6 Bücher, die dir diesen Frühling Lesevergnügen bereiten
Dieses Jahr können wir zu Ostern zwar nicht verreisen. Doch zum Glück gibt es Romane und Geschichten, die uns in andere Welten entführen. Wir stellen euch 6 Neuerscheinungen gegen den Coronablues vor.
Als Medienschaffende verbringen wir berufsbedingt einen großen Teil unseres Tages mit Lesen: um Ideen für Texte zu finden, um für Recherchen tiefer in ein Thema einzutauchen oder um unseren Kolleg:innen Feedback zu ihrer Arbeit zu geben. Auf unseren Schreibtischen stapeln sich die Sachbücher, mit denen wir unser Wissen vergrößern wollen.
Romane bleiben leider häufig auf der Strecke – zu Unrecht. Denn die Welten, die sich dadurch auftun, sind mindestens genauso bereichernd: Durch fiktive Erzählungen ist es oftmals sogar einfacher, sich in andere Sichtweisen hineinzuversetzen. Und manchmal sind Abtauchen zwischen Bücherseiten und Ablenkung von all dem Chaos da draußen einfach die besten Mittel gegen schlechte Laune.
Für alle, die noch nach Lesefutter für die Osterferien und den Frühling suchen, stellt euch die Redaktion deshalb 6 lesenswerte Neuerscheinungen vor.
So schlägt der Puls unserer Zeit: »Toxische Macht«
von Dirk WalbrühlCorona, Lockdown, politische Unzufriedenheit: Der
Die Handlung dreht sich um den Vorabend der Bundestagswahl 2021 und erzählt in Rückblicken die Gründung und den Aufstieg einer neuen Jugendpartei: FUTURE, die ganz groß abschneiden könnte. Ihre Galionsfigur und Kanzlerkandidatin ist die BWL-Studentin Coco – eine idealistische Weltverbesserin, die Aktivistinnen wie Luisa Neubauer oder Greta Thunberg nachempfunden ist. Sie lebt Entschleunigung, Achtsamkeit, Konsumverzicht und Klimaschutz – aber zweifelt auch ganz menschlich ab und zu an sich selbst.
Ihr Gegenspieler ist ihr Ex-Liebhaber Maikel, der von Cocos Aufstieg abgestoßen ist. Er hat sich politisch nach rechts außen entwickelt und träumt von einer »natürlichen Ordnung«, Führung mit harter Hand und dem Rückschritt zu traditionellen Werten. Beide entschließen sich kurz vor der Wahl zu einem letzten, gemeinsamen Treffen – bei dem es auch Mordabsichten gibt.
Autor Linker lässt mit den beiden Figuren 2 ungleiche Zukunftsentwürfe aufeinanderprallen – die er zwar beide beleuchtet, aber nicht gleich gewichtet. Während er mit Coco und der utopistischen FUTURE durchdenkt, wie man eine lebenswerte Zukunft gestalten könnte, zeigt er mit Maikel eine typische Radikalisierung, inklusive toxischer Männlichkeitsideale, Staatsverweigerung und Gewaltbereitschaft.
Damit will der Autor viel auf einmal und trägt auch dick auf; doch er schafft es, die 2 politischen Realitäten seiner Protagonist:innen – Jugendkultur-Zukunftsdenken und neue Rechtsradikalität –, die tatsächlich zur Gegenwart Deutschlands gehören, glaubhaft gegeneinander zu kontrastieren. Und zwar so, dass es auch für erwachsene Leser:innen nachvollziehbar und spannend bleibt.
Der Roman trifft den Nerv unserer Zeit. Nach der Lektüre von »Toxische Macht« ist klar, wie stark die Coronapandemie unser Leben verändert hat. Und dass ein »Weiter so« ein für alle Mal Geschichte ist.
Christian Linker: Toxische Macht. dtv, 14,99 Euro.
Die Ahnung eines anderen Lebens: »Eine Formalie in Kiew«
von Katharina WiegmannIch lese viel im Lockdown. Ich lese zur Information, zur Ablenkung und zur Unterhaltung. Ich mag es, wenn sich beim Lesen lose Gedankenfetzen auf einmal zu einem Ganzen zusammenfügen, zu einem Gedankenstrang, der vorher noch nicht da war. Aber hauptsächlich bin ich beim Lesen auf derselben Suche wie beim Reisen: auf der Suche nach einer Stimmung; einer Ahnung davon, wie es sich in anderen Zusammenhängen lebt und wie es in anderen Menschen aussieht. Bei den besten Romanen passiert dasselbe wie auf gelungenen Reisen. Eine Stimmungslage verfängt sich in einem und wird zu einer Erinnerung. Die innere Landschaft wird ein Stück weiter und bekommt ein paar neue Farbtöne.
Damit habe ich jetzt schon einiges gesagt, ohne konkret etwas über »Eine Formalie in Kiew« gesagt zu haben, das
Der Besuch in Kiew mit Dmitrji Kapitelman ist getragen von einer Melancholie, die zugleich dem Gefühl von Heim- und Fernweh ähnelt und damit das »Dazwischen« von Migrationsgeschichten wohl ganz gut einfängt, um das es ja auch geht. Wer Kapitelman durch Kiew folgt, darf sich außerdem über lustig-kluge Sprachtricks freuen, die einem wahrscheinlich nur einfallen, wenn man eine Sprache nicht für selbstverständlich nimmt. Ich bin auf dem Sofa, ich bin in Kiew, ich fühle etwas. Ich habe etwas erlebt. Und ich empfehle dieses Buch.
Dmitrij Kapitelman: Eine Formalie in Kiew. Hanser, 20 Euro.
Unverständliche Dinge ergeben auf einmal Sinn: »Erste Person Singular«
von Stefan BoesHaruki Murakami hat mal wieder einen neuen Band mit Erzählungen veröffentlicht. Wie so oft vor und nach umfangreichen Romanen – zuletzt erschien der knapp 1.000 Seiten lange, auf 2 Bände verteilte Roman »Die Ermordung des Commendatore« – hat sich der japanische Schriftsteller für die kurze Form entschieden. Sie ermögliche es ihm, Details abzudecken, die im Roman nicht gut fassbar seien, schrieb er einmal. Interessant, dass das in einer Kurzgeschichte besser gehen soll.
Bei Murakami ist es aber ohnehin keine gute Idee, in gewohnten Bahnen zu denken. Auch in seinem neuen Buch
Der Ich-Erzähler kann sich keinen Reim darauf machen, und als Leser kann ich es auch nicht. Doch vielleicht ist es ein anderer Satz des Alten, in dem sich die Bedeutung dieser, aber auch anderer Murakami-Erzählungen entfaltet. »Nichts, was leicht zu haben ist, besitzt einen Wert«, sagt er. Murakami lässt uns ahnen, dass irgendwo im Verborgenen, abseits unserer üblichen Erklärungsmuster, noch eine andere Wahrheit liegt, eine andere Bedeutungsebene vielleicht, die uns kaum bewusst ist, die aber trotzdem ihre Wirkung entfaltet.
So etwas kommt vor im Leben. Es passiert etwas Unerklärliches und Unlogisches, was uns zutiefst verstört. Und mehr, als sich mit geschlossenen Augen und ohne nachzudenken davon überrollen zu lassen wie von einer großen Welle, kann man nicht tun.
Murakamis Geschichten folgen eigenen Gesetzen. Sie sind nicht dazu da, (allzu offenkundigen) Sinn zu ergeben. Das ist wohltuend, weil es heutzutage nicht gerade an Welterklärer:innen mangelt. »Erste Person Singular« ist kein Buch, das man lesen muss. Ich rate dennoch, es zu tun. Mitten in einer schweren globalen Krise Murakamis Bücher zu lesen, die von dieser Krise nichts wissen, hat etwas sehr Tröstendes. Was sie erzählen, ist so universal und zeitlos, dass es Hoffnung darauf macht, dass vieles von dem, was uns vor dieser Krise ausgemacht hat, am Ende immer noch da ist.
Haruki Murakami: Erste Person Singular. Erzählungen. Dumont, 22 Euro.
Ein Ritt durch die Gedankenwelt: »Ministerium der Träume«
von Maria StichEigentlich verläuft das Leben von Nasrin, einer queeren Türsteherin in Berlin, in geregelten Bahnen. Doch als ihre Schwester Nushin bei einem Autounfall stirbt und sie deren Tochter bei sich aufnimmt, fängt das, was sie sich aufgebaut hat, langsam an zu zerbröckeln. Weil sie Zweifel daran hat, dass der Tod ihrer Schwester wirklich ein Unfall war, sucht Nasrin in ihrer gemeinsamen Vergangenheit nach Antworten.
Es beginnt ein atemloser Ritt durch die Gedankenwelt, Träume und Erinnerungsfetzen von Nasrin. Zum Vorschein kommen dabei all die anderen Tragödien, die sie schon durchleben musste: die Flucht nach Deutschland, der Tod des Vaters, der im Iran hingerichtet worden ist, die ständige, unterschwellige Bedrohung von
Anfangs mag der mit Metaphern überladene Schreibstil von Yaghoobifarah gewöhnungsbedürftig sein. Doch einmal in Nasrins Gedankenwelt angekommen, entwickelt das 380 Seiten dicke Buch einen so starken Sog, dass es sich problemlos an 2 Abenden durchlesen lässt.
Hengameh Yaghoobifarah: Ministerium der Träume. Aufbau Verlag, Blumenbar, 22 Euro
Der Roman für alle, die sonst keine Romane lesen: »Wetter«
von Felix AustenAls ich bei den Kolleg:innen nachgefragt habe, wer Lust hat, einen Roman vorzustellen, kam häufig dieselbe Antwort: »Puh, ich komme zur Zeit kaum dazu, Romane zu lesen …«
Es geht um das Zusammenleben mit dem geliebten, aber mit Macken behafteten Ehemann, dem Sohn, der meistens in Gedanken versunken ist, dem Bruder, der mit einem Neugeborenen und einer Medikamentenabhängigkeit gleichermaßen zu kämpfen hat, und der Mutter, die gern ganz viel helfen möchte, aber leider einfach nervt.
Über die persönliche
Am Ende gibt es keinen großen Schlag, aber auch keine Lösungen; die Probleme der Welt purzeln so vor sich hin. Dieses Buch ist wie das Leben selbst: kurz und schnell vorbei, ein wenig chaotisch, aber zum Glück auch oft witzig und voller Herz!
Jenny Offill: Wetter. Piper, 20 Euro.
Von Freundschaft, Erfolg und der besten Geschichte aller Zeiten: »Die Erfindung des Dosenöffners«
von Lara MalbergerIn der Lokalredaktion seines Heimatdorfes muss Timur über Hühnerzüchter und Kegelabende berichten – dabei träumt er eigentlich von einer großen Karriere als Star-Journalist. Nebenbei ist er ziemlich neidisch auf seine Freund:innen, die nach Australien reisen oder Jura in Hamburg studieren und das perfekt auf Instagram inszenieren. Die haben es geschafft, während er zu Hause versauert, denkt Timur.
Dann bekommt er die Gelegenheit, sich für ein Volontariat in einer anderen Redaktion zu bewerben, in der es um die echten, großen Themen geht. Dafür muss er seiner Zeitung allerdings noch die eine Knaller-Story liefern. Timur sieht darin die Chance, endlich das Leben zu leben, das er sich wünscht. Auf der Suche nach der besten Geschichte aller Zeiten (im Dorf gar nicht so einfach) trifft er Rentnerin Annette, die im hiesigen Altersheim lebt und behauptet, sie habe den Dosenöffner erfunden. Um herauszufinden, ob das stimmt, macht Timur sich gemeinsam mit Annette auf den Weg in die Schweiz und in die Vergangenheit der alten Dame. Auf dem Weg werden die beiden nicht nur Freunde, Timur findet auch einiges über sich selbst und das heraus, was ihm eigentlich wichtig ist. Und natürlich über den Dosenöffner.
Eine Geschichte, auf die wirklich niemand gewartet hat, die dann aber eine Familienpizza mit Käse im Rand dabei hat und vier verschiedene Sorten Monster Slush für alle. Das sind mir die liebsten Gäste.
Tarkan Bagci: Die Erfindung des Dosenöffners. Ullstein Paperback, 20 Euro.
Titelbild: Anastasiia Rozumna - CC0 1.0