Ich will die Agrarsubventionen der EU endlich verstehen. Meine erste Station: Schweinestall
Essen sowie Umwelt- und Klimaschutz hängen eng miteinander zusammen. Wie wichtig die Gemeinsame Agrarpolitik der EU dabei ist und wie sie genau funktioniert, wissen nur wenige – inklusive mir. Das wird sich jetzt ändern.
Es ist ein sonnig-kühler Herbsttag am Rande eines Münsteraner Vorortes. Wir kehren den noch immer grünen Feldern, die uns umgeben, den Rücken und treten ein in den Vorraum eines schlichten Flachdachbaus. Die Geräte, die hier an den Wänden hängen und aussehen wie Stromkästen, surren und rattern; dicke Kabelstränge schlängeln sich durch die Aussparungen in den Wänden. Wir werfen unsere Jacken über die Garderobe, streifen ein paar blaue Overalls über und schlüpfen in die riesigen Gummistiefel, die bereitstehen. »Deine Sachen werden trotzdem riechen«, sagt meine Begleiterin. Dann treten wir durch 2 dicke Stahltüren und stehen mittendrin – im Schweinestall.
Die Luft ist warm und hat einen ganz eigenen Geruch – anders, als ich es in einem Schweinestall erwartet hätte. Geschätzt 10–20 gar nicht mehr so kleine Ferkel flitzen in jedem der kleineren Stallbereiche herum, es quietscht und grunzt. Sie haben Angst vor uns. »Die sind gestern erst angeliefert worden«, sagt Heike Wattendrup-Nordhoff, der der Stall und die Tiere gehören. »In ein paar Tagen sind die ganz anders drauf.«
Wie sie dann drauf sind, sehen wir im nächsten Teil des Stalls: Die Schweine hier haben schon einen deutlich größeren Teil ihres rund 120-tägigen Aufenthalts im Maststall hinter sich und sind entsprechend groß. Neugierig strecken die Tiere ihre Schnauzen über die Stallwände. Die rosa schimmernde Haut spannt sich über die strammen Muskelstränge auf ihrem Rücken, sodass sie aussehen wie halbwüchsige Bodybuilder. Viel Fleisch, wenig Fett, wie die Kund:innen das erwarten.
Warum bin ich hier?
Einen Schritt zurück
In diesen Wochen wird in Brüssel die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU verhandelt. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, derzeit Vorsitzende des EU-Agrarrats, nennt die
Die Umweltorganisationen sehen das naturgemäß anders:
Ich will verstehen, wer recht hat.
Ich versuche, mir selbst ein Bild davon zu machen, was die nächsten 7 Jahre konkret ansteht, und lese Dinge wie: 20–30% Eco-Schemes. An den Direktzahlungen wird festgehalten. Kappung und Degression bleiben freiwillig.
Erst recht habe ich keine Ahnung, ob das jetzt gut fürs Klima und die Insekten ist. Und hilft das nun den kleinen Landwirt:innen?
Mir wird schnell klar: Um zu durchblicken, welche Veränderungen auf uns in Europa zukommen und ob sie die großen Probleme lösen können, muss ich erst einmal verstehen, wo die Agrarsubventionen herkommen, wie sie genau funktionieren – und was das alles mit den großen Problemen unserer Landwirtschaft zu tun hat.
Um das herauszufinden, habe ich in den letzten Wochen Bücher gewälzt. Ich habe mit einem Wissenschaftler gesprochen, der Julia Klöckner und ihr Ministerium in ihrer Agrarpolitik berät; habe mit einem Politiker telefoniert, der im Agrarausschuss der EU selbst sitzt. Ich habe Landwirt:innen in meiner Nähe besucht, die zum Teil nichts von Agrarsubventionen wissen wollen – und zum Teil nicht ohne sie existieren könnten. Und es werden weitere Gespräche hinzukommen.
Was ich dabei gelernt habe und noch lernen werde, gebe ich in den nächsten Wochen in mehreren Beiträgen wieder. In diesem, dem ersten Teil, wird es um die Fragen gehen, woher die Agrarsubventionen kommen und wie sie heute funktionieren. »Was bisher geschah«, sozusagen.
Warum gibt es überhaupt Agrarsubventionen?
Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) in Europa wurzelt in den Jahren nach Ende des Zweiten Weltkrieges, als in Europa Millionen Menschen Hunger litten. Wie sie aus dieser Zeit zu dem erwuchs, was sie heute ist, im Schnelldurchlauf anhand einiger wichtiger Zahlen:
- 1.085 Kilokalorien: Nach Ende des Zweiten Weltkrieges war vieles, was für eine produktive Landwirtschaft und die Verteilung der Lebensmittel notwendig war, zerstört oder von den Siegermächten eingezogen worden. Es fehlten Mineraldünger, intakte Infrastruktur wie Bahnschienen, um Waren zu transportieren, und Traktoren, um die Felder zu bestellen. Und natürlich mussten die Deutschen einen Teil ihrer Ernte an die Besatzungsmächte abgeben.
Ungewöhnlich kalte Winter und trockene Sommer sorgten in den Nachkriegsjahren zusätzlich für Missernten, sodass die Landwirtschaft den Hunger der Bevölkerung nicht stillen konnte. Im Sommer 1947 wurden die Tagesrationen in Bayern daher einmal mehr gesenkt – - 3.000 auf 8.000 Liter Milch: Gezeichnet von den Hungerjahren während und nach des Krieges lag der Fokus in der Landwirtschaft und in der Politik in den kommenden Jahrzehnten voll und ganz darauf, die Versorgung zu verbessern, die Märkte zu stabilisieren und Landwirt:innen ein ordentliches Auskommen zu garantieren. Mit Erfolg: Die Landwirtschaft wurde in den folgenden Jahrzehnten durch neue Gerätschaften, Tier- und Pflanzenzuchten sowie Pflanzenschutzmittel
- 5 Milliarden Päckchen Butter: Mit festen Preisen für Milch, Butter, Fleisch und Getreide sowie den Garantien, alles aufzukaufen, was im Ladenregal liegen blieb,
Das System funktionierte gut. Ein bisschen zu gut: Bis Ende der 80er-Jahre produzierten die Milchbäuerinnen und -bauern in Europa immer mehr, es entstanden
- 3 von 4 Höfen sind in 50 Jahren verschwunden: Um die Butterberge zum Schmelzen zu bringen, wurde die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) Anfang der 90er-Jahre in der sogenannten MacSherry-Reform – benannt nach dem damaligen Agrarkommissar – umgebaut. Die Preisgarantien wurden gesenkt, sodass es sich nicht mehr lohnte, für die Kühlhalle zu produzieren. Damit die Umsätze der Landwirt:innen nicht einbrechen, wurden ihnen gleichzeitig »Preisausgleichszahlungen« gewährt, die sich nun erstmals nach der Größe der Flächen bemaßen, die sie bewirtschafteten. Wichtig ist also: Obwohl sie nur als Übergangslösung gedacht war, hat diese Flächenorientierung bis heute Bestand. (Und gilt vielen Kritiker:innen als völlig ungeeignetes Mittel, um den heutigen Problemen zu begegnen. Dazu mehr in den nächsten Beiträgen.)
Sie bieten großen, rationalisierten Betrieben mit viel Ackerfläche einen Wettbewerbsvorteil und sind so dafür mitverantwortlich, dass die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe rapide abgenommen hat. Besonders die kleinen Höfe sind betroffen: - Auch 3 von 4 Insekten sterben:
Die Wissenschaft hat keinen Zweifel daran, dass die Landwirtschaft dabei eine wichtige Rolle spielt. Und das Insektensterben ist nur eines von vielen Umweltproblemen in der Landwirtschaft, das eng mit der Struktur der Agrarsubventionen verwoben - 114 Euro: Derzeit überweist jede:r EU-Bürger:in im Schnitt allein 114 Euro im Jahr für die Töpfe der GAP nach Brüssel.
In der Summe waren das 409 Milliarden Euro innerhalb der letzten Förderperiode 2014–2020 – doch wie wird das ganze Geld verteilt?
Wie funktionieren die Agrarsubventionen heute?
Viele Jahre blieb die Öffentlichkeit komplett im Dunkeln darüber, welche Betriebe und Personen wie viel Geld aus der GAP erhielten. Das änderte sich um das Jahr 2010 herum. Gegen den erbitterten Widerstand einiger Politiker:innen führte die EU eine Richtlinie ein, die die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, die Empfänger:innen der Zahlungen
Die Suche nach den Empfänger:innen der Subventionen ist unkomfortabel und für Laien etwas kryptisch.
Ich will herausfinden, wer hier in der Region besonders von den Subventionen profitiert. Also grenze ich die Suche erst mal auf alle Empfänger:innen ein, die 2019 mehr als 1 Million Euro erhalten haben. Niemand. Ich taste mich nach unten vor, bei einer Grenze von 300.000 Euro gibt es den ersten Treffer: Die Landwirtschaftskammer NRW hat vergangenes Jahr 300.905,09 Euro erhalten. Klingt nicht, als handle es sich dabei um eine:n Landwirt:in.
Als ich die Grenze auf 100.000 Euro absenke, kommen die »Gemeinde Münster«, die »Stadt Münster« und der »Landesbetrieb Holz und Wald Nordrhein-Westfalen« hinzu. Dass hier vor allem Gemeinden und Verbände gelistet sind, damit habe ich nicht gerechnet. Schließlich taucht mit Heike Wattendrup-Nordhoff der erste Name auf, wohinter sich eine echte Landwirtin zu verbergen scheint.
Die meisten der Empfänger:innen haben aber nicht nur eine Portion Steuergelder aus Brüssel erhalten, sondern gleich mehrere. Diese verschiedenen Maßnahmen heißen zum Beispiel »Natur- und Gewässerschutz«, »Basisprämie« oder »Wissenstransfer und Informationsmaßnahmen«. Und neben jeder Maßnahmenbezeichnung findet sich eine weitere Spalte mit kryptischem Inhalt – der aber ganz entscheidend ist, um zu verstehen, wie die EU ihre Agrarsubventionen verteilt.
In dieser Spalte steht entweder EGFL oder ELER. EGFL, das ist der »Europäische Garantiefonds für Landwirtschaft«. Und ELER ist der »Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums«. Weil es selbst den Gesetzgeber:innen in der EU etwas zu kompliziert ist, das jedes Mal auszusprechen, hat sich eine andere, sehr eingängige Bezeichnung für diese beiden Töpfe durchgesetzt: die erste und zweite Säule der Agrarsubventionen.
1. Säule: Die Direktzahlungen
Die Direktzahlungen sind der Löwenanteil der Agrarsubventionen. Darauf entfallen in der aktuellen Förderperiode (2014–2020) 72% des Budgets der europäischen Agrarpolitik.
Die Direktzahlungen: Eine Art bedingungsloses Grund(-und-Boden-)einkommen für Landwirt:innen?
Sie könnten als fast bedingungsloses Grund(-und-Boden-)einkommen bezeichnet werden. Denn wenn Landwirt:innen
Führen sie zusätzlich die sogenannten »Greening-Maßnahmen« aus, die dem Umwelt- und Klimaschutz dienen sollen, kommen nochmals etwa 85 Euro pro Hektar obendrauf.
- Anbaudiversifizierung: Ab 10 Hektar Größe müssen mindestens 2, ab 30 Hektar Größe mindestens 3 unterschiedliche Kulturpflanzen angebaut werden. Dabei darf keine der Pflanzen mehr als 75% der Fläche belegen.
- Erhaltung von Dauergrünland: Die Landwirt:innen müssen das Dauergrünland, also Wiesen, worauf Futtergräser und -pflanzen wachsen, auf ihren Flächen erhalten.
- Ökologische Vorrangflächen: Wer mehr als 15 Hektar bewirtschaftet, muss mindestens 5% davon als sogenannte ökologische Vorrangflächen anlegen, die Vorteile für die Umwelt und Artenvielfalt bieten sollen. Konkret können das Blühstreifen, also kleine Blumenwiesen neben den Feldern, Büsche und Sträucher, oder brachliegende Flächen sein. In der Praxis entfallen jedoch 3/4 der Vorrangflächen auf den
Hinzu kommen weitere Prämien, die jungen Landwirt:innen und kleinen Höfen helfen sollen.
Also, wie viel Geld landet nun auf dem Konto der Landwirt:innen?
In Nordrhein-Westfalen umfasst ein durchschnittlicher Hof 42,8 Hektar. Ein solcher Durchschnittshof erhält je nach Alter des oder der Landwirt:in grob 300–350 Euro pro Hektar. In Summe ergibt das 13.000–15.000 Euro pro Jahr.
Auf dem Weg zum Schweinestall fahren wir vorbei an den Greeningflächen von Heike Wattendrup-Nordhoff und benachbarter Landwirt:innen. »Diesen Blühstreifen hat ein Kollege selbst finanziert«, sagt sie und zeigt auf einen Streifen, der auch Mitte November noch bunt blüht. »Das hier ist eine von der EU vorgegebene Saatmischung für einen Blühstreifen«, und zeigt auf eine kahles Stückchen Wiese auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Blühstreifen würden nur alle 5 Jahre ausgesät, da blieben nach ein paar Jahren nicht mehr viele Blüten übrig.
2. Säule: Die Entwicklung ländlicher Räume
Die zweite Säule erklärt, warum sich bei den Top-Empfänger:innen von Agrarsubventionen so viele Einträge finden, die – wenn überhaupt – erst auf den zweiten Blick etwas mit Landwirtschaft zu tun haben. Säule 2, worauf rund 1/4 der gesamten Agrarsubventionen entfallen, dient nämlich ganz allgemein der »Entwicklung ländlicher Räume«.
Da kommt ziemlich viel infrage – nur die Fantasie der Antragsteller:innen setzt hier Grenzen. Solange Projektideen eines dieser 3 vagen Ziele verfolgen, gibt es Geld aus Brüssel:
- Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft
- Gewährleistung der nachhaltigen Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen und Klimaschutz
- Erreichung einer ausgewogenen räumlichen Entwicklung der ländlichen Wirtschaft und der ländlichen Gemeinschaften, einschließlich der Schaffung und des Erhalts von Arbeitsplätzen
Säule 2 ist auch der Grund dafür, dass Heike Wattendrup-Nordhoff bei meiner Suche als erste Landwirtin auftaucht. In den meisten Jahren erhalten sie und ihr Mann ebenfalls Subventionen um die 76.000 Euro aus Säule 1. Denn gemeinsam mit 2 Angestellten bewirtschaften sie rund 200 Hektar Land, wofür es Direktzahlungen aus Säule 1 gibt.
2019 haben sie jedoch den Schweinestall, den ich besichtigen darf, neu gebaut. Die etwa 186.000 Euro aus Säule 2, die sie dafür erhalten haben, decken rund 1/3 der gesamten Kosten – und machen sie vorübergehend zu einer:m der Top-Empfänger:innen in Münster.
Aus Sicht der EU wird Wettbewerbsfähigkeit die Landwirtschaft stärken, Arbeitsplätze erhalten und auch dem Tierwohl zugutekommen. Dafür gibt es die sogenannte Agrarinvestitionsförderung. Der moderne Stall ist für sie dennoch eine große Investition. Deshalb wollen und müssen die Wattendrups in den nächsten Jahren natürlich auch Geld damit verdienen.
Doch sie wollen auch, dass es den Tieren den Umständen entsprechend gut geht. Auf unserer Runde durch den Stall macht mich die gebürtige Münsterländerin immer wieder auf kleine Details aufmerksam, die mir als Laie sonst verborgen geblieben wären. Die Schweine haben hier mehr Platz, als gesetzlich vorgeschrieben ist: 0,9 statt
Während wir die Overalls wieder ausziehen, dämmert mir, dass die Schweinezüchterin recht behalten wird mit ihrer Geruchsvorhersage für meine Kleidung. Doch mir geht eine noch wichtigere Frage durch den Kopf: Sind meine und unser aller 114 Euro hier gut angelegt?
Heike Wattendrup-Nordhoff macht auf mich nicht den Eindruck, als würde sie sich auf Kosten der Steuerzahler:innen ein schönes Leben machen. Unsere Gespräche zeigen mir, dass ihr Natur- und Umweltschutz wichtig sind.
Doch ich habe auch einen Biogemüsebauern besucht. Der hat noch mehr Arbeitsplätze geschaffen – und bezieht kein Geld aus Brüssel. Warum nicht? Darüber hinaus ist sich die Wissenschaft einig, dass die derzeitige Förderpolitik am Klima- und Artenschutz vorbeigeht.
Deshalb soll es im nächsten Beitrag um genau diese Frage gehen: Was sind die Probleme an der derzeitigen Form der Agrarsubventionen? Fließt das Geld wirklich dorthin, wo es am besten aufgehoben ist?
Titelbild: Felix Austen - copyright