»Wer hätte gedacht, dass ich eines Tages in Deutschland lebe? Alles, was ich von den Deutschen kannte, war Fußball und Hitler«, sagt
Bilder im Kopf – jeder hat sie. Sie machen das Leben leichter und die Welt übersichtlich. Sie kommen zu uns, sobald wir in die Ferne blicken. Dann geht alles ganz schnell: Schublade auf – Nationen, Geschlechter und Ethnien zerlaufen zu einem Einheitsbrei – Schublade zu. Bilder in unseren Köpfen oder auch
Heute helfen die Schablonen für andere Menschen und Lebensweisen auch dabei, Fragen wie diese zu beantworten: Wer bin ich? Wer sind wir? Wer sind die »Anderen«? Denn unser Bild von den »Anderen« hilft uns dabei, eine Identität zu finden und unser Selbstbild zu stärken. Das ist nicht verkehrt. Wir brauchen Orientierung, um das Gefühl zu haben: Wo ich bin, da gehöre ich hin. Und hier, wo viele ein mehr oder minder ähnliches Weltbild vertreten, werde ich auch angenommen. Nur: Wo Menschen dazugehören, gibt es auch Außenseiter.
Als Ramadan Ali in Deutschland ankommt, ist er ein Außenseiter. Verwandte und Freunde aus Syrien fragen ihn: »Was willst du dort? Da sind Nazis. Die hassen die Ausländer!« Die deutschen Behörden schicken ihn von Dortmund über Bielefeld nach München, wo er einen Asylantrag stellen soll. Sein Bruder, der seit vielen Jahren im Ruhrgebiet lebt, warnt ihn noch: »München? Da sind richtig viele Nazis. Vergiss es, Ramo! Da wirst du keine Aufenthaltserlaubnis bekommen.« Ali traut sich trotzdem nach Bayern und bekommt die Aufenthaltserlaubnis.
Wer möchte schon gern ein Außenseiter sein? Außenseiter sind die, deren Leben, Aussehen und Verhalten in dem Schubladendenken der Mehrheitsgesellschaft verkümmern. Besonders leicht lassen sich Menschen anderer Kulturen, Religionen und Länder dort einordnen. Dabei müssen diese sogenannten
In ihnen hört das Individuum auf zu existieren.
Ein Beispiel: Seit über einem Jahr liefern uns die Massenmedien die Bilder zu Wut-Bürgern, Gutmenschen, Geflüchteten, Pleite-Griechen, Pegida-Anhängern, AfD-Wählern, Fremden und Fanatikern. Der medialen Konstruktion folgen unsere Bilder im Kopf: Flaggenmeer in Dresden, Syrer an Grenzzäunen, Menschen nach einem Schiffbruch in Decken eingewickelt, Silvester in Köln, Griechen vor den Banken, Salafisten mit Koranübersetzungen und jubelnde Menschen am Münchener Hauptbahnhof.
»Was willst du dort? Da sind Nazis. Die hassen die Ausländer!«
Beeinflussen diese Fremdbilder unsere Wahrnehmung? Der Medienwissenschaftler Professor Kai Hafez von der Universität Erfurt ist davon überzeugt. Seit über 20 Jahren analysiert er die Entstehung von Islambildern in Presse, Radio und Fernsehen. Dabei fiel auf, dass über »Muslime in Deutschland« häufig parallel zu Negativ-Themen wie islamistischen Extremismus berichtet wird. Das beeinflusst die öffentliche Wahrnehmung: In einer Studie der Bertelsmann Stiftung von 2014 gaben 57% der nichtmuslimischen Mehrheitsbevölkerung an, dass sie
Kai Hafez sagt: »Der Islamdiskurs wird manchmal hoch-, manchmal runtergestuft. Bei Sarrazin und der Mohammed-Karikaturen-Debatte war er plötzlich sehr präsent und massiv. Beim Arabischen Frühling hat man den Begriff Islam kaum gehört. Was einem wiederum zu denken geben sollten, denn 90% der Aufständischen waren Muslime. Wenn etwas Negatives passiert, bestätigt das unsere Stereotype und wenn etwas Positives passiert, dann denken wir gar nicht an einen Zusammenhang.«
Das Phänomen, das Hafez beschreibt, ist als
Ramadan Ali kommuniziert von Berufs wegen viel und gern. Der syrische Schauspieler hat seit kurzem eine eigene
»Immer wieder höre ich: Deutsche Frauen haben Angst vor uns Flüchtlingen. Das macht mich traurig. Da schäme ich mich.«
Seine letzte Folge im Mai handelte vom »lüsternen Araber«: »Immer wieder höre ich: Deutsche Frauen haben Angst vor uns Flüchtlingen. Das macht mich traurig. Da schäme ich mich. Also mache ich das Einzige, was ich tun kann: Nachfragen.« Gesagt, getan: Auf der Straße sucht Ali das Gespräch. Eine junge Frau sagt ihm: »Kommt auf die Situation an. Vielleicht nachts alleine in der U-Bahn, wenn man komisch angeguckt wird, hätte ich vielleicht Angst. Aber nicht, weil es Flüchtlinge sind, da hätte ich auch vor anderen Männern Angst. Deutsche Männer greifen Frauen bestimmt genauso oft an, nur das wird in den deutschen Medien nicht so breitgetreten.«
Ramadan Ali macht’s vor: Er fragt nach und eröffnet Dialoge. Damit unterzieht er Fremdbildern einem Realitäts-Check. Er zeigt: Hinter den Bildern in unseren Köpfen liegen Welten im Verborgenen. Wir scheuen uns davor, sie zu entdecken. Vielleicht machen uns religiöse, ideologische und kulturelle Unterschiede Angst. Dabei lassen wir uns blenden. Wir müssen nicht so leben, wie die »Anderen« – aber wir müssen anerkennen, dass es sie gibt. Wir können herausfinden, wer sie sind, bevor wir uns selbst Angst machen. Das können wir heute schon tun:
Fremdbilder tummeln sich auf weit mehr Ebenen als hier beschrieben. Wie konstruieren sich beispielsweise Bilder in Politik, Bildung und Wirtschaft? Diese Frage lassen wir vorerst offen und wenden uns noch einmal Ramadan Ali zu: Wer ist Ramadan Ali nun? Wie passt er in unser Weltbild? Ist er eine Ausnahme wie unser griechischer Nachbar, der kein Pleite-Grieche ist? Oder wie die nette Oma, die wir jeden Morgen beim Bäcker treffen, die an Pegida-Demos teilgenommen hat? Oder wie die muslimische Arbeitskollegin, die für die Weihnachtsfeier im Büro Kuchen backt? Wie viele Ausnahmen bestätigen die Regel? Ramadan Alis Fazit nach 4 Jahren Deutschland lautet jedenfalls: Nicht alle Deutschen sind Nazis. Für seine Web-Serie beschäftigt er sich nun mit hiesigen Fremdbildern: Er plant ein Interview mit einem Salafisten und einen Besuch beim AfD-Frauenstammtisch.
Mit Illustrationen von Moshtari Hilal für Perspective Daily
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