Wie konnte es so weit kommen?
Wer die Bilder aus der Hauptstadt der USA vergangene Woche gesehen hat, muss sich diese eine zentrale Frage stellen. Die Ärztin und Autorin Natalie Grams hat sich dazu Gedanken gemacht.
Überwundene Barrikaden, eingeschlagene Fensterscheiben, Vandalismus und am Ende 5 Tote. Was vergangene Woche in Washington, D.C. am Kapitol der Vereinigten Staaten passierte, schockierte Menschen weltweit. Überraschen sollte es aber nicht.
Denn der gewaltsame Sturm auf das Capitol, eines der symbolischen Wahrzeichen der Demokratie weltweit, ist nur eine Konsequenz aus den vergangenen Jahren, in denen sich mit dem Populismus auch dreiste Lügen, Fake News und ein Hang zu Verschwörungsmythen ausgebreitet haben. Dies kann man »postfaktisches Denken« nennen und das, was in den USA passierte – und sich vorher schon beim versuchten Sturm auf den deutschen Reichstag im August andeutete –, zeigt, dass wir mehr denn je in postfaktischen Zeiten leben.
Aus meiner Sicht konnte es auch deshalb so weit kommen, weil wir viel zu wenig Mut haben, etwas klar als falsch und faktenwidrig zu benennen. Aus einer falschen Toleranz heraus lassen wir ein »Es könnte aber auch so sein« zu, wo es ganz klar nicht so ist und nicht sein kann.
Könnte es nicht auch sein, dass die Coronapandemie eine Lüge ist?
Könnte es nicht auch sein, dass alles nur eine große Verschwörung ist?
Könnte es nicht auch sein, dass …
Wir nennen das Meinungsfreiheit, unterschlagen dabei aber, dass es keine Faktenfreiheit gibt. Und wo es keine eindeutigen Erkenntnisse und Faktenlagen gibt, sollten sich aufgeklärte Menschen an Plausibilität und Wahrscheinlichkeit orientieren – und nicht an Fantasie, Verschwörungsmythen und einem vagen »Bauchgefühl«.
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