So könnte eine Welt ohne Arbeitslosigkeit aussehen!
Wer arbeiten will, soll auch die Möglichkeit dazu haben – das ist die grundlegende Idee der Jobgarantie. Ist sie das bessere Grundeinkommen?
Jeden Tag zur Arbeit zu gehen, das ist für viele eine lästige Pflicht. Für andere bedeutet es aber die Möglichkeit, fest in eine Gemeinschaft eingebunden zu sein. Arbeitslosigkeit, so wie sie heutzutage aussieht, macht viele Menschen krank –
Die Idee einer Jobgarantie für alle klingt deswegen für manche verlockend, für andere problematisch. Sie bedeutet, ein formales Recht auf einen Arbeitsplatz zu haben. Alle Menschen sollen arbeiten dürfen, wenn sie es möchten – zu einem Lohn, von dem sie gut leben können.
Klingt alles noch ziemlich theoretisch? Lasse es mich konkreter machen, wie die Jobgarantie aussehen könnte. Wie mehr Arbeit ausgerechnet mit einer grüneren Welt vereinbar sein soll und wo mögliche Kritikpunkte liegen. Zusammen mit René Schubert und seinen Freunden versuche ich, dem Konzept Leben einzuhauchen.
René ist, wie alle auftauchenden Charaktere, ein komplett ausgedachter Mensch, und auch die Geschichte, die ich dir erzähle, ist ausgedacht, aber versucht so nah an der Idee der Jobgarantie zu bleiben wie möglich. Es geht dabei um die Grundidee und nicht um bereits existierende
Filterkaffee und viel Zeit
Es ist 9 Uhr, ich mache mir eine Kanne Filterkaffee. Meine Frau Linda hat heute die Spätschicht im mobilen Pflegedienst. Ich fülle ihr einen Thermobecher, lächle und verabschiede sie. Die Tür fällt hinter ihr zu. Stille. Es sind jetzt 5 Monate vergangen, seit sie mich
Chatbots und andere KI machen heute meinen Job. Sie wurden an- und ich,
Anfangs hatte ich meine Tage streng strukturiert. Morgens laufen gehen, danach Bewerbungen schreiben. Anschließend war immer noch genug Zeit, um meinem geheimen Traum nachzugehen. Jetzt war endlich Zeit, den Roman zu schreiben, der immer in der Schublade auf meine Rente gewartet hatte, über dessen erste paar Kapitel ich aber nie hinausgekommen bin. Unsere Söhne sind zwar vor 2 Jahren ausgezogen und studieren jetzt, aber mehr Zeit hatte ich damals irgendwie trotzdem nicht. Dafür habe ich jetzt zu viel davon.
Jetzt, nach ein paar Tagen des gelegentlichen Tippens und überwiegenden An-die-Wand-Starrens ist klar: In mir schlummert wohl doch kein Kafka.
Seit ein paar Tagen macht mein linkes Knie nicht mehr richtig mit, es ist angeschwollen, der Arzttermin gebucht. Ich laufe also nicht mehr, mache dafür einen längeren Mittagsschlaf und surfe viel im Internet. Das Web umspannt zwar die ganze Welt, aber jetzt klicke ich hier herum und habe das Gefühl, ich hätte es schon durchgelesen. Eigentlich sind es doch nur 5 Websites, die ich benutze, wenn ich ehrlich bin. Wenn mich mal jemand unvermittelt nach dem Wochentag fragen würde, könnte ich das an den meisten Tagen wahrscheinlich nicht beantworten.
Heute schon. Es ist Dienstag und ich habe einen Termin im Jobcenter. Nico, der Kellner meiner Stammbar »Lola«, hat mich darauf gebracht. Seit einem Jahr gibt es die Jobgarantie. Theoretisch heißt das: Alle, die arbeiten wollen, kriegen auch einen Job. Vielleicht ist etwas für mich dabei.
Bürostuhlballett und neue Perspektiven
Ich gehe vorbei an vielen grauen Türen. Am Ende ein Warteraum, darin vielleicht 10 Leute, inklusive mir. Immer wieder kommt jemand und holt eine:n Wartende:n ab. »Herr Schubert, bitte.« Ich bin dran. »Hallo Herr Schubert, ich bin Peter Fritzsche, Ihr Arbeitsvermittler.« Ein kurzer Post-Corona-Ellbogen-Bump, dann folge ich ihm in sein Büro.
»Herr Schubert, Sie möchten eine Arbeit im Rahmen der Jobgarantie aufnehmen?« Herr Fritzsche schaut auf seinen Monitor.
»Ja, richtig. Ich finde zurzeit einfach keinen Job und auch das Jobcenter hatte bisher nichts für mich im Angebot.«
»Ja, im Versicherungsbereich sieht es wirklich schwierig aus. Da müssen Sie schon viel Glück haben«, sagt Herr Fritzsche und blickt auf seinen Monitor.
Ich nicke.
»Sie ist nach aktuellem Mindestlohn bezahlt, 12 Euro pro Stunde. Nächstes Jahr steigt er auf 13 Euro. Ich sehe, Sie haben ein Haus, das Sie noch abzahlen? Wenn Sie in das Jobgarantieprogramm einsteigen, werden wir zusammen ansehen, wie die aktuellen Einkünfte Ihrer Frau sind, und rechnen das zusammen mit den Einkünften aus ihrer Jobgarantiestelle. Daraus ergibt sich, wie viel das Jobcenter übernimmt. Machen Sie sich keine Sorgen. Sie können dort wohnen bleiben. Auch Ihre Ersparnisse, Ihre privaten Rentenversicherungen, all das fasst niemand an.«
»Oh, das habe ich aber noch anders in Erinnerung«, entfährt es mir erleichtert. Herr Fritzsche lacht.
»Ja, das war früher alles etwas anders, vor allem wenn es ins Arbeitslosengeld II,
Ziemlich technisch, zumindest daran hat sich nichts geändert, denke ich. Aber ich bin überrascht, wie persönlich das Gespräch abläuft, wie sehr der Fallbearbeiter auf meine Situation eingeht.
»Was möchten Sie denn gerne machen? Wollen Sie eher im Büro arbeiten wie bisher oder etwas anderes ausprobieren? Wichtig ist, dass Sie im Hinterkopf behalten: Wir bieten nur Jobs an, die nicht im privatwirtschaftlichen Bereich liegen. Damit sind Jobs in der industriellen Produktion beispielsweise raus. Alles spielt sich im Sektor der zusätzlichen gemeinwohlorientierten Jobs ab, die schon wichtig sind, die ein Unternehmen aber nicht anbietet, weil sie kein Geld einbringen.«
Ok, denke ich. Dann geht es wohl um Müllsammeln im Park oder Unkrautjäten auf den bepflanzten Kreisverkehren. So richtig wohl fühle ich mich bei dem Gedanken nicht, es wäre mir unangenehm, wenn unsere Nachbarn mich dabei sehen würden.
»Es gibt da bei Ihnen in der Nähe so ein Kunstprojekt …«, sagt Herr Fritzsche, »ein Theatercafé sucht Hilfe. Oder hier, ein Jugendtreff braucht einen Hausmeister.
Ich stutze. Eine sehr offene Frage. Das hatte ich nicht erwartet. Ja, was schwebt mir denn vor?
»Ich fände eigentlich etwas Neues spannend, aber wenn ich zumindest von einem Teilbereich Ahnung hätte, wäre das schon gut. Es soll ja allen etwas nutzen, dass ich da bin.«
Herr Fritzsche nickt und schaut auf seinen Monitor.
»Es gibt einen Job in der Vertical Farm des Klimaquartiers. Die suchen jemanden, der die Auslieferungen koordiniert, bei der Buchhaltung mitarbeitet und gleichzeitig zur Not auch mal auf der Farm aushilft.«
Die Fragezeichen in meinem Gesicht sind wohl nicht zu übersehen, denn schnell fügt er hinzu: »Das ist eine Farm, die in mehreren ausrangierten Schiffscontainern untergebracht ist. Darin wächst Gemüse unter LED-Lampen, unabhängig vom Wetter, das ganze Jahr über. Der Verein des Quartiers betreibt es gemeinnützig. Ein Teil wird an die Restaurants in der Stadt verkauft, ein Teil im Quartierslädchen und ein anderer Teil an Leute verschenkt, die es nicht so dicke haben.«
»Das klingt toll«, sage ich. »Das würde ich gern versuchen.«
»Ok. Ich gebe Ihnen hier die Kontaktdaten mit. Auf diesen Dokumenten unterschreiben Sie, dass Sie im Jobgarantieprogramm mitmachen. Wenn Sie unterschreiben, bekommen Sie ab sofort den Jobgarantielohn von 12 Euro pro Stunde bei angenommenen 35 Stunden
»Was würde denn passieren, wenn ich mich gegen eine Teilnahme am Programm entscheide?«
»Dann fallen Sie nach der Arbeitslosengeld-Phase in die Grundsicherung:
»Ich könnte mich auch immer noch entscheiden, die Grundsicherung zu nehmen und nichts weiter zu arbeiten?«
»Ja, das geht. Wir haben keine Sanktionen mehr. Wir zwingen am Ende niemanden. Aber alle sehen ja, dass es jetzt 12 und bald 13 Euro Stundenlohn für die Jobgarantie gibt und einen guten Job dazu. Wir denken, das ist viel attraktiver für die meisten,
Ich nicke und unterschreibe die Dokumente. Als jemand, der noch die Agenda 2010 und Hartz-IV-Einführung miterlebt hat, klingt das alles fast absurd für mich. Aber ich will mich auf jeden Fall im Klimaquartier melden.
Stigmata und Bier mit Blattgold
Weil Linda heute länger arbeiten muss, habe ich mich im »Lola« mit meinem Kumpel Kai verabredet. Ich kenne ihn seit der Grundschule und wir treffen uns regelmäßig auf ein Bier. »Ich habe mich heute für die Jobgarantie angemeldet«, sage ich nach der Begrüßung.
»Diesen ganzen Wind um die Jobgarantie kann ich, ehrlich gesagt, nicht so richtig verstehen. Recht auf Arbeit!
»Der ganze Gedanke dahinter ist in meinen Augen falsch«, setzt Kai seinen Einwand fort. »Man geht davon aus, dass ein Mensch erst etwas wert ist, wenn er arbeitet.
»Aber es gibt doch auch noch die Grundsicherung. Die ist ja wohl auch nicht so schlecht mit 600 Euro. Da kannst du ja abwägen«, sage ich.
»Ja, aber das ist ja auch nicht der Punkt. Wer nicht arbeitet, ist doch jetzt fast noch mehr stigmatisiert. Alle gucken doch auf die herab, wie früher.
»Ist dieses Stigma denn wirklich komplett falsch? Ich finde, dass jeder schon ein bisschen was beitragen sollte. Warum muss man denn das Recht haben, in Wohlstand zu leben, wenn man nichts dafür tun will? Wenn du auf einem Bauernhof lebst, dann hast du auch nichts zu essen, wenn du nicht arbeitest. Es sei denn, alle anderen arbeiten für dich.«
»Es geht doch darum, dass man selbst es will und nicht gezwungen wird. Ich war mal in Brasilien, mitten auf dem Land. Da gab es ein Dorf, das als eine Art Kommune organisiert war. Die haben davon gelebt, dass sie Gemüse angebaut und verkauft haben. Alle haben mitgemacht. Ich habe gefragt, ob es einen Zwang gäbe, aufs Feld zu gehen. Da haben sie mich angeguckt und gesagt, nein, wer keine Lust habe, könnte auch einfach zu Hause bleiben, es gibt keine Strafen. Dann habe ich gefragt, ob das nicht viele ausnutzen würden. Da haben sie erstaunt geantwortet: Nein, alle wollen eigentlich mitmachen. Wenn einer länger nicht dabei sei, würden sie nicht sauer werden, sondern sich eher um denjenigen sorgen,
»Ich sage doch gar nichts anderes«, erwidere ich.
»Diese Abstufung zwischen Grundeinkommen und Jobgarantie ist eigentlich unnötig. Bei der Jobgarantie geht es um Lohnarbeit, um den Zwang, deine Arbeit zu verkaufen, um nicht nur zu essen,
»Ich konnte jetzt 5 Monate lang machen, was ich wollte, und ich habe keine Ahnung, was das sein soll. Das Ding ist erst mal durchgespielt. Ich freue mich, dass ich bald wieder arbeiten kann. Ich bewerbe mich bei der Vertical Farm im Klimaquartier. Der Job ist grün und sinnvoll. Ich will nicht für immer so weitermachen wie in den letzten 5 Monaten. So wie unsere Welt jetzt organisiert ist, funktioniert es nicht, wie du es dir vorstellst.«
»Jetzt willst du doch eigentlich eine Arbeit, weil es für dich die einzige Möglichkeit ist, wieder in den alten Lebensrhythmus zu finden. Deswegen muss sich ja das System ändern. Die Jobgarantie ist keine Brückentechnologie. Damit bleiben wir in der gleichen Lohnarbeitslogik wie eh und je. Und dann darfst du die Umwelt dabei auch nicht ausklammern.
Barkeeper Nico kommt an den Tisch. »Na, ihr diskutiert aber wieder am Limit, oder? So wie eure Köpfe glühen, können wir ja glatt den Strom fürs Licht sparen.« Nico lacht über seinen Witz, wie immer am lautesten von allen.
»Ich habe mich beim Jobgarantieprogramm angemeldet und Kai findet die Jobgarantie nicht so toll. Er fände es besser, wenn Arbeit nicht so wichtig wäre«, sage ich.
»Klar, mehr Freiheit, weniger Sorgen, klingt auch gut. Na, was wollt ihr denn trinken?«
Wir bestellen 2 große Pils.
»Also, mir hat die Jobgarantie aber schon geholfen, jetzt mal unabhängig davon, wie man das grundsätzlich sieht. Ganz praktisch«, sagt Nico.
»Wie denn?«, fragt Kai.
»Ich hatte hier doch vor einer Weile gekündigt«, erzählt er. »Bei der Jobgarantie gab es einfach mehr Geld. Ich habe dann das Café im Jugendfreizeithaus betrieben. 12 Euro die Stunde, da kannst du nichts sagen. Hier war das immer so ein Gewurschtel mit Minijob und Aufstocken beim Amt, einen Teil gab es
Ein paar Minuten später kommt er zurück, stellt die beiden Biere ab und sagt: »Ich habe jetzt Feierabend, Jungs. Ich muss schon mal kassieren. Macht 9 Euro für jeden.«
»Dafür könnt ihr aber ruhig mal etwas Blattgold auf den Schaum streuen«, sagt Kai mit mürrischem Blick.
»Come on. Günstiger kriegst du es woanders auch nicht mehr. Irgendwie muss der Lohn ja bezahlt werden«, sagt Nico. »Lasst es euch schmecken und redet mal über etwas anderes als Arbeit!«
Für den Text habe ich mit dem Ökonomen und Betriebswirt Maurice Höfgen gesprochen und die privaten Ansichten einer Person aus dem Jobcenterbereich eingeholt, die aber anonym bleiben möchte. Die Basis für die Jobgarantiedarstellung habe ich vom Buch »Plädoyer für eine Jobgarantie« der MMT-Vertreterin und Ökonomin Pavlina Tcherneva und dem Buch »Mythos Geldknappheit« von Maurice Höfgen abgeleitet. Die Einwände zur Jobgarantie stammen größtenteils aus einzelnen Texten, die ich auch verlinkt habe. Arbeitsforscherin Maja Hoffmann von der Wirtschaftsuniversität Wien hat mir außerdem Hinweise und Denkanstöße gegeben.
In einer früheren Version spielte die Geschichte im Jahr 2030. Um Verwirrungen vorzubeugen, habe ich die Jahreszahl entfernt.
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily