»Viele wissen nicht einmal, ob Jemen ein Land oder etwas zu essen ist«
Natürlich ist Jemen ein Land. Seit 2 Jahren herrscht dort Krieg mit amerikanischer Beteiligung und einer ganzen Generation droht der Hungertod. Höchste Zeit für den Frieden – welche Chancen gibt es?
23. Januar 2017
– 11 Minuten
dpa
Farea al-Muslimi ist kein typischer Jemenit. Warum nicht? Er konnte in den USA zur Schule gehen. Seitdem setzt er sich für ein besseres Verständnis zwischen dem Westen und dem Nahen Osten ein. »Als ich nach Amerika kam, war ich ein Botschafter für den Jemen, als ich zurück in den Jemen ging, wurde ich zum Botschafter der USA.« Um gemeinsam mit jungen Jemeniten neue, politische Perspektiven auf den Nahen Osten zu erarbeiten, gründete er einen Doch seit dem Ausbruch des jemenitischen Bürgerkrieges 2014 und der Bombardierung durch Saudi-Arabien seit 2015 kann Farea al-Muslimi nicht in seine Heimat zurückkehren. Als politischer Analyst arbeitet er jetzt für das in Beirut, macht seinen Master und kommentiert die geopolitische Lage im Nahen Osten für internationale Medien wie BBC, CNN, Al Jazeera – und für uns.
Farea al-Muslimi, 2013 waren Sie der erste Jemenit, der jemals vor dem Kongress der Vereinten Nationen sprach. Das Thema damals: Die zivilen Todesopfer durch amerikanische Drohnen. 4 Jahre später herrscht Krieg im Jemen: Wie geht es den Menschen heute?
Farea al-Muslimi:
Oh, ich dachte, ich solle jetzt nur irgendeine trockene und langweilige Analyse abliefern. Aber wenn wir das Ganze aus der Perspektive angehen wollen: 2013 waren im Jemen noch rosige Zeiten. Im Vergleich zu heute gab es damals also weniger Probleme. Seitdem hat sich alles verschlechtert: und der politische Konflikt, aus dem eine Kombination aus Bürgerkrieg und einem regionalen Krieg entwuchs. In diesem Krieg sind alle involviert: Sei es die UN, die den Friedensprozess scheitern ließ, die USA, die Saudi-Arabien in der Kriegsführung gegen die im Jemen unterstützte, die Huthis selbst, die praktisch durch westliche Waffen überleben.
Warum hören wir dann nur vom Krieg in Syrien und nichts über den Krieg im Jemen?
Farea al-Muslimi:
Du lebst in Deutschland, oder? Beantworte mir bitte eine Frage: Wie viele syrische Geflüchtete leben in Deutschland?
Farea al-Muslimi: die es in 5 Booten bis nach Europa und dann nach Deutschland geschafft haben. Das ist wahrscheinlich die beste Antwort auf deine Frage. Je weniger Geflüchtete im Westen ankommen, desto geringer die Aufmerksamkeit für den entsprechenden Krieg. Außerdem gibt es im Jemen nicht wie in Syrien die Theorie von den Guten und den Bösen. Das zieht die Medien weniger an. Hinzu kommt, dass der Jemen ein sehr armes Land ist. das von internationalem Interesse ist.
Diese Kombination aus geografisch unglücklicher Lage, Schweigen der Medien, hochkomplizierten Machtverhältnissen und der Tatsache, dass kaum Flüchtlingsboote an den europäischen Küsten ankommen, ist wahrscheinlich der Grund, dass viele Menschen nicht wissen, ob Jemen ein Land oder etwas zu essen ist.
Dann lass uns die Komplexität des Krieges im Jemen gemeinsam entwirren. Wann hat der Krieg begonnen und wer ist daran beteiligt?
Farea al-Muslimi:
Da geht’s schon los: Es kommt darauf an, auf welcher Seite du stehst. Das ändert die Geschichtsschreibung. Bist du eine Huthi oder der ehemalige Präsident Salih, würdest du den Kriegsanfang auf den 5. März 2015 datieren, als Saudi-Arabien begann, Luftangriffe im Jemen zu fliegen. Wenn du Anti-Huthi bist, wäre deine Antwort: Der Krieg hat schon im September 2014 begonnen, als die Huthis die jemenitische Hauptstadt Sanaa eingenommen haben.
»Wer war das noch einmal?«
Hier stelle ich euch die Hauptakteure und den Ablauf des Jemen-Krieges vor. Wenn euch also beim Lesen des Interviews der Kopf schwirrt und ihr euch fragt: »Wer war das noch einmal und wann ist das passiert?« – scrollt einfach hierhin zurück.
Die Huthis:
Die Huthis bildeten sich Ende der 80er-Jahre als eine religiöse Bewegung im Nord-Jemen unter dem Anführer Hussein al-Huthi. Ihre Mitglieder gehören der Minderheit des schiitischen Islams im Jemen, den Zaiditen, an. Seit 2004 kämpften sie gegen den ehemaligen jemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Salih und dessen überwiegend sunnitische Regierung, was 2009 in einem Konflikt und 2012 in einen Bürgerkrieg endete. Am 21. September 2014 nahmen Huthi-Milizen die Hauptstadt Sanaa ein und vertrieben die jemenitische Regierung des neuen Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi, der das Amt 2 Jahre zuvor übernommen hatte. Die Huthis sollen vom Iran unterstützt werden, weshalb immer wieder behauptet wird, der Krieg im Jemen sei ein Stellvertreterkrieg zwischen den Giganten im Nahen Osten: Iran und Saudi-Arabien.
Ali Abdullah Salih:
33 Jahre lang war er der jemenitische Präsident, erst im Nord-Jemen und ab 1990 im geeinten Jemen. Seine Armee kämpfte mehrere Bürgerkriege. 2011, im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings, demonstrierten Tausende Jemeniten gegen ihn. Ihr Vorbild: Der gelungene Sturz des tunesischen Präsidenten kurze Zeit vorher. Im Oktober 2011 forderte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Salih dazu auf, seine Macht abzugeben und im Gegenzug Immunität vor Strafverfolgung zu erhalten. Anfang 2012 übergab das Staatsoberhaupt seinem Stellvertreter Abed Rabbo Mansur Hadi die Präsidentschaft. Doch Salih ist nicht von der Bildfläche verschwunden. Seine loyalen Streitkräfte schlossen sich an, um so wieder an die Macht zu kommen. Getreu dem Motto »Der Feind meines Feindes ist mein Freund« kämpfen sie nun gemeinsam gegen die saudische Koalition.
Abed Rabbo Mansur Hadi:
Hadi ist seit der Machtübergabe zwar der international anerkannte Präsident des Jemens, doch ihm fehlt der Zuspruch aus der Bevölkerung und die Loyalität von Teilen der bewaffneten Kräfte. Nachdem er vor den Huthis aus Sanaa fliehen musste, erklärte er die Hafenstadt Aden im Süd-Jemen zur neuen Hauptstadt. Doch auch von dort ergriff er 2015 die Flucht und ging ins Exil nach Saudi-Arabien. Derweil änderte der ehemalige Präsident Salih seine Taktik: Seine loyalen Kräfte schlossen sich mit den Huthis zusammen, um gegen Hadis Regierung und Saudi-Arabien vorzugehen und die Macht zurückzuerobern.
Saudi-Arabien:
Saudi-Arabien spielt im Jemen-Krieg eine große Rolle. Fangen wir einmal ganz simpel an: Saudi-Arabien hat eine gemeinsame Grenze mit dem Jemen und die ist ziemlich lang; über 1.600 Kilometer. Um diese Grenze vor einem Land im Bürgerkrieg zu sichern, griff das saudische Militär hart ein und fliegt seit März 2015 Luftangriffe auf Huthi-Hochburgen. Dabei kamen immer wieder Zivilisten ums Leben, Außerdem unterstützen die Saudis die jemenitische Regierung von Hadi, der sie Zuflucht in ihrem Land gewehrt haben. Um ihre Vormachtstellung in der Region weiter zu stärken, haben sie eine Koalition aus sunnitischen Golfstaaten um sich versammelt. Das wird geopolitisch als Provokation in Richtung der schiitischen Supermacht in der Region verstanden, dem Iran. Internationale Medien neigen deshalb dazu, den Krieg im Jemen als Stellvertreterkrieg zu bezeichnen und dem lokalen Bürgerkrieg nur wenig Aufmerksamkeit zu schenken.
USA:
Saudi-Arabien ist ein starker Verbündeter der USA im Nahen Osten. Die Obama-Regierung unterstützt Saudis im Jemen-Krieg mit Präzisionsmunition und militärischer Beratung. Grund hierfür sei die Bombardierung einer Beerdigung im Jemen durch die Saudis gewesen, bei der über 140 Menschen ums Leben kamen. Generell ist die Bilanz der Obama-Regierung für den Nahen Osten nicht so rosig: und damit länger als jeder andere US-Präsident zuvor. Die Kriegsländer waren Afghanistan (Bodentruppen), Irak, Pakistan, Somalia, Jemen, Libyen und Syrien.
»Das Jemen-Modell: Bitte nicht nachmachen!«
Und wo starten wir?
Farea al-Muslimi:
Wer ein bisschen Grips besitzt, weiß, dass der Krieg schon viel früher begonnen hat. Die Ausgangslage war folgende: In der Hauptstadt vollzog sich währenddessen den ich sogar als trügerisch bezeichnen würde: Der neu eingesetzte Präsident, Abed Rabbo Mansur Hadi, war schwach und auch korrupt. Dennoch wurde der Machttransfer im Jemen international gefeiert. Tatsächlich schlug Obama 2014 vor, ein ähnliches Lösungsmodel für den Irak und Syrien anzusetzen. Das war 2 Monate bevor Sanaa in die Hände der Huthi-Rebellen fiel. Damals schrieb ich einen Artikel mit der Warnung – ähnlich wie die verrückten Dinge, die du im Fernsehen siehst, aber nicht zu Hause ausprobieren solltest.
Bis zu welchem Punkt hat das Modell im Jemen funktioniert?
Farea al-Muslimi:
Im Juli 2014 passierte etwas, das jeden politischen Prozess – egal ob trügerisch oder nicht – verhinderte. Er solle die Öl-Subventionen im Land abschaffen. Zu dem Zeitpunkt gab es schon die auf humanitäre Hilfe angewiesen waren. Was tust du also? Du verdoppelst den Ölpreis und damit auch die Lebensmittelpreise. Die Menschen demonstrierten; die Huthis nutzten den Aufruhr und gingen eine Allianz mit dem alten Präsidenten Salih ein. Sie ritten auf der Welle des Volkszorns, eroberten die Hauptstadt mit Gewalt, begannen Richtung Süd-Jemen zu marschieren und zwangen Präsident Hadi abzutreten. Damit »legalisierten« sie praktisch die Gewalt im Land, was wiederum viele radikal-extremistische Gruppen stärkte.
Warum mischte sich der ehemalige Präsident Salih eigentlich wieder ein und verbündete sich 2015 formell mit seinen ehemaligen Widersachern, den Huthis, nachdem er 2 Jahre zuvor abgedankt hatte? »Habe ich dich schon genug verwirrt?«
Farea al-Muslimi:
Die Amnestie, die Salih 2011 mit Unterstützung der UN bekam, war problematisch, weil sie bedingungslos war. Er konnte tun und lassen, was er wollte. Als Salih sich über die eigenen Landesgrenzen hinaus in der Region umschaute, sah er den syrischen Machthaber Bashar al-Assad, der an seiner Macht festhielt. Und das, obwohl der Krieg in Syrien Hunderttausende Menschen das Leben kostete. In Ägypten sah er das Militär wieder an der Macht – und dachte sich sowas wie: »Was für eine Inspiration! Wenn die an der Macht bleiben, kann ich das auch!« Das muss ihn ungemein motiviert haben. Tatsächlich ist die Komplexität dieses Konflikts sehr hoch. Habe ich dich schon genug verwirrt?
Nein, jetzt haben wir uns durch die lokalen Strukturen gearbeitet und beginnen damit, uns in der Region rundherum umzuschauen. Warum begann Saudi-Arabien 2015 damit, den Jemen zu bombardieren?
Farea al-Muslimi: Er war jemand, der die Fäden gern im Hintergrund zog. Dann kam der neue König Salman und Saudi-Arabien wurde fast dazu gedrängt, gegen Huthis und Salihs Kräfte an der Landesgrenze Militärschläge auszuführen. Die Saudis wollten Hadi unterstützen und wählten damit eindeutig den falschen Weg, um den Konflikt zu lösen.
Der Jemen ist eine wichtige Basis für die vom Chaos vor Ort profitieren. Sollte das für die internationale Gemeinschaft nicht Grund genug sein, den Krieg im Jemen zu beenden?
Farea al-Muslimi:
Richtig. Je länger der Krieg dauert, umso mehr werden sich al-Qaida und andere radikale Gruppierungen ausbreiten. Es ist schwer, Politiker davon zu überzeugen, dass eine Politik der Prävention hier mehr als nötig ist. Denn es ist klar, dass die Katastrophe, die sich hier abzeichnet, nicht an den Grenzen des Jemens Halt machen wird. Momentan sind die Jemeniten die Einzigen, die unter diesem Krieg leiden. Doch das könnte sich eines Tages ändern, wenn al-Qaida und die Flüchtlingszahlen weiter wachsen.
Die Lösung: Politik statt Krieg
US-Außenminister John Kerry wollte vor der Amtsübernahme Donald Trumps einen positiven Abgang im Nahen Osten machen und Frieden im Jemen schaffen. Hat er aber nicht. Warum?
Farea al-Muslimi:
Es war schon zu spät. Vergiss einmal kurz den Jemen und frag dich: Was ist das größte Problem in der Welt? Wir haben keine Führung, keine Organisationen und keine Akteure mehr, die nicht Teil des Problems sind. 2011 waren die USA, und Großbritannien nicht Teil des Problems im Jemen. Sie hätten Frieden schaffen können. Aber du kannst nicht, wie es die USA gemacht haben, und dann plötzlich nach Frieden fragen.
Die Trump-Regierung wird den Jemen sicher nicht ganz oben auf die Agenda setzen. Wer oder was kann den Konflikt noch lösen?
Farea al-Muslimi:
Es gibt 2 gute Lösungen, wenn sich die Akteure darauf einlassen und der Druck groß genug ist. Die Saudis müssten veranlassen, Das bringt uns zurück zu der Zeit, als wir noch Politik statt Krieg gemacht haben. Es ist möglich.
Juliane schlägt den journalistischen Bogen zu Südwestasien und Nordafrika. Sie studierte Islamwissenschaften und arbeitete als freie Journalistin im Libanon. Durch die Konfrontation mit außereuropäischen Perspektiven ist ihr zurück in Deutschland klar geworden: Zwischen Berlin und Beirut liegen gerade einmal 4.000 Kilometer. Das ist weniger Distanz als gedacht.