Logik-Crashkurs: Weißt du, was falsch an diesen 5 Sätzen über Corona ist?
Über gängige logische Fehlschlüsse und schlechte Argumente in Pandemiezeiten
Du triffst die alte Bekanntschaft im Supermarkt. Hinter Masken tauscht ihr euch kurz aus. Das Thema ist natürlich die Pandemie, die unser Leben im Griff hält.
»Und, wie kommst du so damit klar?«
»Dieser Lockdown geht mir auf den Zeiger!«
Dann aber fällt ein Satz, der dich ins Stocken bringt. Du bist dir nicht sicher, was du von der Aussage halten sollst, hast aber im Gefühl, dass etwas daran nicht stimmen könnte. Nur was?
Gerade wenn es um Corona geht, fallen wir schnell auf logische Fehlschlüsse herein – und das gilt nicht nur für Querdenker:innen, sondern kann (fast) jede:n von uns treffen.
Diese 5 Beispiele helfen dir dabei, sie zu erkennen:
1. »Alles halb so wild. Die Zahlen gehen im Sommer von allein runter, sagt ein Experte«
Auf Expert:innen zu vertrauen ist an sich keine schlechte Sache, vor allem, wenn man selbst mangelnde Fachkenntnisse besitzt und das Expertenwissen aus der Wissenschaft kommt. Dann kann man sicher sein, dass die Menschen eine wissenschaftliche Ausbildung, einen besseren Überblick und direkten Zugang zu empirischen Daten haben.
Diesen jedoch blind zu vertrauen wäre ein logischer Fehlschluss:
Etwas als wahr bezeichnen, weil es der Meinung einer Person mit entsprechender Fachkenntnis entspricht.
Auch Forscher:innen sind menschlich und können sich irren und das sogar, wenn Einzelne von ihnen zu einem bestimmten Thema publiziert haben. Denn auch Expert:innen sind nicht immun dagegen, empirische Daten und Forschungsergebnisse durch die Brille ihrer ganz eigenen Weltsicht zu interpretieren. Aber genau das – also Interpretieren und Prognosen herstellen, auch wenn vieles unklar bleibt – verlangen Politik und Öffentlichkeit gerade von ihnen. Dabei stehen alle Prognosen derzeit auf eher wackeligen Beinen: Denn ob und wann das Virus das nächste Mal mutiert und wie das den Pandemieverlauf verändert, ist auch ein Jahr nach Beginn der Pandemie alles andere als klar.
Doch hinter dem blinden Vertrauen in bestimmte Expert:innen kann auch noch ein ganz anderer Fehlschluss stecken: Das »Rosinenpicken« von Autoritäten (Trugschluss: Zielscheibenfehler); also sich genau diejenigen Perspektiven aussuchen, die den eigenen Annahmen entsprechen – auch wenn viele andere Forscher:innen es anders sehen. Untermauern Forscher:innen das, was sie sagen, mit solchen Daten und gibt es viele renommierte Fachleute, die es ähnlich sehen, ist das ein guter Anhaltspunkt, jemandem Vertrauen zu schenken.
Das könntest du erwidern: »Einzelne Aussagen von Expert:innen zählen in der Wissenschaft aus gutem Grund wenig (weil sie sich irren oder verzerrt sein könnten). Wir sollten uns also nicht nur auf Einzelstimmen verlassen, sondern viel eher fragen: Welche Daten gibt es, wie sicher sind sie und wie lautet auf ihrer Basis der wissenschaftliche Konsens?«
2. »Wir machen um Corona zu viel Aufsehen. Wir haben auch gelernt, mit der Grippe zu leben, und das ist im Kern dasselbe«
Es stimmt, Covid-19 weist viele Ähnlichkeiten zur Grippe (Influenza) auf: Beide werden durch Viren ausgelöst, beide treten in Wellen auf und eine Infektion kann jeweils tödlich enden.
Trotzdem liegt hier ein Fehlschluss vor, denn die beiden Infektionskrankheiten sind eben nicht »dasselbe« – und auch die Umstände ihres Auftretens nicht.
Zwei Dinge gleichsetzen, die zwar in mancher Hinsicht ähnlich sind, aber dies nicht zwingend auch in anderen Hinsichten sein müssen. So wie Äpfel und Birnen.
So ist etwa der Krankheitsverlauf von SARS-CoV-2 nach aktuellem Kenntnisstand schwerer als bei der saisonalen Grippe. Und auch über die Langzeitwirkungen von Corona
Das könntest du erwidern: Es gibt Gemeinsamkeiten zwischen beiden Krankheiten, aber eben auch viele Unterschiede. Wenn man Covid-19 mit Influenza vergleichen will, dann sollte man es mit dem Ausbruch eines neuen Grippevirus wie der Hongkong-Grippe A(H3N2) im Jahr 1968 vergleichen. Fair ist fair. Und auch damals starben schon viele Menschen und das Gesundheitssystem stand kurz vor dem Zusammenbruch. Eine Pandemie ist eben keine saisonale Grippe, sondern eine Ausnahmesituation.
3. »Ich glaube nicht, dass dieser Impfstoff wirklich sicher ist. Eine Bekannte wurde damit geimpft und war danach total fertig«
Einzelne Berichte von Betroffenen sind wichtig und sollten gehört werden. Das gilt auch für Impfnachwirkungen.
Dennoch wäre es ein logischer Fehlschluss, einen solchen einzelnen Betroffenenbericht zu hoch zu hängen. Was in diesem Beispiel nämlich »total fertig« meint, ist zunächst rein subjektiv. Manche Menschen erschrecken sich schon, wenn sie nach einer Impfung leichtes Fieber bekommen oder sich schlapp fühlen.
Eine persönliche Erfahrung oder ein einzelnes Beispiel als überzeugenden Beweis für oder gegen etwas bewerten.
Doch selbst wenn tatsächlich eine ernst zu nehmende Nebenwirkung auftrat, heißt das noch lange nicht, dass ein Impfstoff »nicht sicher« ist. Denn dafür zählt nicht die persönliche Erfahrung, sondern eine quantitative Auswertung nach wissenschaftlichen Maßstäben. Nur so kann das echte Risiko von Nebenwirkungen berechnet werden – und abgewogen werden, ob bei einem Impfstoff der Nutzen nicht doch überwiegt. Diese nüchterne Betrachtung wird in Deutschland von der ehrenamtlichen Expertengruppe der Ständigen Impfkommission (STIKO) durchgeführt. Sie gehen allen möglichen Unsicherheiten und Nebenwirkungen nach, so wie bei AstraZeneca.
Das könntest du erwidern: Natürlich können Impfungen auch Nebenwirkungen haben – so wie jedes Arzneimittel,
4. »Entweder gar nichts machen oder halt so wie in China! Die haben keine zweite Welle …«
Das Problem ist: Was China dafür getan hat, wäre in Deutschland so gar nicht möglich. Monatelang gab es strenge Ausgehverbote für große Teile der Bevölkerung, Städte wurden hermetisch abgeriegelt, Massenveranstaltungen untersagt, Körpertemperatur an Supermarkteingängen gemessen und die Bewegung der Bevölkerung mit Handy-Apps überwacht. All das war verpflichtend; keine Ausnahmen im kommunistischen Staat.
Das als erstzunehmende Alternative darzustellen – noch dazu als einzig sinnvolle – ist also ein logischer Fehlschluss:
Zwei Alternativen als die einzig möglichen präsentieren, während es tatsächlich mehr Möglichkeiten gibt.
Genauso wie mit dem Erfolg dieser Maßnahmen gegen die weniger drastischen Maßnahmen in Deutschland zu argumentieren. Dass das eine unter dortigen Bedingungen die Pandemie erfolgreich eingedämmt hat, bedeutet nicht, dass die Maßnahmen hierzulande nutzlos sind. Das gilt für China wie für alle anderen Länder, mit denen wir vergleichen wollen. Andererseits ist es auch ignorant, den Erfolg von anderen Ländern im Vergleich zu den hiesigen Maßnahmen zu ignorieren. Es geht immer darum, was man lernen kann: Eine Lektion aus China könnte etwa sein, dass entschiedenes Handeln eben auch Wirtschaftseinbußen bedeutet und vielleicht härtere Maßnahmen auch trotz der Proteste der Industrie kurzfristig notwendig sind.
Das könntest du erwidern: Klar, bei Covid-19 stehen alle Länder weltweit vor denselben Herausforderungen und es wäre schlau, sich Lösungen abzuschauen. Aber wollen wir uns wirklich direkt mit einem kommunistischen Regime wie China vergleichen, das Menschenrechte ignoriert? Wir sollten genau auswählen, was wir aus Chinas Pandemiebekämpfung lernen, und trotz der aktuellen Ausnahmesituation nicht europäische Grundwerte über Bord werfen. Denn das könnte Präzedenzfälle schaffen, die am Ende zum Nachteil für alle Bürger:innen werden.
5. »Auf den Intensivstationen dieses Landes liegen besonders viele Menschen mit Migrationshintergrund. Da läuft doch etwas schief …«
Dass Menschen mit Migrationshintergrund häufiger
Dabei machen sie es sich – wenig verwunderlich – sehr einfach mit einem logischen Fehlschluss:
Annehmen, dass ein Zusammenhang zwischen 2 Faktoren, die zusammen auftreten, in direkter Beziehung zueinander stehen und der eine die Ursache des anderen ist.
Wie aber erklären sich die Beobachtungen von Lothar Wieler und den 3 Intensivstationen?
Ein Blick in die Statistiken gibt einige Ansätze:
- Menschen mit Migrationsgeschichte arbeiten überproportional häufig in Berufen mit erhöhtem Ansteckungsrisiko und ohne Homeoffice-Möglichkeit; in Deutschland etwa in der Pflege und im Gesundheitssystem.
- Menschen mit Migrationsgeschichte sind in Deutschland häufiger sozial benachteiligt
Das wiederum
Das könntest du erwidern: Ich glaube kaum, dass sich eine Viruspandemie um Migrationsgeschichten und Glaubensrichtungen kümmert. Die Frage ist viel eher: Welchen Risikofaktoren sind Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland noch ausgesetzt? Zum Beispiel sind sie häufig sozial benachteiligt und arbeiten in der Pflege und in Krankenhäusern. Die Pandemie macht hier vielleicht nur deutlich, welch große Rolle soziale Unterschiede auch bei der eigenen Gesundheit spielen. Und ja, da läuft etwas schief … im System.
Redaktion: Lara Malberger
Hier findest du die beiden anderen aktuellen Dailys: