Warum ausgerechnet die USA jetzt alle Steueroasen austrocknen wollen
Die Welt steht kurz vor dem Abschluss einer revolutionären Reform des globalen Steuersystems. Das freut jedoch nicht alle – denn die Ärmsten könnten einmal mehr leer ausgehen. Doch noch besteht Hoffnung.
Marode Brücken reparieren, Breitbandkabel verlegen und erneuerbare Energien ausbauen – die neue US-Regierung unter Joe Biden hat sich einiges vorgenommen. Und dann sind da noch die Folgen der anhaltenden Coronakrise, die bewältigt werden müssen.
Derartige Mammutprojekte anzustoßen ist die eine Sache, sie solide zu finanzieren die andere. Doch auch hier hat die Biden-Administration schon einen Plan. Das nötige Geld soll von denen kommen, die am meisten davon haben – und zwar von den multinationalen Großkonzernen.
In einer Rede Anfang April brachte die neue US-Finanzministerin Janet L. Yellen ein Instrument zur Finanzierung der Pläne der Biden-Regierung ein, das tricksenden Konzernen und Staaten mit dem Geschäftsmodell »Steuerdumping« wenig gefallen dürfte:
Mit einer globalen Mindeststeuer können wir sicherstellen, dass die Weltwirtschaft auf der Grundlage gleicher Wettbewerbsbedingungen bei der Besteuerung multinationaler Konzerne floriert und Innovation, Wachstum und Wohlstand anregt.
Die Idee einer solchen Steuer ist jedoch keine Erfindung der US-Regierung. Innerhalb der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wird angesichts der weltweiten Steuervermeidung bereits seit Jahren intensiv über eine Reform des internationalen Steuersystems diskutiert. In der Organisation sind die 37 wirtschaftsstärksten Nationen der Welt vertreten, die nun gemeinsam mit 102 weiteren Nationen über die Reform beraten.
So könnte eine globale Mindeststeuer für Unternehmen aussehen
»Eigentlich wollte man schon im Oktober vergangenen Jahres zu einem Ergebnis kommen, aber die Trump-Administration hatte sich bis zuletzt geweigert zu kooperieren«, berichtet Christoph Trautvetter vom »Netzwerk Steuergerechtigkeit«, einer international aktiven Nichtregierungsorganisation, die sich für ein gerechteres Steuersystem einsetzt. Daher habe man die Verhandlungen einfach auf die Zeit nach Trump verschoben – mit Erfolg, wie sich jetzt zeigt: Nun marschieren die USA in der Diskussion vorneweg und schlagen mit 21% einen deutlich höheren Mindeststeuersatz vor.
Internationale Unternehmen könnten dann nicht länger von den
Doch eine zentrale Frage bleibt im aktuellen Entwurf noch ungeklärt. Und zwar, wo genau die zusätzlichen Steuern gezahlt werden müssen. »Weder der Vorschlag der USA noch der der OECD erklärt bisher konkret, wie diese zusätzlichen Steuern in den Ländern erhoben werden können, wo die Gewinne entstehen. Es besteht die Gefahr, dass die zusätzlichen Einnahmen am Ende vor allem dort landen, wo die großen Konzerne ihren Hauptsitz haben, also meist in den reichen Ländern wie den USA oder Deutschland. So ist für die Entwicklungsländer, die bisher schon immer hinten runterfallen, wenig gewonnen«, erklärt Trautvetter.
Warum die armen Länder nicht unbedingt etwas von der Mindeststeuer hätten
Was das bedeuten würde, wird am besten an einem – rein hypothetischen – Gedankenexperiment deutlich: Nehmen wir an, Apple verkauft in Deutschland ein iPhone für 1.000 Euro, das in China hergestellt wird. Das Steuersystem erlaubt es Apple bisher, die chinesischen und deutschen Gewinne auf die Bermudas zu verschieben, wo 0% Steuern fällig werden. Das bedeutet: China bekommt nichts, Deutschland bekommt nichts und die Bermudas bekommen einen Cent für ihre Dienste. Mit dem aktuell vorgeschlagenen Modell würden auf die Gewinne auf den Bermudas jetzt zusätzlich 21% Steuern fällig. Aber die landen beim Steuermodell »Made in America« nicht etwa in Deutschland oder in China, sondern in den USA. Auf Druck der Entwicklungsländer verhandelt die OECD zwar noch über ein weiteres Reformelement – nämlich die Umverteilung von Besteuerungsrechten –, aber davon ist nach jetzigem Stand und auch im Vorschlag der USA nur sehr wenig übrig geblieben.
»Die Diskussion ist hier gerade in der heißen Phase und nur wenige Details über den Verlauf dringen nach außen«, berichtet Christoph Trautvetter. »Eigentlich wollen alle 139 Staaten eine Reform bis zum Juli dieses Jahrs unter Dach und Fach bringen. Ob das aber klappt, ist im Moment noch schwer abzusehen. Gerade wenn die USA nun ihr ganzes politisches Gewicht für dieses Modell in den Ring werfen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass die weniger mächtigen Staaten in ein neues System gepresst werden, das ihnen nicht den erhofften Fortschritt bringt.«
Ein größerer Kuchen macht noch keine gerechtere Party.
Anders gesagt: Der zu verteilende Kuchen würde größer und Länder wie Luxemburg könnten sich nicht länger Stückchen stehlen, die ihnen eigentlich nicht zustehen. Aber die Länder, die bisher am meisten unter dem unfairen System gelitten haben, erhalten nur ein paar zusätzliche Krümel und kein größeres Stück vom Kuchen. Und einige von ihnen wollen sich nicht mehr mit Krümeln abspeisen lassen: »Länder wie Indien, Ecuador oder Nigeria, aber auch Frankreich und die EU drohen an, die Konzerne unabhängig vom Verhandlungsergebnis selbst zu besteuern«, sagt Trautvetter.
Für die reichen OECD-Staaten steht also einiges auf dem Spiel: Scheitern sie daran, ein faires System für alle zu etablieren, verpassen sie eine möglicherweise einmalige Chance. »Darunter würde nicht nur ihre Autorität stark leiden, sondern auch die weltweite Kooperationsbereitschaft. Dann droht mittelfristig der komplette Zusammenbruch des internationalen Steuersystems. Das Resultat wäre ein unübersichtliches Feld, in dem jeder Staat seine eigenen Regeln aufstellt. Daran hat keiner der Beteiligten ein Interesse, deswegen bleibt die Hoffnung.«
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Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily