Was ist eigentlich Demokratie? »Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus«, heißt es im deutschen Grundgesetz. »Wir, das Volk« sind die ersten Worte der Verfassung der USA. Darum ist die Möglichkeit, die Regierung durch allgemeine, freie, gleiche und geheime Wahlen auszutauschen, das Herzstück jeder Demokratie. Für uns längst eine Selbstverständlichkeit.
Tatsächlich lebt nur
Gambia ist die schlimmste Diktatur, von der noch nie jemand gehört hat. Wenn hier friedlicher demokratischer Wandel durch die Wahlurne möglich ist, dann ist es das überall.
Westafrika ist eine der Regionen, in der in den letzten Jahren in immer mehr Staaten die Bevölkerung die Herrschaft übernommen hat. Der Weltöffentlichkeit ist Westafrika vor allem durch Bürgerkriege, Terrorismus und Ebola bekannt. Seit 2012 sind hier allerdings in 5 der 15 Länder Regierungen und Präsidenten durch friedliche Wahlen abgewählt und Langzeitherrscher durch friedliche Proteste aus dem Amt gejagt worden. Der »Herrschaft des Volkes« kann man hier beim Keimen zusehen.
Und Hingucken lohnt sich, denn zwischen der Sahara und dem Golf von Guinea lässt sich derzeit viel darüber lernen, wie man mit friedlichen und demokratischen Mitteln auch brutale Diktatoren und verkrustete Regierungsapparate erfolgreich herausfordern kann. Die Erfahrungen Westafrikas zeigen: friedlicher demokratischer Wandel ist möglich.
Während des Arabischen Frühlings inspirierten sich Protestbewegungen in Nordafrika und dem Mittleren Osten gegenseitig, ihre Beweggründe waren einander recht ähnlich. Die Bedingungen für die Demokratiebewegungen in Westafrika unterscheiden sich stark von Land zu Land.
Burkina Faso ist
»Seit mehr als 35 Jahren engagiere ich mich gegen die Repression in Burkina Faso«, erzählt der Präsident der Menschenrechtsorganisation bei einem Gespräch 2015. Anlass gab es dafür immer reichlich: Bis 1960 eine französische Kolonie, wurde das Land nach der Unabhängigkeit zuerst zu einer Ein-Parteien-Diktatur und rutschte dann von einem Militärputsch in den nächsten.
Der vierte Putsch brachte 1983 Hauptmann
Sankaras Revolution fand 1987 ihr Ende, als Soldaten unter dem Kommando von Blaise Compaoré ein Kabinettstreffen stürmten und den Präsidenten unter bis heute nicht komplett geklärten Umständen erschossen. Mit dem Wohlwollen Frankreichs erklärte sich Compaoré zum Präsidenten. Sankaras soziale Reformen wurden weitgehend rückgängig gemacht, politisch wurde das Regime aber noch autoritärer.
Gezielt schaffte Compaoré in den folgenden Jahren ehemalige Verbündete aus dem Weg, indem er sie entweder inhaftieren oder hinrichten ließ. Wahlen gab es zwar seit 1991 regelmäßig, frei und fair waren sie aber nie.
Zougmoré gehört zu der kleinen Gruppe von Aktivisten und Journalisten, die sich auch in dieser schweren Zeit weiter für Demokratie eingesetzt haben. Wie gefährlich diese Arbeit sein kann, zeigt das Schicksal von Norbert Zongo: Der investigative Journalist wurde 1998 zusammen mit seinem Bruder, einem Kollegen und seinem Fahrer
Die Ermordung Zongos schockierte die Bevölkerung und löste große Proteste aus. Unter dem Druck der Straße und der Opposition stimmte Präsident Compaoré einer Verfassungsänderung zu, die seine zukünftigen Mandate auf 2 begrenzte. Er beruhigte damit Teile seiner Kritiker, legte aber auch den Grundstein für seine Entmachtung mehr als 14 Jahre später.
Gezielt nutzten Opposition und Teile der Zivilgesellschaft die Mandatsbegrenzung, um in der Bevölkerung eine Erwartungshaltung für politischen Wandel aufzubauen. Die wirtschaftliche Hoffnungslosigkeit ließ die Unzufriedenheit mit dem Regime wachsen, immer wieder kam es im neuen Jahrtausend zu Demonstrationen und Meutereien von Soldaten.
Im Oktober versuchte Compaoré, sich durch eine weitere Verfassungsänderung eine weitere Amtszeit zu ermöglichen. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Hundertausende Menschen folgten dem Aufruf der Opposition, eine überraschend anberaumte Abstimmung in der Nationalversammlung durch friedliche Proteste zu verhindern. Demonstranten besetzten das Parlamentsgebäude, bis zu 30 Menschen kamen dabei durch Schüsse der Sicherheitskräfte ums Leben. Angesichts der nationalen Krise wurde Compaoré von Teilen der Armee zur Abdankung gezwungen und setzte sich ins Exil ab.
27 Jahre dauerte am Ende die Herrschaft von Balise Compaoré. Seine Elite-Einheit, die Präsidialgarde, versuchte kurz vor den Wahlen noch einmal, durch einen Putschversuch den politischen Wandel aufzuhalten. Erneute Demonstrationen und die Weigerung anderer Armee-Einheiten, sich dem Putsch anzuschließen, ließen den Versuch allerdings scheitern. Im November 2015, 55 Jahre nach der Unabhängigkeit, konnten die Burkinabé so ihr Staatsoberhaupt zum ersten Mal in einer demokratischen Wahl bestimmen.
Auch die anderen, bereits erwähnten Beispiele aus der Region haben einen langen Atem bewiesen:
Länder, die von diesen Beispielen lernen können:
Doch auch wer ewig durchhält, kommt nicht unbedingt zum Zug. Neben Stehvermögen und Nehmerqualitäten müssen ergebnisorientierte Oppositionsbewegen vor allem eines beweisen: Teamfähigkeit.
Auch in anderen Ländern innerhalb und außerhalb Westafrikas arbeiten Oppositionsbewegungen seit Jahren an der Überwindung autoritärer Regime.
Die Unterdrückung der Opposition in Gambia war systematisch und brutal. Trotzdem ging sie bei den Präsidentschaftswahlen 2016 als Sieger hervor. Der Kandidat der Vereinten Demokratischen Partei, Adama Barrow, gewann
»Der Wahlerfolg der Opposition in Gambia ist vor allem darauf zurückzuführen, dass sie sich hinter einem Kandidaten vereint hat«, ist sich Jeffrey Smith von der Organisation
»In Gambia war das anders«, berichtet Smith. »Die Anführer der Opposition hatten komplett verinnerlicht, dass es hier um mehr geht als nur um sie selbst, dass hier die Zukunft des Landes auf dem Spiel stand.« Mit vollem Einsatz habe die Oppositionskoalition Wahlkampf für den gemeinsamen Kandidaten gemacht.
Der Sieg Adama Barrows war am Ende nur möglich, weil er durch die aufrichtige Zusammenarbeit verschiedener Oppositionsparteien die Stimmen unterschiedlicher Interessens- und Volksgruppen auf sich vereinen konnte. Und weil die Opposition das Bündnis erst einige Wochen vor der Wahl bekannt gab, hatte das Regime keine Zeit zur Reaktion.
Koalitionen sind aber nicht nur zwischen den Akteuren im Land selbst wichtig. In einer Diktatur hat der Herrscher die Möglichkeit, aussichtsreiche Gegenkandidaten einfach verschwinden zu lassen. Gerichte und Staatsanwälte sind dabei Erfüllungsgehilfen. »Ein anderer wichtiger Faktor in Gambia war die internationale Aufmerksamkeit«, ist sich Jeffrey Smith daher sicher.
Durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit interessierten sich
In der Tat ist es in Gambia nach der Wahl nicht zu der befürchteten brutalen Repression durch das Regime gekommen. Die Vereinten Nationen und die Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten hatten den Wahlausgang begrüßt und deutlich gemacht, dass sie eine friedliche Machtübergabe erwarten. Aktuell weigert sich Jammeh noch, sein Amt abzutreten, obwohl er selbst in einer ersten Reaktion seine Niederlage eingestanden hatte. Noch stehen die Sicherheitskräfte zu Jammeh, der Generalstabschef der Streitkräfte hat dem Putschisten seine Treue versichert. Die Opposition wird sich im Notfall auch auf militärische Verbündete aus dem Ausland verlassen müssen,
Andere Oppositionsbewegungen, die erfolgreich auf Zusammenarbeit gesetzt haben:
Länder, die von diesen Beispielen lernen können:
Auch wenn Zusammenarbeit wichtig ist: Einen Spitzenkandidaten braucht es trotzdem, um einen Amtsinhaber herauszufordern. Wer ist der Richtige für diesen manchmal gefährlichen, auf jeden Fall verantwortungsvollen Job?
Blickt man auf die Wahlerfolge demokratiekritischer Populisten in Europa und den USA, könnte man meinen, dass auch die Demokratiebewegung vor allem charismatische Volkstribune aufstellen sollte. Kandidaten, die eine Masse rhetorisch mitreißen können, sind auch an der Wahlurne erfolgsversprechend, oder?
Tatsächlich sind die erfolgreichsten Oppositionskandidaten Westafrikas alle recht unscheinbare Gesellen.
Der Nigerianer Muhammadu Buhari etwa ist mit seinem asketischen Aussehen, seiner breitrandigen Brille und stoischen Art
Im Wahlkampf 2015 versuchte er vor allem durch sein Image der ruhigen Kompetenz zu punkten. Während der Konflikt mit Boko Haram im Norden des Landes tobte und die Regierung in immer größeren Korruptionsskandalen versank, war ihm seine militärische Erfahrung und sein Ruf als Korruptionsbekämpfer offenbar Argument genug. Provokationen, wie sie etwa Donald Trump im US-Wahlkampf fast täglich produzierte, hatte Buhari nicht nötig.
»Dass all diese Anführer recht uncharismatisch sind, hebt sie in den Augen der Wähler positiv gegenüber ihren Vorgängern ab«, meint Kamissa Camara. Nach Jahren eines meist selbstverliebten, verschwenderischen und korrupten Regierungsstils kommt
Andere erfolgreiche Beispiele:
Länder, die von diesen Beispielen lernen können:
Die Wahlerfolge der Opposition in Westafrika zeigen, wie auch gegen brutale Diktaturen und etablierte Regierungsparteien friedliche und demokratische Mittel erfolgreich sein können. Allerdings ist auch Vorsicht geboten: Die Wahl ist nur der erste Schritt. Gerade junge demokratische Regime müssen ihre Errungenschaften verteidigen, und ihr größter Gegner sind dabei sie selbst.
»Gambia ist ein Mafiastaat mit Yahya Jammeh an der Spitze« – Jeffrey Smith, Vanguard Africa
Wird die Macht von einem autoritären Herrscher übernommen, müssen demokratische Bewegungen den Staat oft von Grund auf neu aufbauen. »Gambia ist ein Mafiastaat mit Yahya Jammeh an der Spitze«, meint etwa Jeffrey Smith von Vanguard Africa. »Alle staatlichen Institutionen sind sein persönliches Eigentum. Barrows Administration wird sprichwörtlich bei null anfangen müssen.« Ob das gelingt, ist offen. In Burkina Faso wiederum versuchte die Präsidialgarde kurz vor der Wahl 2015, die Rückkehr zum Herrschaftsstil des ehemaligen Machthabers Blaise Compaoré durch einen Putsch zu erzwingen. Die Übergangsregierung wurde unter Hausarrest gestellt, nur erneute öffentliche Proteste und das Einschreiten anderer Armee-Einheiten konnten den Staatsstreich verhindern.
Doch auch, wo Ministerien nicht komplett neu gegründet oder Sicherheitskräfte reformiert werden müssen, gibt es eine gewaltige Herausforderung: die Erwartungen der Wähler.
Mit der Abwahl des alten Regimes ist in der Regel die Hoffnung verbunden, dass es schnell zu Veränderungen kommt. Im Senegal ging es 2012 um ständige Stromausfälle in der Hauptstadt, um mehr Jobs für die junge Generation und um die gefährliche Konzentration der Macht, mit der Präsident Abdoulaye Wade die senegalesische Demokratie in ihren Grundfesten erschüttert hatte. Sein Nachfolger Macky Sall, durch einen Erdrutschsieg ins Amt gekommen, würde heute wohl nicht wiedergewählt werden. Seine Koalition hat sich zerstritten, sein Wirtschaftsprogramm zeigt nicht schnell genug Erfolge und die versprochene Verkürzung seiner Amtszeit von 7 auf 5 Jahre wird erst in der nächsten Legislaturperiode kommen. Für all das gibt es nachvollziehbare Gründe. Die Wähler sind dennoch enttäuscht und Sall hat die Chance auf eine historische Präsidentschaft des Wandels vertan.
Werden die hohen Erwartungen enttäuscht, so kann dies auch die demokratische Idee an sich in Mitleidenschaft ziehen. In Sierra Leone und Liberia, 2 Länder in Westafrika, die Anfang des Jahrtausends durch freie und faire Wahlen ein hoffnungsvolles Ende ihrer jeweiligen Bürgerkriege verkündeten, ist die
Erwartungen an die neuen demokratischen Regierungen Westafrikas:
Länder, die von den möglichen Erfolgen demokratischer Regierungen lernen könnten:
»Wir müssen aufhören, bei Wahlen in Afrika immer das Schlimmste zu erwarten.« – Kamissa Camara, National Endowement for Democracy
Diese Warnung soll aber nicht allzu sehr von der Kernbotschaft der demokratischen Erfolge in Westafrika ablenken: Demokratischer Wandel ist mit friedlichen Mitteln möglich. Gerade Afrika bietet viele gute Beispiele dafür. »Wenn es eine gemeinsame Lehre aus den Erfolgen in Westafrika gibt«, sagt Kamissa Camara, »dann, dass wir aufhören müssen, bei Wahlen in Afrika immer das Schlimmste zu erwarten und pessimistisch über die Chancen zu urteilen, die sie bieten.« Auch wenn der Weg hin zur »Herrschaft des Volkes« beschwerlich und für die Pioniere der Demokratiebewegung oft gefährlich ist: Mit dem Leid und der Zerstörung, die durch »Befreiungskriege« und Rebellionen angerichtet wird, ist er nicht vergleichbar. Auch dafür gibt es in der Region ausreichend Beispiele.
Für die vielen Afrikaner, die oft unter Einsatz ihres Lebens friedlich für mehr Rechte und Demokratie kämpfen und in deren Ländern die Lage aussichtlos erscheint, ist das eine hoffnungsvolle Botschaft. Und für jene, die das Glück haben, zu den knapp 50% der Weltbevölkerung zu gehören, die schon in demokratischen Staaten leben, ist es eine Aufforderung: Es gibt viele Möglichkeiten, wie wir auch persönlich jene, die unsere Ideale teilen, unterstützen können. Aktivisten, Oppositionspolitiker und Journalisten brauchen unsere Solidarität und Aufmerksamkeit.
Titelbild: picture alliance / AP Photo - copyright
Die Diskussionen sind leider nur für Mitglieder verfügbar.