Licht aus, Kopf aus, Traum an. Wenn wir schlafen, dann schaltet unser Bewusstsein in den Leerlauf – oder? Diese allgemeine Annahme muss nun über Bord geworfen werden, sagen Traumforscher:innen. Denn ihnen ist das bisher Undenkbare gelungen: Kommunikation zwischen einer träumenden Person und einer wachen Person.
»Magst du Schokolade?«
»Ja.«
»8 minus 6?«
»2.«
Im Rahmen eines Experiments konnten diese einfachen Fragen und Antworten ausgetauscht werden. Dabei ließen Forscher:innen ihre Proband:innen im Traum Matheaufgaben lösen und Fragen beantworten.
Was nach Hollywoodfilm klingt, könnte unsere Wahrnehmung über den Schlaf grundlegend verändern, neue Möglichkeiten der Erforschung des Gehirns eröffnen und sogar bei der Bewältigung von Traumata helfen.
Doch alles der Reihe nach.
Menschen können Träume beeinflussen
Dass wir unsere Träume generell beeinflussen können, wurde vor über 100 Jahren vom französischen Professor Jean Marie Léon d’Hervey de Saint-Denys experimentell erforscht: Auf jeder seiner Reisen kaufte er ein Parfum und roch immer wieder daran. Anschließend bat er einen Kollegen, ihm während des Schlafs einen der Düfte (ohne dass Saint-Denys sah, welchen) zu präsentieren, und Saint-Denys träumte vom Ort der jeweiligen Reise.
So gelang es den Forscher:innen, mit Träumenden zu reden
Wenn Menschen träumen, hinterfragen sie bizarre und unlogische Abläufe in der Traumwelt Im sogenannten »luziden Traum« (oder Klartraum) ist das anders. Dort erlangt eine schlafende Person Einsicht über den eigenen Geisteszustand und erkennt, dass sie träumt. Mit etwas Übung kann sie bewusst handeln und das erträumte Szenario verändern.
Diesen Zustand erforscht die Neurowissenschaft seit Jahren – denn so können trainierte Klarträumer:innen während des Schlafs gezielt Handlungen im Traum durchführen und der Forschung zu Erkenntnissen über das menschliche Gehirn verhelfen.
Zum Beispiel wissen wir durch die Erforschung von luzid Träumenden, Das erklärt, warum sich Träume so real anfühlen. Für Menschen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) erklärt das auch, warum ein Traum von einer ehemals erlebten traumatischen Erfahrung genauso schlimm sein kann und das Trauma wieder und wieder durchlebt wird.
Diese besondere Art zu träumen machten sich die Forscher:innen nun in einer zunutze: Sie vereinbarten mit Proband:innen vor dem Schlafen verschiedene Zeichen, eine Art Morsecode über Augenbewegungen. Denn im REM-Schlaf ist zwar der Körper gelähmt, nicht aber die Augenmuskulatur. Für »Ich bin im Klartraum« bewegten die Träumenden ihre Augen 3-mal abwechselnd nach links und rechts. Ausgelesen wurden diese Bewegungen in einem Schlaflabor durch die elektrische Spannung,
Nach diesem ersten Erkennungszeichen nutzten die Forscher:innen Morsecodes per Licht und Tonsignale, um Botschaften an die Klarträumenden zu senden, und
Wie kann ich klarträumen?
Luzides Träumen als Fähigkeit haben einige Menschen von Natur aus. Doch jeder kann es trainieren. Dazu muss eine Person im Wachzustand einen »Realitätscheck« einüben, also eine unbewusste Handlung wie zum Beispiel das Anfassen und Überprüfen der Festigkeit einer Wand, sobald man einen Raum betritt. Im Traum automatisch ausgeführt kann dies zu einer Reflexion über den Traumzustand führen, mit der das luzide Träumen beginnt. In einer australischen Studie aus dem Jahr 2017 konnten 50% der Proband:innen nach 2 Wochen klarträumen.
In einem anderen Teil der Experimente bekamen die Träumenden Fragen gestellt wie »Sprichst du Spanisch?« und antworteten mit »Ja« oder »Nein«, dargestellt durch ein- oder zweimaliges Zucken mit einem Gesichtsmuskel.
Die Kommunikation gelang im Rahmen der Studie so verlässlich, dass die Autor:innen von einer neuen Art des Träumens sprechen: von »interaktivem Träumen«. Diese bietet große Chancen für die Traum- und Gedächtnisforschung. So ist es möglich, Versuchspersonen nicht erst nach dem Aufwachen, sondern schon während des Schlafs zu befragen.
Welche Erkenntnisse sich die Wissenschaft genau davon verspricht – und wie man interaktives Träumen auch außerhalb eines Schlaflabors nutzbar machen könnte, habe ich mit Der Kognitionswissenschaftler und Gründer des Institute of Sleep and Dream Technologies in Hamburg hat den deutschen Teil der Experimente an der Universität Osnabrück durchgeführt.
Perspective Daily:
Welche Erkenntnisse könnte die Wissenschaft in Zukunft durch interaktives Träumen gewinnen?
Kristoffer Appel:
Man kann erforschen, wie Gedächtnisprozesse im REM-Schlaf funktionieren, weil man sie durch Reize direkt in diesem Zustand manipulieren kann, indem man zum Beispiel Dinge, die vor dem Schlaf gelernt wurden, im Schlaf noch mal oder in anderer Form lernen lässt. Dadurch kann man erforschen, wie sich Träume entwickeln, warum die so bizarr sind und ständig von A nach B springen.
Lernen im Schlaf klingt schon nach einer reizvollen Anwendung. Von welchen Lernprozessen reden wir hier genau?
Kristoffer Appel:
Das ist nicht nur auf Fakten oder Motorik bezogen, sondern auch auf emotionale Lernprozesse. Es könnte also in Richtung Traumabewältigung bei Posttraumatischer Belastungsstörung oder ähnlichem gehen.
Weil sich solche Erkrankungen während des Schlafs Aber wie genau muss ich mir das vorstellen?
Kristoffer Appel:
Das ist zwar noch Zukunftsmusik, aber es ist denkbar, dass man mithilfe der Kommunikation von außen einen luziden Traum auch in die Richtung einer traumatischen Erfahrung lenken kann. Das ist natürlich erst mal unangenehm, aber wenn die Person weiß »Ok, das ist nur ein Traum und ich habe die Chance, hier meinen Albtraum aufzulösen«, dann wäre das eine Möglichkeit, solche Albträume unter therapeutischer Hilfe gezielt hervorzurufen.
Wie kann das helfen?
Kristoffer Appel:
Bei Albträumen ist eine Idee, dass durch interaktives Träumen noch während des Albtraums ein Therapeut dir helfen kann, den Albtraum aufzulösen oder zu entschlüsseln, welche Ursachen er hat. Da könnten dann auch gezielt Ängste abgemildert werden, was dabei helfen kann, dass der Albtraum nicht ständig wieder auftaucht – was bei Krankheiten wie der posttraumatischen Belastungsstörung ja der Fall ist.
Das klingt so, als müssen dafür komplexe Gespräche geführt werden. Bisher gab es ja eher simple »Ja«- und »Nein«-Antworten. Wie weit könnte interaktives Träumen gehen?
Kristoffer Appel:
Kommunikation aus dem Traum hinaus ist bisher beschränkt auf Augenbewegungen und Gesichtsmuskeln, die dann bewegt werden. Was ich jetzt erforsche, ist die »Sweyepe« Methode. Das kann man sich vorstellen wie beim Schreiben auf dem Smartphone: Man wischt mit dem Finger über eine Tastatur auf dem Display, anstatt einzelne Buchstaben einzutippen. Das gleiche kann man sich nun vorstellen nicht mit dem Finger zu machen, sondern mit Augenbewegungen im Traum, die sowohl in horizontaler als auch vertikaler Richtung aufgezeichnet werden. Das könnte dann eingeübt und von einem Algorithmus wieder in ganze Wörter überführt werden.
Wenn das jetzt schon ginge, also komplexe Gespräche, welche Anwendungsmöglichkeiten könnte das abseits von Therapie noch eröffnen?
Kristoffer Appel:
Zum Beispiel neues Wissen in den Schlaf hineintransportieren. Dazu müsste man natürlich noch erforschen, inwieweit das wirklich erinnert wird. So ließe sich dann zum Beispiel eine neue Sprache lernen. Und dann ist da noch das kreative Potenzial des Traums. Es wäre spannend, mal eine Melodie aus dem Traum heraus zu komponieren oder Kunst zu schaffen, Literatur oder Lyrik. Denn so kreative Gedankengänge – die hat man ja im Traum, der sehr assoziativ ist und zum Teil sehr bizarre Verknüpfungen hat, auf die man im Wachleben nicht so kommt – sind vielleicht gut geeignet, um um die Ecke zu denken und neue kreative Werke zu schaffen oder
Denkst du da an Erfindungen, wie die der Nähmaschine? Deren Erfinder Elias Howe behauptete ja, er habe im Schlaf eine Lösung für einen Teil des Mechanismus erträumt, an dem er vorher Monate lang
Kristoffer Appel:
Genau. Und das allein durch nichtinteraktives Träumen. Wenn man dann noch auf das Wissen der Wachwelt zugreifen könnte – etwa indem man auf Wikipedia nachliest oder technische Details nachschlägt und sich das in den Traum einsprechen lässt –, ich glaube, das hat sehr viel Potenzial, diese Zustände zusammenzubringen.
Redaktion: Dirk Walbrühl
Hier findest du die beiden anderen aktuellen Dailys:
Katharina Lüth ist Kognitionswissenschaftlerin und promoviert an der Universität Osnabrück zum Thema Schlaf und Traum. Von Mai bis August 2017 hat sie die Redaktion von Perspective Daily als Praktikantin unterstützt. Seither schreibt sie bei uns als Gastautorin über Schlaf und Schlafprobleme in unserer Gesellschaft.