3 Gründe, warum die Pandemie eine Chance ist, dein Leben zu ändern
Weniger Stress, kürzere Arbeitszeiten, mehr Schlaf – ist das gute Leben nun endlich in Reichweite?
Es gibt noch gute Nachrichten in diesem Pandemiejahr 2020. Schon bald, womöglich schon zum Jahreswechsel
Eine andere gute Nachricht, die die Bundesarbeitsagentur jetzt gemeldet hat:
Das alles macht Hoffnung auf eine Normalität, wie wir sie vor der Pandemie kannten. Aber wollen wir überhaupt zurück in diese alte Normalität? Denn auch wenn dieses Jahr vor allem mit schlechten Nachrichten verbunden war, so hatte es für weite Teile der Bevölkerung auch positive Folgen.
In diesem Text zeige ich dir 3 Entwicklungen, die den Alltag vieler Menschen in diesem Jahr zum Besseren verändert haben – und sogar langfristige Folgen haben könnten.
1. Endlich ausschlafen!
Als Mitte März das öffentliche Leben wegen des sich ausbreitenden Coronavirus nach und nach zum Erliegen kommt, haben viele Menschen plötzlich mehr Zeit als zuvor. Bereits im Februar hatten
»Es wurde das Bild einer müden Gesellschaft deutlich, die ein großes Bedürfnis nach Erholung hat« – aus der Studie ReZeitKon
Was sie mit einer zusätzlichen freien Stunde anfangen würde, wurden die insgesamt 2.015 repräsentativ ausgewählten Personen gefragt. Die häufigste Antwort lautete: schlafen. Dicht dahinter folgten ausruhen, lesen, entspannen, nichts tun und Zeit für sich selbst haben. »Es wurde also das Bild einer müden Gesellschaft deutlich, die ein großes Bedürfnis nach Erholung und Zeit für sich und die Familie hat«,
In einer zweiten Befragung im April stellten die Forscherinnen fest, dass viele Menschen die frei gewordene Zeit tatsächlich nutzten, um sich auszuruhen und länger zu schlafen. Deutliche Unterschiede gab es dabei zwar zwischen Menschen in
Durch die steigende Schlafdauer sank auch das Schlafdefizit. Im Februar schliefen die Menschen noch im Schnitt 75 Minuten weniger, als sie eigentlich wollten. Im April sank dieses Defizit auf
Doch woran lag es, dass Menschen plötzlich länger schliefen? Um das zu verstehen, hilft ein Blick in die neue Arbeitsrealität.
2. Weniger Arbeit, mehr Freizeit
Kurzarbeit, Homeoffice, reduzierte Arbeitszeiten und natürlich auch Quarantänephasen haben den Lebensrhythmus vieler Menschen verändert. Laut einer repräsentativen Umfrage des IT-Verbands Bitkom
Es scheint, als suchten viele von uns nach einem anderen Wohlstand als nach einem rein materiellen.
Welche Auswirkungen das auf den Alltag der Menschen hatte, konnten viele Stadtwerke aus ihren Messungen ablesen: Viele Haushalte begannen deutlich später als sonst, Strom und Wasser zu nutzen. Während die Hamburger Bevölkerung zum Beispiel im Normalfall zwischen 7.45 Uhr und 8.15 Uhr das meiste Wasser verbraucht, hatte sich diese Zeit nun auf etwa 9.30 Uhr bis 10 Uhr verschoben,
Doch nicht nur die neue Homeofficekultur ermöglicht es vielen Menschen, länger zu schlafen und generell mehr Zeit für sich zu haben. Das gilt auch für viele andere, die nicht die Möglichkeit haben, mobil zu arbeiten. Durch die verbreitete Kurzarbeit –
Weniger Arbeit bedeutet mehr Freizeit. Und so berichten viele Befragte in den ReZeitKon-Untersuchungen von einem gestiegenen Zeitwohlstand. Aber was bedeutet das genau? Und was heißt das für die Zeit nach Corona?
3. Zeit für das, was uns wirklich wichtig ist
Mit der Vorstellung, generell weniger zu arbeiten, können sich viele Menschen anfreunden. Durchschnittlich 7,6 Stunden weniger wollten die Beschäftigten laut der ReZeitKon-Studie im Februar arbeiten. Bei der folgenden Befragung, als die Reduzierung für viele von ihnen Realität geworden war, wollten sie nur noch 1,7 Stunden weniger
Schon frühere Befragungen haben gezeigt, dass Beschäftigten eine
Es scheint, als suchten viele von uns nach einem anderen Wohlstand als nach einem rein finanziellen und materiellen. Die Forscherinnen der TU Berlin sprechen deshalb von Zeitwohlstand – und der hat sich in der Pandemie für viele Menschen erhöht. Sie nehmen sich vor allem
Bei allen Einschränkungen eröffnet die Pandemie also auch Möglichkeiten, stärker nach den eigenen Vorstellungen zu leben, Freiräume zu gewinnen und den eigenen Zeitwohlstand zu steigern.
Die Freiheit, so zu leben, wie wir es wollen
Der Begriff Zeitwohlstand wurde in den 80er-Jahren vom Soziologen Jürgen P. Rinderspacher geprägt. Zeitwohlstand bedeutet für ihn, dass Menschen so viel Zeit haben, wie sie zu einem guten Leben brauchen.
Zeitwohlstand steht für die Vision einer Gesellschaft mit besseren Zeiten, die es dem Individuum möglichst oft erlauben soll, seine einmalige Lebenszeit mit den Dingen und zugleich mit den Menschen verbringen zu können, die ihm wichtig sind.
Wissenschaftler:innen unterschiedlicher Disziplinen haben den Begriff aufgegriffen und weiterentwickelt. Der Soziologe Hartmut Rosa beschreibt Zeitwohlstand als einen Zustand, der dann eintritt, wenn Menschen mehr Zeit haben, als für die Erledigung ihrer Pflichten erforderlich ist. Für die Historikerin Friederike Habermann bedeutet Zeitwohlstand die
In den ReZeitKon-Studien wird Zeitwohlstand definiert als ein angemessener Umfang frei zur Verfügung stehender Zeit. Außerdem sollte genügend Zeit für die einzelnen Tätigkeiten vorhanden sein, um Dinge in einem angemessenen Tempo zu verrichten. Selbstbestimmtheit und Planbarkeit der eigenen Zeit sind weitere Aspekte von Zeitwohlstand.
Mehr Freizeit, mehr Schlaf, weniger Druck und mehr Autonomie bei der Zeitgestaltung: Das hat dieses Jahr für viele Menschen zu mehr Zeitwohlstand geführt. Doch wie nachhaltig sind diese Veränderungen? Laut der Ökonomin und ReZeitKon-Studienautorin Stefanie Gerold hängt das davon ab, ob sich diese Zeitnutzungsmuster auch langfristig ändern. »Und ob Menschen die Erfahrungen der erzwungenen Entschleunigung mitnehmen können in eine Zeit, in der wieder alles möglich ist.«
Wichtig sei dabei aber zu berücksichtigen, inwiefern die Zeitgestaltung selbst überhaupt beeinflusst werden könne. »Die Verringerung der Arbeitszeit war ja von außen herbeigeführt«, sagt Stefanie Gerold. Voraussetzungen dafür wären Möglichkeiten, die Arbeitszeit ohne zu starke finanzielle Einbußen zu reduzieren. Diese Forderung knüpft etwa auch die IG Metall an die 4-Tage-Woche. Denn dass kürzere Arbeitszeiten auch zu Einkommenseinbußen führen, ist nicht einfach von der Hand zu weisen. Praxisbeispiele zeigen aber, dass es Lösungen dafür gibt. Weil nicht nur Arbeitszeit, sondern auch Arbeit selbst im Wandel ist.
Es braucht neue wirtschaftliche Rahmenbedingungen, damit ein alternatives Wohlstandsmodell auch lebbar ist.
Es braucht also nicht nur den Wunsch nach mehr freier Zeit, sondern auch die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, damit ein alternatives Wohlstandsmodell, in dem Menschen reich an Zeit und nicht (nur) an Geld und Gütern sind, auch lebbar ist. Insbesondere Menschen in systemrelevanten Berufen, Eltern und dabei vor allem Frauen sind auch in dieser vermeintlich »entschleunigten« Zeit weit von der Freiheit entfernt, so zu leben, wie sie es wollen. Die Erfahrungen in der Pandemie können uns aber dabei helfen, den Wert freier Zeit neu zu bemessen und mit Forderungen an Politik und Unternehmen zu verbinden. Zeitwohlstand für alle, könnte das nicht das Versprechen der 2020er-Jahre sein?
Grafiken: Maria Stich
Mit Illustrationen von Doğu Kaya für Perspective Daily