Deutschland 2050: Wie der Klimawandel unsere Reisen verändern wird
Wie wird unser Leben Mitte des Jahrhunderts aussehen? In ihrem neuen Buch »Deutschland 2050« zeichnen die Autoren ein sachliches Bild davon, wie der Klimawandel das Land verändert. Heute: ein Einblick in den Tourismus.
Normalerweise kann man hier das Wasser schon hören: Wer den Mosi-oa-Tunya besuchen will – in der Sprache der Kololo den »Rauch, der donnert« –, der muss an einem schilfgedeckten Tor 30 Dollar zahlen. US-Dollar wohlgemerkt, denn im bitterarmen Simbabwe ist die amerikanische Währung das für Touristen übliche Zahlungsmittel. Normalerweise zögert hier aber niemand, seinen Geldbeutel zu zücken. Das Wasserrauschen in der Luft verrät, dass es gleich etwas ganz Außergewöhnliches zu bestaunen gibt: die Victoriafälle, die wohl schönsten Wasserfälle der Welt. Der Sambesi donnert hier an der Grenze zu Sambia mehr als 100 Meter in die Tiefe. Dabei erzeugt er einen Sprühnebel, der noch kilometerweit entfernt zu sehen ist; umtanzt von Regenbögen, die aus der Gischt aufsteigen.
Nicht so im Herbst 2019. Nichts donnerte am Kassenhäuschen, und vom Nebel gab es auch keine Spur. Das sonst so gewaltige Naturschauspiel war zu einem Rinnsal geschrumpft, der Sambesi führte so wenig Wasser wie zuletzt vor 25 Jahren. »Die Trockenzeit ist normal, da gibt es immer weniger Wasser im Fluss«, sagt ein jugendlicher Souvenirverkäufer. »Aber noch nie hat die Trockenzeit so früh begonnen, diesmal schon im Juni.«
Sogar in Deutschland machte das Ereignis Schlagzeilen: »Klimawandel: Die Victoriafälle sind trocken«, titelte beispielsweise der MDR. Viele Zeitungen druckten Vorher-nachher-Vergleiche: Bilder der sonst schäumenden Gischt an den sogenannten Main Falls, dem wichtigsten Punkt der Victoriafälle – daneben Fotos, die zeigten, wie es dort im Dezember 2019 aussah: kahle Felsen, an denen 2 dürre Wasser-Strahlen nach unten plätschern. Die Tageszeitung Welt fragte besorgt: »Wie schlimm steht es um die Victoriafälle wirklich?« Droht dem Naturwunder in mehr als 10.000 Kilometern Entfernung Gefahr, dann ist das hierzulande offenbar von enormem Interesse.
Kein Wunder – die Deutschen sind Reiseweltmeister. Im Vor-Corona-Jahr 2019 haben die Deutschen 1,7 Milliarden private Reisetage verlebt, fast 4,7 Millionen Reisejahre. Wohlgemerkt in einem Jahr! Sie gaben 69,5 Milliarden Euro für Privatreisen aus, statistisch gerechnet 837 Euro pro Kopf, neuer Rekord. Laut
Spaniens Süden verwüstet, Urlaub am Mittelmeer ist Mitte des Jahrhunderts »out«
»Traumurlaub unter Spaniens Sonne« oder »La Dolce Vita am Meer« – mit solchen Slogans bewarben Reiseveranstalter vor Corona ihre Angebote an den Küsten des Mittelmeers. Spanien und Italien sind mit Abstand die beliebtesten Ziele der Deutschen im Ausland, fast jeder fünfte deutsche Reisende besuchte 2019 eines dieser beiden Länder. Zählt man noch die Besucher von Griechenland, Malta, der Adria-Anrainer Montenegro, Kroatien und Slowenien sowie Frankreich mit seiner Mittelmeerküste hinzu, so ging 2019 fast jede dritte Auslandsreise eines Bundesbürgers ans »Mare Mediterraneum«. Das aber ist ein Meer im Wandel. Der Mittelmeerraum erwärmt sich – und trocknet gleichzeitig aus.
Die »Union für das Mittelmeer« – 43 Staaten sind in diesem Zweckbündnis zusammengeschlossen, darunter Deutschland – wollte wissen, was das genau bedeutet. Im Jahr 2015 rief sie die Initiative »Mediterranean Experts on Climate and Environmental Change« ins Leben, in der 600 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 35 Ländern die Ursachen und Folgen des Klimawandels für die Region genauer untersuchten. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass der Temperaturanstieg im Mittelmeerraum 25% schneller verlaufen wird als im globalen Durchschnitt. Verglichen mit dem vorindustriellen Niveau ist es hier bereits 1,5 Grad Celsius wärmer geworden. Bis 2040 wird die Durchschnittstemperatur auf Mallorca und Korsika, in Barcelona oder Rom schon um rund 2,2 Grad Celsius gestiegen sein, bis Ende des Jahrhunderts in einigen Regionen sogar um mehr als 3,8 Grad Celsius. Diese Schätzungen basieren auf einem Szenario, das von ziemlich starken Klimaschutzmaßnahmen ausgeht – mehr, als momentan von den Regierungen weltweit beschlossen wurde. Gut möglich also, dass die realen Temperaturen 2040 noch höher liegen werden.
»Traumurlaub unter Spaniens Sonne« im Jahr 2050? Wer karge Landschaften mag und schweißtreibende Hitze, für den werden Spanien, Süditalien oder die griechischen Inseln auch dann noch attraktive Orte sein. Allerdings werden sie kaum mehr jene Touristenströme anziehen, für die die spanische »Costa del Sol« oder der italienische »Lido di Jesolo« mit Hotelburgen zugepflastert wurden. Es dürfte dann ein Klima wie bisher in Nordafrika herrschen, dort wiederum steigen die Spitzentemperaturen im Sommer von heute 43 Grad Celsius auf etwa 46 Grad Celsius Mitte des Jahrhunderts (und fast 50 Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts).
Urlaub am Mittelmeer werde in Zukunft »out« sein, erklärten Forscher bereits 2005, nachdem sie das Klima Europas im 21. Jahrhundert modelliert hatten. Angesichts extremer Sommerhitze und zunehmender Trockenheit würden bald die Südeuropäer in Scharen nach Norden pilgern, um bei uns Erholung zu suchen. 2008 veröffentlichte die Forschungsabteilung der Deutschen Bank eine Studie »Klimawandel und Tourismus: Wohin geht die Reise?«, in der mögliche regionale und saisonale Verschiebungen der Touristenströme untersucht wurden. Die Reiseindustrie am Mittelmeer werde zu den Verlierern zählen, so das Fazit, Mitteleuropa hingegen sahen die Autoren »auf der Gewinnerseite«.
Der Klimawandel setzt historischen Parks und Gärten zu – eine uralte Kulturtechnik des Menschen verdurstet
Andreas Matzarakis regen solche Aussagen fürchterlich auf. »Als ob der Klimawandel irgendwo auf der Welt Gewinner hervorbringen könnte«, echauffiert sich Matzarakis, der am Zentrum für Medizin-Meteorologische Forschung in Freiburg arbeitet, einer Einrichtung des Deutschen Wetterdienstes. Die hiesige Nord- und Ostseeküste könne »die neue Badewanne Europas« werden, hatten die Analysten der Deutschen Bank gemutmaßt. »Unverantwortlich«, nennt der Forscher solche »Ökonomenträume«. Bereits heute sei die Infrastruktur an der Ostsee im Sommer komplett ausgelastet. »Es gibt weit und breit keinen Flughafen, und mit Wassertemperaturen von gerade einmal 20 Grad Celsius kann man einen Griechen auch nicht ins Meer locken, selbst wenn sie langsam steigen werden«, sagt Andreas Matzarakis, der selbst in Griechenland geboren ist. Zudem seien schon heute weite Teile der Ostsee »ein totes Meer«, es gebe jedes Jahr eine Algenblüte, und der Klimawandel werde weitere schwerwiegende Veränderungen bringen. Aber anscheinend funktioniere der Mensch nun einmal so: »Selbst im Angesicht der Katastrophe wird noch nach dem eigenen Vorteil gesucht, nach einem Schlupfwinkel, um sich die Situation zurechtzubiegen«, so Matzarakis.
Dabei sind auch hierzulande Idylle und Reiseziele bedroht. Mehrere Dürrejahre in Folge haben in vielen Binnenseen die Wasserspiegel drastisch sinken lassen – nicht nur für die Natur, sondern auch für Urlauber ein Problem. Oder Schloss Schwetzingen nahe Heidelberg, die einstige Sommerresidenz der pfälzischen Kurfürsten: Im Sommer 2019 rief Verwaltungschef Michael Hörrmann für die historischen Gärten den Klimanotstand aus. Die extreme Trockenheit in Kombination mit dem fallenden Grundwasserspiegel gefährde das fragile System der Landschaftsarchitektur. Anders ausgedrückt: Der Ort, an dem die pfälzischen Herrscher einst lustwandelten, vertrocknet langsam.
»Gärten sind ein uralter Kulturausdruck des Menschen«, sagt Michael Rohde, Gartendirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. Jetzt aber fällt diese Kultur der Klimaerhitzung zum Opfer: Allein im Jahr 2019 konnten um die 750 Bäume im Schlosspark Potsdam-Sanssouci nicht mehr gerettet werden, darunter solche, die schon 200 Jahre alt waren. Auch 2020 blieben die meisten Monate wieder viel zu trocken. Statt mit Gartenschere und Spaten die historischen Märchenlandschaften zu pflegen, geht es in Sanssouci vielerorts ums Überleben. Bis eine Nachpflanzung so groß ist, dass die ursprünglichen Naturbilder wiederhergestellt sind, dauert es Jahrzehnte – falls sie nicht zuvor einer neuen Dürre zum Opfer fällt.
Luftkurorte müssen hierzulande strenge Vorgaben erfüllen, in vielen Gemeinden könnte es bald zu heiß werden
Wellnesskuren, Heilbäder oder Physiotherapie: Im Gesundheitstourismus gehört Deutschland zu den weltweit beliebtesten Reisezielen. Dabei ist die Zukunft etlicher Kurorte unsicher. »Es gibt Grenzwerte für therapeutische Bedingungen«, sagt der Humanbiometeorologe Andreas Matzarakis. Beispielsweise beginnt eine »Wärmebelastung« in Kurorten bei einer »gefühlten Temperatur« von 29 Grad Celsius um 16 Uhr. Mehr als 20 solcher Hitzetage im Jahr dürfen nicht überschritten werden, will eine Kommune den Status als Kurort tragen. Grenzwerte gibt es auch für UV-Strahlung, Sonnenscheindauer oder Lufthygiene.
Vor allem in Süddeutschland werde es zur Mitte des Jahrhunderts wahrscheinlich, dass die Hitzegrenzwerte überschritten werden. Aber auch höher gelegene Orte würden Probleme bekommen, weiterhin ihren im Gesundheitstourismus so wichtigen Titel zu behalten, etwa die sogenannten Luftkurorte. Matzarakis: »Der Klimawandel wird die Pollensaison verlängern und die Pollenkonzentrationen ansteigen lassen«. So gerät der Grenzwert in der Lufthygiene in Gefahr.
Orte des Wintersports müssen solche Überprüfungen nicht fürchten. »Wintersportort« oder »Skigebiet« darf sich nennen, wer über einen Hang mit Lift verfügt. Zum Beispiel Braunlage, ganz im Südosten Niedersachsens, auf einer Höhe von 600 Metern. »Rasante Abfahrten, atemberaubende Ausblicke und herzliche Gastfreundschaft – das bietet der Wurmberg seinen Skigästen«, heißt es in der Selbstdarstellung des 6.000-Einwohner-Städtchens im Kreis Goslar. Anfang Februar 2020 carven tatsächlich glückliche Skifahrer über weiße Pisten in den gleißenden Sonnenschein – allerdings nur auf den Bildschirmen am Eingang der Seilbahn, die auf den 971 Meter hohen Wurmberg hinaufführt: In der Realität ist die Abfahrt verwaist, der letzte Hauch von Weiß schmilzt in dem – laut Eigenwerbung – »schneesichersten alpinen Skigebiet Norddeutschlands« vor sich hin. Die Skipisten und Rodelbahnen auf dem höchsten Berg Niedersachsens sind gesperrt.
Der stämmige Mann mit Basecap im Ski- und Rodelverleih sagt: »So ein Wetter, das hatten wir früher nie zu dieser Jahreszeit.« Früher, da hätten Anfang Februar hier in der Verleihstation 5 Leute gleichzeitig gearbeitet, Skier und Schlitten an ungeduldige Touristen ausgegeben. Heute ist er allein. »Seit 2 Jahren bleibt der Schnee im Winter weg«, sagt der Harzer missgelaunt, oder der Schnee komme, wenn ihn keiner mehr braucht. »Immerhin, die Schneekanonen laufen, eine blaue Piste ist geöffnet, die können sie bis zur Mittelstation herunterrodeln.« Aber: Auf eigene Gefahr!
Trotz millionenteurer Schneekanonen: 2050 wird es in Deutschland wohl nur noch 2 Skigebiete geben
Viele Skigebiete versuchen, mit millionenschweren Investitionen gegen das Unvermeidliche Zeit zu kaufen. Im Thüringer Wald wurden vor 3 Jahren 4 Millionen Euro ausgegeben, um die Infrastruktur der »Winterwelt Schmiedefeld« angeblich zukunftssicher auszurüsten. Trotzdem fiel die Skisaison 2019/20 fast komplett ins Wasser, weil es selbst für Kunstschnee zu warm war: Erstmals abfahren konnte man am 29. Februar. Mehr als 125 Millionen Euro gab die »Wintersport-Arena Sauerland« in den vergangenen 20 Jahren für neue Beschneiungsanlagen, Pistenbullys und Skilifte aus; hier, im höchsten Teil des Rothaargebirges, arbeiten jetzt 650 »Schnee-Erzeuger«. Der Liftverbund Feldberg im Hochschwarzwald erarbeitet gerade einen neuen Masterplan, 30–50 Millionen Euro sollen investiert werden, auch ein neues Speicherbecken für Wasser zur Kunstschneeproduktion ist geplant.
Nach Erhebungen des bayerischen Umweltministeriums wurden 2017 1/4 aller Pisten im Freistaat künstlich beschneit: 943 Hektar (2009 waren es erst 590 Hektar). Anfangs, so erzählt es Thomas Frey, Alpenexperte beim Bund Naturschutz Bayern, sei es in den Skigebieten nur um eine punktuelle Beschneiung besonders neuralgischer Punkte durch einzelne Kanonen gegangen. Mittlerweile aber wäre ohne Kunstschnee weder in Bayerns Mittelgebirgen noch im Schwarzwald Wintersport möglich, weder im Hunsrück, dem Erzgebirge noch im Thüringer Wald.
Ansteigende Meere überfluten Flughäfen, Passagiere werden von heftigeren Turbulenzen durchgeschüttelt
Die COVID-19-Pandemie hat die Reisebranche durcheinandergewirbelt. »Der Tourismus wird nach Corona anders aussehen als vorher«, sagt der Münchner Tourismusprofessor Jürgen Schmude. Er rechnet damit, dass die Deutschen auf absehbare Zeit weniger reisen werden – und vor allem bewusster. Vielen Leuten sei in der Krise klar geworden, »dass nicht jede Reise, die wir gemacht haben, so sinnvoll war«. Auch der Radius, in dem wir unsere Urlaube verbringen, werde schrumpfen. Schmude: »Der Fernreisesektor wird – zumindest kurz- und mittelfristig – an Bedeutung verlieren.«
Afrika gehört zu jenen Weltgegenden, die am stärksten unter den Folgen der Erderhitzung leiden werden. In bereits trockenen Gegenden wird die Trockenheit weiter zunehmen, Missernten sind programmiert. Staaten wie Madagaskar, Mosambik oder Simbabwe tauchen schon heute regelmäßig im Klima-Risiko-Index auf, in dem die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch jedes Jahr die am stärksten von Extremwettern betroffenen Länder listet. Mal ist es zu viel Wasser – Tropenstürme wie 2019 die Zyklone Idai und Kenneth werfen mit ihren Überschwemmungen solche Länder immer wieder zurück. Mal ist es zu wenig Wasser – wie man 2019 auch an den Victoriafällen besichtigen konnte. Zwar warnen Wissenschaftler davor, aus jeder Dürre gleich die Klimaerhitzung lesen zu wollen – doch im Sambesi-Becken häufen sich Trockenphasen und bestätigen damit Szenarienberechnungen der Wissenschaft. Und der Bevölkerungszuwachs verschärft die Probleme des Klimawandels zusätzlich.
Dann vielleicht doch besser zu Hause bleiben? Die Folgen der Erderhitzung können wir genauso gut daheim besichtigen, zum Beispiel in St. Peter-Ording, dem größten Ort auf der Halbinsel Eiderstedt an der Nordseeküste. Der Sandstrand ist hier gut 12 Kilometer lang und bis zu 2 Kilometer breit, sein Wahrzeichen sind hölzerne Stelzenhütten, manche 7 Meter hoch. Die Pfahlbauten thronen teils seit mehr als 100 Jahren auf Lärchenbohlen, sie beherbergen Restaurants, Wassersportzentren, sogar eine Mehrzweckhalle gibt es. Kommt hier die Flut, kann man ganz gemütlich das Meeresrauschen genießen.
Zumindest noch. Wegen der steigenden Meeresspiegel wird der Strand schmaler, pro Jahr um rund 6 Meter. Die Strandbar »54 Grad« zum Beispiel stand vor 7 Jahren noch im Spülsaum, also dort, wo die Wellen Muscheln, Algen und Unrat antragen – inzwischen ist sie bei Flut komplett von Wasser umgeben, Wellen und Strömungen bedrohten deshalb die Stabilität der Pfahlfundamente. Im Juli 2020 beschloss der Gemeinderat, die Bar abzureißen und gut 200 Meter landeinwärts neu aufzubauen.
Aus: Toralf Staud und Nick Reimer
»Deutschland 2050«: Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird
© 2021, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
Bei diesem Text handelt es sich um eine gekürzte Fassung des 12. Kapitels: Tourismus.
Titelbild: Matthieu Pétiard - CC0 1.0