Wie die Politik die Erfolge der Pandemiebekämpfung aufs Spiel setzt
Während in wohlhabenden Ländern immer mehr Menschen geimpft werden, stagniert die Verteilung der Vakzine an die armen Länder. Das gefährdet auch bei uns die Rückkehr zur Normalität. Die Kritik an der Verteilung wird lauter.
Inzwischen sind gut 4 Monate vergangen, seit der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, die global extrem ungleiche Verteilung der Impfstoffe als einen »katastrophalen moralischen Fehlschlag« verurteilte. Zu Anfang des Jahres waren weltweit bereits 39 Millionen Impfdosen verabreicht worden – davon jedoch nur 25 in armen Ländern, die sich den Zugang zu Impfstoff nicht leisten konnten.
Zur selben Zeit wandte sich auch der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa mit deutlichen Worten an die Weltöffentlichkeit, um den »Impfnationalismus« der wohlhabenden Nationen anzuprangern: »Die reichen Länder der Welt haben sich große Mengen Impfstoff gesichert. Einige erwarben sogar bis hin zum Vierfachen von dem, was ihre Bevölkerung benötigt. Das geschah unter Ausschluss anderer Länder.«
Wie hat sich die Situation seither entwickelt?
Leider nicht zum Besseren: Inzwischen steht die internationale Impfallianz »Covid-19 Vaccines Global Access« (COVAX), der sich im April 2020 nahezu alle Länder der Welt angeschlossen haben, kurz vor dem endgültigen Scheitern. Dabei sollte COVAX das entscheidende Instrument sein, womit die reichen Länder gemeinsam Impfstoffe ankaufen und über einen Verteilungsmechanismus auch den armen Ländern des
1,8 Milliarden Dosen an 92 Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen – so lautete der Plan. Doch Stand Ende April sind gerade einmal 1/3 der bis zu diesem Zeitpunkt eingeplanten Impfdosen über COVAX verteilt worden, wie Elisabeth Massute von Ärzte ohne Grenzen
Während die privilegierten Länder 80% für sich gesichert haben und Länder wie Israel oder die USA bereits Vorräte für Dritt- oder Viertimpfungen anlegen, haben die ärmsten Länder gerade einmal 0,3% der verfügbaren Dosen bekommen.
Knappe Produktionskapazitäten verhindern Zugang zu Impfstoff für alle
Wohl in Erwartung einer solchen Situation hatten sich Südafrika und Indien zu Beginn dieses Jahres in einem flammenden Appell vor der zuständigen Welthandelsorganisation dafür eingesetzt, die Patentrechte für Covid-19-Impfstoffe und -Medikamente ausnahmsweise auszusetzen,
Und zwar ungeachtet der vor allem im Globalen Süden nahezu ungebremst wütenden Pandemie, die bereits jetzt diverse Mutationen hervorgebracht hat. Diese sind teils ansteckender und könnten mittelfristig die Wirkung der aktuell verfügbaren Impfstoffe untergraben.
Stimmen aus dem Globalen Süden
In Indien reiht sich zurzeit im 24-Stunden-Takt ein katastrophaler Höchststand an den nächsten und markiert mit mehr als 400.000 Neuinfektionen (Stand 02.05.2021) einen traurigen Rekord. Expert:innen gehen von einer wesentlich höheren Dunkelziffer aus. Es fehlt an allen relevanten medizinischen Gütern sowie an Impfstoffen –
Unsere
In ganz Indien herrscht Impfstoffknappheit und es gibt keine Informationen über die Verfügbarkeit. Im Onlineportal, das die Verteilung regeln soll, ist bis Juli kein einziger Termin vorhanden. […] Ich weiß auch nicht, wie das für diejenigen funktionieren soll, die sich mangels Internetanschluss und Smartphone gar nicht registrieren können. […] Es ist eine wirklich traurige und beängstigende Situation hier in Indien.
Anfang des Jahres sprach Kollegin Juliane Metzker mit dem an der Amercian University of Beirut tätigen
Ich bin dankbar, dass die libanesische Regierung trotz des wirtschaftlichen Zusammenbruchs in der Lage war, Covid-19-Impfstoffe zu sichern und eine Impfkampagne zu organisieren. Leider reicht die Anzahl der verteilten Impfstoffdosen nicht aus, um die Ausbreitung des Virus zu kontrollieren, sollte aber die am meisten gefährdeten Personen schützen. Insgesamt ist es enttäuschend zu sehen, dass die COVAX-Initiative global unterminiert wurde.
Und auch im südamerikanischen Peru sieht die Lage nicht besser aus,
Die dritte Welle schwappt hier in Peru gerade über das Land, alle Krankenhäuser sind nahezu bis auf das letzte Bett belegt. Es gibt kaum Sauerstoff, geschweige denn Intensivbetten für die Kranken, meist nur gegen Bezahlung. In meinem Umfeld hat subjektiv gefühlt jede dritte Familie einen Toten zu beklagen. Wer es sich leisten kann, fliegt in die USA oder ein anderes reiches Land und lässt sich dort impfen, weil es hier sehr schleppend vorangeht aufgrund der Lieferungen in die westliche Welt. Die Lieferungen, die in Peru ankommen, sind sehr überschaubar. Erst knapp 2% der Bevölkerung sind bisher mit einer Erstimpfung versorgt.
Einflussreiche Fürsprecher:innen fordern den TRIPS-Waiver
Wohl nicht zuletzt angesichts dieser Entwicklungen bekommt der TRIPS-Waiver nun gewichtige Unterstützung. So wandten sich jüngst über 60 ehemalige Staatschef:innen sowie mehr als 100 Nobelpreisträger:innen in einem offenen Brief an US-Präsident Joe Biden und sprachen sich für eine Lockerung des Patentrechts für Covid-19-Impfstoffe aus. Bleibe die Impfstoffproduktion auf dem heutigen niedrigen Niveau, könne es bis frühestens 2024 dauern,
Dieses Szenario gilt es unbedingt zu verhindern. Der bisherige Verlauf und die dürftigen Fortschritte im globalen Kampf gegen das Virus haben gezeigt, dass die bisherige weltumfassende Strategie des freiwilligen Wissenstransfers der Pharmakonzerne gescheitert ist.
Es ist also höchste Zeit, den Kurs zu wechseln.
Am Mittwoch, den 05.05.2021, spreche ich im WDR über den Stand der globalen Verteilung von Impfstoffen und Medikamenten: WDR Markt, 20:15 Uhr. Alternativ zu einem späteren Zeitpunkt abrufbar in der WDR-Mediathek
Hier findest du den umfangreichen Hintergrundartikel zur ungleichen internationalen Verteilung von Impfstoffen und Medikamenten:
Hier findest du das andere aktuelle Daily:
Mit Illustrationen von Doğu Kaya für Perspective Daily