Mehr Transparenz in Steueroasen? »In Berlin war man dagegen!«
Nach 20 Jahren Kampf gibt es in der EU endlich einen Durchbruch gegen Steuerflucht: Bald könnte Schluss sein mit den Tricksereien von Amazon, Volkswagen und Co. Grünen-Europapolitiker und Finanzexperte Sven Giegold erklärt im Interview, gegen welche Widerstände – auch aus Deutschland – das neue Gesetz zustande kam.
Luxemburg ist kein großes Land, so viel ist bekannt. Dafür ist es doch beachtlich, wie viel Geld jährlich in dem Herzogtum versickert, dessen Einwohnerzahl mit derer Düsseldorfs vergleichbar ist. Schätzungsweise 10 Milliarden Euro Steuergelder gehen den EU-Staaten allein durch US-Konzernriesen wie Amazon, Google oder Facebook Jahr für Jahr verloren, die Luxemburgs Dumping-Steuersätze nutzen, um sich vor der Zahlung ihrer Unternehmensteuern zu drücken.
Damit gehört das kleine Land zur »Achse der Steuervermeidung«, auf der das »Netzwerk für Steuergerechtigkeit« außerdem die Niederlande, die Schweiz und Großbritannien verortet. Die international tätige Non-Profit-Organisation setzt sich für mehr Finanztransparenz ein und hat berechnet, dass sich allein US-Firmen jährlich insgesamt um 22,5 Milliarden Euro an Unternehmensteuern drücken.
Zu den Hauptverlierern zählen die größten Staaten Europas, allen voran Frankreich (5,8 Milliarden Euro Verlust pro Jahr) und Deutschland (3,5 Milliarden Euro).
Doch damit soll nun bald Schluss sein: Ende Februar hat sich der
Der Grünen-Europapolitiker und Finanzexperte Sven Giegold setzt sich seit 20 Jahren für das Konzept ein und verteidigte es gegen den Widerstand mächtiger Lobbygruppierungen und wirtschaftsnaher Bundespolitiker wie etwa Peter Altmaier und Wolfgang Schäuble (beide CDU).
Zur Person: Sven Giegold

Sven Giegold ist seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments für Bündnis 90/Die Grünen. Er ist Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament und Obmann der grünen Fraktion im Ausschuss für Wirtschafts- und Finanzpolitik. Er engagiert sich für die Regulierung der Finanzmärkte und für die ökologische Transformation der europäischen Wirtschaft.
Bildquelle: privatWarum sich die großen Staaten die Tricks der Unternehmen so lange haben gefallen lassen und was sich noch in diesem Jahr konkret ändern soll, berichtet Giegold im Interview.
In diesem CbCR wird dann öffentlich einsehbar sein, welche Gewinne diese Unternehmen in welchen Ländern machen und wie viele Steuern darauf abgeführt werden. Auch der Umsatz und die Zahl der Beschäftigten werden zu finden sein.
Auf dieser Basis können Bürgerinnen und Bürger sowie die Medien öffentlich diskutieren, ob diese Zahlen in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen – und das macht die Sache eigentlich erst interessant. Für Unternehmen wird es so wesentlich unattraktiver werden, ihre Gewinne nicht dort zu versteuern, wo sie auch ihren Umsatz machen.
Da tagte dann der Koalitionsausschuss und es gab richtig Pogo. Bei der Steuertransparenz für Großunternehmen gab es keinen Kampf – und das wirft kein besonders überzeugendes Licht auf die Sozialdemokraten in der Bundesregierung. Deren Kolleginnen und Kollegen im Europaparlament haben die Sache hingegen immer voll mitgetragen und da auch einen großen Beitrag geleistet.
Wie transnational tätige Unternehmen ihre Gewinne künstlich verschieben, zeigt das Beispiel des US-Kaffeekonzerns Starbucks:



Das zentrale Argument, das bis heute dazu bemüht wird, ist, dass angeblich Geschäftsgeheimnisse offengelegt werden müssten.
Erstens handelt es sich bei den zu veröffentlichenden Daten um sehr grobe Indikatoren, die nicht als Geschäftsgeheimnisse eingestuft werden können. Zudem beinhalten sowohl der Entwurf des Parlaments als auch der des Rates eine Notfallklausel, die besagt, dass Unternehmen Daten nicht veröffentlichen müssen, wenn sie begründen können, dass es sich in ihrem Fall tatsächlich um sensible Daten handelt.
Meiner Meinung nach sind all das nichts als Nebelkerzen. Schließlich haben die Steuerverwaltungen von Dutzenden Staaten die Informationen schon. Es ist doch offensichtlich, worum es hier eigentlich geht: Unternehmen, die im großen Stil aggressiv Steuern vermeiden, mögen es nicht, wenn das für alle sichtbar wird. Das kommt in der Öffentlichkeit nicht gut an – und das ist der zentrale Grund, warum dagegen Lobbying betrieben wurde.
Sie würden sogar profitieren, weil die kleinen und mittleren Unternehmen auch zu den Geschädigten des unfairen Wettbewerbs mit den transnational agierenden Konzernen gehören. Die lokal arbeitenden Unternehmen müssen nämlich ihre Bilanzen oftmals veröffentlichen und genau ausweisen, wie viele Gewinne sie in Deutschland versteuern. Mit dem CbCR kommt es jetzt zu einer Gleichberechtigung im Wettbewerb.
Die Wirkung dieser Dynamik ist nicht zu unterschätzen: Es ist eben selten ein Bio-Kleinbauer Chef des Bauernverbandes oder ein prekärer Kleinunternehmer Präsident der Industrie- und Handelskammer.
Daraus können wir 2 Dinge lernen. Erstens: Das Einstimmigkeitsprinzip in der EU-Steuergesetzgebung ist ein Elend. Wir konnten das öffentliche CbCR jetzt nur deshalb endlich durchsetzen, weil es Transparenz- und nicht Steuergesetzgebung betrifft und die Steueroasen so kein Veto einlegen konnten.
Zweitens: Wenn wir wissen, dass die großen Länder immer wieder von den immer gleichen Steueroasen mit ihrem Vorhaben blockiert wurden und sie so Jahr für Jahr um Milliarden von Euro geprellt werden, könnte man erwarten, dass sie irgendwann sagen: »So Leute, geht’s noch? Das besprechen wir jetzt mal auf Ebene der Staatschefs – und zwar mit Nachdruck!« Und genau das ist eben nicht passiert. Länder wie Deutschland, Frankreich, Polen und so weiter haben sich diese Steuerverluste weitgehend widerstandslos gefallen lassen.
Anteil der Gewinne multinationaler Konzerne, der in Steueroasen verschwindet
Forscher der University of California, Berkeley und der Universität Kopenhagen schätzen, dass jedes Jahr fast 40% der multinationalen Gewinne (fast 600 Mrd. Euro im Jahr 2017) in Steueroasen verschoben werden. Die 8 größten Verlierer in Europa sind:
Wir dürfen nicht naiv sein und glauben, dass Demokratie in einem machtfreien Raum allein aufgrund von Mehrheiten ausgehandelt wird. Wir haben einen Erfolg erzielt, weil der Druck in vielen europäischen Gesellschaften so stark wurde, dass es nach jahrelangem Kampf jetzt zu diesem Entschluss gekommen ist.
Aber wie man am Erfolg des CbCR sehen kann: Man kann auch gegen die Mächtigsten gewinnen, wenn sich die Ohnmächtigen organisieren und zusammenschließen.
Hier liest du, wie sich der unfaire Steuerwettbewerb in der Praxis auf kleine Unternehmer:innen auswirkt:
Titelbild: Dominik Butzmann - CC BY 3.0