Was wir unserem Selbst vor der Pandemie gerne sagen würden!
Spoiler: Es geht nicht darum, schon mal Nudeln und Klopapier zu horten.
Corona begleitet uns seit über einem Jahr. Am 11. März 2020 hat die WHO Covid-19 zur Pandemie erklärt – zu einer Krankheit mit weltweiten Konsequenzen. Etwa 118.000 Infektionen gab es zu dem Zeitpunkt bereits in 114 Ländern, 4.000 Menschen hatten ihr Leben verloren. Schon damals war klar: Wir stehen erst am Anfang einer Pandemie, die uns lange beschäftigen, viele Menschen das Leben und wiederum andere durch das Long-Covid-Syndrom dauerhaft die Gesundheit kosten würde.
Wir bei Perspective Daily haben 2 Tage nach der WHO-Erklärung eine Übersetzung des Textes
Aber es gab auch Dinge, auf die uns niemand vorbereitet hat – weil uns niemand darauf vorbereiten konnte. Schließlich waren wir damals alle Pandemieneulinge. Manche haben herausgefunden, was ihnen wirklich wichtig ist oder was den Kern ihrer Person unter diesen teils harten Bedingungen ausmacht. Wir haben herausgefunden, ob unsere Freundschaften und Familienbande diese Belastung der Pandemie ertragen, ob sie Beziehungen sprengt oder stärkt. Wir haben gemerkt, was ein Jobverlust oder endloses Homeoffice bedeuten kann.
Unsere Autor:innen haben sich in diese Zeit zurückgedacht und überlegt, wer sie vor einem Jahr waren. Sie haben sich erinnert, mit welchen Gefühlen sie vor diesem fremden, bedrohlichen Ereignis »Pandemie« standen. Heute schreiben sie darüber, was sie dieser Person, die sie damals waren, mit dem Wissen, das sie heute haben, geraten hätten.
»Deine Beziehungen werden sich vielleicht für immer verändern«
von Stefan BoesWie lange du auf vieles verzichten musst, was dir wichtig ist, kannst du dir jetzt noch nicht vorstellen. Deine Freundinnen und Freunde zu Hause zu besuchen, mit ihnen zu feiern, etwas zu unternehmen, das wird lange kaum möglich sein. Sei beruhigt: Auch wenn dir viele Menschen fehlen werden, wirst du spüren, dass sie für dich da sind. Nichts spricht dagegen, dich mit ihnen zu einem Spaziergang zu verabreden oder zu telefonieren. Du wirst viel reden, weil es viel zu sagen gibt.
In der Krise sind wir schwächer als sonst – und wir zeigen das.
Die Gespräche werden dich, aber auch deine Freunde dazu bringen, Verletzlichkeit zuzulassen. In der Krise sind wir schwächer als sonst – und wir zeigen das auch. Das wird deine Beziehungen zu den Menschen vertiefen, die dir wichtig sind. Sogar eine neue Freundschaft wirst du schließen – und sie, wie andere Freundschaften auch, über die Distanz aufrechterhalten.
Du wirst aber feststellen, dass es ein großer Unterschied ist, ob du dem Freund, der aus seinem Leben berichtet, auf dem Smartphone begegnest, oder ob er auf einer Parkbank neben dir sitzt. Jemanden in der Nähe zu haben, ihm oder ihr in die Augen sehen zu können, das ist es, was dir mehr fehlen wird, als du es gerade ahnst.
»Bitte erkläre deiner Oma, wie ein Videoanruf funktioniert«
von Désiree SchneiderEndlich bist du dem Trend mal voraus: Zimmerpflanzendschungel werden der Bringer! Jetzt willst du noch ein paar Ableger loswerden, damit die Blumentöpfe in der Wohnung nicht überhandnehmen. Mein Tipp: Warte damit noch etwas und verschenke sie später. Denn genau diese Kleinigkeiten werden wichtig sein. Viele Menschen in deinem Umfeld werden mit der Pandemie und den Lockdowns zu kämpfen haben, auch deine Großeltern fühlen sich einsam. Sei für sie da, schenke ihnen viel Liebe – und vielleicht auch eine Pflanze.
Du ziehst während der Lockdowns 2-mal um, leicht panisch und unwissend, wie und ob du das überhaupt darfst. Du beginnst einen neuen Job in einer neuen Stadt und heiratest coronakrank, ohne es zu wissen. Ja, die Erkältung ist doch Covid-19! Du steckst deinen Partner und deinen Ü-60-Vater an. Halte dich nicht zu lange mit Schuldgefühlen auf, ihr steckt es alle gut weg.
Die Weihnachtsquarantäne mit deinem Partner im WG-Zimmer bringt dir das ruhigste und entspannteste Fest seit Jahren. Die Sprachnachrichten von Freund:innen und der Familie werden zu deinen täglichen Minipodcasts. Und erkläre deiner Oma bitte bald, wie ein Videoanruf funktioniert, damit du die ersten Monate nicht zu einem Ohrläppchen sprichst.
Gewöhne dich an das Land des gelebten Wahnsinns
von Dirk WalbrühlIch kann mich noch gut daran erinnern, wie zuversichtlich du während des ersten Lockdowns noch warst. Du dachtest:
Wir leben doch nicht im finstersten Mittelalter, wo Menschen Pandemien ohnmächtig gegenüberstanden. Wir haben Wissenschaft, Internet und Aufklärung – da können wir auf das beste Pandemiemanagement hoffen.
Überraschung, mein Lieber. Du wirst herausfinden, dass Wissenschaftler:innen monatelang Fakten erklären – die dann als eine Meinung unter vielen
Ein Jahr später bist du klüger, ernüchtert und auch wütend. Darüber, dass wir eben doch noch nicht in einer aufgeklärten Zukunft angekommen sind. Du kannst noch etwas ändern, also: Beziehe von Beginn der Pandemie an deutlicher Stellung, engagiere dich, übe politischen Druck aus. Denn vielleicht konnte es überhaupt nur so weit kommen, weil zu viele von uns zu lange »recht zuversichtlich« waren.
»Ein Tapetenwechsel hält dich bei Verstand«
von Lara MalbergerDu hast gerade deinen Urlaub abgesagt und nach den ersten Wochen im Homeoffice fällt dir langsam die Decke auf den Kopf. Gewöhne dich dran: Ins Büro geht es in den nächsten Monaten kaum noch.
Doch es gibt auch gute Nachrichten. Du wirst umziehen – und zwar raus aus Dortmund in dein Heimatdorf, etwas weiter Richtung Münsterland. Das ist zwar nicht wirklich weit weg, aber eben doch ein Umzug von der Stadt aufs Land. Ich weiß, dass ihr schon länger darüber nachdenkt, du dir aber noch nicht ganz sicher bist, ob dir die Stadt mit ihren Möglichkeiten nicht fehlen wird.
Nach nun fast einem Jahr in der neuen Wohnung kann ich dir 4 Dinge sagen:
- Dir wird die Stadt nicht fehlen.
- Du wirst erleichtert sein, dass deine Familie nur ein paar Minuten entfernt ist.
- Du wirst ein Arbeitszimmer haben und sehr froh darüber sein (und hey, auf dem Land zu wohnen ist wirklich günstiger als in der Stadt).
- Der kleine Garten, den ihr jetzt habt, wird Gold wert sein und eine seltsame Begeisterung für Hochbeete in dir auslösen.
Die neuen Möglichkeiten (und ja, in den nächsten Monaten sind Hochbeete tatsächlich Möglichkeiten), die der Ortswechsel in der Pandemie mit sich bringt, kannst du gut gebrauchen, denn die nächsten Monate werden anstrengend. Und wenn die Bars und Kinos wieder öffnen und Konzerte stattfinden, ist es kein Problem, dafür eine Stunde in der Bahn zu verbringen.
»Du bist noch da, nur anders«
von Benjamin FuchsJa, du wirst Corona haben – trotz Händewaschen und Homeoffice. Du wirst merken: In dieser Pandemie hast du nicht alles, was dir passiert, in der Hand, egal wie sehr du dir das wünschst. Trotzdem sind die Hygienemaßnahmen natürlich wichtig – wer von Anfang an schludert, erhöht nur das Risiko, irgendwo unter die Räder zu kommen. Einiges entscheidet das Virus aber einfach über deinen Kopf hinweg.
Nach Weihnachten geht es los: Kopfschmerzen und ein Husten, der sich anfühlt, als würdest du gleich die ganze Lunge mit ausspucken. Während der Krankheit bekommst du richtig Angst. Denn auch deine Familie hat es – die Kinder kommen ohne Probleme durch. Du selbst liegst zwar tagelang im Bett, aber das Krankenhaus bleibt dir erspart. Du gehörst zu der »Glück gehabt«-Gruppe.
Manche Menschen haben mit Langzeitfolgen zu kämpfen. Du bist so einer, aber zum Glück sind sie bei dir nur mild. Trailrunning wirst du erst mal an den Nagel hängen, der Fokus verschiebt sich. Mal fehlt dir die Kraft, ohne ein Nickerchen durch den Tag zu kommen, mal gehst du durch Wind und Schnee spazieren. Die Spaziergänge in der Natur schenken dir eine neue innere Ruhe und ein bisschen Glück. Ich weiß, vieles glaubst du mir jetzt nicht – aber warte ab. Alle, die du lieb hast, sind noch da. Und du bist auch noch da, nur anders.
»Höre auf zu grübeln und bleibe im Flow«
von Felix AustenDu bewunderst Kinder für eine Fähigkeit, die uns Erwachsenen (leider) oft abhandengekommen ist: Sie nehmen alltägliche Dinge, die uns längst normal und langweilig geworden sind, voller Verzauberung wahr. Stundenlang hantieren sie mit ein paar Kieselsteinen oder beobachten eine Ameise. In ihrer kindlichen Naivität ist ihnen dieser Zustand des »Flows« nicht bewusst – und auch darin liegt seine Qualität.
Gewissermaßen wandelst du – wie die meisten Menschen vor Ausbruch der Pandemie – in einem ähnlichen Zustand. Du hast keine Ahnung, was da auf dich zukommt, nimmst viele Dinge für selbstverständlich hin. Eine kleine Gartenparty mit Freunden, gemütlich essen gehen mit der Freundin, ein freies Wochenende bei den Großeltern und an einem regnerischen Samstag ab ins Schwimmbad; ist doch alles selbstverständlich.
Wenn ich jetzt anfangen würde, dir zu erzählen, wie toll und besonders du das alles in einigen Monaten finden wirst – würde dir das etwas bringen? Würdest du es überhaupt verstehen? Ich glaube, es hätte so viel Sinn, wie wenn Oma dem 3-Jährigen erzählt, wie toll es ist, dass er sich so lange alleine mit den Kieselsteinen beschäftigen kann.
Was eine Pandemie in der Theorie ist, weißt du längst; und dass ein Menschenleben ganz anders und weniger privilegiert aussehen kann als dein bisheriges, auch das weißt du. Wie es sich aber anfühlt, wenn sich das Leben plötzlich radikal ändert – diese Erfahrung musst du schon selbst machen. Bis dahin, mache einfach weiter. Am besten sind die Dinge, die uns heute fehlen, doch dann, wenn wir nicht ständig darüber nachdenken, während wir sie tun; sondern ganz im Flow sind!
Titelbild: virinaflora - CC0 1.0