So fließt der Strom durch ganz Afrika
Ein gigantischer Staudamm könnte Afrikas Energieprobleme lösen. Problem ist nur: Daraus wird so schnell nichts. Stattdessen sind viele kleine Lösungen in Sicht.
»Wenn du von der Arbeit nach Hause kommst und kein Strom da ist, dann ist alles schlecht«, sagt Sophie. Die 46-jährige Haushälterin weiß, wovon sie spricht; sie kommt aus Simbabwe und lebt und arbeitet in Südafrika. Stromausfälle gehören in beiden Ländern für viele Menschen zum Alltag.
Wenn der Strom in ihrer Mietwohnung ausfällt, dann muss Sophie Gas oder Paraffin kaufen, um zu kochen. Weil die Stromkosten in ihrer Miete schon enthalten sind, bedeutet jeder Stromausfall somit hohe Kosten für Sophie, die mit ihrem Einkommen auch ihre Familie in Simbabwe unterstützt.
»In Simbabwe haben viele Menschen nicht genug Geld, um sich Gas oder Paraffin zu kaufen«, erzählt Sophie weiter. »Dort muss dann mit Feuerholz gekocht werden. Das ist gefährlich: Viele Kinder verletzen sich am Feuer.« Die Nutzung von Feuerholz führt außerdem zur Entwaldung, was wiederum zur Erosion von Böden und zum Klimawandel beiträgt.
Fällt abends der Strom aus, dann gibt es auch keine Straßenbeleuchtung. Ganze Stadtviertel versinken in Dunkelheit. Sophies Erfahrung nach fördert das die Kriminalität. Krankenhäuser sind auf unzuverlässige Dieselgeneratoren angewiesen, um das Licht im Operationssaal am Laufen zu halten. »Menschen sterben, weil es zu wenig Strom gibt«, davon ist Sophie überzeugt.
Dabei verfügt der afrikanische Kontinent über mehr als genug Vorkommen aller Energiearten, um ausreichend Strom für seine Bevölkerung produzieren zu können. Dass trotzdem weite Teile Subsahara-Afrikas aus dem Weltall betrachtet nachts unbewohnt erscheinen, hat andere Gründe.
Eine ewige Energiekrise
Laut Statistiken der Weltbank hatten 2012
Ohne universellen Zugang zu quantitativ und qualitativ adäquater Energie ist es [afrikanischen] Ländern nicht möglich, anhaltendes wirtschaftliches Wachstum zu erzeugen, inklusive Gesellschaften aufzubauen oder Armut wirksam zu bekämpfen.
Elektrizität ist die Grundvoraussetzung für fast alle technischen Errungenschaften, die wir heute als selbstverständlich betrachten. Eine Schule ohne Licht und Computer kann keine zeitgemäße Bildung gewährleisten. Praktisch jede wirtschaftliche Aktivität ist auf eine Versorgung mit Strom angewiesen. Kommunikation, Kultur, Gesundheit – es gibt keinen Bereich moderner Gesellschaften, der nicht eng mit dem Konsum von Elektrizität verbunden wäre. Fehlt der Strom, sind die Folgen drastisch: Allein 600.000 Afrikaner sterben jedes Jahr,
Dass Strom für das Wohlergehen von Menschen und die Entwicklung von Ländern eine wichtige Rolle spielt, hat sich inzwischen bis in die höchsten Gremien herumgesprochen. Die Weltgemeinschaft hat sich im Rahmen der
Afrika muss sich einer 3-fachen Herausforderung stellen:
- Nirgendwo sonst ist ein so großer Teil der Bevölkerung noch überhaupt nicht ans Stromnetz angeschlossen. In absoluten Zahlen leben derzeit 621 Millionen Afrikaner ohne Zugang zu Strom. Allein die nötige Erweiterung des Netzes innerhalb von 13 Jahren ist ein Großprojekt ungeheuren Ausmaßes, vielleicht sogar
- Afrikas Bevölkerung wächst weiter rasant. Von etwa 960 Millionen im Jahr 2015 auf knapp 1,4 Milliarden bis 2030. Da aktuell der durchschnittliche Deutsche 14-mal so viel Strom verbraucht wie der durchschnittliche Afrikaner, wird der Pro-Kopf-Bedarf ebenfalls wachsen, auch wenn es beim SDG 7 nicht um ein gleiches Konsumniveau, sondern eine vergleichbare Lebensqualität geht. Die aktuelle Erzeugungskapazität Afrikas von 90 Gigawatt (Deutschland: 193 GW) wird sich entsprechend vervielfachen müssen.
- Afrika kann anders als die Industrienationen und Schwellenländer wie China nicht auf billige fossile Brennstoffe setzen. Zum einen verfügen
Aktuellen Trends zufolge wird Afrika das SDG 7 weit verfehlen. Werden Erweiterung der Stromproduktion und Netzausbau mit der Geschwindigkeit der letzten Jahre umgesetzt, wird erst 2080 der letzte Afrikaner einen Stromanschluss bekommen. Für Menschen wie Sophie, die täglich mit den Konsequenzen unzureichender Stromversorgung leben müssen, ist das eine inakzeptable Aussicht.
Eine Herde weißer Elefanten
Dabei gibt es eine scheinbar offensichtliche Lösung für Afrikas »Stromlücke« und Sophies Probleme. Und ein wichtiger Teil dieser Lösung liegt in der Demokratischen Republik Kongo, im Herzen des Kontinents, etwa 140 Kilometer landeinwärts von der Mündung des Kongo-Flusses in den Atlantik.
Hier befindet sich eines der gewaltigsten Naturschauspiele der Welt: die Inga-Stromschnellen. 43.000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde speist der Kongo in diesen Mahlstrom ein. Zum Vergleich: die Niagara-Fälle führen nur ein Siebtel dieser Wassermenge. Die freigesetzte Energie ist gewaltig. Ein Wasserkraftwerk könnte hier rund 44 Gigawatt Strom gewinnen, alle 25 Minuten so viel Energie, wie die Atombombe freisetzte, durch die Hiroshima zerstört wurde.
Und die Vision eines »Grand Inga Dam« ist nicht das einzige unglaubliche Energiepotenzial, das dem Kontinent offensteht. Weitere Großstaudämme, vor allem am Oberlauf des Nils, Geothermie, Solar- und Windparks könnten zusammen in Afrika mehr Energie erzeugen, als alle derzeit existierenden Kraftwerke der Welt zusammen.
Hinzu kommen substanzielle Vorkommen fossiler Energieträger, besonders Erdgas. Effiziente Gaskraftwerke könnten auch in Zeiten des Klimawandels eine Rolle spielen und Erdgasvorkommen in Mosambik, Nigeria und Tansania konkurrieren mit jenen der Golfstaaten. Und dann gibt es noch die Möglichkeit, es China gleichzutun und parallel zu konventionellen und erneuerbaren Energien auch die Nuklearenergie zu nutzen. Das dafür nötige Uran kommt auf dem Kontinent in großen Mengen vor und treibt schon heute viele europäische Kernkraftwerke an. Mehrere afrikanische Länder unterhalten teils schon seit Jahrzehnten Forschungsreaktoren und Südafrika bezieht einen Teil seiner Energie aus 2 kommerziellen Reaktoren. Südafrika gehört zusammen mit Kenia, Ghana und Tansania auch zu jenen Ländern, die konkrete Pläne für neue Nuklearreaktoren haben.
Afrikas Regierungen wollen die bestehenden Potenziale nutzen und die internationalen Geldgeber
Die Realität sieht leider anders aus. Großkraftwerke, egal ob mit fossiler, erneuerbarer oder Kernenergie betrieben, sind in vielen Fällen ein teurer und sehr langsamer Weg, Menschen in Afrika Zugang zu »bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und zeitgemäßer« Energie zu verschaffen, wie es das SDG 7 vorsieht. Und weil jedes Jahr Verzug über das Ziel 2030 hinaus buchstäblich Hundertausenden von Menschen das Leben kostet, muss eine Alternative her. Großkraftwerke, die ein Land durch ein zentrales Netz mit Strom versorgen, sind die
Jedem sein Stromnetz
»Großkraftwerke brauchen sehr lange, um geplant zu werden, und sehr lange, bis Strom tatsächlich zum Konsumenten fließt«, bringt Lucy Stevens von der Organisation
Jedes Energieprojekt, das zur Erfüllung des SDG 7 nötig ist, müsste entsprechend innerhalb der nächsten 4 Jahre bewilligt und finanziert werden. Das ist sowohl aus technischer, als auch aus politischer Sicht völlig unrealistisch. Das »Grand-Inga-Dam«-Projekt am Kongo, das theoretisch Sophies Stromausfälle mit einem Schlag lösen könnte, ist beispielsweise schon seit mehreren Jahrzehnten in Planung und hat mehr als 50 Millionen Dollar an Kosten für Machbarkeits-Studien verschlungen. Bisher ist noch nicht einmal ein Termin für den Baubeginn absehbar.
Während internationale Baukonzerne mit solchen Mega-Projekten Milliardenumsätze machen, bleiben die Häuser vieler Afrikaner weiter dunkel. Jedes Jahr, das ins Land geht, bevor ein Kraftwerk Strom ins Netz einspeist, verursacht darum hohe
Einfach mehr Strom ins Netz einzuspeisen bedeutet außerdem nicht, dass auch mehr Menschen Zugang zu Strom haben.
Lucy fordert darum einen Paradigmen-Wechsel. Anstatt weiter auf milliardenschwere Mega-Projekte zu setzen, sollten sich afrikanische Staaten lieber auf dezentrale Erneuerbare Energien konzentrieren.
Dezentrale Erneuerbare Energien, das kann die Solaranlage auf dem Dach sein, mit der eine einzelne Familie in Sambia genug Strom für ein paar Lampen und einen Fernseher erzeugt. Es kann eine Solar-Ladestation für Mobiltelefone in Kenia sein oder an einem Nebenarm des Weißen Nils ein kleines Wasserkraftwerk, dass durch ein Mini-Netz den Bewohnern eines Dorfes ermöglicht, Fernseher und Ventilatoren zu betreiben. Oder es sind komplexe Kombinationen aus Wind, Biogas und Wasserkraft, die einen ganzen Bezirk elektrifizieren und die zu einem späteren Zeitpunkt in das nationale Stromnetz eingebunden werden. Eine fertige Lösung für alle Fälle gibt es hier nicht, erklärt Lucy. Vielmehr sei Teil des Konzepts, dass man für jede Gemeinschaft individuell ein Konzept erarbeitet, das die lokalen Ressourcen und Bedürfnisse möglichst gut in Einklang bringt.
Laut Lucy ist das in den meisten Fällen billiger und schneller,
Trotz dieser Vorteile dezentraler Erneuerbarer Energien geben die großen Entwicklungsbanken derzeit noch 90% ihrer Fördermittel für Großkraftwerke und ihre Netze aus. Dass so das SDG 7 um viele Jahre verfehlt werden wird, scheint keine Rolle zu spielen.
Auf gewisse Weise ist das sogar verständlich, denn für einen Projektverantwortlichen der Weltbank ist es erheblich einfacher, mehrere Milliarden auf einmal auszugeben, als Tausende Anträge für »nur« einige hunderttausend Euro zu bearbeiten. Und dass Afrikas größter Staudamm, der Äthiopische »Renaissance-Dam«, derzeit von einem italienischen Unternehmen gebaut wird, kommt bei europäischen Regierungen sicher gut an.
Und auch für afrikanische Politiker sind große Kraftwerke und zentrale Netzwerke verlockend. Der Zugang zu Strom kann dazu genutzt werden, Unterstützer zu belohnen. Stromexporte oder der Verkauf von Elektrizität an Mienenunternehmen können erhebliche Gewinne erwirtschaften. Es handelt sich also um Ressourcen, die eine Regierung unabhängig von Steuereinnahmen und der Stimmung im Volk machen.
Diese Erwägungen sind nachvollziehbar, gehen aber auf die Kosten jener, die bisher nicht von den Errungenschaften der Elektrizität profitieren konnten. Thomas A. Edison, Erfinder der Glühbirne, prophezeite im Jahr 1880, dass
Natürlich sollten auch in Subsahara-Afrika Großkraftwerke weiterhin ihren Platz in der Energieplanung haben. Gerade in dicht besiedelten Gebieten und für Industrieabnehmer ist es oft erheblich kostengünstiger, Strom zentral zu erzeugen und zu verteilen. Fossile Brennstoffe in der Form effizienter Gaskraftwerke können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, auf der Grundlage erprobter Technologie schnell die Versorgungssicherheit zu erhöhen.
Sollen aber alle Menschen bis 2030 den geplanten Zugang zur Elektrizität haben, dann müssen die politischen und wirtschaftlichen Akteure umdenken. Lucy Stevens fordert dafür die Bereitstellung neuer Investitionen im Milliardenbereich für dezentrale Erneuerbare Energieprojekte. »Regierungen müssen sich der Potenziale von dezentralen Erneuerbaren Energien bewusst werden.« Dass dieses Konzept funktioniert, das demonstrieren Organisationen wie Practical Action, aber auch einige afrikanische Start-ups schon seit Längerem eindrucksvoll.
Jedoch ist Zugang nicht gleich Zugang. NGOs beharren darauf: Regierungen und Geldgeber müssen zukünftig dafür sorgen, dass alle Menschen die Stufe 3 des Modells für eine qualitative Bewertung der Stromversorgung erreichen, damit für sie SDG 7 als erfüllt gilt.
Im Mittelpunkt sollten dabei die Bedürfnisse jener stehen, für die der Zugang zu erschwinglichem Strom lebensverändernd sein kann. »Elektrizität ist nicht einfach ein weiteres Entwicklungsziel«, ist sich Lucy sicher. »Ohne Zugang zu Strom werden wir eine ganze Reihe der SDGs nicht erreichen können. Gesundheit, Bildung … wer hier Fortschritte machen will, muss die Menschen zuerst ans Stromnetz anschließen.«
Titelbild: Practical Action - copyright