Die Genossen machen Boden gut
Auf dem ostdeutschen Land herrscht tote Hose. Dabei gibt es viele junge Bauern, die das gern ändern würden – wenn sie nur Land hätten. Statt den Boden an Investoren zu verkaufen, sollten wir für sie zusammenlegen.
Sein Leben, wie er es kennt, ist für Carlo Horn und seine Familie vorbei. Der Landwirt und studierte Agrarwissenschaftler ist auf demselben Hof geboren und aufgewachsen wie seine Eltern und deren Vorfahren. In 5. Generation betreibt der 3-fache Vater den Familienhof, der rund eine Autostunde östlich von Berlin liegt. 80 Rinder stehen nachts in den Stallanlagen, die zusammen mit dem Wohngebäude, Silos und Geräteschuppen auf rund 10 Hektar gepachteter Fläche stehen. Von dort trabt die Herde morgens direkt auf die angrenzenden Weiden. »Ein perfektes Gelände für unseren Betrieb«, erzählt mir Carlo Horn am Telefon. Durch all die Jahrzehnte der Enteignungen, der Planwirtschaft und der Wiedervereinigung hindurch hat die Familie auf dem Hof gelebt und gearbeitet.
Jetzt haben die Horns den Kürzeren gezogen: Die große Nachfrage nach Land, das Bestreben der Regierung, auch den
Eine Immobilienfirma habe ihnen sprichwörtlich den Boden unter den Füßen weggekauft, erzählt Carlo, mit der Aussicht, dass das attraktive Gelände in Seenähe zu Bauland wird und der Wert der zum Preis von 3 Euro gekauften Quadratmeter auf rund 75 Euro steigt. Das entspricht einer Wertsteigerung von 2.500% und einem Gewinn von 3,6 Millionen Euro. Was mit den restlichen 5 Hektar geschehe, auf denen auch das Wohnhaus der 6-köpfigen Familie steht, sei ungewiss. Das Vorkaufsrecht der Horns habe das zuständige Landwirtschaftsamt des Landkreises Oder-Spree – ob wissentlich oder nicht – übergangen. »Der Verkauf kann aber nicht rückgängig gemacht werden«,
Ähnlich wie bei den Horns haben familiengeführte Bauernhöfe in Ostdeutschland oft das Nachsehen, wenn es um die Grundlage der Landwirtschaft geht: den Boden. Wer ihn hat, kann ihn nur schwer halten und erweitern. Wer ihn nicht hat, bekommt oft erst gar keinen. Eine Idee, die viele noch aus der Zeit vor der Wende kennen, könnte helfen – aber auch alte Probleme zurückbringen: die Genossenschaft.
Das Land ist wie ausgestorben
Die Probleme im ländlichen Raum kann jeder begutachten, der eine Runde durch das Hinterland Brandenburgs, Mecklenburg-Vorpommerns oder Sachsens dreht. Viele Dörfer sind gähnend leer, heruntergekommen, es fehlt an fast allem.
Viele Dörfer sind gähnend leer, heruntergekommen, es fehlt an fast allem: Jobs, Einkaufsmöglichkeiten, Verkehrsanbindung und Nachwuchs. Das liege vor allem an den großen Strukturen in der Landwirtschaft in Ostdeutschland, sagt Julia Bar-Tal, die selbst Landwirtin in einem solidarischen Hof in Brandenburg ist und sich politisch für bessere Bedingungen für kleinbäuerliche Landwirtschaft einsetzt.
»Überall da, wo Betriebsgrößen kleiner sind, arbeiten mehr Menschen pro Hektar«, sagt sie. Die Zahlen geben ihr Recht: In Baden-Württemberg lag die durchschnittliche Betriebsgröße 2015 bei 34 Hektar, während die Betriebe in Brandenburg mit durchschnittlich
An den Arbeitsplätzen und der kleinteiligen Landwirtschaft hängt in den Augen von Julia Bar-Tals ein ganzer Rattenschwanz von Strukturen, die den ländlichen Raum beleben: »Wie in der Stadt möchten Leute auf dem Land auch ein Café oder eine Kirche haben, sie wollen Nachbarn besuchen.« Dafür sei der Raum in Ostdeutschland aber oft zu dünn besiedelt. »Kleine Betriebe gehen auch eher zu einem kleinen handwerklichen Betrieb um die Ecke, wenn sie Reparaturen in Auftrag geben.« Außerdem würden sie häufiger artgerechte Tierhaltung betreiben, die die Tiere nicht völlig von den Dorfbewohnern isoliert. »Wenn eine Bäuerin ihre Herde auf die Weide treibe, kommt sie durchs Dorf, begegnet und kommuniziert mit ihren Nachbarn.« Doch ein intaktes Landleben sei in Brandenburg wenig mehr als ein Wunsch, sagt Bar-Tal: »Wo wir leben, ist das mehr oder weniger ausradiert, das existiert nicht mehr.«
Auch die Natur kann die Abwechslung gebrauchen
Die großen Betriebe sind nicht nur ein Problem für die Menschen, sondern auch für die Natur und die Böden selbst. Die Monokulturen, die die Großbetriebe auf ihren gigantischen Flächen heranziehen, sind
Eine kleinteiligere Landwirtschaft ist mehr als ein romantischer Traum einsamer Landbewohner; auch die Regierung bekennt sich längst dazu. In der
Das agrarpolitische Leitbild der Bundesregierung umfasst die Erhaltung und Schaffung lebenswerter und vitaler ländlicher Räume […] Landwirtschaftliche Familienbetriebe und Unternehmen mit bäuerlicher Wirtschaftsweise entsprechen nach Auffassung der Bundesregierung diesem Leitbild in besonderer Weise. Sie sind für eine positive Entwicklung der ländlichen Regionen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt von hoher Bedeutung.
Gerade in den neuen Bundesländern sieht die Realität anders aus: Die landwirtschaftlichen Betriebe sind hier schon immer sehr groß gewesen. »Wir haben in Ostdeutschland die Tradition der adligen Großgrundbesitzer, der Junker, mit einer hohen Flächenkonzentration«, erklärt Julia Bar-Tal. »Dann kamen in der DDR die
Die Wende für die Kleinbauern: Vom Regen in die Traufe
Nach der Wende wurden viele der Landwirtschaftlichen Produktions-Genossenschaften (LPGs) privatisiert: Viele der Chefs rechneten den Zustand und den Wert der Ländereien, Geräte und Gebäude der Genossenschaften herunter und die Schulden herauf, heißt es in einem Milliardensummen und riesige Flächen seien aus der öffentlichen in einige wenige private Hände gewandert.
Anteile dank der finanziellen Tricksereien zu Spottpreisen ab. Milliardensummen und riesige Flächen seien so aus der öffentlichen in einige wenige private Hände gewandert.
Weitere Flächen wurden der Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) übertragen, die Felder und Wiesen aus dem Besitz der DDR im Auftrag der BRD privatisieren sollte und das bis heute macht. Doch anstatt den Trend zum Mammutbetrieb umzukehren und die eigenen Nachhaltigkeitsziele zu verfolgen, spitzten die derzeitigen Landvergabe-Regeln des Bundes die Situation weiter zu, kritisieren sowohl Carlo Horn als auch Julia Bar-Tal. Sie sehen 5 grundlegende Probleme bei der Sache:
- Größe: Die Flurstücke, die die BVVG zur Auktion anbietet, seien viel zu groß für Kleinbauern. Sie könnten sich die zum Teil über hundert Hektar großen »Pakete« nicht leisten. Diese kämen nur für industrielle Großbetriebe und finanzkräftige Investoren infrage, die die Flächen nicht nachhaltig bewirtschafteten. Außerdem würden oft Pakete aus verschiedenen, getrennt voneinander liegenden Flächen gebündelt, sodass Bauern zum Beispiel keine Chance hätten, eine Wiese zuzukaufen, um die sie bereits viele Flächen herum besitzen.
- Preis: Die Preise orientierten sich nicht daran, was ein Landwirt in einer Lebenszeit auf der Fläche erwirtschaften kann, sondern vor allem am Gebot des Höchstbietenden. Investoren können weitaus höhere Preise bezahlen, weil sie dank der riesigen Flächen in ihrem Besitz viele Subventionen einstreichen und dank der technikintensiven Bewirtschaftung nur geringe Personalkosten zu tragen haben. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat viele Großbetriebe dazu inspiriert, Energiepflanzen wie Mais, der in Biogas-Anlagen verstromt wird, oder Raps, der zu Öl und Kraftstoff verarbeitet wird, anzubauen, was ihnen wiederum eine Einspeisevergütung und gute Erträge beschert. So überbieten sie
- Transparenz: Weil die Vergabe allerdings unter Verschluss ablaufe, und die Bietenden nur ein schriftliches Gebot abgeben könnten, müssten die Kleinbauern mutige Summen bieten, die sie an ihre finanziellen Grenzen treiben – ob es Mitbieter gibt, oder nicht.
- Sorgfaltspflicht: Wenn das Land verpachtet wird, gebe es zu wenig Auflagen und Kontrollen, um die Qualität der Böden zu sichern. »Wenn man eine Wohnung mietet, ist vertraglich geregelt, dass man sie frisch gestrichen und in gutem Zustand zurückgeben muss, wenn man wieder auszieht«, sagt Julia Bar-Tal. Das gelte bei Böden nicht, die Betriebe könnten fruchtbare Böden übernehmen und tote Krusten zurückgeben.
- Privatisierung: Zu guter Letzt sei fraglich, warum das Land überhaupt privatisiert werde. Die Privatisierung nehme der Gesellschaft jede Möglichkeit, gemeinschaftlich darüber zu entscheiden, wie das Land genutzt werden solle. Einmal verkauft, ist jede politische Einflussnahme passé – und die Möglichkeit, Landwirtschaft und den ländlichen Raum demokratisch mit denen zu gestalten, die ihn bewohnen, gleich mit.
Deshalb fordern Julia Bar-Tal, Carlo Horn und viele Kleinbauern einen Vergabestopp. Am liebsten auf Dauer, aber zumindest solange, bis die Regeln sich ändern. Ihre Forderungen dafür: Realistische Höchstpreise für die Landvergabe, eine Bevorzugung von ortsansässigen und
Ein Stück ist der Bund den Forderungen bereits entgegengekommen: Die Flächen werden seit dem 1. Januar 2016 in Paketen zu maximal 15 Hektar verkauft und die Verkäufe sollen sich bis 2030 hinziehen,
Ist die Genossenschaft der bessere Vater Staat?
Eine Lösung, die die Bauern ganz von der Bürde befreit, teures Land kaufen zu müssen, sind neu aufkeimende Boden-Genossenschaften, allen voran die
Wichtige Flächen, denn die Bioäcker in Deutschland wachsen nicht so schnell wie der Hunger der Kunden,
Derzeit sind 25 Höfe und landwirtschaftliche Betriebe im Besitz der Genossenschaft, Jungbauern können von sich aus an die Genossenschaft herantreten, wenn sie Flächen bewirtschaften möchten, aber das Kapital fehlt.
die meisten davon in den
Obwohl er das Konzept grundsätzlich unterstützt, gibt Carlo Horn zu bedenken, dass durch die Genossenschaft wieder eine hohe Konzentration von Fläche unter einem Dach stattfinde und das Schicksal der Bauern statt in Investorenhand nun in der Hand der GLS Treuhand liege – auch wenn die Genossen ein Mitspracherecht bei großen Entscheidungen haben und den Genossen derzeit keine Gewinne ausgeschüttet werden. Bedauerlich findet er, dass es eine private Initiative brauche, um die Versäumnisse des Staates zu erledigen. »Denn eigentlich könnte der Bund die Flächen einfach zu guten Bedingungen direkt verpachten.«
Richtigstellung: In der ursprünglich veröffentlichten Version des Textes fand sich die Sätze: »Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat viele Großbetriebe dazu inspiriert, Energiepflanzen wie Mais oder Raps anzubauen, die in Biogas-Anlagen verstromt werden, was ihnen wiederum eine satte Einspeisevergütung beschert.« und »Sie könnten sich die oft mehrere hundert Hektar großen »Pakete« nicht leisten.« Diese hat der Autor folgendermaßen angepasst: »Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat viele Großbetriebe dazu inspiriert, Energiepflanzen wie Mais, der in Biogas-Anlagen verstromt wird, oder Raps, der zu Öl und Kraftstoff verarbeitet wird, anzubauen, was ihnen wiederum eine Einspeisevergütung und gute Erträge beschert.« und »Sie könnten sich die zum Teil über hundert Hektar großen »Pakete« nicht leisten.«
Titelbild: BioBoden Genossenschaft - copyright