Stoßlüften für Europas Smogchampion: Wie sich ein Land von der Luftverschmutzung befreit
Krakaus Luft gehörte lange zur dreckigsten in Europa. Bis die Bürger:innen genug hatten. So brachte der »Krakauer Smog-Alarm« frischen Wind in Polens verstaubte Umweltpolitik.
Magdalena Kozłowska hielt es lange für selbstverständlich, dass die Winter in Krakau grauer sind als anderswo. Auch wenn das Wetter gut war, hing ein trüber Nebel zwischen den Straßenschluchten. Am Stadtrand drückte der Qualm aus den Schornsteinen der Einfamilienhäuser auf die Straßen, brannte in der Lunge und legte sich als grauer Schleier auf den Putz, die Laternen, die Gartenzäune. »Wenn ich nach Hause gekommen bin, haben meine Kleidung und meine Haare nach Rauch gerochen«, erinnert sich Kozłowska.
Im Jahr 2018 lagen 36 der 50 am stärksten versmogten Städte der EU in Polen
Polens Smogproblem stinkt seit Jahren zum Himmel. Nach Informationen der Weltgesundheitsorganisation lagen im Jahr 2018 ganze
Magdalena Kozłowska erinnert sich noch gut an den Winter vor 8 Jahren, als es schon im November nur einen einzigen Tag gab, an dem Krakau die Grenzwerte nicht überschritten hat. Es ist der Winter, in dem mit ihr befreundete Umweltaktivist:innen genug von der Situation haben.
Die Politik hat das Problem lange ignoriert
Die erste und wichtigste Aufgabe der Initiative: Den Krakauer:innen klar machen, dass Smog existiert – und ein Problem ist. Nur wenige Stadtbewohner:innen verstehen zu diesem Zeitpunkt die Dramatik der Situation. Wie auch – in den lokalen Medien ist Smog selten ein Thema, aktuelle Daten zur Luftverschmutzung sind schwer zu bekommen und Politiker:innen ignorieren das Problem. »Die Leute haben den Rauch gerochen, aber sie haben nicht verstanden, dass das gesundheitsschädlich ist«, erzählt Kozłowska.
Sie haben gesagt: So riecht eben der Winter.
Sind die winzig kleinen Luftschadstoffpartikel, woraus sich Smog zusammensetzt, bereits riech- und sichtbar, ist ihre Konzentration höchst problematisch. Steigt die Verschmutzung in der Luft an, kann das kurzfristig zu Husten, gereizten Augen, Atemschwierigkeiten und Schmerzen in der Brust führen. Gesundheitlich noch dramatischer sind die Langzeitfolgen. Die Wahrscheinlichkeit, an Asthma zu erkranken, steigt, ebenso
Auf wen diese Zahlen allerdings jahrelang keinen Eindruck gemacht haben: die Politiker:innen im Krakauer Stadtparlament. Damals gab es bereits Modellberechnungen, die mögliche Auswege aus der Smogkrise aufzeigten; die meisten Politiker:innen wussten um die Problematik. Nur hatten sie eine andere Bezeichnung dafür: Normalität. »Sie haben gesagt: Das ist doch nicht wichtig, wir haben größere Probleme«, erzählt Kozłowska.
Kohle für Polens Unabhängigkeit?
Dass die Aktivist:innen sich ausgerechnet gegen das Verbrennen von Kohle einsetzen wollen, gefällt den wenigsten. Polen verfügt über eigene Kohlereserven. Der Rohstoff ist deshalb für viele Politiker:innen zu einem Symbol der energetischen und damit auch politischen Unabhängigkeit geworden – auch wenn de facto jedes Jahr zusätzlich Millionen Tonnen Kohle aus Ländern wie Russland, Australien und Kolumbien importiert werden, um den Brennstoffhunger von Industrie und Privathaushalten
Die Aktivist:innen finden: Es steht mehr auf dem Spiel als das Image ihrer Stadt. Also beschließen sie, lauter zu sein, sichtbarer zu werden, mehr Unterstützung zu gewinnen, damit die Politik sich ihren Ideen nicht länger verschließt. Es fängt mit einer Site bei Facebook an, die über Luftverschmutzung informiert: Was sind zurzeit die Werte, wo ist die Lage brenzlig, welche Konsequenzen hat die Luftverschmutzung für die Gesundheit der Stadtbewohner:innen? Es folgen öffentliche Treffen der Initiative, dann Plakatkampagnen und Petitionen, schließlich Demonstrationen.
Mit jedem Schritt wachsen die Berichterstattung in den Lokalmedien und die Zahl der Unterstützenden. Der harte Kern der Kampagne besteht zunächst nur aus 5 Personen. Zu den ersten Demonstrationen im Jahr 2013 kommen bereits regelmäßig mehr als 2.000 Menschen. Eine Petition an die Stadt, Festbrennstoffe zu verbieten, erhält im gleichen Jahr
Lösungen bieten, statt nur Probleme anzuprangern
Dennoch ist für die Initiative von Anfang an klar, dass es nicht damit getan ist, auf das Problem aufmerksam zu machen. »Wir wollten nicht nur eine Protestbewegung sein, sondern auch Lösungsansätze geben«, sagt Kozłowska. Zu diesem Zeitpunkt gibt es bereits von Wissenschaftler:innen
An Bushaltestellen, Straßenkreuzungen und Häuserwänden warnen Hunderte Plakate vor der Smogbelastung
Innerhalb weniger Monate nach dem Start der Kampagne wird der Druck 2013 auf die Politik zu groß. Smog ist in Krakau nicht mehr irgendein Problem – es ist das Problem.
Bis zu diesem Zeitpunkt waren Umweltthemen selten Gegenstand im Krakauer Stadtrat. Der Rat wird mehrheitlich durch die Platforma Obywatelska (deutsch: Bürgerplattform) gestellt, die Mitglied der Europäischen Volkspartei ist und so etwas wie das Pendant der deutschen CDU in Polen. Die Partei ist christlich-demokratisch ausgerichtet, Umweltpolitik gehört nicht unbedingt zu ihren Hauptanliegen. Und doch geht es nicht mehr anders. Die Stadt beschließt noch 2013 eine Kehrtwende.
Gemeinsam mit den Aktivist:innen überlegen die Politiker:innen, wie eine Veränderung möglich ist. Umfragen zeigen zu diesem Zeitpunkt, dass die Krakauer:innen eine Abkehr von Kohle und Holz
Es gibt ein großes Ziel, auf das sich alle Bürger:innen einigen können: ein smogfreies, lebenswertes Krakau
Damit die Einwohner:innen diese Chance annehmen, braucht die Stadt Krakau ein Druckmittel. Deshalb beschließt das verantwortliche Regionalparlament der Woiwodschaft Kleinpolen, das wie Krakau mehrheitlich von der Platforma Obywatelska gestellt wird, auf Druck der Stadt 2013 außerdem eine Anti-Smog-Resolution. Der wichtigste Aspekt des Beschlusses: Das Heizen mit Festbrennstoffen wie Kohle wird in Krakau verboten. Durch verwaltungsrechtliche Probleme wird die Entscheidung jedoch später wieder zurückgenommen, bis die Krakauer:innen erfolgreich für Änderungen im polenweit geltenden Umweltgesetz lobbyiert haben. Im Jahr 2016 stimmen die Regionalvertreter:innen zum zweiten und endgültigen Mal dafür,
Durch den sozial gestalteten Wandel haben nun nur noch etwa 1.500 Haushalte in der 800.000-Einwohner:innen-Metropole in Südpolen einen Kohleofen zum Heizen, schätzt Kozłowska. Wer heute erwischt wird, wie er Müll, Kohle oder Holz verbrennt, muss mit einem Bußgeld rechnen. Doch die Stadt registriert wenige solcher Fälle. Denn es gibt ein großes Ziel, worauf sich alle Bürger:innen einigen können: ein smogfreies, lebenswertes Krakau.
Der Erfolg ist in ganz Polen spürbar
Mit dem Erfolg kommt aber auch die Ernüchterung für die KSA-Aktivist:innen. Es gibt noch so viel mehr zu tun. »Luft kennt keine Grenzen. Unsere Arbeit hört also nicht an den Stadtgrenzen auf – die Kommunen um Krakau herum haben einen Einfluss auf die Luftqualität in der Stadt«, sagt Kozłowska. Der Krakau Smog-Alarm setzt sich dafür ein, dass auch für die Woiwodschaft Kleinpolen, in der Krakau liegt,
Der Krakauer Smog-Alarm wird zur Blaupause für Anti-Smog-Initiativen in anderen Regionen. 40 lokale Organisationen dieser Art gibt es inzwischen in Polen. Die damaligen Krakauer Gründer:innen unterstützen diese Gruppierungen inzwischen als Schirmorganisation Polnischer Smog-Alarm. Sie spornen die anderen Organisationen an, den Druck aus der Bevölkerung auf die Politik zu erhöhen. »Vielleicht ist es nicht sehr bescheiden, das so offen zu sagen, aber ich glaube, keine der Veränderungen wäre ohne uns geschehen«, sagt Kozłowska. Inzwischen sind in 11 der 16 Woiwodschaften Polens Anti-Smog-Resolutionen nach dem Beispiel Kleinpolens verabschiedet worden.
Auch die nationale Regierung hat die Veränderung gespürt, die durch Polen gegangen ist. »Die Politiker:innen sagen, sie unterstützen Kohle, aber einige ihrer Handlungen zeigen, dass das langsam weniger wird. Doch das würden sie niemals zugeben«, sagt Kozłowska. Seit 2 Jahren gibt es nun polenweit das Clean Air Programme. Damit sollen bis 2029 anteilsmäßig Kosten für den Wechsel zu einer energieeffizienteren Heizung oder Sanierungskosten für Gebäude übernommen werden. Je nach Region ist damit allerdings auch der Tausch eines Kohleofens gegen einen effektiveren Kohleofen möglich. »Wir denken, dass dieses Programm noch besser funktionieren und mehr Menschen erreichen könnte«, sagt Kozłowska. Wer über besser isolierte Wände, neue Fenster oder eine andere Heizung nachdenke, solle sich sofort bewusst sein,
Es bleibt noch viel zu tun
Heute werden die Luftverschmutzungsgrenzen in Krakau deutlich seltener überschritten. Im Vergleich zu 2014/2015 ist die Feinstaubbelastung
Der Import von besonders abgasintensiven Autos sollte höher besteuert werden
Im Schnitt sind polnische Autos fast 14 Jahre alt,
Zurzeit, so schätzt der Krakauer Smog-Alarm, sind etwa 8% aller Krakauer Pkw
Ist ein Projekt erfolgreich, winkt schon das nächste. Doch Magdalena Kozłowska ist vorsichtig optimistisch: »Der Weg, den wir eingeschlagen haben, ist ein guter Weg. Wir kämpfen nun dafür, dass wir diesen Weg schneller gehen und Politiker:innen nicht den Rückwärtsgang einlegen.«
Titelbild: wikicommons - CC BY-NC-ND 2.0