifen – und die maximal erlaubte Arbeitszeit vorschreiben oder das Wachstum gleich ganz verbieten, indem die Unternehmen nur noch bestimmte Kontingente fertigen dürfen. Doch dies würde wieder jenes chaotische Schrumpfen auslösen, das nicht beherrschbar ist.
So erstaunlich es klingen mag: Ein Grundeinkommen würde den Kapitalismus nicht etwa bremsen, sondern sogar noch befeuern.
Wie dieser Strudel genau funktioniert, hat der Schweizer Ökonom Hans Christoph Binswanger schön beschrieben, der sich sein Leben lang mit Umweltfragen befasste und unter anderem die Ökosteuer modelliert hat, wie sie unter Rot-Grün in Deutschland eingeführt wurde. Binswanger trieb die Frage um, ob der Kapitalismus auf das zerstörerische Wachstum verzichten könne. Seine Antwort lautete: Nein. Denn die »Investitionsketten« würden reißen, wie er es technisch ausdrückte. Übersetzt: Firmen investieren nur, wenn sie Gewinne erwarten. Gesamtwirtschaftlich sind die Gewinne aber identisch mit dem Wachstum. Ohne Wachstum müssen die Unternehmen also Verluste fürchten. Sobald aber Profite ausbleiben, investieren die Unternehmen nicht mehr, und ohne Investitionen bricht die Wirtschaft zusammen. Es würde eine unkontrollierbare Abwärtsspirale einsetzen, die an die Weltwirtschaftskrise ab 1929 erinnert: Arbeitsplätze gehen verloren, die Nachfrage sinkt, die Produktion schrumpft, noch mehr Stellen verschwinden.
Wenn man Wachstum verhindert, wäre der Kapitalismus zwar beendet, aber das Ergebnis wäre nicht jene ökologische Kreislaufwirtschaft, die sich Umweltschützer_innen erhoffen. Vielmehr wäre es eine Wirtschaft im freien Fall, die Panik erzeugt. Es erschüttert die Menschen zutiefst, wenn sie ihren Arbeitsplatz und ihr Einkommen verlieren. Alle großen Wirtschaftskrisen waren ungemein gefährlich – für die Demokratie. Auch in den Krisenländern der Eurozone ist bereits zu beobachten, dass Regierungen auseinanderfallen und rechtspopulistische Parteien erstarken.
Nicht wenigen Wachstumskritiker_innen ist diese systemische Sicht zutiefst suspekt, die die Wirtschaft von »oben« betrachtet. Sie würden lieber von »unten« beginnen, indem jeder Einzelne seinen Konsum, aber auch seine Arbeitszusammenhänge verändert. Sie stellen sich die Wirtschaft als eine Summe vor, bei der viele kleine Nischen am Ende ein neues Ganzes ergeben. Nach diesem Prinzip funktioniert etwa die »Gemeinwohlökonomie« des österreichischen Attac-Gründers Christian Felber, der an ökologische Betriebe ein Zertifikat vergibt und hofft, dass sich irgendwann alle Unternehmen zertifizieren lassen.
Auf den ersten Blick wirkt diese Idee bestechend, weil viele Unternehmen bereits nachhaltig produzieren. Dazu gehört etwa Heini Staudinger, der im österreichischen Schrems bequeme und formschöne Öko-Schuhe herstellt – und zu einer Ikone der Wachstumskritiker_innen geworden ist.
Dennoch kann der Ansatz nicht funktionieren, zunächst einzelne Betriebe zu konvertieren und am Ende die Gesamtwirtschaft zu revolutionieren. Die Wachstumskritiker_innen machen genau den gleichen Fehler wie ihre neoklassischen Gegner_innen: Sie glauben, dass die Wirtschaft nur eine Summe aller Unternehmen sei. Sie verwechseln Betriebs- mit Volkswirtschaft und verstehen nicht, dass der Kapitalismus ein Prozess ist, der Einkommen nur erzeugen kann, wenn es die Aussicht auf Wachstum gibt. Binswanger hat dieses Dilemma richtig beschrieben, und es verschwindet nicht, nur weil man es ignoriert.
Da sich das Wachstum nicht einfach abschaffen lässt, machen seit einiger Zeit Konzepte wie »Green New Deal« oder »nachhaltiges Wachstum« Karriere. Sie leben von der Hoffnung, dass sich Wachstum und Rohstoffverbrauch »entkoppeln« lassen, indem die Effizienz gesteigert wird. Der Energieaufwand pro Wareneinheit soll sinken, damit das Klima nicht leidet und Wachstum trotzdem möglich ist. Es klingt wie die Quadratur des Kreises: Plötzlich sollen Ökonomie und Ökologie keine Gegensätze mehr sein, denn eine Ökosteuer soll vermitteln, die Verschwendung bestraft und Effizienz belohnt.
Das Konzept der »Entkopplung« ist nicht völlig abwegig, denn seit 1970 hat sich der Energieverbrauch pro Wareneinheit halbiert. Die Umwelt wurde allerdings nicht entlastet, weil prompt der »Rebound Effect« zuschlug, der auf Deutsch auch »Bumerangeffekt« heißt. Die Kostenersparnis wurde genutzt, um die Warenproduktion auszudehnen, sodass der gesamte Energieverbrauch nicht etwa fiel, sondern sogar zunahm.
Der Rebound Effect wurde bereits 1865 von dem britischen Ökonomen William Stanley Jevons beschrieben und ist eine der wenigen Voraussagen über den Kapitalismus, die sich als richtig herausgestellt haben. Denn wer Energie oder Rohstoffe »spart« und mit weniger Materialeinsatz die gleiche Gütermenge herstellt, der steigert in Wahrheit die Produktivität – und ermöglicht damit Wachstum. Beim Traum von der »Entkopplung« wird erneut Betriebs- mit Volkswirtschaft verwechselt: Der einzelne Betrieb spart vielleicht Energie- und Rohstoffkosten, aber ein gesamtgesellschaftliches »Sparen« gibt es nicht im Kapitalismus.
Als Ausweg reicht es nicht, einfach auf regenerative Energien umzustellen. Denn weite Bereiche der Wirtschaft lassen sich nicht mit Ökostrom betreiben. Das Elektroauto ist keineswegs unproblematisch, weil die Batterie die Umwelt stark belastet, und auch Passagierflugzeuge heben nur mit Kerosin ab. Allein der Flugverkehr zerstört aber jede Hoffnung, die Klimaziele zu erreichen, wie eine einfache Rechnung zeigt, die der Postwachstumsökonom Niko Paech aufmacht: Wenn die Erderwärmung begrenzt bleiben soll, darf im Jahr 2050 jede_r menschliche Erdbewohner_in nur noch einen Ausstoß von 2,7 Tonnen CO2 pro Jahr verursachen. Ein Flug von Frankfurt nach New York schlägt aber bereits mit 4,2 Tonnen zu Buche, und nach Sydney sind es gar 14,5 Tonnen. Zwar unternehmen nicht alle ständig Fernreisen, aber der Trend im Luftverkehr zeigt stark nach oben, und schon jetzt hinterlässt jede_r Bundesbürger_in elf Tonnen CO2 im Jahr.
Wenn das Klima geschont werden soll, kann es kein Menschenrecht auf Fliegen geben. Damit aber wird wieder das böse V-Wort unvermeidlich, das das Wachstum bedroht: Verzicht. Dieser dürfte sich nicht aufs Fliegen beschränken, denn auch ansonsten lässt sich der Energieverbrauch nur reduzieren, indem weniger produziert wird. Alle Konzepte vom »nachhaltigen Wachstum« sind Mogelpackungen, weil es in Wahrheit kein Wachstum mehr gäbe, sondern mehr Nachhaltigkeit. Die richtige Bezeichnung wäre also »wachsende Nachhaltigkeit«.
Nur ein Beispiel: Jedes Konzept zum »nachhaltigen Wachstum« setzt darauf, dass sich das Carsharing durchsetzt und der öffentliche Transport zunimmt. Aber wenn sich mehrere Familien ein Auto teilen oder im Bus sitzen, werden weniger Autos gekauft. Die Automobilindustrie, der Deutschen ganzer Stolz, würde schrumpfen.
Wenn das Klima geschont werden soll, kann es kein Menschenrecht auf Fliegen geben.
Zudem reicht es nicht, sich nur auf den Klimawandel zu konzentrieren. Der CO2-Ausstoß ist nicht das einzige Umweltproblem; genauso bedrohlich sind Flächenverbrauch, Wasserknappheit, Artensterben und giftige Abfälle. Der Mensch hat rund 100.000 verschiedene Chemikalien in die Welt gesetzt, von denen nur in Ansätzen bekannt ist, wie sie miteinander interagieren. Der Verzicht ist alternativlos, wenn man die Ökosysteme retten will.
Es ist ein Dilemma: Ohne Wachstum geht es nicht, komplett grünes Wachstum gibt es nicht, und normales Wachstum führt unausweichlich in die ökologische Katastrophe. Der Kapitalismus erscheint wie ein Fluch. Er hat den Reichtum und den technischen Fortschritt ermöglicht, der es eigentlich erlauben würde, mit wenig Arbeit auszukommen. Aber stattdessen muss unverdrossen weiterproduziert werden, obwohl das in den Untergang führt.
In dieser Zwangslage bleibt derzeit nur ein pragmatisches Trotzdem: trotzdem möglichst wenig fliegen, trotzdem Abfall vermeiden, trotzdem auf Wind und Sonne setzen, trotzdem biologische Landwirtschaft betreiben. Aber man sollte sich nicht einbilden, dass dies rundum »grünes« Wachstum sei. Wie man den Kapitalismus transformieren kann, ohne dass er chaotisch zusammenbricht, muss erst noch erforscht werden.
Klar ist nur, wer sich dieser Aufgabe widmen müsste: die Makroökonom_innen. Doch bisher verweigert sich die Zunft. Die Neoklassiker_innen verstehen die Frage gar nicht, weil sie mit ihrer »Mikrofundierung« und ihren »Gleichgewichtsmodellen« das Problem nicht erfassen können. Die Keynesianer_innen hingegen verfügen eigentlich über die richtige Methode, sind aber bemerkenswert zögerlich, sich dem Thema Ökologie zu widmen. Zwar werden Einzelaspekte wie die Ökosteuer oder CO2-Zertifikate untersucht, aber der Rebound Effect bleibt ausgeblendet. Man hält an der Illusion fest, dass sich mit »Marktmechanismen« der Kapitalismus transformieren ließe.
Es ist ein Dilemma: Ohne Wachstum geht es nicht, komplett grünes Wachstum gibt es nicht, und normales Wachstum führt unausweichlich in die ökologische Katastrophe.
Zudem haben viele Ökonom_innen das Gefühl, dass die heutigen Volkswirtschaften zu komplex seien, um einen Komplettumbau zu modellieren. Doch dieser Pessimismus scheint mir verfrüht. Der Ökonom wächst mit seinen Aufgaben, wie der Zweite Weltkrieg gezeigt hat: Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, heute ein Standardwerkzeug der Disziplin, wurde 1941 in Großbritannien zur »Serienreife« entwickelt, um den Umstieg auf die Kriegswirtschaft optimal zu steuern.
Überhaupt könnte es für die heutigen Probleme inspirierend sein, sich nochmals mit der britischen Kriegswirtschaft zwischen 1940 und 1945 zu befassen. Es war ein Kapitalismus ohne Markt, der bemerkenswert gut funktioniert hat. Die Fabriken blieben in privater Hand, aber die Produktionsziele von Waffen und Konsumgütern wurden staatlich vorgegeben – und die Verteilung der Lebensmittel öffentlich organisiert. Es gab keinen Mangel, aber es wurde rationiert.
Die staatliche Lenkung war ungemein populär. Wie die britische Regierung bereits 1941 feststellen konnte, war das Rationierungsprogramm »einer der größten Erfolge an der Heimatfront«. Denn die verordnete Gleichmacherei erwies sich als ein Segen: Ausgerechnet im Krieg waren die unteren Schichten besser versorgt als je zuvor. Zu Friedenszeiten hatte ein Drittel der Brit_innen nicht genug Kalorien erhalten, weitere 20 Prozent waren zumindest teilweise mangelernährt. Nun, mitten im Krieg, war die Bevölkerung so gesund wie nie.
Heute herrscht zum Glück Frieden, aber die gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist ähnlich groß: Es geht ums Überleben der Menschheit. Vielleicht wäre ein staatlich gesteuerter Kapitalismus die Antwort, vielleicht auch nicht. Niemand kann es wissen, solange sich die Ökonom_innen weigern, das Thema Ökologie ernst zu nehmen und systematisch zu erforschen.
Hier kannst du einen weiteren Auszug aus »Utopien. Für ein besseres Morgen« lesen. Uwe Schneidewind schreibt darin über die Herausforderungen der sozial-ökologischen Transformation:
Und in diesem Interview spricht Ulrike Herrmann mit Chris Vielhaus über Gründungsmythen der Bundesrepublik:
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily