Ist die AfD für Christen wählbar?
»Ja«, sagt die AfD. »Nein«, sagt die Kirche. So könnte eine differenzierte Antwort aussehen.
Der AfD-Adventskalender von Beatrix von Storch verkündete an Heiligabend eine »Willkommenskultur für Neu- und Ungeborene«, direkt unter einer Krippenszene. 3 Tage zuvor hatte ein falscher evangelischer Pfarrer im echten Talar auf einer AfD-Demo vor dem Kanzleramt gesprochen. Und währenddessen sammeln sich bei sozialen Medien zahlreiche Kommentare wie dieser:
Meine 2 Hauptgründe, warum ich als Christ die AfD wählen werde, sind, weil sie sich klar gegen Gendermainstreaming und gegen die Islamisierung stellen. Parteien, die diese beiden Dinge vorantreiben, sind unwählbar. Ansonsten sollten Christen Menschen für Christus gewinnen, das ist von allem am effektivsten.
Passt die AfD in ein christliches Weltbild? Ist es nicht ein Widerspruch in sich, als gläubiger Christ ausgerechnet die AfD zu wählen? Wie kann man sonntags in die Kirche gehen und montags Aussagen wie diese mittragen: »Es sind Merkels Tote! #Nizza #Berlin«, im Twitter Profil des AfD-Europa-Abgeordneten Marcus Pretzell, kurz nach dem Lkw-Anschlag von Berlin.
Facebook-Kommentator Markus K. hat leider nicht auf meine Anfragen, seinen Post zu kommentieren, reagiert. Dafür habe ich einige Antworten bekommen – von der AfD bis hin zum Bischof. Dieser Text versucht, Schnittmengen und Brüche zwischen einem christlich geprägten Weltbild und der Programmatik der AfD zu erklären.
Wie viele Markus K.s gibt es in Deutschland?
Bevor wir allzu tief ins Inhaltliche einsteigen, ein kurzer Blick auf die Verbreitung des Typus »christlicher AfD-Anhänger«. Das Bekenntnis zum christlichen Glauben ist unter AfD-Mitgliedern weit verbreitet, so sagte zum Beispiel Bundessprecher Jörg Meuthen:
Die AfD wiederum hat kürzlich ihr
Wenn hier jemand spaltet, dann doch wohl die Politik der etablierten Parteien. Nur weil man Missstände anprangert, hat das nichts mit spalten zu tun. Das nennt sich Demokratie. Die derzeitige Regierung hat für mich nichts mehr mit Demokratie zu tun. / Frank D. bei katholisch.de
Wie hoch in der Gesellschaft der Anteil der christlichen AfD-Wähler ist, kann man zu diesem Zeitpunkt kaum seriös sagen. »Uns fehlen wirklich belastbare Daten, weil bisher meist nur die Religionszugehörigkeit abgefragt wurde und diese allein keine Aussage über die Religiosität erlaubt«, sagt die Soziologin Hilke Rebenstorf. Sie beschäftigt sich am Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD in Hannover unter anderem mit christlichen AfD-Wählern.
Bisher ist noch nicht erwiesen, ob gläubige Christen wesentlich seltener die AfD wählen als der Rest der Gesellschaft. Zumindest die
Die Autoren einer
Schnittmengen: Familienpolitik
Aber weshalb unterstützen manche Christen überhaupt die AfD? Mit dieser Frage im Gepäck stoße ich immer wieder auf 4 Themen:
- Ablehnung von Abtreibung:
- Ablehnung von Präimplantationsdiagnostik: Diesen Punkt fasst die AfD gemeinsam mit dem ersten unter dem zynischen Begriff »Willkommenskultur für Neu- und Ungeborene« zusammen – einzelne AfD-Politiker, aber auch Kleriker,
- Ablehnung der Gleichstellung Homosexueller: »Die AfD bekennt sich zur traditionellen Familie als Leitbild«, heißt es
- Genderpolitik: Im selben Kapitel des Parteiprogramms geht es um das
Bei familienpolitischen Ansichten der AfD und der Kirchen gibt es also durchaus Schnittmengen – in einigen anderen Bereichen sieht das aber anders aus.
Heißes Thema: Die Erderwärmung
Damit hat sich innerhalb der Partei die Fraktion der Leugner des menschengemachten Klimawandels durchgesetzt – gesamtgesellschaftlich umfasst sie Umfragen zufolge
Aus theologischer Sicht sagt der evangelische Berliner Bischof Markus Dröge hierzu: »Wenn zum Beispiel im AfD-Parteiprogramm steht, dass CO2 durchaus natürlich und nicht schädlich sei und dass der Klimawechsel etwas völlig Normales wäre, dann sind das Positionen, bei denen ich mich frage: Wie will man das mit der Bewahrung der Schöpfung, die uns als Christen anvertraut ist, verbinden?«
Und auch der katholische Papst Franziskus hat
Rotes Tuch: Die Flüchtlingspolitik
Die Kirchen betrieben »eine Art modernen Ablasshandel«, erklärte AfD-Sprecherin
Vor einem Jahr schrieb der katholische Religionslehrer Michael Frisch, mittlerweile AfD-Landtagsabgeordneter in Rheinland-Pfalz, im rechten Wochenblatt
Wer in diesen Wochen öffentliche Stellungnahmen der beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland liest und hört, der muss – von wenigen Ausnahmen abgesehen – den Eindruck gewinnen, hier handele es sich um Verlautbarungen einer Nebenstelle des Bundespresseamtes. Immer wieder betont man, es sei völlig unmöglich, als Christ gegen die ›Willkommenskultur‹ zu sein, denn die Nächstenliebe gebiete kategorisch die Aufnahme aller zu uns Kommenden.
Dazu führt Frisch in seinem Beitrag weiter aus: »Merkels Willkommenskultur, eigentlich nur eine Entscheidungsvariante unter vielen, wird quasi zum Dogma erhoben, Kritik an dieser Politik wird von einer anderen Meinung zur Ketzerei.« Machen sich die Kirchen beim Thema Geflüchtete mit der Politik gemein?
Die AfD verteidigt das christliche Abendland – im Gegensatz zur EKD, zuvorderst vertreten durch Herrn Bedford-Storm, der, um Muslimen zu gefallen, das Kreuz ablegt / Thomas H. auf evangelisch.de
Dem widerspricht der evangelische
Trotzdem kommen die Christen in der AfD zu anderen Schlüssen. Ihre Sprecherin Anette Schultner, die nach 2 Jahrzehnten in der Union die AfD mitgründete, sagt: »Wenn jemand sagt, wir müssen alle Hilfsbedürftigen der Welt in Deutschland bereit sein aufzunehmen, alles andere sei nicht christlich, dann spricht er allen anderen europäischen Ländern, die das nicht entsprechend tun, gleichzeitig ihre Christlichkeit ab.« Es helfe niemandem, Deutschland sozial zu destabilisieren. Sie bekräftigt den Vorschlag ihrer Partei, Geflüchteten in ihren Heimatländern zu helfen.
Dunkelrotes Tuch: Wie die AfD kommuniziert
Ich spreche ChrAfD-Sprecherin Anette Schultner auf den bereits erwähnten
CDU weiter gewähren lassen, ist die HÖCHSTE SÜNDE für einen "Christ". Fakt. / Anonym auf mmnews
An Marcus Pretzells Tweet dürfte auch der katholische Prälat Karl Jüsten gedacht haben, der gewissermaßen als Lobbyist der Kirche im politischen Berlin fungiert. Wenige Tage nach dem Anschlag sagte er der
»Wir sind als Christen aufgerufen, in einer fairen Weise zu kommunizieren«, argumentiert auch Bischof Markus Dröge. »Die Wahrheit der Rede ist für den christlichen Glauben etwas sehr Wichtiges.«
Noch einmal auf den
Diesen Hoffnungen stehen
Wie politisch darf die Kirche sein?
Wie sehr darf sich die Kirche in einem säkularen Staat in parteipolitische Fragen einmischen? Diese Frage stellt die AfD immer wieder, und scheut dabei nicht vor Vergleichen mit dem Dritten Reich.
Einer, den AfD-Politiker für seine klare Haltung immer wieder kritisieren, ist Markus Dröge. Er ist schon häufiger in die Schusslinie geraten – unter anderem mit der
Anstatt den Dialog mit kritischen Bürgern in seiner Kirche zu suchen, greift er zu Mitteln der Ausgrenzung und Diffamierung. Damit trägt er gerade zu jener gesellschaftlichen Klimaveränderung bei, die er selbst beklagt.
[…]
Im Übrigen sei Bischof Dröge daran erinnert, dass es vor allem die evangelische Kirche war, die in der Geschichte durch einen zu engen Schulterschluss mit den Mächtigen die Botschaft des Evangeliums mehr als einmal verdunkelt hat.
Derartige Anspielungen auf die Zeit des Nationalsozialismus hält Anette Schultner für überzogen: »Die Situation heute würde ich damit aber nicht in einen Vergleich bringen. Es gibt aber zu viel Nähe der Kirchen zu einseitiger Parteipolitik.« Häufig wird der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm für seine (ruhende) SPD-Mitgliedschaft kritisiert. Anette Schultner sagt: »Die Kirche ist ihrem Auftrag nach kein rot-grüner Arbeitskreis, sie ist die Gemeinschaft der Gläubigen!«
Umgekehrt
Dem stimmt grundsätzlich auch Markus Dröge im Namen der Berliner Landeskirche EKBO zu:
Wir haben in der EKBO vor einem Jahr grundlegende Richtlinien festgelegt, in denen auch steht, dass die Mitgliedschaft der AfD allein kein Grund für einen Ausschluss aus der Gemeindearbeit ist. Aber wenn menschenfeindliche öffentliche Äußerungen getätigt werden, ist für uns eine rote Linie überschritten. Eine Person, die sich so äußert, kann nicht bei uns in der Kirche Verantwortung übernehmen.
Kirche und AfD – wie geht’s weiter?
Das Verhältnis zwischen den kirchlichen Institutionen und der AfD ist, gelinde gesagt, ziemlich angespannt. Wichtiger ist jedoch ohnehin, wie das Verhältnis der Gemeindemitglieder untereinander sich entwickelt – schließlich
Diverse AfD-Positionen werden von konservativen Kirchenkreisen mitgetragen und ohne menschenfeindliche Äußerungen heißt auch Markus Dröge AfD-Mitglieder in seiner Kirche willkommen. Wie Pfarrer und Priester vor Ort mit rechten bzw. rechtspopulistischen Äußerungen in ihrer Gemeinde umgehen können, hat der ökumenische Arbeitskreis Kirche und Rechtsextremismus bereits erarbeitet. In einer
Inwieweit die AfD für Christen wählbar ist, unterliegt zuallererst dem eigenen Verständnis der Christlichkeit. Sie ist jedoch weniger eine Frage der Positionen, die schwarz auf weiß im Parteiprogramm stehen, als vielmehr der Art, wie Politik gemacht wird. Das Wahljahr 2017 wird es zeigen – um mit den Worten von Anette Schultner zu schließen: »Wir sind eine junge Partei, die sich findet.«
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