Der Petry-Effekt
Frauen sind die neuen Gesichter des Rechtsrucks in Europa. Warum sind Politikerinnen mit radikalen Positionen heute so populär? Ein Blick auf die Geschichte und die Zukunft des weiblichen Rechtspopulismus in Deutschland.
Fände in diesen Wochen in Frankreich die Präsidentschaftswahl statt, läge die Vorsitzende des rechtsextremen
Das hat vor allem mit ihrer Kommunikation zu tun: Die Rhetorik und Programmatik von Marine Le Pen unterscheidet sich deutlich von der ihres Vorgängers und Vaters, Jean-Marie Le Pen. Rhetorisch agiere die Tochter milder als ihr Vater: Jean-Marie Le Pen, der für etliche seiner Äußerungen zu Geldstrafen verurteilt wurde, sagte deutlich:
Im Parteiprogramm hat sich jedoch nichts verändert. »Der Sinn der Rede ist derselbe, nämlich die Betonung des Nationalen«, so Nonna Mayer. Auch die Wählerschaft ist Mayer zufolge sehr ähnlich geblieben – mit der Ausnahme, dass heute mehr Frauen dazugehören. Die Politikwissenschaftlerin nennt das den »Marine Le Pen-Effekt«: »Anders als ihr Vater spricht Marine Le Pen mehr Frauen an, die bis dato zurückhaltender gegenüber Parteien der extremen Rechten waren.«
Frauen in Spitzenpositionen rücken den rechten Rand weiter in die Mitte der europäischen Gesellschaften
Marine Le Pen ist nicht allein: Frauen sind zu einem regelrechten Markenzeichen rechtspopulistischer Parteien in Europa geworden. In Norwegen erhielt die rechte Fortschrittspartei unter Siv Jensen Einzug in die Regierung und seit Barbara Rosenkranz 2010 in Österreich für die FPÖ als Präsidentschaftskandidatin antrat, hat die Rechtsaußen-Partei massiv an Wählerzuspruch gewonnen. In Polen ist es die nationalkonservative Regierungschefin Beata Szydło, in Dänemark Pia Kjærsgaard von der Dänischen Volkspartei, die den Rechtspopulismus salonfähig machen. Frauen in Spitzenpositionen rücken den rechten Rand damit weiter in die Mitte der europäischen
Gibt es den »Marine Le Pen-Effekt« – mehr Frauen wählen rechte Frauen – auch außerhalb Frankreichs? Es spricht vieles dafür. Auch die Alternative für Deutschland (AfD) profitiert bereits davon: Machten Frauen unter ihren Wählern bei der Bundestagswahl 2013 noch eine Minderheit aus, gaben bei der Landtagswahl 2016 in Sachsen-Anhalt
Die Installation von Frauen in Spitzenpositionen rechter Parteien ist nicht ganz neu: Auch in der Weimarer Republik haben politisch aktive Frauen zum Rechtsruck beigetragen.
Hitlers Steigbügel-Halterinnen
Rechte Parteien ermöglichten Frauen nach dem Ersten Weltkrieg eine politische Karriere. Politisch rechtsstehende Frauen engagierten sich besonders in der Deutschnationalen Volkspartei
Die Art, mit der heute AfD-Funktionärinnen Wählerinnen ansprechen, ähnelt der Strategie der DNVP-Frauen, die als Brückenbauerinnen zwischen Nationalisten und Bürgerlichen galten – trotz ihrer massiven
Frauen können auch radikal sein
Heute sind »Hitlers Steigbügel-Halterinnen« nahezu aus dem historischen Gedächtnis verschwunden. Mitschuldig ist daran unsere Vorstellung, Frauen könnten nicht radikal sein. Ein Trugschluss mit Folgen:
- Er erleichtert Frauen die Mobilisierung von Wählerinnen und Wählern, die sonst Hemmungen haben, Parteien mit radikaler Rhetorik zu wählen – wieder der »Marine Le Pen-Effekt«. Gerade in Westeuropa werden rechte Parteien mit Gewalt assoziiert, weil die faschistischen Diktaturen vor allem mit dem Männlichkeitskult um ihre Führer Hitler und Mussolini verknüpft sind. »Studien zeigen, dass ideologisch zwar geringe Unterschiede zwischen Frauen und Männern bestehen«, sagt der Politikwissenschaftler
- Frauen können sich eher als Männer rechtsradikal äußern, ohne tabuisiert zu werden und erhalten dafür auch eher eine
Keine Männerpartei, sondern eine Männlichkeitspartei
Obwohl die AfD stark durch Frauen repräsentiert wird, werden sie medial noch immer gern als eine Männerpartei bezeichnet. Aber die AfD ist keine Männerpartei, sondern eine Männlichkeitspartei. Sie prangert den angeblichen »Gender-Wahn« und die Gleichstellung der Geschlechter an, traditionelle Geschlechterrollen gehören zum Wahlprogramm. Das spricht für ein nationalkonservatives Verständnis von
Deutschland braucht neben einer Bundeskanzlerin auch einen Familienminister
Der Politikwissenschaftler Tim Spier sagt: »Allgemein müssen Frauen Positionen in der Politik pointierter vertreten, mitunter also radikaler sein, um gehört zu werden.« Die rechtspopulistischen Parteien ziehen daraus ihren Nutzen: Durch ihre bloße Anwesenheit scheinen Frauen radikale Positionen eher zu entschärfen.
Politikerinnen werden also in erster Linie nicht als Interessenvertreterinnen wahrgenommen, sondern als Frauen – auch von Frauen. Das macht die Strategie der Rechtspopulisten, radikale Programmatiken von Frauen vertreten zu lassen, so erfolgreich – und durchschaubar. Haben wir dieses Muster verstanden, können wir strukturelle Probleme anpacken. Etwas ändern können verschiedene Akteure:
- Die Wahlberechtigten: Das Täuschungsmanöver nach dem Marine Le Pen-Prinzip funktioniert nur solange, wie Frauen in der Politik anders wahrgenommen werden als ihre männlichen Kollegen. Es ist Aufgabe der Wählerschaft zu hinterfragen, wie sie politische Persönlichkeiten wahrnehmen. Populisten sind immer nahbarer als moderate Politiker, weil radikale Erklärungsansätze nie differenziert sind. Um solche Ansätze zu entwaffnen, müssen wir auf die Inhalte des Gesagten schauen, nicht auf das Geschlecht der Sprechenden.
- Die Parteien: Alle relevanten Parteien seien sich ihres Frauenproblems bewusst, sagt Tim Spier. Es sei Zeit für einen aktiven Bruch mit Klischeerollen. Dass Deutschland eine Bundeskanzlerin und eine Verteidigungsministerin hat, ist wichtig, es ist jedoch auch Zeit für einen männlichen Familienminister.
- Die Medien: Wenn Journalisten sie erkennen, skandalisieren sie Grenzüberschreitungen der AfD. Sie tabuisieren sie nur selten. Wer sich menschenfeindlich äußert, disqualifiziert sich für eine konstruktive politische Debatte und sollte keine öffentliche Plattform erhalten – egal wie
- Die Gesellschaft: Traditionelle Rollenbilder existieren nicht nur in der AfD und anderen Parteien, sondern dominieren immer noch weite Teile unserer Gesellschaft. Die Politik spiegelt das wider. Deshalb braucht es vor allem ein gesellschaftliches Umdenken und eine neue Emanzipation. Sie wären das natürliche Ende des »Marine Le Pen«-Effekts.
Titelbild: Metropolico.org - CC BY-SA 3.0